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Wir beschränken uns auf die &#34

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(1)

DER VERSCHLOSSENE GARTEN

Logotechnische Untersuchungen zum Hohenlied

(4,12 - 5,1)

Von Cl. Schedl, Graz

Da auf dem 19. Deutschen Orientalistentag das Problem des Hohenliedes

neu aufgerollt wurde*, legen wir im Folgenden einen Diskussionsbeitrag vor,

der vielleicht geeignet wäre, das Interesse der Forschung auf ein bisher we¬

nig beachtetes Gebiet zu lenken. Wir beschränken uns auf die " literatische

Strukturanalyse ' '. Eine solche lieferte bereits J. Cheryl Exum: A Literary

and Structural Analysis of the Song of Songs WZA 85 (1973), 47-49 . Er

kam zur Erkenntnis: "Das Hohelied läßt durch seinen komplexen Aufbau und

seine bewußte Konstruktion auf eine einheitliche Verfasserschaft schließen.

Es besteht aus sechs Liedern" (79). Der von uns zur Untersuchung vorge¬

legte Abschnitt bildet den Schluß des dritten Liedes (3,6 - 5,1). Nun läßt

sich mit Hilfe der Logotechnik , die auf den Baumodellen des Alten Orients

und der griechisch/hellenistischen Antike aufbaut, zur Konstruktion des Ho¬

henliedes wohl noch Präziseres sagen (vgl. mein Buch: Baupläne des Wor ¬

tes. Einführung in die biblische Logotechnik . Herder, Wien 1974).

Zuerst bringen wir den hebräischen Text nach der Handschrift des Codex

Leningradensis (CodLen) mit nachfolgender deutscher Uber setzung . Am rech¬

ten Seitenrand wird der Wortbestand erfaßt; die Zahlen am linken Rand ver¬

weisen auf das Baumodell, auf das wir in der Untersuchung näher eingehen

werden. In fünf Arbeitsgängen wird dann das Thema entfaltet, wobei auch

die Randmasorah mit einbezogen wird. In der Schluß Zusammenfassung ver¬

suchen wir den historischen und theologischen Sitz im Leben des Hohenliedes

neu zu umreißen.

*Anm. : Vergleiche die Referate von Hans-Peter Müller, Poesie und Magie

in Canticum 4,12 - 5,1; und Diether Kellermann, Bemerkungen zur Neuaus¬

gabe der Biblia Hebraica (Biblia Hebraica Suttgartensia) . - Sektion 3: Altes

Testament und Judaistik.

(2)

Der hebräische Text nach CodLen:

4,12 1. gan na'^ul '^hoti kallah ....

2. gall na°ül ma'^jan hatum . .

13 I . s^iahajk pardes rimmonim

°im p®ri m®gadTm

11. k®farim ^im - n®rad*m •

14 III . nerd w^karkos qanäh w®qinnamon '^im kol-'^^sej l%6nah IV . mor wa' ahalot

°im kol-ra*sej b^samim

15 3. ma^jan qannim b^'er majim hajjim

4. w®noz®lim min-l%anon ....

16 ! <^uri safon

ubo'i tej man

! hafihi ganni

jizz®lü b^samaw

! jabo' dod* l^ganno

w®jo'kal p®ri m^gadaw 5,1 5. ba'ti l^ganni »ahoti kallah

'ariti m6ri °im besamt .

6. »akalti ja'^rt ^im dibsl satlti jejnl °im-h^labl

! 'iklu re°lm

s®tu w®slkru dodim -S-

(3)

Übersetzung (4.12- 5,1):

12 1. Verschlossener Garten

MEINE Schwester Braut, ... 4

2. Verschlossener Garten

versiegelter Quell ! 4

13 I. DEINE Wasser (bewässern) den Granatäpfelhain

mit köstlichen Früchten 6

II. Hennablüten

mit Rosen 3

14 III. Narde und Safran, Rohr und Zimt

mit all den Weihrauchbäumen; .... 8

IV. Myrrhe und Aloe

mit all den Hauptbalsamen 6

15 3. Der Quell MEINES Gartens

ein Brunnen lebendigen Wassers . 5

4. und stärker strömend

als des Libanons (Quellen) . . 3

16 ! Erwache Nord

und komme Süd! 4!

! Durchweh meinen Garten

seine Balsame sollen strömen! 4 !

! Mein Geliebter komme in seinen Garten

und esse von der köstlichen Frucht! 6 !

1 5. ICH komme in meinen Garten, meine Schwester Braut,

ich pflücke meine Myrrhe mit

mit meinem Balsam .... 8

6. ich esse meine Wabe mit meinem Honig,

ich trinke meinen Wein mit

mit meiner Milch 8

! Esst Freunde,

trinkt und berauscht euch, Geliebte! 5 !

74 = 32 + 23 + 19

(4)

Textkritische Anmerkungen:

Vs 12b bringt CodLen einen Dageschpunkt im Lamed von gal ; soll also gall

gelesen werden, was kaum möglich ist; oder soll damit die Assimilation mit

dem folgenden Nun angezeigt werden ? Dann bestünde der Vorschlag, auch

hier statt fragwürdigem "Woge, Wellen" oder "Verschlußstein" nochmals gan ,

"Garten", zu lesen. Es könnte als q^re' -k^tlb gedeutet werden; "geschrie¬

ben" zwar g ^ "gelesen" aber g n ! Wie wir noch zeigen werden, dürfte mit

der abweichenden Schreibung ein Symbolwert angezeigt sein. - Vs 13a:

sflahajk, "deine Aussendungen": dem Nomen haftet noch Verbalcharakter an;

daher sind die aufgezählten Bäume als Beziehungsobjekt zu "senden, beschik-

ken" zu verstehen; von uns verbal aufgelöst: "deine Wasser bewässern (be¬

schicken) ... ". In der Erklärung kommen wir nochmals darauf zurück. -

15a: gannim ist hier nicht Mehrzahl "die Gärten", sondern Einzahl mit en¬

klitischem Mem, wofür M. Dahood zahlreiche Belege brachte. - 15b: Nicht

lokales min , "vom Libanon herab", sondern komparatives "stärker als ..."

Die fünf Arbeitsgänge:

Die Abgrenzung des Liedes "der verschlossene Garten" bietet kaum Schwie¬

rigkeiten. Nach CodLen , den wir unserer Untersuchung zugrundelegen, bil¬

den die Verse 4,12 - 5,1 einen durch den eingeschobenen Zeilenanfang klar

markierten S^tijmah (-S- )-Abschnitt. Ob die Gliederung des masoretischen

Textes in offene und geschlossene Abschnitte erst einer späteren, sogenann¬

ten synagogalen Leseordnung zuzuschreiben ist, interessiert uns hier nicht.

Wir nehmen die Tatsache als Arbeitsgrundlage und bauen auf der handschrift¬

lichen Form des Textes weiter.

1) Literarische Gliederung:

Darunter verstehen wir hier nicht die Einordnung des Liedes in irgend eine

überkommene Dichtungsart, sondern streng grammatikalisch die Art des ver¬

schiedenen Redens und Sagens. Als Richtweiser gelten Verb und Satzbau. Ähn¬

lich wie im Koran könnte man aufs erste auch hier sagen, daß die verschie¬

denen Redeformen unvermittelt wechseln. Nach den betroffenen Personen glie¬

dert sich der Text in: mein - dein - er/ihn , und zwar im folgenden Wech¬

sel :

4,12: 3 %otl . meine Schwester

13-14: Sfla^ajk, deine Wasser

15: ganm ( m ) , mein Garten

16: Imperative

5, la-d: ganni , mein Garten

1 ef: Imperative

Nach der grammatikalischen Struktur bringt der Text also drei Sprechweisen:

dreimal ich/mein , einmal du/dein , und, aus der beschreibenden Reihe aus¬

brechend, zwei Absätze im Imperativ . Durch den Personenwechsel erreicht

der Dichter so etwas wie sechs "Strophen".

2) Logotechnische Struktur:

Um zu sehen, ob der Wechsel der Personen bloß den Zweck verfolgt, den

Text durch dramatische Rollenverteilung aufzulockern, oder ob auch ein

strenges Formprinzip, ähnlich jenem der griechischen Dramen, vorliegt, he¬

ben wir schlicht und einfach den Wortbestand der drei gewonnenen Redeweisen

aus. Dies gibt folgendes Bild:

(5)

Verse ICH/MEIN DEIN Imperative 8

23 8

14 ! 16

5 !

74 = .32 + 23. + 19 !

?5

Diese nüchterne Aufnahme des Wortbestandes zeitigt ein überraschendes Er¬

gebnis. Die beschreibenden Partien des Liedes ( Beschreibungslied) zeigen

die Summe von 55 Wörtern, die sich nach MEIN + DEIN in 32 + 23 vertei¬

len. Demnach wurde das Modell der Tetraktys als Bauprinzip des Textes ver¬

wendet. Daß sakrale Texte nach bestimmten Baumodellen durchkomponiert

wurden, habe ich ausführlich in meiner " Biblischen Logotechnik " nachzuwei¬

sen versucht. Literarisch faßbar wird das Tetraktys-Modell bei den Vorso¬

kratikem; doch die Spuren weisen weiter in den babylonischen Raum. Wir

wollen aber nicht bereits Gesagtes nochmals wiederholen.

Liegt also eine literarisch und grammatikalisch abgrenzbare Texteinheit

mit 55 Wörtern vor, muß sich diese auf ZEHN Aussageeinheiten im Verhält¬

nis von IV : 6 Sätzen mit 23 : 32 Wörtern verteilen. Nun zeigt die Schilde¬

rung des Paradieses (Vss 13-14), die sich an das DU wendet, 23 Wörter,

welche sich auf IV Aussageeinheiten verteilen (siehe Zahlen am Rand des

Textes). Die Aussagen über "mein Garten" sind auf drei "Strophen" verteilt,

die zusammen 32 Wörter ergeben, welche sich wieder auf 6 kleinere Ein¬

heiten verteilen (siehe RandzaJilen! ).

Somit verbleiben noch die Aufruf-Sätze im Imperativ und Jussiv (durch

Rufzeichen am Rand gekennzeichnet! ). Aufgrund des Parallelismus mem-

brorum zeigt der Text 8 Halbverse mit 4 + 4 + 6 + 5= 19 Wörtern. Nun gilt

19 als "goldene Zahl", die im Ausgleich von Sonnen- und Mondjahr eine große

Rolle spielte. Wurden nun die Aufrufe tatsächlich bewußt nach dem Modell der

"goldenen Zahl" gebaut, so muß auch die Teilung in 12 + 7 (Monate/Tierkreis¬

zeichen - Wochentage/Planeten) im Text nachweisbar sein. Achtet man auf

Mehrzahl und Einzahl im Verb, tritt die Struktur in Erscheinung. Wir heben

nur die entsprechenden Verba aus und fügen die Wortsumme der dazugehöri¬

gen Sätze bei :

Einzahl Mehrzahl

. ubo'l .... 4

2 . . . . jizz^lil .... 2

. wejo'kal ... 6 ... . 'iklij .... 2

jetu w^sikru . . 3

19 = 12 + 7

Daraus kann wohl der Schluß gezogen werden, daß wir es im Textabschnitt

4,12- 5,1 mit einem Gedicht zu tun haben, das streng nach vorgegebenen Mo-

12 13-14 15 16 la-d lef

furl . .

hafltit •

j abo ^

(6)

dellen durchkomponiert wurde. Es handelt sich demnach nicht um lyrische

Prosa sondern um gebundene Kunstsprache. - Aus dem Modell-Charakter

folgt, daß Änderungen im vorliegenden Text nicht ratsam sind, außer man

zerstört ein in sich geschlossenes Kunstwerk.

3) Akrostiche:

Nachdem durch die aufgezeigten Modelle die Zeilenanfänge abgesichert sind,

könnte man, wo doch alphabetiche Lieder im Alten Testament genügend bezeugt

sind, den Versuch machen, die jeweiligen Anfangsbuchstaben als Zahlen zu

lesen. Ob dies einen Sinn ergibt, kann man a priori weder bejahen noch ver¬

neinen; hier entscheidet nur das wissenschaftliche Experiment. Daher erfas¬

sen wir zunächst die Anfangsbuchstaben der Tetraktys, wobei wir den als Zahl

gelesenen Anfangsbuchstaben groß schreiben:

1. Gan 3 I. ^eiafaajk 300

2. Gal 3 II. K^fartm 20

3. Ma°jan 40 III. Nerd 50

4. W^oz^lim .... 6 IV. Mor 40

5. Ba't*i 2

6. ^akaltl 1 410

55

Die Anfänge der vier Aufruf-Verse ergeben: ^url + Haftijl + Jabo' +

'iklu = 70 +5 + 10 +1 = 86. Alle drei Schlußsummen zeigen Normwerte:

55 ist die Summe der Zehnheit, nach der der Text gebaut wurde; 410 ist der

Zahlenwert von qados , "heilig" (q + d + w + s= 100 + 4 + 6 + 300 = 410);

und 86 der Wert des Gottesnamens Elohim {' + I + h + j + m= l + 30 + 5 +

10 + 40 = 86). Von daher dürfte auch die sonderbare Schreibung von gal (Vs

12b) mit Dageschpunkt verständlich werden. Wenn, wie oben unter den text¬

kritischen Anmerkungen vermutet, der im Lamed eingesetzte Punkt auf q^re' -

k^tib weist, müßte tatsächlich gan , "Garten", gelesen werden; geschrieben

wurde aber gal . Liest man beide Wörter als Zahlen, erhält man: ( g + n ) + ( g + l )

= (3 + 50) + (3 + 30) = 86 (! ). Es liegt demnach ein Kryptogramm vor.

Soll all dies etwa heißen, daß auch die Satzanfänge bewußt so gewählt wur¬

den, daß sie eine sinnvolle Gesamtzahl ergaben ? Kann hier bloß der Zufall

die Feder geführt haben? Ich glaube nicht; denn dagegen spricht die Gesamt¬

summe: 55 + 86 + 410 = 551 = 550 + I ( ! ). Damit stoßen wir nochmals auf die

Modellzahl der Tetraktys in erhöhter Potenz. Die überzählige Eins ist im

letzten Satz 'iklü, "Esset", ausgedrückt. Alle vorausgehenden Initien erge¬

ben nun einmal die Summe 550, wodurch das Gedicht nochmals als eine in

sich geschlossene Baueinheit ausgewiesen wird. Auch die notwendige Glie¬

derung in 320 + 230 ist in der Buchstabenfolge ausgeprägt. Die Zeilenanfänge

in Vs 13 geben 1 + k = 300 + 20 = 320. Die verbleibenden dagegen: (3 + 3) +

(50 + 40) + (40 + 6) + (70+ 5+ 10) + (2 + 1) = 230. Der Gesamttext ließe sich

demnach in XIII Langzeilen mit einer XlV-ten als Schlußzeile schreiben.

4) Die Ausstattung des Pardes (4,13-14):

Wie die Kommentare zeigen, bereitet das erste Wort s^lahajk der Deutung

größte Schwierigkeiten; daher die verschiedensten Korrekturvorschläge [vgl.

W. Rudolph, Das Hohelied KAT XVll, 1-3 (1962), 101 - G. Gerleman, Das

Hohelied . Bibl. Kommentar XVlll (1965), 159]. Es ist wohl nicht von "Schöß-

(7)

lingen. Trieben, Ranken" oder von "Frische" die Rede, sondern von den "Aus¬

sendungen" des Wassers, das den Garten bewässert. Es handelt sich demnach

um einen Fachausdruck für die Bewässerungskultur (vgl. Ez 31,4; Neh 3,15).

Nun hat der beschriebene Garten, der hier pardes genannt wird, eine Quelle,

von der ähnlich der Paradiesesschilderung (Gen 2,10) "Ströme" ausgehen, die

die Paradiesesbäume bewässern.

Nun ist es doch berechtigt zu fragen, wieviele und welche Bäume vom Was¬

ser der Quelle "beschickt" werden? Es sind jedenfalls fast lauter exotische

Bäume, die in Palästina nicht wachsen. Schon darin liegt ein Rufzeichen ! In

der Reihenfolge des Textes sind es Folgende, wobei wir gleich auf die Anfangs¬

buchstaben achten, die wir als Zahlen lesen:

I. Rimmonim , Granatäpfel 200

II. Kffartm, Hennablüten 20

III. N^radlm , Narden (Rosen) 50

IV. Nerd , Narde 50

V. Karkos, Safran 20

VI . Qanäh, Rohr 100

VII. Qinnam6n , Zimt 100

VIII. Leb6nah . Weihrauch 30

IX. Mor, Myrrhe 40

X. ' ahalg>t , Aloe 1

XI. B^samlm, Balsam 2

613

Die XI aufgezählten Namen geben in der Summe ihrer Anfangsbuchstagen

genau die hochberühmte Zahl für die positiven Gebote und die negativen Ver¬

bote (248 "du sollst tun" + 365 "du sollst nicht tun" = 613). Soll damit der

verborgene Schlüssel an die Hand gereicht werden, der das Verständnis des

Garten-Gedichtes aufschließt? Die Analogie mit dem Paradies der Genesis

drängt sich auf, wo auch der Baum in der Mitte stand und über Leben und Tod

entschied. Hat also der Dichter das Genesis-Motiv aufgenommen und neu ge¬

staltet ? Die Zahl 613 spielt auch in der Adam-Mystik eine entscheidende

Bolle. Durch die Befolgung der 613 Gebote/Verbote soll der sündige Adam in

seiner sündenlosen Urgestalt wieder hergestellt werden [EncJud 10(1971),

eis].

Man könnte in der Auswahl der Bäume und Gewächse von Systemzwang spre¬

chen; von daher dürfte auch einiges Licht auf eine Textvariante fallen. Daß

"Narde" zweimal angeführt wird, am Schluß von Vs 13 im Plural n£radim und

am Beginn von Vs 14 in Singular nerd, wird als Kunstfehler betrachtet, und

der Text dementsprechend korrigiert. Rudolph's Vorschlag w^radlm , "Ro¬

sen", zu lesen, scheint sehr überzeugend; das mag auch tatsächlich gemeint

sein, aber aus Systemzwang, da mit Waw die Endsumme nicht erreicht wird,

wurde eben Nun gesetzt. Von wem ? Von einem späteren Redaktor ? Das scheint

mir wenig wahrscheinlich, da doch das ganze Gedicht streng zahlensymbolisch

durchkomponiert ist. Ahnliche Schreib-Abweichungen, etwa um des Endreimes

willen, finden sich auch im Koran; sie haben den arabischen Grammatikern

viel zu schaffen gemacht (vgl. Friedrun R. Müller, Untersuchungen zur Reim¬

prosa im Koran . 1969, 6ff).

(8)

Der Bräutigam nimmt die Einladung der Braut an (5,l). Mit vier Verba

wird sein Handeln umschrieben: er kommt - pflückt - ißt - trinkt. Wenn

wir nun die Bezugs-Nomina als Akrostich lesen, erhalten wir: Ganni (mein

Garten) - Morl (meine Myrrhe) - Ja^ri (meine Wabe) - Jejni (mein

Wein), d.h. G + M+ J + J = 3 -i 40 + 10 + 10 = 63, also wieder eine Normzahl

für Torah ! Die Zahl 613 gilt als Symbolwert für die einzelnen Gebote und

Verbote, die Zahl 63 dagegen weist auf die Summe der Traktate in Mischnah

und Talmud. Durch die Beigabe von B^saml (mein Balsam) + Dibsl (mein

Honig) + Ij^labl (meine Milch) wird die Summe der Heiligkeit und Vollkom¬

menheit erreicht ( B + D + H = 2 + 4 + 8 = 14; zusammen also : 63 + 14 = 77 ! ). -

Beide Akrostiche legen also die Vermutung nahe, daß das Lied zwar vorder¬

gründig von Braut, Bräutigam, Garten, Essen und Trinken spricht, in der

Tiefenschicht aber das liebende Torahstudium meint.

5) Die Randmasorah:

Sowohl die frühere Biblia Hebraica nach Kittel (BHK) als auch die neue

Stuttgartensia (BHS) berufen sich als Quelle auf die Handschrift CodLen .

Im Vorwort zur BHK wurde bereits darauf hingewiesen, daJ5 in der Randma¬

sorah einige Korrekturen vorgenommen wurden, die man aber mit Hilfe des

Apparates noch erkennen konnte. In der neuen BHS wurden aber die Vermer¬

ke am Rande der Spalte mit jenen über und unter den Spalten zu einem einheit¬

lichen Randapparat vermengt und CodLen total geändert. Zwar vermerken die

Prolegomena stolz, man habe hier erstmals beide getrennten Masoren unter

einem Blick vereint; aber um welchen Preis ! ? M.E. handelt es sich um ei¬

nen ähnlichen Traditionsbruch wie seinerzeit bei der Übernahme der grie¬

chisch/lateinischen Kapitel-Einteilungen in den hebräischen Text. Daß beide

Apparate vereinigt wurden, erklärt sich aus der Vorentscheidung, daJJ es sich

um rein philologische Vermerke handle. Nun aber ist der philologische Er¬

trag der Randvermerke äußerst gering. Alle q^re' -ketib -Stellen des ganzen

Pentateuchs beziehen sich nur auf die drei Buchstaben des Gottesnamen JHW !

Damit dürfte schon die Richtung zum Verständnis des Apparates gewiesen

sein.

Die Randzahlen der Masorah marginalis sind unzertrennlich von dem im

Text auf einen bestimmten Buchstaben gesetzten Ringelchen ( circellus ). Nun

aber haben sowohl BHK als auch BHS den circellus aus drucktechnischen Grün¬

den irgendwo über das Wort gesetzt, wo es gerade am günstigsten schien. Da¬

mit wurde aber ein sinnvoller Apparat total zerstört. Was G. Scholem: Ur¬

sprung und Anfänge der Kabbala fStudia Judaica III (1962), 178] von den "er¬

sten Kabbalisten in der Provence" sagt, dürfte auch den Charakter der Rand¬

masorah verstehen helfen: "Sie machen eine Reihe von ausgezeichneten Wör¬

tern bekannt, um mit ihnen jeden Kabbalisten so anzuregen, daß er an jeder

Stelle, wo ein solches Wort in der Bibel oder im Talmud sich findet, auf¬

merkt". - Diese " ausgezeichneten Wörter " sind daher als Meditationsmo¬

dell zu werten. Nach vielen Untersuchungen glaube ich sagen zu dürfen, daß

Masorah marginalis und Masorah parva je selbständige Modelle entwerfen.

Beide Modelle dürfen nicht vermengt werden. Nach diesen Vorbemerkungen

nun zur Masorah marginalis des Gartenliedes, und zwar mit Zugrundelegung

der aus Leningrad besorgten Fotokopien:

a) Die Randzahlen: Der Abschnitt Hl 4,12 -5,1 bringt XVI Zahlen am Rand

in hebräischen Buchstaben. Davon sind X mit dem Zeichen l(ajit), "kommt

(9)

b+b + d + h + h + °h = 2 + 2 + 4(!) + 5+ 5 + 75 = 93;, die Gesamtsumme der Rand¬

zahlen gibt demnach 10 + 93 = 103. Was soll aber der Strich unter dem Dalet ?

Der Raphe-Strich wird im Text immer oberhalb des Buchstaben gesetzt. Mei¬

ne Vermutung geht dahin, daß der unterstrichene Buchstabe doppelt zu rech¬

nen ist, wozu noch weitere Einzelbelege notwendig wären. Als hypothetische

Gesamtsumme der Randzahlen nehmen wir dgiher 103 + 4 (! ) = 107 an. Der

Sinn dieser Zahl wird erst einsichtig, wenn man die im Text angeringelten

Buchstaben ebenfalls aushebt und als Zahlen liest.

b) Die angeringelten Buchstaben: Um eine klare Übersicht zu bieten, brin¬

gen wir die entsprechenden Wörter mit dem angeringelten Buchstaben in Gro߬

schreibung und setzen in Klammer die Randzahlen voran; dabei wird Aleph

mit A und ^Ajin mit O transkribiert:

Da der circellus in Vs 5,1 zwischen den beiden Wörtern akalt^ - o - ja'^ri

steht, wird hier kein Buchstabe ausgezeichnet. Obwohl XVI Randzahlen vor¬

liegen, sind nur XV Buchstaben angeringelt. Der Sinn dieser Buchstaben wird

klar, wenn man sie alphabetisch ordnet, und die Wiederholung eigens rechnet.

Im ersten Rechengang erhalten wir:

A-B-D-H-W-H=l+2 + 4 + 5 + 6 + 8 = 26

K-M-S-O-R 3 20 + 40 + 60 + 70 + 200 = 390

Ein zweitesmal kommen vor:

A-B-D-K =1 + 2 + 4 + 20 =1 + 26

Man zeichnete vor allem solche Buchstaben aus, die auf den Gottesnamen hin¬

wiesen. Hier liegt nun ein mathematischer Beweis dafür vor, wie er nicht

stringenter sein könnte. In der ersten Reihe zeigen die Einer die Zahl 26,

den Zahlenwert für JHWH (10 + 5 + 6 + 5 = 26); Zehner imd Hunderter dage¬

gen bringen den Symbolwert für den EINEN JHWH (JHWH + 'ähad = 26 + 13=39)

in erhöhter Potenz. Beide Werte sind in den Buchstaben ausgeprägt:

(20 + 40 + 200) + (60 + 70) 3 260 + 130. - Die vier wiederholten Buchsta¬

ben weisen nochmals auf den EINEN JHWH (l + 26) ! Daraus kann zumin¬

dest gefolgert werden, daß man den Liedtext im Blick auf den EINEN JHWH

verstanden wissen wollte.

Die angeringelten, also mit dem circellus versehenen Buchstaben erge¬

ben demnach als Gesamtsumme: 26 + 390 + 1 + 26 = 443. Nun haben wir un¬

ter a) Randzahlen die Vermutung ausgesprochen, daß Randzahlen und ange¬

ringelte Buchstaben eine höhere Einheit bilden. War diese Vermutung berech¬

tigt ? Wir brauchen nur die Summe beider zu ziehen und erhalten: 443 + 107

= 550 (! ). Damit stoßen wir nochmals auf die Modellzahl der Tetraktys, der

grossen Zehnheit, nach der schon der Text selbst durchkomponiert wurde.

Warum gerade immer wieder dieses Modell ? Ob nicht im letzten die Mystik

der ZEHN SEPHIROT im Hintergrund steht. [Vgl. die ZEHN Schöpfungsbe¬

fehle wajjomär in Gen 1. Ausführlicher darüber in der amerikanischen Aus¬

gabe meiner Historj;_ofJhejOWj;e^^ (1973), 217f.].

(2) w ' H 1 w t

( 1) w b w A j

(5) w j 3 Kl

(1) d B § j

(1) S 1 h j K

(1) n r D

(l)prDs - (l)ndRjm-

(l) w k r k S - (2) w q n M w n -

(75) rAsj -(4!)mOjn-

(1) h p j j - (5) j B ' -

(l) kein Buchstabe, circellus zwischen 2 Wörtern -

(1) d W d j m

(10)

c) Die multiplizierten Buchstaben: Bisher haben wir jeden Buchstaben in

seiner Einmaligkeit ausgehoben und gezählt. Bei neun Buchstaben steht am

Rand das Einmaligkeits-Zeichen; bei sechs dagegen stehen höhere Zahlen.

Wie schon mehrere Versuche ergaben, scheint es, daß man die angeringelten

Buchstaben mit den Randzahlen multiplizieren muß. Daß dies einen Sinn er¬

gibt, erweisen die nüchternen Rechnungs-Ergebnisse:

Imal (lajit): A - B -D-D-W-9 - K - S - R

1 + 2 + 4 + 4 + 6+ 8 + 20 + 60+ 200 = 305

2mal: H - M = 2x(5 + 40) = 90

4mal : O = 4 X 70 = 280

5mal: B - K = 5 x(2 + 20) = 110

75mal: A = 75 x 1 = 75

Summe = 860

Ergo : Während die einfachen Buchstaben auf den Namen JHWH ausgerichtet

waren, zeigten die vervielfachten Buchstaben in der Endsumme den erhöh¬

ten Zahlenwert von ELOHIM ( *lhjm = 1 + 30 + 5 + 10 + 40 = 86). Nun verwen¬

det ausgerechnet die Paradies-Erzählung Gen 2,4ff den Doppelten Gottesna¬

men JHWH-ELOHIM ! Es scheint demnach zwischen den beiden Garten-Erzäh¬

lungen eine Beziehung zu bestehen, die nur dem einsichtig wird, der den Rand¬

apparat zu lesen weiß. Durch die Randzahlen, zusammen mit den angeringel¬

ten Buchstaben, wurde das System, das bereits in der Textstruktur zum Vor¬

schein kam, nur noch verfeinert. Die Randmarorah ist demnach kein Fremd¬

körper, der von außen an den Text herangetragen wurde; er ist vielmehr aus

jener Geisteswelt erwachsen, die den Text selbst geformt und durchkompo¬

niert hat. Man betrachtete die Schrift als Kommentar zum unaussprechbaren

Namen Gottes und hob dementsprechend die Buchstaben aus [EncJud 10 (1971),

62lJ.

Damit haben wir das Meditations-Modell der Randmasorah des CodLen er¬

faßt, das möglicherweise aus karäischer Geisteswelt stammt. Wenn nun die

Biblia Rabbinica eine andere Randmasorah bringt, ist diese neu auf eine ganz¬

heitliche Aussage hin zu überprüfen, da es durchaus möglich ist, daß hier ein

anderes Modell verwendet wurde. Daraus folgt, daß man die Apparate der

Handschriften nicht einfach aus rein philologischen Gründen miteinander ver¬

mischen darf. Von dieser Sicht her ist die Vermengung der Masoren in der

neuen BHS nochmals mit Fragezeichen zu versehen.

Daß dem Schreiber des CodLen abstraktes Denken vertraut war, zeigen die

16 geometrischen Zeichnungen am Schluß der Handschrift, die m.E. nichts

anderes sind als Jantras, d.i. Meditationsbilder. - Nun verlangt Meditation

ein großes Maß an Konzentration; Text und Randmasorah sind Hilfen für den

geistigen Aufstieg. Wenn man schon CodLen als Normtext für die alttestament¬

liche Forschung annimmt, müßte man auch diese Tatsachen mitbedenken.

In einem weiteren Arbeitsgang müßte man die alten Übersetzer befragen,

ob sie bloß wortgetreu übersetzten, oder auch die hebräischen Baumodelle

der neuen Sprache entsprechend nachformten. Die Septuaginta nach Codex

Vaticanus (B ) und auch die Vulgata (nach der kritischen Ausgabe Rom 1957)

bringen beide je 100 Wörter. Der Einleitungsvers 4,12 mit 9 Wörtern wird

in beiden als Aufgesang betrachtet. Der restliche Text mit 91 Wörtern wird

nach dem Zahlenwert des doppelten Gottesnamens ADONAJ-JHWH verteilt.

Septuaginta : DU-Abschnitt Vss 13-14 zeigt das Siegel JHWH = 26 Wörter;

(11)

die Vss 4,15- 5,1 dagegen das des Namens ADONAJ = 65. - Vulgata: JHWH- Siegel im Wort des Bräutigams: "Ich komme in meinen Garten" bis "Esset, Freunde" (5, la-e); das ADONAJ-Siegel : Vss 13-16 mit Schlußruf "Trinket"

(5f). Die Verteilung folgt dem Zahlenwert von a-d-n-j = 1+4+50+10 in der

Anordnung 50+(l0+l)+4 = 65. M.E. haben also die alten Übersetzer noch um

die dem hebräischen Text eingeprägte Versiegelung mit dem doppelten Gottes¬

namen gewußt. Dies setzt eine Kontinuität des Wissens um die im Lied ver¬

schlossene mystische Theologie voraus. Die Neu-Aktualisierung von Torah

auf Logos/Christus ergibt sich dann mit innerer Notwendigkeit.

Schlußfolgerung:

Unsere Aufgabe konnte es hier nicht sein, auf die Probleme, die das Hohe¬

lied in seiner Gesamtheit aufwirft, näher einzugehen [vgl. meine zusammen¬

fassende Standortbestimmung in Geschichte des Alten Testaments III (Inns¬

bruck 19 59): Der salomonische Minnesang und das Hohelied (477-491); ame¬

rikanische Ausgabe: History of the Old Testament III (New York (1973),

434ff]. - Aber m.E. dürften die hier erarbeiteten Ergebnisse doch geeignet

sein, die Diskussion über das Hohelied anzuregen. Jedenfalls kann das "Gar¬

tenlied", wie es jetzt vorliegt, nicht der Gattung der Volks- und Hochzeits¬

lieder zugeordnet werden. Dem widerspricht die hohe Kunst der literarischen

und logotechnischen Bauart. Da sich auffallende Beziehungen zur Paradies-

Erzählung der Genesis ergaben, legt sich die Vermutung nahe, daß das Gar¬

tenlied des Hohenliedes die Motive der Garten-Erzählung der Genesis auf¬

nimmt. In beiden steht der Baum der Entscheidung in der Mitte. Die Bäume

des Pardes ergaben die Zahlen 613 und 63, also die Werte für TORAH ein-

fachhin. Der Sitz im Leben des Hohenliedes dürfte daher nicht in Kreisen

des höfischen Minnesanges oder der volkstümlichen Liebesdichtung, und schon

garnicht im Raum des Mythus zu suchen sein, sondern vielmehr in den Krei¬

sen der Torah-Mystiker.

Vielleicht müßte doch der ganze Komplex der altjüdischen Mystik mit ein¬

bezogen werden, hat doch G. Scholem in seinen zahlreichen Untersuchungen

den Beweis geliefert, daß der Ursprungsort der Kabbalah nicht erst im Mit¬

telalter, sondern in der Zeitenwende - nach meinen Untersuchungen noch

früher ! - anzusetzen ist. Mag das Wort Kabbalah auch viele ungute Dinge

mit einschließen, so darf man den ganzen Komplex nicht einfach deswegen

beiseitelassen, weil er sich einem rationalen System nicht einzuordnen scheint.

Wenn schon mitten im rabbinisehen Judentum ein starker Strom von Mystik

und Symboltheologie nachweisbar ist, scheint es nicht ausgeschlossen, daß

aus dieser Geisteswelt ein symboltheologisches Buch wie das Hohelied ge¬

formt wurde. Damit komme ich ähnlich wie Müller in seinem Referat zu ei¬

ner Spätdatierung des Hohenliedes; denn gerade in der hellenistischen Epoche

blühte doch die Allegorie.

Wenn man aber alte Vorlagen oder Quellen aus höfischem Minnesang und

Volksdichtung annimmt, müßte man dazu noch postulieren, daß diese Vor¬

lagen eine neue Sinnrichtung erhielten. Die neue symbolische Tiefenschicht

schließt aber das sogenannte profane Verständnis nicht aus. In der Besehrei¬

bung der Braut wird das Wort Pardes , "Paradies", verwendet; es könnte

auch hier gan , "Garten", stehen! Nun ist die Verwendung von p-r-d-s als

Bezeichnung der vier Wege der Exegese zwar erst im Mittelalter belegbar

[EncJud 13 (1971), 91 ( pardes ) und 10 (1071) 623 ( kabbalah )], aber die

(12)

vier Erklärungsmöglichkeiten sind auch schon für die Zeit des Hellenismus

möglich, nämlich: l) p®£at , der einfache Literalsinn - 2) remez , der ver¬

hüllte Sinn, der sich in Wortstruktur, Gematrie und Notarikon ausspricht

- 3) d^raS , der Predigtsinn - 4) sod , die esoterisch-mystische Deutung.

- Ohne diesem Muster bewußt gefolgt zu sein, stießen wir in unserer Un¬

tersuchung auf diese vier Erklärungsmöglichkeiten.

Daher nochmals : Die symbolische Deutung des Hohenliedes ist demnach

nicht etwas, das ihm von außen aufgezwungen wurde. Die Symbolik durch¬

dringt das ganze Lied bis ins Knochenmark. Diese Symbolik ist leicht durch¬

schaubar. Die Braut des Liedes ist eigentlich die Torah , von der belebende

Ströme ausgehen,die alle Bäume bewässern. Der Geliebte , der aufgerufen

wird, die Früchte zu pflücken, den Honig zu essen, den Wein zu trinken, ist

der fromme Schriftgelehrte , der auch seine "Freunde" zu gleichem Tun auf¬

fordert. Ein nüchterner Aufruf, Torah zu stiiüeren, hätte nur den Verstand

erreicht; das Bild von der Tor ah/Braut aber löst den ganzen emotionalen Kom¬

plex von existentieller Liebe aus und mußte daher viel wirksamer sein als lehr

hafte Mahnungen.

Daher wird man das letzte Wort des Liedes dodim nicht als abstrakten Plu¬

ral "berauscht euch an Liebe " deuten dürfen; aufgrund des Parallelismus ist

es doch Entsprechung zu reflm, "Freunde"! Dazu nimmt es den Ruf der

Braut an den dSdi , "mein Gelebter", wieder auf. Daher ist beim Plural "und

berauscht euch, Geliebte!" zu bleiben. Der beste Kommentar hierzu dürfte

Rabbi Akibas Spruch in Abot III, 14 sein, der in dreifacher Steigerung das

Wort "Geliebter" ( ij^l b) verwendet. Der Mensch als solcher ist ein "Ge¬

liebter", weil er nach Gottes Bild geschaffen wurde. Die Israeliten sind "Ge¬

liebte" ( ti%lblm , Mehrzahl !), weil sie "Söhne des Ortes (Gottes)" genannt werden; und nochmals! Sie sind "Geliebte", weil ihnen ein "kostbares Gerät"

( k^ll Ijämdah ) gegeben wurde. Hierin erreicht "Liebe" ( ijibbah ) die höchste,

nicht mehr überbietbare Stufe; denn mit diesem "Gerät" wurde die Welt er¬

schaffen. Was damit gemeint ist, sagt das Schriftzitat: "Eine gute Lehre gab

ich euch, meine Torah ; verlaßt sie nicht!" (Prov 4,2). Daraus folgt, daß

der Unnennbare JHWH - die Sätze des Akiba-Spruches sind im Passiv for¬

muliert, um den Gottesnamen zu vermeiden ! - sozusagen der Brautführer

ist, die Torah dagegen dieBraut.und Israel der Bräutigam. Seit Beginn der

Ehe- und Brautmystik mit dem Propheten Hosea hat sich in der theologischen

Grundkonzeption viel gewandelt. Die Propheten sprachen noch frei von einer

Ehe zwischen JHWH und Israel. Im Akiba-Spruch wird dieser direkte Bezug

vermieden; der unaussprechbare JHWH trat in seine unergründbare Verbor¬

genheit zurück. Für ihn verwendet man Ersatzworte, wie Name, Ort usw.;

dazu gehört wohl auch die personifizierte Torah . « Diese Gedanken würden

wieder eine späte Entstehung des Hohenliedes im Ausklang der alttestament¬

lichen und im Ubergang zur altjüdischen Literatur nahelegen.

Einer der berühmten Vier , die den Pardes betreten durften, war Ben -

^AzzaJ , von dem berichtet wird, daß er ehelos lebte. Gefragt, wieso er

die Ehe in seinen Lehrvorträgen verherrlichen könne, selbst aber nicht hei¬

rate, habe er geantwortet: "Was soll ich tun? Meine Seele hängt liebend an

der Torah ! Mögen andere zur Erhaltung des Menschengeschlechtes beitragen!

fvgl. mein Buch: Talmud-Evangelium-Synagoge, (Innsbruck (1969), 157f].

Ben-'^AzzaJ hat demnach von der Torah gegessen, getrunken und war von

der Liebe zu ihr ganz berauscht.

(13)

Synagoge und Kirche durch Jahrhunderte bestimmend war. Vielleicht war die

exegetische Methode der Alten doch der richtige Schlüssel für den Eingang in

den verschlossenen Garten. Daher scheint mir, daß Rabbi Akiba doch noch

Recht behalten wird, der sagte: "Gott bewahre! Niemand in Israel hat über

das Hohelied gestritten, daß es nicht die Hände verunreinige - (also nicht

zur Heiligen Schrift gehörte) - ; denn die ganze Welt ist nicht des Tages

würdig, an dem das Hohelied Israel gegeben wurde; denn alle k^tubim (Ha-

geographen) sind heilig ( qodäs ), aber das Hohelied ist hochheilig ( qodäs

godaslm ). Wenn sie also stritten, so stritten sie nur über Qohälät (Misnah,

J adajim III, 5). Hochheilig ist es, weil es von der Liebe zwischen JHWH/

Torah und Israel singt (Tosephta, Sanhedrin XII).

(14)
(15)

SEKTION IV: CHRISTLICHER ORIENT UND BYZANZ

Sektionsleiter: Werner Strothmann, Göttingen

EINIGE ORTSCHAFTEN DES TUR'ABDIN IM SÜDOSTEN DER TÜRKEI

ALS BEISPIELE GEGENWÄRTIGER UND HISTORISCHER BEDEUTUNG

Von Helga Anschütz, Iserlohn

I. Kurze Einführung in den Tur'Abdin.

Von den 708 Ortschaften der Provinz Mardin waren in den Kreisen Mardin,

Qizre, Ger9üs, Idil, Midyat, Nusaybin, Ömerli und Savur bereits im 1. Jahr¬

tausend nachweislich 88 von Christen bewohnt (l).

Für die vorliegende Untersuchung wurden 15 Ortschaften aus dem Tur'Abdin

ausgewählt. Dieses bis zu 1500 m hohe Gebirgsplateau umfaßt einen großen

Teil der Provinz Mardin und besteht aus Kalken, Kalksteinen und Mergeln, die

an den Rändern stark zerschnitten sind und im Osten in leichtgewellte Basalt¬

blockfelder übergehen. Die Ost-West-Ausdehnung beträgt ca. 200 km, die

nord-südliche ca. 100 km. Im Norden bildet der Tigris, im Süden der Über¬

gang vom Gebirge zur syrischen Ebene, im Osten das Gebiet der Basaltblock¬

felder die Grenze, die nach Westen hin nicht genau festzulegen ist.

Bis zu 740 mm Jahresniederschlag bilden die Lebensgrundlage für einen

größtenteils degradierten Steineichenwald, eine weit verbreitete Weidewirt¬

schaft und den Anbau von Getreide, Hülsenfrüchten, Melonen, Wein und Obst¬

bäumen. Nur selten treten Quellen im Landesinnern zutage, dagegen sind die

Randgebiete wasserreich.

Von den 397 880 Einwohnern der Provinz Mardin ist die überwiegende Mehr¬

heit moslemisch; es gibt hier bedeutende alawitische Gruppen. Außerdem le¬

ben in diesem Gebiet 15 - 20 000 vorwiegend syrisch-orthodoxe (westsyrisch-

monophysitisch/jakobitische) Christen und ca. 5000 Yezidi (2).

Im westlichen Teil des Tur'Abdin, der "Mohallemie", spricht die Bevölke¬

rung einen in sich gegliederten arabischen Dialekt. Östlich der Kreisstadt Mid¬

yat, sowie im Norden, und Süden überwiegen kurdische Dialekte. Die meisten

Christen sprechen "Turojo", einen aramäischen Dialekt, daneben Arabisch

und Kurdisch. Amts- und Schulsprache ist Türkisch.

Die meisten Ortschaften sind auf Bergen oder an Berghängen angelegt, viele

befestigt. Durch Zisternen werden sie mit Wasser versorgt. Viele Dörfer sind

von Ruinen umgeben, Ruinenfelder oder einzelne Burg- und Klosterruinen lie¬

gen verstreut im Tur'Abdin.

Heute wird für dieses Gebiet zumeist der Begriff "Mardin-Schwelle" ange¬

wandt (3). Dagegen ist es unter anderen Namen bereits aus historischen Zei¬

ten bekannt: in assyrischen Inschriften wurde es unter den Namen "Izala"

oder "Kaschiari" erwähnt, griechische und römische Schriftsteller nannten

es "Berg Masius". Seit frühchristlicher Zeit wurde es als Zentrum des Mönch-

imd Asketentums, "Tur'Abdin" ("Sklavenberg"), bekannt (4).

II. Die Ortschaften des Tur'Abdin.

Die Ortschaften des Tur'Abdin können unter folgende Aspekte eingeordnet

werden :

Referenzen

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