A 2580 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 48|
2. Dezember 2011HAUSÄRZTEVERBAND
Heftige Grabenkämpfe in Bayern
Hoppenthaller und eine oppositionelle Gruppe im Hausärzteverband wenden sich gegen den Kurs des neuen Vorstandes.
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ie jüngste Vertragspolitik um Selektivverträge der haus- arztzentrierten Versorgung (HzV) entzweit den Bayerischen Hausärz- teverband (BHÄV). Auf der Mit- gliederversammlung am 23. No- vember in Erlangen wandte sich der ehemalige Vorsitzende, Dr. med.Wolfgang Hoppenthaller, unter- stützt von der Mitglieder-Initiative
„BHÄV quo vadis“, gegen den Kurs des amtierenden Vorsitzenden Dr. med. Dieter Geis und dessen Vorstandsmannschaft.
Wieder verhandlungsfähig
Geis verteidigte seine Strategie selbstbewusst: „Nicht zuletzt das sachorientierte, hartnäckige und im Ton moderate Agieren des Vorstan- des hat unsere Gesprächspartner bei Politik und Kassen beeindruckt und ernsthafte Verhandlungen erst wie- der möglich gemacht.“ Jetzt habe der Vorstand „nach zähen und har- ten Verhandlungen“ erste Verträge abgeschlossen beziehungsweise be- finde sich in Schiedsverfahren.Genau da setzt die harsche Kri- tik Hoppenthallers an, der den moderaten Kurs von Geis als
„Appeasementpolitik“ bezeichnete.
Das Ergebnis der Vertragsverhand- lungen ist in Hoppenthallers Au- gen „katastrophal“ für die Existenz der Hausärzte: Unter seiner Be- gleitung hatten Spezialisten der Kassenärztlichen Vereinigung Bay- erns (KVB) sowohl den HzV-Ver- trag mit der Techniker-Kranken- kasse (TK) als auch die Honorar- anlage des BKK-Vertrages nachge- rechnet und dabei festgestellt: Im TK-Vertrag liegen die Fallwertbe- rechnungen der KVB 18 Euro und beim BKK-Vertrag sogar 20 bis 25 Euro unter den Fallwertprognosen der Hausärztlichen Vertragsge- meinschaft (HÄVG). Der BKK- Vertrag liege zudem auch noch bis zu 15 Prozent unter dem Fallwert der KVB.
Missbrauchanfälliges System
Angesichts dieser Ergebnisse zog Hoppenthaller den Schluss, „dass diese Verträge nicht zum Erhalt der hausärztlichen Versorgung, sondern allein zum Erhalt der Existenz der HÄVG geschlossen wurden“. Das System HÄVG, das er selbst mit aufgebaut habe, sei offenbar miss-brauchsanfällig und mit der Interes- senlage der Hausärzteschaft nicht immer kompatibel.
In der mit knapp 600 Teilneh- mern gefüllten Halle bekamen bei- de Kontrahenten jeweils starken Beifall ihrer Anhänger, ohne dass zu erkennen war, wer die Mehrheit hinter sich hatte. Den Versuch einer Einigung unternahm Dr. med.
Wolfgang Krombholz, einst stell- vertretender BHÄV-Vorsitzender und jetzt Vorstandsvorsitzender der KVB. „Beide haben recht“, sagte er und wies darauf hin, dass die Haus- ärzte nur dann eine Chance hätten, etwas zu erreichen, wenn sie einen starken Verband hinter sich hätten.
„Die Einheit ist wichtig.“ Zu Be- schlüssen kam es nicht, nachdem ein Großteil der Mitglieder nach vier Stunden Diskussion schon ge- gangen war. Immerhin haben sich Hoppenthaller und Geis darauf ver- ständigt, die Berechnungen der KVB-Experten gemeinsam mit die- sen noch einmal gründlich zu über- prüfen. Was daraus folgt, soll in ei- ner weiteren Mitgliederversamm- lung beraten werden.
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Klaus Schmidt
In Bayern wurden im letzten Jahr etwa 70 Hausarztpraxen mangels Nachfolger geschlossen. In drei bis vier Jahren wer- den im Freistaat größere Versorgungslü- cken entstehen, befürchtet der Bayeri- sche Hausärzteverband. Um die Öffent- lichkeit auf diese Problematik aufmerk- sam zu machen, hat der Verband die Kampagne „Hausärzte vor dem Aus!?“
gestartet. Dabei wird mit Plakaten und Flyern in den Praxen und über die Inter- netseite „www.hausaerzte-vor-dem-aus.de“ so- wie mit Videos auf YouTube auf die immer schwieriger werdende Lage der hausärztlichen Versorgung hingewiesen. Im Rahmen der Kam-
pagne berichten Hausärzte von ihrer langwierigen Suche nach einem Nach- folger oder nach einem Weiterbildungs- assistenten als Verstärkung. Manche sprechen offen von der drohenden In - solvenz.
Zentrale Forderung der bayerischen Hausärzte ist es, den neugefassten
§ 73 b SGB V zu streichen und den
§ 73 b in seiner vorherigen Fassung wieder in Kraft zu setzen. „Ohne Haus- arztverträge, die diesen Namen auch verdie- nen, wird das Praxensterben weiter an Drama- tik zunehmen“, prophezeit BHÄV-Vorstands- mitglied Dr. med. Petra Reis-Berkowicz. ks
HAUSÄRZTE VOR DEM AUS?
„Die Kündigung der Hausarztverträge zum Jah- resende hat uns den Boden unter den Füßen weg- gezogen“: Siegfried Schulz aus Ingolstadt.
Foto: Video Bayerischer Hausärzteverband