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Zur Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Pkw-Maut: EuGH Entscheidung C-591/17, Österreich / Deutschland, Divergenz zwischen Schlussanträgen und Urteil / eingereicht von Doris Haller

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JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at Eingereicht von Doris Haller Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler Assoz. Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler November 2019

ZUR UNIONSRECHTSWIDRIGKEIT

DER DEUTSCHEN PKW-MAUT

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium

Rechtswissenschaften

EuGH Entscheidung C-591/17, Österreich / Deutschland,

Divergenz zwischen Schlussanträgen und Urteil

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EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

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INHALTSVERZEICHNIS

I. EINLEITUNG ... 5

II. HINTERGRUND DER RECHTSSACHE ... 6

A. Einführung einer deutschen Pkw-Maut ... 6

B. Vertragsverletzungsverfahren nach Art 258 ff AEUV ... 8

1. Allgemeines zum Vertragsverletzungsverfahren ... 8

2. Einleitung durch die Europäische Kommission nach Art 258 AEUV ... 9

3. Klage durch Österreich nach Art 259 AEUV ...11

III. RECHTLICHER RAHMEN ...12

A. Unionsrecht ...12

B. Deutsches Recht ...13

1. Das Infrastrukturabgabengesetz ...13

2. Das Zweite Verkehrssteueränderungsgesetz ...14

IV. UNIONSRECHTSWIDRIGKEIT ...15

A. Indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ...15

1. Diskriminierung nach Art 18 AEUV ...15

2. Vorbringen Österreichs ...16

3. Stellungnahme des Generalanwaltes ...16

a) Mangelnde Vergleichsgröße ...17

b) Keine weniger günstige Behandlung ...18

c) Übergang Steuerfinanzierung zu Nutzerfinanzierung ...19

4. Entscheidung EuGH ...20

a) Zusammenhang zwischen Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung bei Kfz-Steuer ...20

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B. Verletzung der Art 34 und 56 AEUV ...23

1. Warenverkehrsfreiheit nach Art 34 AEUV ...23

2. Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 AEUV ...24

3. Vorbringen Österreichs ...25

4. Stellungnahme des Generalanwaltes ...25

a) Warenverkehrsfreiheit - Keine Maßnahme gleicher Wirkung ...26

b) Dienstleistungsfreiheit - Keine Behinderung des Marktzugangs ...26

5. Entscheidung EuGH ...27

a) Beschränkung des freien Warenverkehrs ...27

b) Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs ...28

C. Verstoß gegen Art. 92 AEUV ...29

1. Art 92 AEUV ...29

2. Vorbringen Österreichs ...30

3. Kommission/Deutschland ...30

4. Stellungnahme des Generalanwaltes ...31

a) Anwendbarkeit des Art 92 AEUV ...31

b) Auswirkung auf ausländische Verkehrsunternehmen ...32

5. Entscheidung EuGH ...33

V. FAZIT ...34

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I. Einleitung

Mit großer Spannung wurde im Juni 2019 die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die von Österreich eingebrachte Vertragsverletzungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland erwartet. Deutschland hatte, wie viele andere Mitgliedstaaten auch, ein Vignettensystem zur Einhebung einer Straßenbenutzungsgebühr, eingeführt. Allerdings war diese Infrastrukturabgabe so ausgestaltet, dass durch eine gleichzeitige Senkung der Kfz-Steuer, die Kosten für die Vignette für Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen vollständig kompensiert wurden.

Von Anfang an bestanden Zweifel an der Unionsrechtskonformität der sogenannten deutschen Pkw-Maut. Dennoch empfahl der Generalanwalt des EuGH, Nils Wahl, die Klage Österreichs in allen Klagspunkten abzuweisen. Er erklärte in seinen Schlussanträgen, dass die Einführung der Infrastrukturabgabe und die gleichzeitige Steuerentlastung für deutsche Kfz-Halter mit dem Europarecht vereinbar sei und keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstelle.1

Da der EuGH in der Regel den Schlussanträgen seines Generalanwaltes folgt, wurde im Vorfeld viel darüber diskutiert, welche Auswirkungen ein dementsprechendes Urteil auf die Grundwerte der Europäischen Union hätte. Viele Unionsrechtsexperten waren sich einig, dass eine derartige Entscheidung zu einer Aushöhlung des Diskriminierungsverbotes führen würde und weitreichende Folgen für den Zusammenhalt der EU hätte. Dr. Franz Leidenmühler, Vorstand des Instituts für Europarecht an der Johannes Kepler Universität in Linz, sah in der Pkw-Maut ein „Musterbeispiel für indirekte Diskriminierung“ und befürchtete, dass durch eine Klagsabweisung „der Diskriminierung über Steuern Tür und Tor geöffnet werden würde“.2 Die Mitgliedstaaten könnten

neben Mautabgaben auch noch andere, ähnliche Regelungen, wie zB die Einführung von Studiengebühren, schaffen, die zwar von Inländern und Ausländern gleichermaßen zu entrichten, durch entsprechende Steuersenkungen de facto aber nur von Ausländern zu tragen wären. Univ.-Prof. Dr. Walter Obwexer, der im Auftrag der österreichischen Regierung auch ein Gutachten über die Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Unionsrecht erstellt hatte, sprach sogar davon, dass ein solches EuGH-Urteil „weit höhere Sprengkraft für den Zusammenhalt der EU hätte, als der Brexit“.3

Auch wenn die meisten Europarechtsexperten die Einschätzung des Generalanwaltes nicht teilten und der Klage Österreichs weiterhin gute Chancen attestierten, gab die Tatsache, dass zwischen

1 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, Rz 154.

2 Vgl Die Presse (7.2.2019): Deutsche Pkw-Maut: „Musterbeispiel für indirekte Diskriminierung.“,

https://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/5575704/Deutsche-PkwMaut_Musterbeispiel-fuer-indirekte-Diskriminierung [9.9.2019].

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Schlussanträgen und Urteil nur drei Monate vergangen waren, Anlass zu Spekulationen. Würde der EuGH den Empfehlungen des Generalanwalts folgen und die Klage Österreichs abweisen?

Österreich hatte vorgebracht, dass Deutschland durch die Einführung einer zeitabhängigen Straßenbenutzungsgebühr gegen Art 18, 34, 36 und 92 AEUV verstoßen hätte, weil Halter von in Deutschland zugelassen Personenkraftwagen, durch eine gleichzeitige Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, einen Steuerentlastungsbetrag rückerstattet bekommen, der mindestens der Höhe der Pkw-Maut entspricht.4

Am 18. Juni 2019 war es dann soweit. Der EuGH gab Österreich in drei seiner vier Klagspunkte recht und kippte mit seinem Urteil die deutsche Pkw-Maut.

Da die vorliegende Arbeit die Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Pkw-Maut zum Inhalt hat und vor allem die Divergenz zwischen der Stellungnahme des Generalanwaltes und der Würdigung durch den EuGH aufzeigen möchte, beschäftigt sie sich nur mit jenen Klagspunkten, in denen sich der EuGH gegen die Empfehlung seines Generalanwaltes ausgesprochen hat. Auf den zweiten Klagsgrund, mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit durch die Ausgestaltung der Infrastrukturabgabe, wird daher nicht näher eingegangen.

II. Hintergrund der Rechtssache

A. Einführung einer deutschen Pkw-Maut

Begonnen hatte alles im deutschen Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013. Der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer sprach sich „aus Gründen der Gerechtigkeit“ strikt für eine „Pkw-Maut für Ausländer“ aus.5 Dadurch sollten ausländische Fahrzeughalter an den Kosten der

Infrastrukturfinanzierung beteiligt werden. Die Einführung der Infrastrukturabgabe für die Benutzung deutscher Straßen wurde dann auch zur Bedingung für die Koalition von CSU, CDU und SPD und in den Koalitionsvertrag aufgenommen.6

Bereits im Juli 2014 stellte der damalige deutsche Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt, seine Pläne für die Einführung einer Infrastrukturabgabe im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vor. Als Grundlage für dieses Modell nannte

4 Vgl ABl 2017 C 402/18.

5 Vgl ARD (18.8.2013): CSU-Chef Horst Seehofer im Sommerinterview, https://www.ardmediathek.de/ard/player/

Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2JlcmljaHQgYXVzIGJlcmxpbi9kNjI2MTYxYi00YzBlLTQ4MGEtYjVjZC0zMDRmZWY0 NDRmZGI/ [9.9.2019]

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Dobrindt 17 Millionen Fahrten mit im Ausland zugelassenen Fahrzeugen pro Jahr, die weitestgehend keinen Beitrag zur Finanzierung deutscher Straßen leisten.7 Durch die

Infrastrukturabgabe sollten diese ausländischen Fahrzeughalter an den Straßeninvestitionen beteiligt werden. Er erklärte, dass der Koalitionsvertrag die Einführung einer Pkw-Maut vorsehe, die so gestaltet werden müsse, dass es zu keiner Mehrbelastung für deutsche Fahrzeughalter komme und dass die Ausgestaltung europarechtskonform sei.8 Um dies zu gewährleisten, sollte

die Infrastrukturabgabe, von Inländern und Ausländern gleichermaßen entrichtet und gleichzeitig die deutsche Kfz-Steuer gesenkt werden. Erklärtes Ziel war der Wechsel von der bisherigen Steuerfinanzierung, hin zu einer Nutzerfinanzierung.

Von dieser neuen Regelung sollten Kfz bis zu einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 t erfasst werden. Darunter fallen neben privaten Personenkraftwagen auch gewerblich genutzte Kleinbusse. Die Infrastrukturabgabe war als zeitabhängige Benutzungsgebühr konzipiert, die in Form von Jahres- und Kurzzeitvignetten eingehoben werden sollte.

Kurz nachdem Dobrindt sein Konzept vorgestellt hatte, wurden erste Stimmen laut, die die Europarechtskonformität der geplanten Maßnahmen anzweifelten und sowohl Deutsche als auch Vertreter der Nachbarländer äußerten sich skeptisch zur Pkw-Maut.

Martin Wanleben, Geschäftsführer des Deutschen Industrie und Handelskammertages, warnte etwa vor einem Streit mit den Nachbarländern. Außerdem befürchtete er, dass Deutschlands Nachbarn mit ähnlichen Regelungen nachziehen und deutsche Fahrzeuge belasten könnten.9 Die

österreichische Verkehrsministerin Doris Bures kündigte rechtliche Schritte an und der niederländische Automobilclub ANWB startete eine Kampagne gegen die geplante Maut.10 Auch

der damalige Verkehrskommissar Siim Kallas war der Ansicht, dass die deutsche Pkw-Maut nicht unionsrechtskonform sei und teilte mit, dass die Europäische Kommission keine Art von Diskriminierung zulassen und das deutsche System sehr genau prüfen werde.11

Trotz all dieser Kritik wurde der von Dobrindt vorgelegte Gesetzesentwurf im Dezember 2014 von der deutschen Bundesregierung in den Bundestag eingebracht. Dieser beschloss am 27. März

7 Vgl phoenix: Pkw-Maut: Alexander Dobrindt präsentiert sein neues Konzept am 7.7.2014,

https://www.youtube.com/watch?v=a_cmyBvpzmI [9.9.2019].

8 Vgl phoenix: Pkw-Maut: Alexander Dobrindt präsentiert sein neues Konzept am 7.7.2014 [9.9.2019]. 9 Vgl Der Tagesspiegel (8.7.2014): Viele lehnen die Maut ab, andere wollen kassieren,

https://www.tagesspiegel.de/politik/reaktionen-auf-die-deutsche-maut-viele-lehnen-die-maut-ab-andere-wollen- kassieren/10167974.html# [28.9.2019].

10 Vgl Salzburger Nachrichten (8.7.2014): Die deutsche Vignette kommt: Österreich droht mit Klage,

https://www.sn.at/politik/weltpolitik/die-deutsche-vignette-kommt-oesterreich-droht-mit-klage-3394009 [9.9.2019].

11 Vgl Frankfurter Allgemeine (28.7.2014): EU dämpft Mauthoffnungen der CSU, https://www.faz.net/

aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/siim-kallas-kommt-deutschland-bei-pkw-maut-nicht-entgegen-13069243.html [28.9.2019].

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201512 das Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von

Bundesfernstraßen13. Am selben Tag wurde auch das Zweite Verkehrssteueränderungsgesetz14

beschlossen, mit dem das Kraftahrzeugsteuergesetz dahingehend geändert wurde, dass sich die Jahressteuer exakt um den Betrag der Infrastrukturabgabe verringert. Nach Unterfertigung durch Bundespräsident Joachim Gauck am 8. Juni traten beide Gesetze zeitgleich am 12. Juni 2015 in Kraft.15 Die Maut sollte ab 1. Jänner 2016 eingehoben werden.16

B. Vertragsverletzungsverfahren nach Art 258 ff AEUV

1. Allgemeines zum Vertragsverletzungsverfahren

Das Vertragsverletzungsverfahren gibt der Kommission sowie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Verstöße eines EU-Mitgliedstaates gegen primäres oder sekundäres Unionsrecht zu rügen und der Kontrolle durch den EuGH zu unterwerfen.17 Grundsätzlich ist die Europäische

Kommission als „Hüterin der Verträge“ für die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens zuständig.18

Die sogenannte Aufsichtsklage nach Art 258 AEUV gliedert sich in ein außergerichtliches Vorverfahren, in welchem dem betroffenen Mitgliedstaat die Möglichkeit zu einer Stellungnahme gegeben werden muss, und in die eigentliche Verfahrenseinleitung, bei der die Kommission den EuGH anruft. Zu einer Entscheidung durch den EuGH kommt es selten, da in etwa 95 Prozent der Vertragsverletzungsverfahren die Mitgliedstaaten ihren europarechtlichen Verpflichtungen nachkommen, bevor der Gerichtshof mit dem Fall befasst wird.19

Nach Art 259 AEUV hat aber auch jeder Mitgliedstaat das Recht, eine Staatenklage gegen einen anderen Mitgliedstaat, von dem er annimmt, dass er gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat, einzubringen.20

12 Vgl Deutscher Bundestag, http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP18/644/64401.html [24.9.2019]. 13 BGBl I S 904 v 8.6.2015.

14 BGBl I S 901 v 8.6.2015.

15 Vgl Deutscher Bundestag, http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP18/644/64401.html [24.9.2019]. 16 BMVI: Infopapier zur Pkw-Maut/Infrastrukturabgabe,

https://www.zukunft-mobilitaet.net/wp-content/uploads/2014/07/pkw-maut-infrastrukturabgabe-infopapier.pdf [9.9.2019].

17 Vgl Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht11 (2018), S 221, Rz 503 und S 223, Rz 512. 18 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 (2017), 113.

19 Vgl Europäische Kommission Pressemitteilung v 25.7.2019,

https://ec.europa.eu/germany/news/20190725-vertragsverletzungsverfahren_de [26.9.2019].

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Dieses Klagsrecht können Mitgliedstaaten aber erst ausüben, nachdem sie die Kommission mit dem Fall befasst haben.21 Auch bei der Vertragsverletzungsklage nach Art 259 AEUV ist ein

Vorverfahren zwingend notwendig. Dieses ist als kontradiktorisches Verfahren zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten ausgestaltet, in dem der Kommission die Aufgabe einer Schieds- und Pufferstelle zukommt.22 Erst wenn die Kommission innerhalb von drei Monaten ab Antragsstellung

keine Stellungnahme abgegeben hat, kann die Klage vor dem EuGH eingebracht werden.

Sowohl die Klage nach 258 AEUV als auch die Klage nach 259 AEUV sind als Feststellungsklagen konzipiert. Das bedeutet, dass der verurteilte Mitgliedstaat zwar unionsrechtlich verpflichtet ist alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Unionsrechtswidrigkeit zu beseitigen, der EuGH den Mitgliedstaat aber nicht dazu verurteilen kann, den rechtswidrigen Zustand aufzuheben, da er gem 260 AEUV lediglich feststellt, dass ein Mitgliedstaat gegen die Verträge verstoßen hat.23 Kommt

ein Land dem Urteil des EuGH nicht nach, kann die Kommission den Gerichtshof erneut anrufen.

2. Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens durch die Europäische Kommission nach Art 258 AEUV

Nachdem die Europäische Kommission von Anfang an Zweifel an der Unionsrechtskonformität der deutschen Pkw-Maut geäußert hatte, leitete sie unmittelbar nach Inkrafttreten der beiden maßgeblichen Gesetze im Juni 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Verkehrskommissarin Violeta Bulc sagte: „Eine Straßennutzungsgebühr ist nur dann EU-rechtskonform, wenn sie nicht auf Grund der Staatsangehörigkeit diskriminiert. Wir haben erhebliche Zweifel, ob die einschlägigen deutschen Gesetze diesem Grundsatz entsprechen. Deshalb sind wir umgehend tätig geworden und räumen diese Zweifel im Interesse der EU-Bürger im Vertragsverletzungsverfahren aus."24

Die Bedenken der Kommission bezogen sich vor allem auf den Aspekt der mittelbaren Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit. Zu dieser führe einerseits das Kompensationsmodell, durch das deutsche Pkw-Halter die Infrastrukturabgabe in Form einer Steuerentlastung bei der Kfz-Steuer rückerstattet bekommen und andererseits die überproportional teuren Preise für Kurzzeitvignetten, die typischerweise für ausländische Nutzer vorgesehen sind. Deutschland wurde in zwei Aufforderungsschreiben darauf hingewiesen, dass es durch die Einführung der geplanten Maßnahmen gegen Unionsrecht verstoße.

21 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 2017, 113.

22 Vgl Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht11 (2018), S 223, Rz 510. 23 Vgl Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht11 (2018), S 227, Rz 520.

24 Europäische Kommission Pressemitteilung Nr IP/15/5200 v 18.06.2015,

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Die Europäische Kommission hatte bereits im Jahr 2012 eine Mitteilung zur Erhebung nationaler Straßengebühren auf leichte Privatfahrzeuge herausgegeben.25 Ziel der europäischen

Verkehrspolitik sei die Schaffung eines Systems, das den wirtschaftlichen Fortschritt in Europa fördert und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Deutschland hätte die Pkw-Maut allerdings so ausgestaltet, dass sich die vorgesehenen Maßnahmen nicht mit diesem Ziel decken. Dazu hätte die Intensität der Nutzung berücksichtigt werden müssen.26

Im Dezember 2016 einigten sich EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc und Verkehrsminister Alexander Dobrindt am Rande des Verkehrsministerrates in Brüssel überraschend auf Änderungen des Infrastrukturabgabengesetzes, durch welche die Unionsrechtskonformität der deutschen Pkw-Maut hergestellt werden sollte.27

Das Gesetz sollte einerseits dahingehend geändert werden, dass statt der bisher drei Fahrzeugkategorien fünf eingeführt werden müssten und andererseits sollte der Preis für Kurzzeitvignetten, die vorwiegend von Fahrern aus dem Ausland gekauft werden, gegenüber dem Jahrespreis sinken und unterhalb eines Verhältnisses von 1:7,3 angesetzt werden. Die günstigste Variante einer Kurzzeitvignette für zehn Tage sollte 2,50 Euro kosten und damit nur noch die Hälfte der ursprünglich vorgesehenen fünf Euro.28 Auch eine Änderung dahingehend, dass

umweltfreundliche Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6 besonders günstig behandelt werden, wurde vereinbart.

Nachdem Deutschland die entsprechenden Änderungen sowohl im Infrastrukturabgabengesetz als auch im Zweiten Verkehrssteueränderungsgesetz vorgenommen hatte, wurde das Vertragsverletzungsverfahren am 17. Mai 2017 beendet. Die Kommission war der Ansicht, dass Deutschland dadurch seinen Verpflichtungen nachgekommen wäre und alle Bedenken bezüglich der Diskriminierung von Ausländern ausgeräumt hätte.29

25 Mitteilung der Kommission über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge

KOM (2012) 199 final v 14.5.2012, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52012DC0199&from=CS [6.10.2019]

26 Vgl. Europäische Kommission Pressemitteilung Nr IP/15/5200 v 18.06.2015,

https://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5200_de.htm [3.10.2019].

27 Vgl Europäische Kommission Pressemitteilung Nr IP/16/4221 v 1.12.2016,

https://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-4221_de.htm [26.9.2019].

28 Vgl Europäische Kommission Pressemitteilung Nr IP/16/4221 v 1.12.2016 [26.9.2019].

29 Europäische Kommission Pressemitteilung v 17.5.2017,

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3. Klage durch Österreich nach Art 259 AEUV

Es ist äußerst selten, dass ein Mitgliedstaat eine Vertragsverletzungsklage nach Art 259 AEUV gegen einen anderen Mitgliedstaat einbringt. Die Klage Österreichs gegen Deutschland war erst die siebente dieser Art in der Geschichte des EuGH.30

Österreich erklärte im Juli 2017 in einem Schreiben an die Kommission, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Einführung der PWK-Maut gegen Unionsrecht verstoßen habe und leitete das Vertragsverletzungsverfahren nach Art 259 AEUV ein. Daraufhin fand am 31. August 2017 eine Anhörung statt, bei der sowohl Österreich als auch Deutschland ihre Standpunkte darlegten. Da die Kommission nicht innerhalb der in Art 259 AEUV vorgesehenen Dreimonatsfrist eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgab,31 brachte Österreich mit Schreiben vom 12. Oktober

2017 die Klage beim EuGH ein32 und begehrte festzustellen, dass die Bundesrepublik

Deutschland durch die Einführung der Infrastrukturabgabe in Verbindung mit einer Steuerentlastung für inländische Pkw-Halter gegen die Art. 18, 34, 56 und 92 AEUV verstoßen hat.33

In seinem ersten Klagspunkt brachte Österreich vor, dass durch das Infrastrukturabgabengesetz alle Nutzer des deutschen Autobahnnetzes zur Zahlung einer Infrastrukturabgabe verpflichtet werden, aber deutsche Straßenbenützer mindestens den gleichen Betrag über einen im Kraftfahrzeugsteuergesetz verankerten Steuerentlastungsbetrag rückerstattet bekommen.

Der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang von Infrastrukturabgabe und Kfz-Steuerentlastungsbetrag in gleicher Höhe führe dazu, dass faktisch nur ausländische Straßenbenützer durch die Infrastrukturabgabe belastet werden.34 Die Kombination der beiden

Regelungen bewirke eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit gem Art 18 AUEV.35

Auch der zweite Klagspunkt bezog sich auf eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Diese Ungleichbehandlung bestehe darin, dass die Überwachung der Zahlungspflicht sowie etwaige Sanktionen wegen Nichtentrichtung der Infrastrukturabgabe

30 EuGH Pressemitteilung Nr 75/19 v 18.6.2019,

https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2019-06/cp190075de.pdf [26.9.2019].

31 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 22). 32 Vgl ABl C 402 vom 27.11.2017.

33 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 21). 34 ABl 2017 C 402/19.

(12)

hauptsächlich ausländische Autofahrer betreffen würde, da deutsche Kfz-Halter bereits mit Zulassung des Fahrzeuges die Gebühr für die Vignette entrichten müssten.36

Darüber hinaus legte Österreich in seinen Klagspunkten drei und vier dar, dass die Regelung, soweit sie sich auf Warentransporte bzw Fahrten mit Kfz unter 3,5 t beziehe, aufgrund der kombinierten Wirkung von Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung auch eine Verletzung der Art 34 und 35 AEUV sowie einen Verstoß gegen Art 92 AEUV darstelle.37

III. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union regelt in Art 4 Abs 2 lit g, dass die Zuständigkeit für die Verkehrspolitik zwischen Union und Mitgliedstaaten geteilt ist. Gem Art 2 Abs 2 AEUV dürfen die Mitgliedstaaten eigene Regelungen erlassen, sofern die Union in diesem Bereich ihre Zuständigkeit nicht in Anspruch nimmt. Bisher hat die EU nur in Bezug auf die Einhebung von Straßenbenutzungsgebühren für Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t von ihrem Recht Gebrauch gemacht. Diese sogenannte Eurovignettenrichtlinie38 aus dem

Jahr 1999 in der geänderten Fassung vom 27. September 201139 bildet den rechtlichen Rahmen

für die Einhebung von Straßenbenutzungsgebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge.

Bei der Überarbeitung der Richtlinie im Jahr 200640 wurde, auch im Hinblick auf eine Verringerung

der negativen Auswirkungen des Straßenverkehrs auf die Umwelt, zum ersten Mal gefordert, dass die Kosten zur Erhaltung der Infrastruktur von deren Nutzern getragen werden sollten. Nur so könnte ein gerechtes System zur Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren gewährleistet werden.

Die Eurovignettenrichtlinie gilt für die in Art 2 der Richtlinie definierten Fahrzeuge. Demnach sind „Fahrzeuge“ iSd Eurovignetten-Richtlinie „Kraftfahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen, die für den Güterkraftverkehr bestimmt sind oder verwendet werden und deren zulässiges Gesamtgewicht mehr als 3,5 t beträgt“.

36 Vgl ABl 2017 C 402/19. 37 Vgl ABl 2017 C 402/19.

38 Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999, ABl 1999, L 187. 39 ABl 2011, L 269.

(13)

Art 7 Abs 1 der Eurovignettenrichtlinie sieht vor, dass „Mitgliedstaaten unbeschadet des Artikels 9 Abs 1a unter den in den Absätzen 2, 3, 4 und 5 und in den Artikeln 7a bis 7k genannten Bedingungen Maut- und/oder Benutzungsgebühren auf dem transeuropäischen Straßennetz oder auf bestimmten Abschnitten dieses Netzes und zusätzlich auf anderen Abschnitten ihrer Autobahnnetze, die nicht zum transeuropäischen Straßennetz gehören, beibehalten oder einführen dürfen.“

Art 7 Abs 3 enthält ein Diskriminierungsverbot und bestimmt, dass „Maut- und Benutzungsgebühren weder mittelbar noch unmittelbar zu einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit des Verkehrsunternehmers, des Mitgliedstaats oder Drittlandes der Niederlassung des Verkehrsunternehmers oder der Zulassung des Fahrzeugs oder des Ausgangs- oder Zielpunktes der Fahrt führen darf.“

Nach Art 7k der Richtlinie berührt diese nicht die Freiheit der Mitgliedstaaten ein System von Maut- und/oder Benutzungsgebühren für Verkehrswege einzuführen.

B. Deutsches Recht

1. Das Infrastrukturabgabengesetz

Das Infrastrukturabgabengesetz (InfrAG) vom 8. Juni 201541 in der Fassung von Art 1 des

Gesetzes vom 18. Mai 201742 sieht für die Benutzung der Bundesfernstraßen durch

Personenkraftwagen bis zu einem zulässigen oder tatsächlichen Gesamtgewicht von 3,5 t und Wohnmobile die Zahlung einer Infrastrukturabgabe vor. Unter Bundesfernstraßen sind gem § 1 Bundesfernstraßengesetz Bundesautobahnen und Bundesstraßen mit den Ortsdurchfahrten zu verstehen.

Für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge ist die Infrastrukturabgabe gemäß §§ 3 und 7 InfrAG vom Fahrzeughalter in Form einer Jahresvignette zu entrichten. Nach § 5 Abs 1 InfrAG wird die Höhe der Infrastrukturabgabe durch Bescheid festgelegt und nach § 5 Abs 2 gilt die Vignette mit erteilter Kfz-Zulassung als erworben.

Für im Ausland zugelassene Fahrzeuge ist die Infrastrukturabgabe gem § 1 Abs 2 InfrAG nur für die Benutzung von Autobahnen zu entrichten und entfällt für die Benutzung von Bundesstraßen. Schuldner der Abgabe ist in diesem Fall entweder der Halter oder der Fahrer des Fahrzeuges.

41 BGBl I S 904. 42 BGBl I S 1218.

(14)

Die Verpflichtung zur Zahlung entsteht gem § 5 Abs 4 mit der ersten Benutzung einer abgabepflichtigen Straße nach dem Grenzübertritt. Zu entrichten ist die Infrastrukturabgabe durch den Kauf einer Vignette. Bei der Geltungsdauer besteht die Wahl zwischen einer Zehntagesvignette, einer Zweimonatsvignette und einer Jahresvignette.

Die Höhe der Abgabe ist in Abs 1 der Anlage zu § 8 InfrAG festgelegt und von Hubraum, Antriebsart und Emissionsklasse des Kfz abhängig. Die Preise der Jahresvignette liegen in der schadstoffärmsten Kategorie Euro 6 für Fahrzeuge mit Fremdzündungsmotor bei 1,80 Euro je Kubikzentimeter Hubraum, für Pkw der Klasse Euro 4 und Euro 5 bei 2 Euro und bei Fahrzeugen, die nicht unter eine dieser Kategorien fallen bei 6,50 Euro. Die Kosten für die Jahresvignette sind mit einem maximalen Betrag von 130 Euro begrenzt.

2. Das Zweite Verkehrssteueränderungsgesetz

Durch Art 1 des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes (2. VerkehrStÄndG) vom 8. Juni 201543 und das Gesetz zur Änderung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes vom 6. Juni

201744 wurde das Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) vom 26. September 200245

dahingehend geändert, dass in § 9 Abs 6 KraftStG eine Steuerentlastung für inländische Kraftfahrzeuge vorgesehen ist, durch die sich die Jahreskraftfahrzeugsteuer im Wesentlichen um jenen Betrag verringert, der für die Infrastrukturabgabe zu zahlen ist.

Für Fahrzeuge der Emissionsklassen Euro 5 und Euro 6 werden die höchsten Steuerentlastungsbeträge vorgesehen, die um jeweils 0,35 Euro je 100 Kubikzentimeter Hubraum höher liegen, als in der nächsten Fahrzeugkategorie.

Diese Regelung tritt gem Art 3 Abs 2 2. VerkehrStÄndG an jenem Tag in Kraft, an dem mit der Erhebung der Infrastrukturabgabe nach dem InfrAG begonnen wird.

43 BGBl I S 901. 44 BGBl I S 1493. 45 BGBl I S 3818.

(15)

IV. Unionsrechtswidrigkeit

A. Indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit

1. Diskriminierung nach Art 18 AEUV

Art 18 Abs 1 AEUV normiert das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich der Verträge. Es verbietet „jede“ Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und umfasst somit neben der unmittelbaren Diskriminierung auch die mittelbare Diskriminierung. Berufen können sich auf Art 18 AEUV alle Unionsbürger, die sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten.46

Dieses allgemeine Diskriminierungsverbot gehört als spezifischer Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes zu den Grundprinzipien des Unionsrechts.47 Es gebietet die Gleichbehandlung

von Inländern und EU-Ausländern in allen Situationen, auf die Unionsrecht anwendbar ist, und deren Sachverhalte vergleichbar sind.48 Das Diskriminierungsverbot stellt eine

Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Binnenmarkts dar.49

Während bei der unmittelbaren oder direkten Diskriminierung explizit auf die Staatsangehörigkeit abgestellt wird, bezieht sich die Ungleichbehandlung bei einer mittelbaren oder indirekten Diskriminierung auf ein scheinbar neutrales Unterscheidungsmerkmal, das aber im Ergebnis zu einer Diskriminierung anderer Staatsangehöriger führt.

Art 18 Abs 1 AEUV ist subsidiär und tritt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH hinter die besonderen Diskriminierungsverbote aus Gründen der Staatsangehörigkeit zurück.50 Er kommt

nur dann zur Anwendung, wenn der Sachverhalt unter kein anderes, besonderes Diskriminierungsverbot des AEUV fällt. Diese besonderen Diskriminierungsverbote aus Gründen der Staatsangehörigkeit finden sich zB im Bereich des freien Warenverkehrs, im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder im Bereich der Dienstleistungsfreiheit.

Auch wenn sich weder aus dem Wortlaut des Art 18 AEUV noch aus seiner systematischen Einordnung Rechtfertigungsgründe ergeben, so prüft der EuGH in seiner ständigen Rechtsprechung, ob die Diskriminierung auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit des

46 Vgl Epiney in Calliess/Ruffert/Martinez, AEUV5 (2016), Art 18, Rz 19.

47 Vgl EuGH 27.10.2009 Rs C-115/08, Land Oberösterreich/ ČEZ as, ECLI:EU:C:2009:660 (Rz 89) - hier noch in Bezug

auf Art 12 EGV, in dem das allgemeine Diskriminierungsverbot vor dem Vertrag von Lissabon verankert war.

48 Vgl Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht11 (2018), S 341, Rz 746 und S 349, Rz 762. 49 Vgl Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht11 (2018), S 341, Rz 746.

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Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit den nationalen Rechtsvorschriften verfolgt wird.51

2. Vorbringen Österreichs

Österreich bezieht sich in seiner ersten Rüge auf die Kombinationswirkung von Infrastrukturabgabe und Kfz-Steuerentlastung. Das Infrastrukturabgabengesetz und die Änderung bei der Kraftfahrzeugsteuer durch das 2. VerkehrStÄndG müssten aufgrund ihres zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhangs und ihrer Untrennbarkeit gemeinsam betrachtet werden.52

Obwohl das Infrastrukturabgabengesetz alle Benutzer deutscher Autobahnen zur Zahlung der Infrastrukturabgabe verpflichtet, bewirke die gleichzeitige Senkung der Kfz-Steuer um einen Betrag, der mindestens der Höhe der geleisteten Infrastrukturabgabe entspricht, eine nachteilige Ungleichbehandlung von Haltern und Fahrern von nicht in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen.53

Weiters bringt die österreichische Regierung vor, dass kein Grund bestehe, der eine indirekte Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit rechtfertige. Daher verstoße die Regelung gegen Art 18 AEUV.54

3. Stellungnahme des Generalanwaltes

„Du sollst nicht diskriminieren“, 55 so lauten die ersten Worte des Generalanwalts Nils Wahl in

seinen Schlussanträgen vom 6.Februar 2019. Er führt auch gleich zu Beginn aus, dass er das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit für das wohl wichtigste Gebot der Union hält und nur wenige Zeilen später kommt er zu dem Schluss, dass die Klage Österreichs auf einem „grundlegenden Missverständnisses des Begriffs Diskriminierung beruht“.56

Wahl legt in seinen Ausführungen dar, dass es der österreichischen Regierung vor allem in Bezug auf zwei Diskriminierungsgrundsätze nicht gelungen sei ihren Standpunkt klar zu machen.57

Seiner Meinung nach liege keine indirekte Diskriminierung vor, weil es einerseits an einer

51 EuGH 4.10.2012 Rs C-75/11, Kommission/Österreich, ECLI:EU:C:2012:605 (Rz 52).

52 Vgl ABl 2017 C402/19. 53 Vgl ABl 2017 C402/19. 54 Vgl ABl 2017 C402/19.

55 Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 1). 56 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 5). 57 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 58).

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geeigneten Vergleichsgröße fehle und andererseits keine weniger günstige Behandlung von Fahrern bzw Haltern von im Ausland zugelassener Fahrzeuge nachgewiesen werden könne.

a) Mangelnde Vergleichsgröße

Unter einer Diskriminierung ist eine Ungleichbehandlung zu verstehen, die darin besteht, dass eine Person in einer vergleichbaren Situation aufgrund eines identifizierbaren Merkmals eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person.58 Für Wahl steht damit für die

Feststellung einer Diskriminierung die Ermittlung einer Vergleichsgröße im Mittelpunkt. Er betont ihre große Bedeutung, da bei Fehlen einer solchen Vergleichsgröße kein aussagekräftiger Vergleich getroffen und folglich auch keine Diskriminierung festgestellt werden kann.59

Er führt die bisherige Rechtsprechung des EuGH60 an, nach der die vergleichbaren Situationen

nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein müssen, wobei diese Vergleichbarkeit nicht allgemein und abstrakt, sondern spezifisch und konkret für die entsprechende Leistung geprüft werden muss.61

Nils Wahl ist der Meinung, dass die von der österreichischen Regierung gewählte Vergleichsgröße ungeeignet sei. Österreich bestehe darauf, dass beide Maßnahmen, Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung, gemeinsam geprüft werden, deshalb müssten auch zur Ermittlung der Vergleichsgröße beide Maßnahmen herangezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass deutsche Fahrzeughalter gleichzeitig auch deutsche Steuerzahler sind, aber ausländische Halter den Steuern anderer Mitgliedstaaten unterliegen.62

Halter inländischer Fahrzeuge befänden sich zwar in Bezug auf die Nutzung deutscher Autobahnen mit Haltern ausländischer Fahrzeuge in der gleichen Situation, dadurch dass man die Halter von inländischen und ausländischen Fahrzeugen aber sowohl als Nutzer der Autobahnen als auch als Steuerzahler betrachten müsse, seien diese beiden Gruppen nicht mehr vergleichbar.63

Auch aus dem Urteil Kommission/Deutschland64, auf das Österreich bezüglich der

Vergleichbarkeit der Gruppen verweist, ergebe sich keineswegs, dass die Gruppen für den Zweck dieses Verfahrens vergleichbar sind. Vielmehr habe der Gerichtshof in diesem Urteil zu Recht

58 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 43). 59 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 43). 60 Vgl EuGH 19.7.2017 Rs C-143/16, Abercrombie & Fitch Italia, ECLI:EU:C:2017:566 (Rz 25).

61 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 43). 62 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 49). 63 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 49 u 50). 64 EuGH 19.5.1992 Rs C-195/90, Kommission/Deutschland, EU:C:1992:219.

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eine umfassendere Perspektive gewählt, weil es um einen Verstoß gegen Art 92 AEUV ging und es sich bei diesem um eine Stillhalteklausel handle, die neben diskriminierenden Maßnahmen auch alle Regelungen untersage, durch die bestehende Vorteile ausländischer Verkehrsunternehmen beseitigt werden. Bei einer Diskriminierung nach Art 18 AEUV müssten die beiden Gruppen aber im engeren Sinne vergleichbar sein.65

Nach Ansicht des Generalanwaltes befinden sich Fahrer bzw Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen nicht in der selben Situation wie deutsche Pkw-Halter. Daraus ergibt sich für ihn, dass diese beiden Gruppen nicht miteinander verglichen werden können und somit auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vorliegen kann.

Wahls Schlussfolgerung führt zu einem problematischen Ergebnis. Mit dieser Argumentation könnte man inländischen Steuerzahlern und Ausländern immer die Vergleichbarkeit absprechen, was wiederum dazu führen würde, dass nationale Steuern niemals diskriminierend sein könnten. Das steht auch der ständigen Rsp des EuGH66 entgegen, nach welcher die Mitgliedstaaten ihre

Zuständigkeit im Bereich der direkten Steuern nur unter Einhaltung des Unionsrechts ausüben dürfen.

b) Keine weniger günstige Behandlung

Darüber hinaus sieht der Generalanwalt aber auch keine weniger günstige Behandlung der Fahrer und Halter ausländischer Fahrzeuge. Inländische Fahrzeughalter müssten, um auf deutschen Autobahnen fahren zu dürfen, sowohl die Infrastrukturabgabe als auch die Kfz-Steuer entrichten. Fahrer bzw Halter ausländischer Fahrzeuge unterliegen dagegen nur der Infrastrukturabgabe und bezahlen daher stets einen geringeren Betrag an die deutschen Behörden als deutsche Pkw-Halter.67

Selbst wenn die Steuerentlastung eine Nullreduzierung der Kfz-Steuer zur Folge hätte, wären Ausländer in keiner ungünstigeren Situation, da sie für die Benutzung deutscher Autobahnen höchstens den gleichen Beitrag wie deutsche Pkw-Halter leisten müssten.68 Deshalb sei es auch

ohne Bedeutung, dass Fahrzeuge der Emissionsklasse Euro 6 einen Steuerentlastungsbetrag erhalten, der höher ist als die Infrastrukturabgabe.69

65 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 52). 66 Vgl EuGH 23.2.2016 Rs C-179/14, Kommission/Ungarn, ECLI:EU:C:2016:108 (Rz 171).

67 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 53 und 54). 68 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 55). 69 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (FN 19).

(19)

Auch aus der Tatsache, dass Halter deutscher Fahrzeuge, unabhängig von der tatsächlichen Benutzung der Autobahnen, verpflichtet sind die Infrastrukturabgabe für ein Jahr in zu entrichten, sei erkennbar, dass sie sich in keiner günstigeren Situation befinden als Halter ausländischer Fahrzeuge.70 Diese können zwischen einer Zehntages-, Zweimonats- oder Jahresvignette

wählen.

Wahls Sichtweise überzeugt insofern nicht, als ausländische Kfz-Halter in ihren Mitgliedstaaten ebenfalls einer Kfz-Steuer unterliegen und deutsche Autobahnen auch nur mit einem ordnungsgemäß zugelassenen Pkw nutzen dürfen. Von einer Steuerentlastung profitieren allerdings nur deutsche Halter. Der Generalanwalt berücksichtigt auch nicht, dass die Kfz-Steuer nicht zweckgebunden ist und die Kfz-Steuereinnahmen nicht direkt in die Finanzierung der Autobahnen fließen.

c) Übergang Steuerfinanzierung zu Nutzerfinanzierung

Es müsse den Mitgliedstaaten außerdem freistehen die Finanzierung der Straßeninfrastruktur von einer Steuerfinanzierung auf eine Nutzerfinanzierung umzustellen.71 Die Kosten für die

Finanzierung der deutschen Autobahnen wurden bisher alleine von den deutschen Steuerzahlern getragen, während andere Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, ein Mautsystem auf ihren Autobahnen eingeführt haben.

Nach Ansicht des Generalanwaltes könne Art 18 AEUV nicht dahingehend interpretiert werden, dass Mitgliedstaaten die kostenlose Nutzung ihrer Autobahnen dulden müssten und keine Möglichkeit mehr hätten eine Systemänderung durchzuführen.72 Es läge ausschließlich im

Ermessen der Mitgliedstaaten, ob die Benutzung der staatlichen Infrastruktur, kostenlos oder gegen Gebühr zu erfolgen hätte.73

Der Generalanwalt weist auch darauf hin, dass es sich bei der Kraftfahrzeugsteuer um eine direkte Steuer handelt, die der Steuerhoheit des Mitgliedstaates unterliegt. Deshalb sei nicht einzusehen, dass Deutschland gegen Art 18 AUEV verstoße, wenn es die Kfz-Steuer so festlegt, dass bestimmte Personengruppen durch Steuerleistungen nicht übermäßig belastet werden.74

Wahl kommt zu dem Ergebnis, dass es unverhältnismäßig wäre, wenn nach Einführung eines Systems der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur durch sämtliche Nutzer, deutsche Pkw-Halter

70 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 53). 71 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 61). 72 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 61). 73 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 62). 74 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 65).

(20)

sowohl der Infrastrukturabgabe als auch der weiterhin hohen Belastung durch die Kfz-Steuer unterliegen würden.75

4. Entscheidung EuGH

Der EuGH prüft in seiner rechtlichen Würdigung vorab die Anwendbarkeit des Art 18 AEUV. Demnach liegt ein unionrechtlich geregelter Sachverhalt vor, der unter kein anderes, spezielles Diskriminierungsverbot des AEUV fällt.76 Der Gerichtshof hält fest, dass das

Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV nicht nur die direkte Diskriminierung verbietet, sondern auch die indirekte Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit erfasst.77

a) Zusammenhang zwischen Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung bei Kfz-Steuer

Um festzustellen, ob die Klage Österreichs begründet ist, prüft der EuGH zuerst, ob zwischen dem InfrAG und dem KraftÄndG ein derartiger Zusammenhang besteht, der eine gemeinsame Beurteilung dieser beiden Maßnahmen zulässt.78

Sowohl das InfrAG als auch das KraftÄndG sind am selben Tag, dem 8.5.2017, eingeführt worden und auch die Änderung der beiden Gesetze im Jahr 2017 lag zeitlich sehr nahe beisammen, da das InfrAG Mitte Mai und das KraftÄndG Anfang Juni geändert wurde. Die Kfz-Steuerentlastung gem dem 2. KraftÄndG ist insofern an die Infrastrukturabgabe gekoppelt, als sie erst mit Beginn der Einhebung der Abgabe in Kraft treten sollte.79 Eine weitere Gemeinsamkeit liegt darin, dass

bei Haltern von in Deutschland zugelassenen Pkw sowohl die Verpflichtung zur Zahlung der Kraftfahrzeugsteuer als auch die Entrichtung der Infrastrukturabgabe von der Zulassung des Fahrzeuges abhängig sind.80

Aus diesen Erwägungen leitet der EuGH einen so engen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang ab, der eine gemeinsame unionsrechtliche Beurteilung von Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung rechtfertigt.81

75 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 73). 76 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 41).

77 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 42). 78 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 43). 79 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 44). 80 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 45). 81 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 46).

(21)

b) Diskriminierung durch Kombination der beiden Maßnahmen

Da die Infrastrukturabgabe von allen Benutzern deutscher Autobahnen zu leisten ist, aber nur Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen einen Steuerentlastungsbetrag erhalten durch den die entrichtetet Abgabe vollständig kompensiert wird, werden tatsächlich nur Halter und Fahrer von nicht in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen mit den Kosten der Infrastrukturabgabe wirtschaftlich belastet.82

Anders als sein Generalanwalt Nils Wahl sieht der EuGH deutsche und nichtdeutsche Kfz-Halter in einer vergleichbaren Situation hinsichtlich der Benutzung deutscher Autobahnen und stellt fest, dass durch die Kombination von Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung Fahrer und Halter von in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeug, in Bezug auf die Benutzung deutscher Autobahnen weniger günstig behandelt werden, als Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen.83

Der EuGH konzentriert sich in seiner Beurteilung der Diskriminierung auf die Frage, wer durch die Infrastrukturabgabe wirtschaftlich belastet wird und kommt zu dem Schluss, dass aufgrund der Steuerentlastung für deutsche Kfz-Halter, nur Fahrer und Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw diese wirtschaftliche Last zu tragen haben.84

Dadurch, dass die überwiegende Anzahl der Fahrzeuge, die in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind auch von Staatsbürgern anderer Mitgliedstaaten gehalten und gefahren werden, aber die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen vorwiegend deutsche Staatsbürger sind, ergibt sich, dass die wirtschaftliche Belastung der Infrastrukturabgabe vor allem Angehörige anderer Mitgliedstaaten trifft.85 Das führt im Ergebnis zu einer Ungleichbehandlung aufgrund der

Staatsangehörigkeit.86

Es ist zwar zutreffend, dass die Mitgliedstaaten bei fehlender Harmonisierung der Kfz-Steuer ihre Befugnisse in diesem Bereich wahrnehmen können, sie müssen aber nach ständiger Rsp87 diese

Kompetenz im Bereich der direkten Steuern im Einklang mit dem Unionsrecht ausüben.88 Daraus

folgt, dass die Mitgliedstaaten auch bei Einführung einer Kfz-Steuer den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten müssen, um zu verhindern, dass die Modalitäten der Anwendung dieser Steuer eine diskriminierende Wirkung entfalten.89

82 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 48). 83 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 49). 84 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 48 und 52). 85 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 51). 86 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 51). 87 Vgl EuGH 25.7.2018 Rs C-553/16, TTL, ECLI:EU:C:2018:604 (Rz 44).

88 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 56). 89 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 57).

(22)

Das heißt, dass nationale Steuerregelungen nicht dazu führen dürfen, dass es aufgrund dieser Maßnahmen zu einer nachteiligen Ungleichbehandlung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten kommt. Die Steuerentlastung bei der Kfz-Steuer in einer Höhe, die mindestens der zu entrichtenden Infrastrukturabgabe entspricht, führt dazu, dass diese Abgabe für Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen vollständig kompensiert wird und die wirtschaftliche Last daher nur von ausländischen Pkw-Haltern zu tragen ist.90 Dies stellt eine mittelbare

Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar.91

Bei Pkw der Emissionsklasse Euro 6 kommt diese Ungleichbehandlung besonders stark zum tragen, da es hier zu einer Überkompensierung der Infrastrukturabgabe kommt. Inländische Halter dieser Fahrzeuge erhalten einen Steuerfreibetrag der höher ist, als der Betrag, der für die Infrastrukturabgabe zu leisten ist. Ausländische Fahrer und Halter müssen die Infrastrukturabgabe in voller Höhe bezahlen und können keinen Umweltbonus geltend machen.92

Eine mittelbare Diskriminierung nach Art 18 AEUV kann gerechtfertigt sein, wenn die Ungleichbehandlung auf objektiven Motiven beruht, die von der Staatsangehörigkeit unabhängig sind und in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen.93 Als Zweck führt

die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Stellungnahme neben dem Umweltschutz und einem Lastenausgleich zum Schutz der Kohärenz des deutschen Steuersystems auch einen Systemwechsel von der bisherigen Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur aus Steuermitteln hin zu einer Nutzerfinanzierung nach dem Verursacherprinzip an.94

In Bezug auf den Rechtfertigungsgrund des Systemwechsels stellt der EuGH fest, dass die beiden streitigen Maßnahmen nicht geeignet sind, den angestrebten Zweck zu verfolgen. Da deutsche Kfz-Halter die Infrastrukturabgabe unabhängig von der tatsächlichen Benutzung der Autobahnen schulden, liegt für sie de facto weiterhin ein System der Finanzierung durch Steuerleistung vor. Nur für Halter ausländischer Fahrzeuge wird ein System der Nutzerfinanzierung eingeführt.95

Umweltschutzerwägungen stellen zwar ein legitimes Ziel dar, jedoch ist für den EuGH nicht nachvollziehbar, inwieweit eine Abgabe, die de facto nur von ausländischen Fahrzeughaltern zu entrichten ist, dem Schutz der Umwelt dienen soll.96

90 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 58). 91 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 58). 92 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 50). 93 Vgl Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht11 (2018), S 355, Rz 770

94 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 74). 95 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 76). 96 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 75).

(23)

Auch der dritte, hilfsweise angeführte, Rechtfertigungsgrund der Bundesrepublik Deutschland, der Lastenausgleich, kann vom EuGH nicht festgestellt werden. Es kann nicht von einem gerechten Ausgleich der Lasten gesprochen werden, wenn die wirtschaftliche Last der Infrastrukturabgabe tatsächlich nur von nicht deutschen Kfz-Haltern zu tragen ist.

Der EuGH kommt daher zu dem Schluss, dass die Bundesrepublik Deutschland durch Einführung der Infrastrukturabgabe unter gleichzeitiger Einführung eines Steuerentlastungsbetrages, der mindestens der Höhe der Abgabe entspricht, gegen Art 18 AEUV verstoßen hat.97

B. Verletzung der Art 34 und 56 AEUV

Die Warenverkehrsfreiheit nach Art 28ff AEUV und die Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 AEUV sollen den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen in einem freien Binnenmarkt gewährleisten.98 Diese Grundfreiheiten sind im Kern spezielle Diskriminierungsverbote, die

darüber hinaus aber auch umfassende Beschränkungsverbote darstellen.

1. Warenverkehrsfreiheit nach Art 34 AEUV

Die Regelungen über den freien Warenverkehr sollen den Handel mit Waren, die aus den Mitgliedstaaten stammen sowie mit Waren aus Drittländern, die sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden, schützen. Begünstigte der Warenverkehrsfreiheit ist die Unionsware selbst.99

Die Grundlage des freien Warenverkehrs bildet die Zollunion. Gem Art 30 AEUV sind Zölle und Abgaben zollgleicher Wirkung verboten. Darüber hinaus verbietet Art 34 AEUV aber auch alle mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen. Unter einer Maßnahme gleicher Wirkung versteht man jede Regelung, die geeignet ist den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.100 Das heißt es genügt bereits, dass die Maßnahme

geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel zu behindern. Eine tatsächliche Behinderung muss nicht vorliegen.

97 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 78). 98 Vgl Kingreen in Calliess/Ruffert/Martinez, AEUV5 (2016), Art 34-36, Rz 2.

99 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 2017, 172.

(24)

Dieses sehr weitgehende Beschränkungsverbot wurde durch die Keck-Rechtsprechung101

dahingehend eingeschränkt, dass zwischen produktbezogenen und verkaufsbezogenen Maßnahmen unterschieden werden muss. Während produktbezogene Maßnahmen jedenfalls als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen sind, müssen verkaufsbezogene Maßnahmen diskriminierend sein, um den Tatbestand zu erfüllen.102 Nichtdiskriminierende

Verkaufsmodalitäten sind somit nicht vom Anwendungsbereich des Art 34 AEUV umfasst. Auch eine Maßnahme, die zu unmittelbar und zu ungewiss ist, kann nicht als Maßnahme gleicher Wirkung betrachtet werden.103

Sowohl diskriminierende als auch unterschiedslos beschränkende Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit können gerechtfertigt sein. Als Rechtfertigungsgründe kommen die in Art 36 AEUV angeführten Rechtfertigungsgründe und die vom EuGH eingeführten „zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses“ in Frage.104 Die Maßnahme muss jedenfalls geeignet,

erforderlich und angemessen sein, um das legitime Ziel zu erreichen.

2. Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 AEUV

Die Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 AEUV schützt die Erbringung und den Empfang von Dienstleistungen mit grenzüberschreitendem Zusammenhang. Erfasst sind somit sowohl die aktive als auch die passive Dienstleistungsfreiheit.105 Unter Dienstleistungen versteht man die von

Erwerbstätigen selbstständig gegen Entgelt erbrachten Leistungen. Nach Art 57 AEUV fallen darunter gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten, die nicht einer anderen spezifischen Freiheit unterliegen.

Auch die Dienstleistungsfreiheit ist durch die Judikatur des EuGH von einem Diskriminierungsverbot zu einem umfassendes Beschränkungsverbot erweitert worden.106

Demnach werden den MS neben diskriminierenden Maßnahmen auch alle unterschiedslos geltenden Beschränkungen untersagt, die geeignet sind, die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu verbieten, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.107

Wie bei der Warenverkehrsfreiheit können auch Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt sein. Hier sind aufgrund der Verweisnorm des Art 62 AEUV die geschriebenen

101 EuGH v 24.11.1993 Rs C-267/91 u C-268/91, Keck und Mithouard, ECLI:EU:C:1993:905. 102 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 2017, 177.

103 Vgl EuGH v 13.10.1993 Rs C-93/92, CMC Motorradcenter/Baskiciogullari, ECLI:EU:C:1993:838 (Rz 12). 104 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 2017, 182.

105 Vgl Vgl Kluth in Calliess/Ruffert/Martinez, AEUV5 (2016), Art 56,57, Rz 27 u 30. 106 Vgl EuGH 25.7.1991 Rs C-76/90, Säger/Dennemayer, ECLI:EU:C:1991:331 (Rz 12). 107 Vgl EuGH 25.7.2018 Rs C-553/16, TTL, ECLI:EU:C:2018:604 (Rz 46).

(25)

Rechtfertigungsgründe des Art 52 AEUV anwendbar. Auch bei der Dienstleistungsfreiheit können indirekte Diskriminierungen und unterschiedslose Beschränkungen wieder durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, solange sie geeignet, angemessen und erforderlich sind, das angestrebte Ziel zu gewährleisten.108

3. Vorbringen Österreichs

Nach der Auffassung Österreichs liegt eine unzulässige Beschränkung der Waren- und Dienstleistungsfreiheit vor, soweit die beanstandete Regelung Auswirkungen auf grenzüberschreitende Lieferungen mit Pkw über 3,5 t bzw auf die Erbringung von Dienstleistungen durch oder an nicht in Deutschland Ansässige hat.109

Die Infrastrukturabgabe führe zu höheren Transport- bzw Fahrtkosten. Durch die Kompensationswirkung von Infrastrukturabgabe und Steuerentlastungsbetrag wären tatsächlich nur Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw mit der Gebühr belastet. Daher seien von dieser Preissteigerung nur Waren bzw Dienstleistungserbringer oder –empfänger anderer MS betroffen.

4. Stellungnahme des Generalanwaltes

Obwohl Nils Wahl in seinen Ausführungen zum ersten Klagspunkt beide Maßnahmen gemeinsam prüft und wegen eben dieser Gesamtbetrachtung von Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung zu dem Ergebnis kommt, dass sich ausländische und inländische Kfz-Halter in keiner vergleichbaren Situation befinden und daher keine Diskriminierung vorliegen kann, lehnt er diese Betrachtungsweise bei der Prüfung einer Verletzung der Art 34 und 56 AEUV ab.

Er prüft eine Verletzung der Warenverkehrsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit ausschließlich in Bezug auf die Infrastrukturabgabe und lässt die Steuerentlastung dabei völlig außer Acht. Er argumentiert das damit, dass es „in keiner Weise ersichtlich ist, worin die grenzübergreifenden Auswirkungen der Steuerentlastung liegen könnte“.110

108 Vgl EuGH 30.11.1995 Rs C-55/94, Gebhard/Consiglio dell'Ordine degli Avvocati e Procuratori di Milano,

ECLI:EU:C:1995:411 (Rz 37).

109 Vgl ABl 2017 C 402/19.

(26)

a) Warenverkehrsfreiheit - Keine Maßnahme gleicher Wirkung

Deutschland hatte in seiner Stellungnahme vorgebracht, dass die Infrastrukturabgabe eine nichtdiskriminierende Verkaufsmodalität darstelle und daher nicht als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen sei. Dem stimmt Nils Wahl nicht zu, da unter Verkaufsmodalität nur Regelungen zu verstehen sind, die festlegen wie Waren vermarktet werden. Maßnahmen, die den Transport der Waren betreffen, fallen nicht darunter. Er ist aber aus anderen Gründen der Auffassung, dass die Infrastrukturabgabe keine Maßnahme gleicher Wirkung darstelle.

Die Infrastrukturabgabe betrifft vorwiegend Pkw, Busse und Kleintransporter und gilt unterschiedslos für inländische und ausländische Fahrzeuge sowie für private und für gewerbliche Fahrten. Es könne zwar sein, dass bestimmte Waren mit diesen Fahrzeugen befördert werden, das genüge aber nicht, um die Infrastrukturabgabe als Maßnahme gleicher Wirkung zu qualifizieren.111

Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Infrastrukturabgabe Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel hätte.112 Die Infrastrukturabgabe hätte nicht die Regulierung des

Handels zum Ziel und die Zahl der betroffenen Waren sei vermutlich sehr gering bzw der mögliche Preisanstieg dieser Waren noch geringer. Die beschränkende Wirkung der Maßnahme sei jedenfalls zu unmittelbar, zufällig und zu unbedeutend, um als Maßnahme gleicher Wirkung angesehen werden zu können.113

b) Dienstleistungsfreiheit - Keine Behinderung des Marktzugangs

Wahl bezieht sich auf das Urteil Mobistar und Belgacom Mobile114, in dem festgestellt wird, dass

nationale Maßnahmen, deren einzige Wirkung es ist, zusätzliche Kosten für die entsprechende Leistung zu verursachen, nicht gegen Art 56 AEUV verstoßen, wenn sie grenzüberschreitende Dienstleistungen ebenso betreffen wie Dienstleistungen innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaates.115

Vor allem Steuern und Abgaben stellten solche nationalen Maßnahmen dar. Der EuGH hätte auch bereits festgestellt, dass die Erhebung von nichtdiskriminierenden Abgaben, deren Höhe im Vergleich zum Wert der Dienstleistungen, die der Abgabe unterliegen, gering ist, nicht geeignet ist, den Marktzugang zu behindern.116 Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, dass

111 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 122). 112 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 125). 113 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 123 und 124). 114 Vgl EuGH 8.9.2005 Rs C-544/03 und C-545/03., Mobistar und Belgacom Mobile, ECLI:EU:C:2005:518 (Rz 31). 115 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 128). 116 Vgl EugH 17.2.2005 Rs C-134/03, Viacom Outdoor, ECLI:EU:C:2005:94 (Rz 38).

(27)

durch Einführung der Infrastrukturabgabe ausländische Dienstleistungserbringer davon abgehalten werden ihre Leistungen in Deutschland zu erbringen, bzw verhindert wird, dass deutsche Kunden grenzüberschreitende Dienstleistungen in Anspruch nehmen.117

Bisher hätten Fahrer bzw Halter von Pkw, Bussen und Kleintransportern die deutschen Autobahnen kostenfrei nutzen können. Die Wirtschaftsteilnehmer müssten aber auch mit Gesetzesänderungen rechnen und der freie Verkehr schütze nicht vor solchen Änderungen, solange diese nicht diskriminierend sind.118

Wahl führt aus, dass die Infrastrukturabgabe sowohl von inländischen als auch von ausländischen Kfz-Haltern zu entrichten ist und dass auch die Kosten für die Vignette verhältnismäßig sind, da sie in etwa jenen Kosten entsprechen die andere Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, für die Benutzung ihrer Autobahnen einheben.119 Da eine Auswirkung auf die Dienstleistungsfreiheit

daher ungewiss und höchstens mittelbar erscheint, kommt Wahl zu dem Ergebnis, dass die Einführung der Infrastrukturabgabe nicht geeignet ist den Marktzugang zu behindern.

5. Entscheidung EuGH

a) Beschränkung des freien Warenverkehrs

Der EuGH streicht zunächst die elementare Bedeutung der Warenverkehrsfreiheit hervor. Diese soll dadurch gewährleistet werden, dass jede Maßnahme verboten ist, die geeignet ist den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern, selbst wenn sie nicht darauf abzielt bzw bewirkt, dass Waren aus anderen MS ungünstiger behandelt werden.120

Der Gerichtshof verweist danach wieder auf den Konnex zwischen Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung. Dieser, bereits beim ersten Klagspunkt geprüfte, enge Zusammenhang rechtfertige auch in Bezug auf einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit eine gemeinsame Betrachtung der beiden Maßnahmen.121

Auch wenn die Infrastrukturabgabe nicht direkt auf beförderte Waren eingehoben wird, ist sie trotzdem geeignet, Waren, die mit einem nicht in Deutschland zugelassenen Pkw bis 3,5 t geliefert werden, beim Grenzübertritt zu beeinträchtigen.122 Eine Erhöhung der Transportkosten aufgrund

der Infrastrukturabgabe führt auch zu einer Preissteigerung der Waren. Diese Verteuerung betrifft

117 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 131). 118 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 130). 119 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 132). 120 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 119 u 120).

121 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 124). 122 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 125).

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allerdings nur Waren, die mit im Ausland zugelassen Fahrzeugen transportiert werden, da deutsche Halter aufgrund der Steuerentlastung de facto nicht mit der Infrastrukturabgabe belastet werden.123 Folglich werden Waren, die mit ausländischen Kfz befördert werden, weniger günstig

behandelt.

Daraus ergibt sich auch, dass die Maßnahme keineswegs zu ungewiss und zu mittelbar ist.124 Die

Infrastrukturabgabe iVm der Steuerentlastung ist daher geeignet, den Marktzugang von Erzeugnissen aus anderen MS zu behindern und die Wettbewerbsfähigkeit zu beeinträchtigen.125

Da die Bundesrepublik Deutschland auch keine geeigneten Rechtfertigungsgründe vorgebracht hat, stellt der EuGH fest, dass die beiden streitigen nationalen Maßnahmen einen Verstoß gegen Art 34 AEUV darstellen.

b) Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs

Aus der Tatsache, dass Dienstleistungserbringer eines anderen Mitgliedstaates vorwiegend auch Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen sind und deutsche Dienstleister vorwiegend Halter von in Deutschland zugelassenen Pkw sind, kommt die Steuerentlastung bei der Kfz-Steuer überwiegend deutschen Dienstleistern zugute. Daher kommt der EuGH aufgrund seiner bisher getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis, dass die Infrastrukturabgabe aufgrund der vollständigen Kompensation durch die Steuerentlastung tatsächlich nur von ausländischen Dienstleistungserbringern bzw – empfängern zu tragen ist.126

Auf die Rechtssache Mobistar und Belgacom Mobile127 kann nach Ansicht des Gerichtshofs hier

nicht verwiesen werden, da diese nur auf Maßnahmen Anwendung findet, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten genau so berührt wie die Erbringung von Dienstleistungen in einem einzelnen Mitgliedstaat. Die beiden streitigen nationalen Maßnahmen führen in ihrer Kombination aber nur zu einer Beeinträchtigung der grenzüberschreitenden Dienstleistungen.128

Die Infrastrukturabgabe kann aufgrund der Steuerentlastung bei der Kfz-Steuer dazu führen, dass sich die Kosten für Dienstleistungen, die von Ansässigen aus einem anderen Mitgliedstaat in Deutschland erbracht werden, erhöhen bzw, dass die Kosten für Dienstleistungen, die Inländer in einem anderen MS in Anspruch nehmen, steigen.129

123 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 126). 124 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 131). 125 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 127). 126 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 143).

127 EuGH v 8.9.2005 Rs C-544/03 und C-545/03., Mobistar und Belgacom Mobile, ECLI:EU:C:2005:518 128 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 146).

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Deutschland hat auch hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit keinen geeigneten Rechtfertigungsgrund vorgebracht. Somit stellt der Gerichtshof fest, dass Deutschland durch Einführung der Infrastrukturabgabe und der gleichzeitig geschaffenen Steuerentlastung für Halter von in Deutschland zugelassenen Pkw gegen Art 56 AEUV verstoßen hat.130

C. Verstoß gegen Art. 92 AEUV

1. Art 92 AEUV

In Art 90 bis 100 AEUV sind die Vorschriften über den Verkehr geregelt. Die Zuständigkeit im Bereich des Verkehrs ist gem Art 4 Abs 2 lit g AEUV zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union geteilt. Solange und soweit die Union keine Regelungen schafft, können die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit ausüben. Zur Verwirklichung der Ziele einer gemeinsamen Verkehrspolitik soll die Union gem Art 91 AEUV Vorschriften im Bereich des Verkehrs erlassen.

Art 92 AUEV stellt eine Übergangsregelung dar, die solange anwendbar ist, solange die EU keine Vorschriften gem Art 91 AEUV erlässt.131 Diese Norm ist daher subsidiär und nur anwendbar,

wenn keine sekundärrechtlichen Vorschriften dem entgegenstehen.

Die Mitgliedstaaten dürfen gem Art 92 AEUV keine nationalen Regelungen schaffen, die die Situation ausländischer Verkehrsunternehmer im Vergleich zu inländischen Verkehrsunternehmern verschlechtert und dadurch dem Ziel der Union im Hinblick auf eine gemeinsame Verkehrspolitik zuwiderlaufen.132 Wie weit dieses Verschlechterungsverbot gilt, ist in

der Literatur umstritten. Einerseits wird die Auffassung vertreten, dass selbst bestehende Wettbewerbsvorteile für ausländische Unternehmen nicht beseitigt werden dürfen, eine andere Meinung sagt, dass eine Veränderung der Rechtslage, die nur zu einer Gleichstellung in- und ausländischer Verkehrsunternehmen führt und dadurch vorhandene Wettbewerbsvorteile abbaut, erlaubt sei.133

Unterschiedliche Ansichten bestehen also darüber, ob Art 92 AEUV ein spezielles Diskriminierungsverbot darstellt oder als strikte Stillhalteverpflichtung anzusehen ist.134 Während

Diskriminierungsverbote benachteiligende Ungleichbehandlungen im Ergebnis verbieten, führen Stillhalteverpflichtungen dazu, dass bereits der Abbau bestehender Vorteile untersagt wird.135

130 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 148 u 149). 131 Vgl Jung in Calliess/Ruffert/Martinez, AEUV5 (2016), Art 92 Rz 1.

132 Vgl EuGH 19.5.1992 Rs C-195/90, Kommission/Deutschland, EU:C:1992:219 (Rz 20). 133 Vgl Martinez in Calliess/Ruffert/Martinez, AEUV5 (2016), Art 92 Rz 5.

134Vgl Martin Legath, Die deutsche Pkw-Maut und Art 92 AEUV, ZVR 2017/104 (195). 135 Vgl Martin Legath, Die deutsche Pkw-Maut und Art 92 AEUV, ZVR 2017/104 (195).

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