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C. Verstoß gegen Art. 92 AEUV

3. Kommission/Deutschland

Deutschland wurde bereits im Jahr 1992 vom EuGH wegen eines Verstoßes gegen Art 92 AEUV (damals Art 76 EWG) gerügt.139 Auch in dieser Rechtssache ging es um die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr und eine gleichzeitige Senkung der Kfz-Steuer. Deutschland hatte zuvor mit dem Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen vom 30. April 1990 in Art 1 eine LKW-Maut für schwere Lastfahrzeuge mit einem zulässigen oder tatsächlichen Gesamtgewicht von mehr als 18 t beschlossen und gleichzeitig in Art 2 eine Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes bestimmt, die eine Steuerentlastung für Halter inländischer LKW bewirkte.140

Die Kommission war der Ansicht, dass durch dieses Gesetz ausländische Verkehrsunternehmen gegenüber inländischen Verkehrsunternehmen benachteiligt werden und brachte am 23. Juni 1990 die Vertragsverletzungsklage nach 169 EWGV (heute 258 AEUV) ein.141

136 Vgl Martinez in Calliess/Ruffert/Martinez, AEUV5 (2016), Art 92 Rz 3.

137 Vgl Martin Legath, Die deutsche Pkw-Maut und Art 92 AEUV, ZVR 2017/104 (195).

138 Vgl ABl 2017 C 402/19.

139 EuGH 19.5.1992 Rs C-195/90, Kommission/Deutschland, EU:C:1992:219.

140 BGBl I S 826 v 30.4.1990.

141 Vgl EuGH 23.2.2016 Rs C-179/14, Kommission/Ungarn, ECLI:EU:C:2016:108 (Rz 1).

Der EuGH entschied am 19. Mai 1992, dass durch diese neue Abgabe die Lage für ausländische Verkehrsunternehmen im Vergleich zu inländischen Verkehrsunternehmen in einem ungünstigen Sinne verändert wird, da durch die Steuersenkung die neue Belastung für deutsche Verkehrsunternehmen in erheblichem Maß ausgeglichen wird.142

In seinem Urteil führte der EuGH auch aus, dass der Zweck des Art 92 AEUV vor allem darin besteht, eine gemeinsame europäische Verkehrspolitik zu verwirklichen und stellte fest, dass eine nationale Regelung, durch die eine Straßenbenutzungsgebühr für schwere LKW eingeführt und gleichzeitig eine Steuersenkung für inländische Verkehrsunternehmer vorgenommen wird, gegen Art 92 AEUV verstößt, weil dadurch die Lage ausländischer Verkehrsunternehmen im Vergleich zu inländischen Verkehrsunternehmen zu Ungunsten der ausländischen Unternehmer verändert wird.

Österreich verweist in seinem Vorbringen sowohl in Bezug auf einen Verstoß gegen Art 92 AEUV als auch in seinen Ausführungen zu Art 18 AEUV auf dieses Urteil.143

4. Stellungnahme des Generalanwaltes a) Anwendbarkeit des Art 92 AEUV

Wahl stellt fest, dass Art 92 AEUV bisher nur selten vom Gerichtshof ausgelegt und vom Rat angewandt worden ist.144 Aus diesem Grund und wegen der historischen Entwicklung des Art 92 AEUV ist er der Meinung, dass dieser im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.

Art 76 EGV, der mit dem Vertrag von Lissabon zu Art 92 AEUV wurde, sei in einem ersten Schritt geschaffen worden, um Mitgliedstaaten daran zu hindern, nationale Maßnahmen zu treffen, die ausländische Verkehrsunternehmer gegenüber inländischen benachteiligen würden. Dadurch sollte verhindert werden, dass eine noch größere Kluft zwischen den Regelungsregimen der einzelnen Mitgliedstaaten entsteht, da das dem Ziel, eine gemeinsame Verkehrspolitik zu verwirklichen, entgegenstehen würde.145

Art 92 AEUV sei als Stillhaltevereinbarung zu verstehen, die die Mitgliedstaaten so lange bindet, bis die EU gemeinsame Vorschriften erlässt. Dieser Artikel sei von Anfang an als

142 Vgl EuGH 23.2.2016 Rs C-179/14, Kommission/Ungarn, ECLI:EU:C:2016:108 (Rz 23).

143 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 51 u 134).

144 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 138).

145 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 140).

Übergangsregelung gedacht gewesen, dessen Anwendungsbereich sich nach und nach verringern sollte.146

In den letzten 30 Jahren hätte die EU gem Art 91 AEUV viele Maßnahmen im Bereich des Straßenverkehrs getroffen und mittlerweile falle dieser Sektor weitestgehend unter das

Unionsrecht.147 In diesem Zusammenhang verweist Wahl zB auf gemeinsame Regelungen für den Berufs- und Marktzugang, Mindeststandards für Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten,

Mindestsätze für die jährliche Kfz-Steuer und auf die Eurovignettenrichtlinie.148

Deshalb könne auch das Urteil Kommission/Deutschland, auf das sich Österreich beruft, in dieser Rechtssache nicht zur Beurteilung herangezogen werden. Im Jahr 1992 waren viele dieser Maßnahmen noch nicht umgesetzt. Die Situation habe sich bisher maßgeblich verändert.149

Gerade mit der Eurovignettenrichtlinie hätte die EU bereits Vorschriften über die Einhebung von Straßenbenutzungsgebühren geschaffen, wodurch „die in Art 91 Abs 1 AEUV genannten Vorschriften, einschließlich der spezifischen Vorschriften für die Zuweisung der Kosten für Verkehrsinfrastruktur, endlich verabschiedet worden wären“.150 Art 7k der Richtlinie erlaube den Mitgliedstaaten außerdem ausdrücklich, einen angemessene Ausgleich für Gebühren im

Rahmen der Einführung eines Straßenbenutzungssystems einzuheben.151

Wegen der umfangreichen gem Art 91 AEUV erlassenen Rechtsvorschriften im Bereich des Straßenverkehrs im Allgemeinen und der speziellen Vorschriften der Eurovignettenrichtlinie im Besonderen kommt Wahl zu dem Schluss, dass Art 92 AEUV nicht anwendbar sei.

b) Auswirkung auf ausländische Verkehrsunternehmen

Selbst für den Fall, dass Art 92 AEUV doch anwendbar sei, sieht Wahl keine Verletzung des Unionsrechts. Da von der Infrastrukturabgabe nur Kfz von weniger als 3,5 t Gesamtgewicht betroffen sind, bezweifelt er, dass die geplanten Maßnahmen irgendeine Auswirkung auf ausländische Verkehrsunternehmen hätten. Österreich sei diesbezüglich beweispflichtig und hätte keine dementsprechenden Beweise vorgelegt.152

146 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 142).

147 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 143 u 144).

148 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 144).

149 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 150).

150 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 150).

151 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 146).

152 Vgl Schlussanträge GA Wahl 6.2.2019 RS C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:99 (Rz 151).

5. Entscheidung EuGH

Der EuGH hält sich in seinen Ausführungen zu diesem Klagspunkt sehr kurz und beschränkt sich bei seiner Prüfung auf die für den Fall notwendigen Aspekte. Er setzt sich nicht näher damit auseinander, ob Art 92 AEUV als strikte Stillhalteklausel oder als spezielles Diskriminierungsverbot aufzufassen ist.

Zur Anwendbarkeit des Art 92 AEUV stellt er fest, dass es sich im vorliegenden Fall um Verkehrstätigkeiten mit Fahrzeugen von bis zu 3,5 t handelt, die der Infrastrukturabgabe unterliegen und dass die Union bezüglich dieses sogenannten Leichtverkehrs bisher keine Harmonisierungsregeln erlassen hat. Zwar ist der Straßenverkehr generell in weiten Teilen vom Unionsrecht umfasst, aber bisher wurde über die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für den Leichtverkehr noch keine Regelung gem Art 91 AEUV geschaffen.153

Auch die Eurovignettenrichtlinie kann nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden, da sie gem Art 1 iVm Art 2 lit d nur Harmonisierungsvorschriften für schwere Nutzfahrzeuge mit mehr als 3,5 t enthält und keine Anwendung auf den Leichtverkehr findet.154 Sie stellt daher keine Harmonisierungsvorschrift iSd Art 91 AEUV dar.

Der EuGH kommt zu dem Schluss, dass auch in Bezug auf Art 92 AEUV die Kombination von Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung eine Kompensationswirkung entfaltet, die dazu führt, dass die Gebühr de facto nur von ausländischen Verkehrsunternehmen zu entrichten ist, da inländische Verkehrsunternehmen einen Steuerentlastungsbetrag erhalten, der zumindest der Infrastrukturabgabe entspricht. Dadurch wird die Lage ausländischer Verkehrsunternehmen dahingehend verändert, dass sie im Vergleich zu deutschen Verkehrsunternehmen ungünstiger ist.155

In diesem Zusammenhang verweist der Gerichtshof auch auf seine bisherige Rechtsprechung in der Rechtssache Kommission/Deutschland156 und stellt fest, dass Deutschland, indem es die Infrastrukturabgabe erlassen und einen diese vollständig ausgleichenden Steuerentlastungsbetrag eingeführt hat, auch gegen seine Verpflichtungen aus Art 92 AEUV verstoßen hat.157

153 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 160).

154 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 160).

155 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 161 u 162).

156 EuGH 19.5.1992 Rs C-195/90, Kommission/Deutschland, EU:C:1992:219.

157 Vgl EuGH 18.6.2019 Rs C-591/17, Österreich/Deutschland, ECLI:EU:C:2019:504 (Rz 163).

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