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Archiv "„Abschied vom freiheitlichen Gesundheitswesen“" (06.11.1992)

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„Abschied vom

freiheitlichen Gesundheitswesen"

Hauptversammlung des Hartmannbundes 1992 lehnt Strukturgesetz kompromißlos ab

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

F

ür die im Hartmannbund (Verband der Ärzte Deutsch- lands e.V.) organisierten ärzt- lichen Berufspolitiker bleibt es da- bei: Sie lehnen den in Lahnstein ge- fundenen parteienübergreifenden Kompromiß für ein „Gesundheits- Strukturgesetz 1993" wie bisher schon kompromißlos ab. Für den Hartmannbund (HB) ebenso wie für 19 weitere kleinere Ärzteverbände und ärztliche Berufsverbände ist das in dem Gesetzentwurf Marke See- hofer/Dreßler komponierte „Kosten- dämpfungs-Diktat" nichts weiter als ein sozialstaatlich-interventionisti- sches Arsenal, das „so fundamental in unsere Freiheitsrechte, Hand- lungsmöglichkeiten und unser Selbstverständnis als Ärzte eingreift, daß es da gar nichts zu verbessern gibt". So wertete es der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. med.

Hans-Jürgen Thomas, praktischer Arzt aus Erwitte, in seinem „Bericht zur Lage" vor der diesjährigen Hauptversammlung des Hartmann- bundes am 16. Oktober im Kongreß- haus in Baden-Baden.

In diesem Jahr waren die 94 De- legierten der Hauptversammlung fast ganz unter sich: Im Gegensatz zu allen früheren Hauptversammlungen des Hartmannbundes machten die- ses Mal weder prominente Politiker aus Bund und Ländern noch Reprä- sentanten der ärztlichen Körper- schaften (Arztekammern/Kassen- ärztlichen Vereinigungen) ihre Auf- wartungen. Dieses Mal glänzten sie alle durch Abwesenheit; lediglich fünf (pflichtgemäße) Grußworte wurden kurzfristig nach Baden-Ba- den gefaxt.

Für den Hartmannbund-Vorsit- zenden Dr. Thomas ist der Deal von Lahnstein (CDU/CSU-SPD-FDP- Kompromiß) eine Zumutung für je- den Arzt und jeden Leistungserbrin- ger im Gesundheitswesen — uner- träglich übrigens auch für die in Ba- den-Baden wiederum viel gescholte- nen Repräsentanten der ärztlichen Körperschaften, an der Spitze die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Offenbar nicht zur Kenntnis genommen wurde, daß sich gerade die Mitglieder des Vorstandes der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in zahlreichen Gesprächen und An-

hörungsverfahren mit den Politikern gegen die für die Ärzteschaft uner- träglichen Bestimmungen des ge- planten „Gesundheits-Strukturgeset- zes" gewandt haben, die auch weiter darum kämpfen, daß das Schlimmste abgewendet wird und 1993 nicht Ge- setzeskraft erlangt.

In Baden-Baden wurde wieder- um viel Zeit dafür verwandt, „inner- ärztlichen Stoffwechsel" zu pflegen.

Der Kompromiß von Lahnstein enthalte keine Sonderregelungen für die neuen Bundesländer. So ginge der Vertrauensschutz der Ärztinnen und Ärzte in den neuen Ländern flö- ten, nämlich all derjenigen neu nie- dergelassenen Kassenärzte, die dar- auf vertrauten, daß ihre hohen per- sönlichen Anstrengungen und die er- heblichen finanziellen Risiken der Niederlassung zu einer lohnenden Investition werden.

Eine weitere These des Hart- mannbundes: CDU/CSU, SPD und FDP hätten keinen einzigen Versuch unterlassen, die Freiheit der Ärzte- schaft zunichte zu machen, die Ei- genverantwortung zu zerstören und an deren Stelle den Staat zu setzen.

„Hier entsteht die Diktatur einer ge- sunden, allein an stabilen Beiträgen, an minimalisierten Lohnnebenko- sten, an Netto-Einkommenszuwäch- sen interessierten Mehrheit über die Minderheit kranker Menschen", so HB-Chef Dr. Thomas.

Unverdrossen und standhaft

Der Hartmannbund als der Ärz- teverband mit freier Mitgliedschaft werde unverdrossen sein seit seiner Gründung (1900) verfochtenes Prin- zip verteidigen, nämlich inflagrante und fundamentale Systemverände- rungen im Gesundheitswesen zu be- kämpfen, und alternative Reform-

konzepte für die Ärzteschaft und die Politik entwickeln und pragmatisch und umsetzungsfähig offerieren (da- zu ein HB-Leitantrag für eine neue Gesundheitspolitik).

Dr. med. Klaus Rittgerodt, Kö- nigslutter/Niedersachsen, selbst in Gremien ärztlicher Körperschaften engagiert, blieb als erster Debatten- redner in einer Art Oppositionsrolle, als er die Anstrengungen und die Po- litik der KBV vorsichtig zu verteidi- gen versuchte. Deren Mandatsträger seien verpflichtet gewesen, mit der Politik dialogfähig und -bereit zu sein und zu verhandeln, daß es zu ei- ner Schadensbegrenzung kommt.

Die Widersacher und antiärztlichen Politiker säßen nicht in Köln, son- dern in Bonn. Und die Aktion des Hartmannbundes, mit einer nord- rheinischen Pharmafirma eine Anti- Seehofer-Kampagne zu inszenieren, sei zumindest taktisch zweifelhaft ge- wesen.

Der Vorsitzende des HB-Lan- desverbandes Hamburg, Dr. med.

Klaus Wagner, hingegen warf der KBV vor, vor der Politik eingeknickt zu sein. Dr. med. Wolfgang Schnei- der, Vorsitzender der Vertreterver- sammlung der KV Nordrhein, gab seine Überzeugungen kund: „Das System der gesetzlichen Krankenver- sicherung ist krank, dieses System muß weg...". So wendehälsig, wie es in der KBV gelaufen ist, dürfe es nicht sein: „Man kann nicht heute 1000 Ärzte in Stuttgart auf die Stra- ße schicken, um ihnen einen Tag später in den Rücken zu fallen."

Prof. Dr. med. Horst Bourmer, Köln, Ehrenvorsitzender des Hart- mannbundes: „Der Staat ist nicht für den Bürger, sondern der Bürger für den Staat da. Das Abendland geht nicht zugrunde am hündischen Krie- chen seiner Intelligenz vor politi- schen Zweckmäßigkeiten..." „Unsere Dt. Ärztebl. 89, Heft 45, 6. November 1992 (27) A1-3727

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Körperschaften sind nicht mehr kri- tikfähig. Es wird nur noch mit dem Hammer zurückgeschlagen. Es hat keinen Zweck, daß wir die Kassen- ärztlichen Vereinigungen und die KBV in Schutz nehmen; wir wollen sie ja nicht abschaffen, obwohl dies kein nationales Unglück wäre ... ".

Dr. med. Thomas Stamm, RB- Delegierter aus Niedersachsen (und dort in der KV-Arbeit aktiv), decou- vrierte die eigentlichen politischen und wirtschaftspolitischen Motive der Seehofersehen Kostendämpfung im Gesundheitswesen: 250 Milliar- den DM Defizit bei der Treuhand im Jahr 1994; 30 Milliarden DM Defizit bei der Deutschen Bundesbahn; fünf Millionen Arbeitslose (wenn die AB-Maßnahmen und sonstige Aktio- nen hinzugerechnet werden); eine Million Asylanten und Aussiedler seit zwei Jahren (sie zahlen keine oder erheblich reduzierte Sozialver- sicherungsbeiträge) und die schlech- ten Aussichten für die Netto- Rentenerhöhung im Wahljahr 1994.

Die Bundesregierung wolle wenig- stens auf einem "Nebenkriegsschau- platz" Stärke demonstrieren. Belieb- tes Exerzierfeld sei schon eh und je das Gesundheitswesen gewesen. Und für die Politiker sei es .~in "gefunde- nes Fressen, wenn wir Arzte uns aus- einanderdividieren lassen. Das darf jedoch nicht passieren!"

Bei der Baden-Badener Ver- sammlung wurde zur Solidarität und Einigkeit aufgerufen. Die Ärzte müßten die Speere nach außen, nicht nach innen richten. Sie sollten mit Sachargumenten dringende Sachprobleme diskutieren und reali- sierbare und realistische Reform- konzepte offerieren sowie umsetzen, so eine andere Losung des HB.

Deshalb die einmütig ausgege- bene Losung: "Wir müssen dieses Gesetz (das GSG '93, d. Red.) mit allen legalen und legitimen Möglich- keiten bekämpfen."

Stimmen gab es auch, die be- zweifelten, ob im "Schlußgalopp"

der parlamentarischen Beratungen des GSG 1993 noch etwas Wesentli- ches zu ändern sei. Versuche müß- ten aber bis zur letzten Sekunde un- ternommen werden, um dennoch ei- ne wenn auch zaghafte Wende zu be- wirken. Dr. Harald Clade

Ersatzkassentag 1992 in Bonn

"Regtonalisierung: Kein Markenwort für Strukturverbesserung!"

Die Mandatsträger und Mana- ger der Ersatzkassen sind konster- niert: Mit dem in Lahnstein Anfang Oktober 1992 getroffenen, partei- übergreifenden Multikompromiß zur

"Ratifizierung" der Entwürfe eines

"Gesundheits-Strukturreformgeset- zes 1993" und dem inletzter Minute aufgepfropften ersten Einstieg in die Organisations- und Strukturreform der Krankenkassen geht es vor allem den Ersatzkassen an die Substanz.

Sie sehen das gegliederte Krankeu- versicherungssystem auf dem Spiel.

So die Quintessenz der Statements von Repräsentanten der Spitzenver- bände der deutschen Sozialversiche- rung, der Gewerkschaften und der Kassenärzte beim "Ersatzkassentag 1992" (am 22. Oktober) in Bonn. Die Ersatzkassen und Kombattanten er- teilten der von den Ländern unter Federführung von Bayern und Ba- den-Württemberg gestarteten Initia- tive zur Regionalisierung sämtlicher Sozialleistungszweige unisono eine Abfuhr: "Regionalisierung ist wahr- lich kein Markenwort für Struktur- verbesserung", so die Wertung von Dr. med. Ulrich Oesingmann, Vor- sitzender des Vorstandes der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung (KBV), vor dem Ersatzkassentag.

Auch die im GSG '93 vorgesehene politisch erzwungene totale Öffnung der Ersatzkassen für weitere Mitglie- der ist den Ersatzkassenverbänden suspekt. Denn dadurch würde "nicht nur die Gliederung ernsthaft gefähr- det", sondern vielmehr auch "der Weg für eine Entwicklung bereitet"

werden, "an deren Ende die gesell- schaftliche Gleichmacherei stehen wird", so der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Angestellten- Krankenkassen e.V. (VdAK), Karl Kaula, hauptamtlich im Vorstand der DAG in Harnburg tätig.

Die "Phalanx der Regionalisie- rer" reiche von der SPD über die Bundesländer bis zur CSU und sogar Teilen der CDU, konstatierte Kaula.

Teile der Sozialpartner, Arbeitgeber

wie DGB-Gewerkschaften, stimmten fröhlich mit in den Regionalisie- rungschor ein. Nur die Allgemeinen Ortskrankenkassen, die auf einem

"organisationspolitischen Flicken- teppich" stünden, lobten die in Gang gekommene, für sie günstig klingen- de Diskussion, stellte Kaula empört vor mehr als 1 700 Ersatzkassen- Mandatsträgern, Hauptamtlichen und zahlreichen Gästen fest.

"Verheerende Folgen"

der Regionalisienmg Für die Ersatzkassen hätte eine (vorerst noch abgewendete) umfas- sende Regionalisierung der Organi- sations- und Finanzstrukturen der gesetzlichen Krankenversicherung

"verheerende Folgen" (Kaula). Zu- dem wäre die Politik bei zunehmen- der regionaler Abschottung und ei- nem kleinstaaterischen Separatismus auf dem Gebiet der Sozialversiche- rung weiter denn je von dem Verfas- sungsauftrag entfernt, nämlich mög- lichst einheitliche Lebensverhältnis- se im ganzen Bundesgebiet zu schaf- fen. Das ohnehin vorhandene Süd- Nord-Gefälle würde verschärft, die Ost-West-Problematik auf längere Zeit unverändert festgeschrieben, prognostizieren die Ersatzkassen. Es dürfe nicht sein, daß die Beitragssät- ze gerade dort am höchsten sind, wo die wirtschaftlichen Probleme am größten, die Arbeitslosigkeit am höchsten und die Einkommen am niedrigsten sind.

Dagegen befürworten die Er- satzkassen einen bundesweiten Risi- kostrukturausgleich, der - richtig eingesetzt und an den maßgeblichen Risikoparametern festgemacht - zu mehr Wettbewerb führen könne. Die Ersatzkassen plädieren dafür, daß der Ausgleichsmechanismus des bundesweiten Risikostrukturaus- gleichs an vier Faktoren anknüpfen sollte:

..,.. auf der Einnahmenseite an der Grundlohnsumme, die maßgeb- A1-3728 (28) Dt. Ärztebl. 89, Heft 45, 6. November 1992

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