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Buchecker, M., Hunziker, M., & Kienast, F. (1999). Mit neuen Möglichkeiten der partizipativen Landschaftsentwicklung zu einer Aktualisierung des Allmendgedankens – eine Chance im periurbanen Raum. In M. F. Broggi (Ed.), Forum für Wissen: Vol. 1999. Bios

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Academic year: 2022

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Mit neuen Möglichkeiten der partizipativen Landschafts- entwicklung zu einer Aktualisierung des Allmendgedankens – eine Chance gerade im periurbanen Raum

Matthias Buchecker, Marcel Hunziker und Felix Kienast WSL, Birmensdorf

Für viele Landschaftsschützer, aber auch für weite Bevölkerungsteile gilt die traditionelle Kulturlandschaft als der Idealzustand einer Landschaft. Es wäre jedoch weder machbar noch sinnvoll, die traditionelle Kulturlandschaft integral zu erhalten oder wieder herzustellen. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht wäre es hingegen wichtig, die direkten Nutzungs- und Einflussmöglichkeiten der lokalen Bevölkerung auf ihre Landschaft wiederherzustellen. Diese zentrale Qualität der Landschaft war insbesondere im kollektiven Teil der Landschaft – der Allmend – erfüllt. In aktualisierter Weise liesse sich diese Qualität heute wieder herstellen, indem neue Möglichkeiten der partizipativen Landschaftsentwicklung gefördert würden. Für diese neue Strategie des Landschaftsschutzes bieten die periurbanen Gebiete nach unseren Untersuchungen besonders günstige Voraussetzungen, weil die Bewohner dort eine besonders starke individuelle Partizipationsbereit- schaft entwickelt haben.

1 Die Problematik der Landschaftsentwicklung aus sozialwissenschaft- licher Perspektive

1.1 Die bisherige statische Sichtweise

Spätestens seit den frühen 70er Jahren wird die aktuelle Landschaftsentwick- lung – insbesondere im periurbanen Raum – von grossen Teilen der Bevöl- kerung in der Schweiz als unerwünscht und damit problematisch empfunden (PFISTER 1997). In der Wissenschaft und auch in der Politik wurden in der Folge grosse Anstrengungen unternommen, die unerwünschte Landschaftsentwick- lung in den Griff zu bekommen. Dabei wurde das Problem insbesondere in der zunehmenden Zerstörung und Ver- drängung der als ideal betrachteten tra- ditionellen Kulturlandschaft gesehen (z.B. SCHENKet al. 1997). Entsprechend bestand die Hauptstrategie darin, die traditionellen Kulturlandschaften zu erhalten oder allenfalls wiederherzu- stellen. Hinter den bisherigen Anstren- gungen für eine wünschenswerte Land- schaftsentwicklung von Seiten der Wis- senschaft und der Politik steht eine sta- tische Betrachtung der Gesellschaft.

völkerung verbreitet auf Widerstand stiess. Anscheinend bildete die gewähl- te Strategie nicht die adäquate Antwort auf die breit beklagte aktuelle Land- schaftsentwicklung.

1.2 Die neue dynamische Sichtweise

Die Sozialwissenschaft bietet neben dieser statischen Sichtweise einen an- deren, zu wenig beachteten Zugang zur Landschaft an, nämlich die Landschaft als Lebensraum der Bevölkerung zu verstehen. Hinter dieser Sichtweise steht eine dynamische dialektische Betrachtung von Gesellschaft. Nach die- ser Sichtweise ist die Landschaft als Teil und Ausdruck eines gesellschaftlichen Prozesses zu verstehen. In diesem Pro- zess verändern die Bewohner ihre Land- schaft, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen;

gleichzeitig gestalten sie durch ihre Ein- griffe die Landschaft mit und drücken dadurch ihre kulturelle Eigenart aus.

Bedürfniserfüllung, Identifikation und Landschaftsgestaltung sind aus dieser Sicht in der Landschaft prozesshaft mit- einander verbunden und bewirken, dass die Bewohner die Landschaft als eige- nen Lebensraum empfinden (Abb. 2).

Danach stellt die traditionelle Kultur- landschaft einen fixen gesellschaftlichen Wert dar, den es – wie auch die übrigen fixen gesellschaftlichen Werte und Ziele – durch geeignete Instrumente im top- down-Verfahren möglichst optimal sicherzustellen gilt (Abb. 1).

Mit dieser Strategie konnte die un- erwünschte Landschaftsentwicklung trotz grosser Anstrengungen nicht ent- scheidend vermindert werden. Einer- seits, weil diese Erhaltungsstrategie im Gegensatz zur allgemeinen gesell- schaftlichen Entwicklung stand, ande- rerseits, weil sie bei der lokalen Be-

Abb. 1. Das statische Gesellschaftsmodell.

Typisch für dieses Modell sind der top- down Ansatz und die Trennung von Subsy- stemen.

Gesellschaft

Werte

Landnutzung Kultur

(Ausdruck)

Wirtschaft (Zweck)

Gesellschaft Landschaft

Lebens- raum

Individuen Bedürfnisse

erfüllen

nutzen gestalten

Abb. 2. Dynamisches Modell der Gesell- schaft. Typisch für dieses Modell ist die Dialektik von Mitgestaltung und Bedürf- niserfüllung sowie die wichtige Funktion des bottom-up Aspekts.

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Nach dieser Sichtweise kann die Landschaft nicht zerstört werden, so- lange der gesellschaftliche Austausch- prozess funktioniert. Das eigentliche Schlüsselelement, um die Landschaft zu erhalten, liegt danach darin, der breiten Bevölkerung genügend Nut- zungs- und direkte Einflussmöglich- keiten – direkte Partizipationsmög- lichkeiten – in ihrem Lebensraum of- fenzuhalten. Eine geeignete Strategie für die Verwirklichung einer wün- schenswerten Landschaftsentwicklung müsste sich deshalb darauf konzentrie- ren, die direkte Partizipation der Be- wohner in ihrer Alltagslandschaft – insbesondere in ihrem Gemeindege- biet – zu fördern.

Um die Problematik der aktuellen Landschaftsentwicklung klar zu erfas- sen, ist es nötig, in einem kurzen Rückblick die Veränderung der Ein- fluss- oder Partizipationsmöglichkei- ten in der Alltagslandschaft zu be- trachten.

2 Die Dialektik der

Landschaftsentwicklung

2.1 Die traditionelle Kulturland- schaft als Ausdruck des eigenen Lebensraums

In der traditionellen Situation – bis zum Ende des 18. Jahrhunderts – entwickelte sich die Landschaft im ländlichen Raum, indem die breite Bevölkerung durch die Nutzung ihres Landes ihre Bedürfnisse zu erfüllen versuchte und damit auch die Landschaft mitgestaltete (Abb. 3). Die Entstehungsbedingungen der tradi- tionellen Kulturlandschaft waren da- durch geprägt, dass die breite Bevöl- kerung direkt an der Landschaft und ihrer Entwicklung partizipieren konn- te:

– Die meisten Bewohner verfügten über privates Land – auch wenn dies sehr ungleich verteilt war – und konnten durch die private Landnut- zung an der Landschaft partizipie- ren.

– Auch das private Land stand nach der Ernte allen Bewohnern zur be- schränkten Nutzung offen (Weide).

Zudem boten verschiedene kollek- tive Arbeiten (Holzschlag, Wegbau usw.) Möglichkeiten, an der Land- schaft und ihrer Entwicklung zu partizipieren.

Alltags- landschaft

Politik

Bevölkerung

Land- reiche Land- arme

Abb. 3. Die Partizipation der Bevölkerung an ihrer Alltagslandschaft im traditionellen System. Die direkte Partizipation ( ) erfolgte primär über die Landnutzung. Die indirekte Partizipation ( ) und der Einfluss von aussen waren relativ unbedeu- tend.

Abb. 4. Die Allmend oder Gemeinheit am Beispiel der Gemeinde Albstett in Niedersach- sen. Die Allmend (grau) nahm einen bedeutenden Teil der Gemeindefläche ein und stand der ganzen Dorfgemeinschaft zur extensiven Nutzung offen.

– Die enge Dorfgemeinschaft ermög- lichte den Bewohnern, als Teil des Kollektivs (z.B. durch Normset- zung) direkt Einfluss auf Verände- rungen der Alltagslandschaft zu neh- men (SIEDER 1987).

Eine besondere Stellung in bezug auf die Partizipation an der Alltagsland- schaft kam der Allmend zu. Die All- mend oder auch Gemarkung war das gemeinsame Land der Dorfgenossen- schaft (Abb. 4).

Die Allmend nahm oft grosse Teile des Gemeindegebietes ein, umfasste allerdings in der Regel qualitativ min- derwertiges (oft vernässtes) Land. Sie hatte jedoch zwei besondere Qualitä- ten (NEESON 1993):

– sie stand allen Bewohnern – auch den besitzlosen – zur Nutzung offen;

– sie wurde extensiv, aber auf sehr vielfältige Art genutzt (Weide, Holz, Dünger, Beeren, Einschläge, Naturerlebnis).

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Die Allmend war damit ein beson- ders vielfältiger Lebensraum für die lokale Bevölkerung.

Insgesamt bestanden im traditionel- len System sehr breite Partizipations- möglichkeiten bezüglich der Alltags- landschaft. Die individuellen Partizipa- tionsmöglichkeiten waren allerdings sehr ungleich verteilt und insbesondere durch kollektive Regeln sehr stark ein- geschränkt. Die traditionelle Kultur- landschaft bot aber der lokalen Bevöl- kerung einen kollektiven Lebensraum.

Das Ideal der traditionellen Kultur- landschaft dürfte zu weiten Teilen in der Sehnsucht nach einem solchen kol- lektiven Lebensraum begründet liegen.

2.2 Die Entfremdung von der Alltagslandschaft

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- derts erfuhr diese breite – aber stark kollektiv geregelte – direkte Partizipa- tion an der Landschaft in vielen ländli- chen Gegenden eine erste deutliche

Einschränkung, als die Allmenden im Rahmen der Agrarreformen aufgeho- ben wurden. Dadurch wurden die «klei- nen Leute» aus der Landnutzung und aus der direkten Partizipation an der Landschaft verdrängt (NEESON 1989) (Abb. 5).

Die aufgeteilte Allmend wurde in der Regel melioriert und einer intensiven (monofunktionalen) Acker- oder Wei- denutzung zugeführt. Dies bedeutete in vielen Gegenden den Übergang von ei- ner Subsistenzproduktion zu einer mo- dernen marktorientierten Produktion (SCHNEIDER und SEEDORF 1989).

Im 20. Jahrhundert – insbesondere ab 1950 – wurden grosse Teile der länd- lichen Gebiete von einer Urbanisie- rungswelle erfasst. Diese führte zu ei- ner Abnahme der landwirtschaftlichen Bevölkerung, zur Aufhebung der letz- ten kollektiven Arbeiten und zu einer weiteren Nutzungsintensivierung. Zu- dem wurde die Dorfgemeinschaft durch die verstärkte soziale Mobilität in ihrer dominanten Stellung bezüglich der Normbildung stark eingeschränkt.

Damit verlor ein grosser Teil der länd- lichen Bevölkerung ihre direkten Partizipationsmöglichkeiten an ihrer Alltagslandschaft. Durch die starken Veränderungen in der Landschaft, auf welche der Grossteil der Bewohner kei- nen Einfluss mehr hatte, entstand eine zunehmende Kluft zwischen den Be- wohnern und ihrer Landschaft – und damit eine zunehmende Entfremdung vom ehemaligen Lebensraum (Abb. 6).

Mit dieser zunehmenden Entfrem- dung lässt sich erklären, weshalb die Bevölkerung der Schweiz in den 60er und 70er Jahren den Bund damit beauf- tragte, die Landschaften und die Um- welt insgesamt zu schützen. (PFISTER

1997). Durch die auf dieser Basis ge- schaffenen Gesetze – insbesondere durch das Raumplanungsgesetz – er- hielten die Bewohner wieder die Mög- lichkeit, auf ihre Alltagslandschaft – wenn auch nur indirekt via politische Mitwirkung – Einfluss zu nehmen. Mit dieser Massnahme konnte jedoch die Entfremdung von der Alltagsland- schaft nicht aufgehalten werden:

– Die neuen indirekten Partizipations- möglichkeiten wurden kaum ge- nutzt; im Gegenteil konnte eine weiter abnehmende politische Be- teiligung beobachtet werden (z.B.

LADNER 1991).

– Aufgrund einer neueren Studie (RÖLLIN und PREIBISCH 1993) wurde festgestellt, dass sich die Bewohner mit zunehmender Urbanisierung im- mer mehr aus ihrer Alltagslandschaft zurückziehen (Abb. 7).

Abb. 5. Die Gemeinde Albstett nach der Aufteilung der Allmend im Jahre 1855. Die Landbesitzer konnten dadurch ihr Land arrondieren und intensiver nutzen. Den Besitzlo- sen standen nur noch Restflächen des gemeinsamen Besitzes zur extensiven Nutzung offen.

Alltags- landschaft

Politik

Bevölkerung

Land- besitzer Land- lose

Abb. 6. Die Partizipation der Bevölkerung an der Alltagslandschaft nach der Urbani- sierung (bis 1970). Die breite, landlose Be- völkerung hat ihre Einflussmöglichkeiten auf ihre Alltagslandschaft weitgehend ver- loren und entfremdete sich von ihr.

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Offenbar ist die Schaffung von indi- rekten, politischen Einflussmöglichkei- ten keine genügende Massnahme, um die verlorenen direkten Partizipations- möglichkeiten zu ersetzen und die All- tagslandschaft wieder zum Lebensraum der Bevölkerung zu machen. Natürlich lassen sich die direkten Partizipations- möglichkeiten des traditionellen Sy- stems nicht wiederherstellen: nicht nur wegen der unumkehrbaren Besitzver- teilung, sondern auch, weil das auf tra- dierten kollektiven Normen beruhende Regelsystem heute nicht mehr lebbar wäre. Trotzdem scheint es aber möglich und auch sinnvoll, die Alltagslandschaft auf eine, der heutigen Zeit angepasste Weise wieder zum Lebensraum der Bevölkerung aufzuwerten. Dies würde die Förderung von neuen Formen der direkten Partizipation erfordern.

3 Die Förderung der partizipativen Land- schaftsentwicklung

Um den Weg zu einer modernen, parti- zipativen Landschaftsentwicklung zu erkunden, wurde an der WSL im Rah- men der Dissertation von Matthias Buchecker (BUCHECKER, in Vorb.) ein 4jähriges Forschungs- und Umsetzungs- projekt (BUCHECKER und BERZ 1998) durchgeführt, welches auch vom BU- WAL und vom Fonds Landschaft Schweiz unterstützt wurde. Dabei soll- ten die dargestellten theoretischen An- nahmen zur partizipativen Landschafts- entwicklung, welche aus der dialek- tischen Perspektive hergeleitet worden waren, am Beispiel von zwei Gemein- den geprüft und weiterentwickelt wer-

den. Insbesondere galt es, auf zwei Fra- gen empirisch abgestützte Antworten zu finden:

– Warum nutzen die Bewohner der beiden Gemeinden die bestehen- den Möglichkeiten der indirekten und direkten Partizipation an ihrer Alltagslandschaft nicht? Warum ist die partizipative Landschaftsent- wicklung blockiert?

– Wie kann eine partizipative Land- schaftsentwicklung gefördert wer- den?

Um diese Fragen zu klären, wurden in einer ersten Phase in den beiden Ge- meinden sozialwissenschaftliche Unter- suchungen – primär offene Interviews – durchgeführt; in einer zweiten Phase wurden in beiden Gemeinden partizi- pative Prozesse ausgelöst und beob- achtet.

3.1 Die Blockaden der direkten Partizipation

Aufgrund der Ergebnisse der sozial- wissenschaftlichen Untersuchungen wurde deutlich, dass die Blockade der Partizipation bezüglich der Alltagsland- schaft nicht – wie dies oft behauptet wird – primär auf Desinteresse beruht.

Die meisten Bewohner zeigten im Ge- genteil starkes Interesse an ihrer All- tagslandschaft und brachten in den In- terviews viele Verbesserungswünsche, aber auch viele Klagen über uner- wünschte Veränderungen zum Aus- druck. Die meisten Bewohner räumten jedoch ein, dass sie diese Verbesserungs- wünsche und Kritiken nicht mit anderen Bewohnern austauschten. In den Be- gründungen, mit welchen die Bewohner

dieses Verhalten rechtfertigten, zeigten sich zwei zentrale Motive:

– Auffällig viele, insbesondere stark integrierte Bewohner, meinten, dass dies Sache der Behörden sei. Sie de- legierten die volle Verantwortung für die Alltagslandschaft an die In- stitution Gemeinde. Hinter diesem Verhalten und vielen anderen Ver- haltensauffälligkeiten konnte der starke Wunsch festgestellt werden, das Kollektiv zu erhalten und für diesen Wunsch das Individuelle zu- rückzustellen.

– Viele, insbesondere wenig integrier- te Bewohner, begründeten ihren Verzicht auf Partizipation damit, dass sie sich keinem Konflikt ausset- zen wollten. Hinter diesem und ähn- lichem Verhalten verbirgt sich die Angst, aus dem dörflichen Kollektiv ausgeschlossen zu werden.

Beide Motive haben eine gemeinsame Ursache: eine überstarke Orientierung am dörflichen Kollektiv. Damit bestä- tigte sich die – wenig beachtete – Beob- achtung deutscher Agrarsoziologen (BRÜGGEMANN und RIEHLE 1986), dass die Abhängigkeit vom dörflichen Kol- lektiv, welche im traditionellen System angesichts der gegenseitigen existenzi- ellen Abhängigkeit sinnvoll war, sich trotz der Veränderung der materiellen Situation erhalten hat. Mit der persi- stenten, starken Orientierung am dörf- lichen Kollektiv verbunden ist eine Kultur der kollektiven Anpassung, welche einer individuellen Partizipa- tion entgegensteht und sie – wie empi- risch nachgewiesen – aktiv durch Sank- tionen blockiert.

Die Förderung einer modernen par- tizipativen Landschaftsentwicklung erfordert damit primär eine Emanzi- pation der Bewohner vom dörflichen Kollektiv und gleichzeitig eine ver- stärkte individuelle Identifikation mit der Alltagslandschaft. Während sich die Emanzipation vom Kollektiv durch den weiteren Urbanisierungsprozess langfristig selbständig ergibt, muss die individuelle Identifikation aktiv geför- dert werden, um eine gleichzeitige Entfremdung von der Alltagsland- schaft zu vermeiden. Deshalb muss versucht werden, die direkte Partizipa- tion trotz des Anpassungsdrucks mög- lichst frühzeitig zu fördern. Kurzfristig lässt sich dies durch die Schaffung ei- nes geschützten Rahmens erreichen.

Dieser erlaubt es den (bereits emanzi- pierten) wenig integrierten Bewoh-

Pr Privater Bereich (Pr)

Alltagslandschaft (Al) Entfernte

Erholungslandschaft (ER) Al

Er

Pr

Al Er

Trend

Abb. 7. Die Bewohner ziehen sich mit zunehmender Urbanisierung immer mehr aus ihrer Alltagslandschaft zurück. Einerseits ziehen sie sich vermehrt in den privaten Bereich zurück, andererseits fliehen sie in der Freizeit in nahe Erholungsräume. Die Alltags- landschaft wird zum reinen Durchgangsraum (nach RÖLLIN und PREIBISCH 1993).

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nern, ihre Verbesserungsideen auszu- tauschen und Initiativen auszulösen.

Durch erfolgreiche partizipative Initia- tiven dürfte es diesen Pionieren länger- fristig gelingen, auch die integrierten Bewohner für eine partizipative Land- schaftsentwicklung zu gewinnen.

3.2 Die Ermittlung von Förde- rungsmöglichkeiten anhand von konkreten partizipativen Prozessen

In beiden Gemeinden wurde aufgrund dieser Erkenntnisse versucht, im Sinne der Aktionsforschung einen Prozess der partizipativen Landschaftsentwicklung auszulösen und dabei die angewandten Methoden zu evaluieren. Prinzipiell wurde in diesen partizipativen Prozes- sen versucht, die Bewohner bei ihren Wünschen in bezug auf die Alltags- landschaft abzuholen, ihnen Möglich- keiten zu bieten, ihre Wünsche auszu- tauschen und sie zur Umsetzung ihrer Wünsche zu motivieren.

Fallbeispiel Gemeinde Selzach:

In der weniger urbanisierten Gemein- de Selzach wurde der partizipative Pro- zess in einen institutionellen Rahmen gestellt und mit der Entwicklung eines

Ortsplanungskommission

Ausstellung Interviews Ideensammlung

Zukunfts- werkstatt

Gemeindeleitbild Initiativen Abb. 8. Der Ablauf des partizipativen Pro- zesses in der Gemeinde Selzach. Der Pro- zess fand in Zusammenarbeit mit der Insti- tution Gemeinde (Ortsplanungskommis- sion) statt. Ziel des Prozesses war sowohl die Entwicklung des Gemeindeleitbildes wie auch die direkte Umsetzung von Ideen.

Abb. 9. Die Zukunftswerkstatt in der Ge- meinde Selzach. Es beteiligten sich fast nur Behördenmitglieder, weil die Bewohner diese Veranstaltung als politisch betrachte- ten und sich nicht angesprochen fühlten.

Gemeindeleitbildes verbunden (Abb.

8). Konkret wurde versucht, die Be- wohner auf drei Wegen in diesen Pro- zess einzubeziehen:

– durch offene Interviews mit Bewoh- nern aus allen Bevölkerungsschich- ten über die Alltagslandschaft und ihre diesbezüglichen Zukunftswün- sche;

– durch die Organisation einer Aus- stellung, in welcher insbesondere die Schulkinder ihre Wünsche und Ideen in bezug auf die Alltagsland- schaft darstellen konnten;

– durch die Durchführung einer öffentlichen Zukunftswerkstatt, an welcher die Bewohner ihre Wün- sche und Ideen bezüglich der All- tagslandschaft austauschen konn- ten (Abb. 9).

Aus den Ergebnissen dieser Aktivitä- ten wurde ein Gemeindeleitbild erar- beitet; gleichzeitig wurde versucht, die Bewohner zur direkten Umsetzung ih- rer Wünsche zu motivieren.

Durch den partizipativen Prozess in der Gemeinde Selzach gelang es, ein Leitbild in einem bottom-up Verfahren zu entwickeln und dabei bisherige Ta- buthemen öffentlich zur Sprache zu bringen. Es gelang aber nur sehr be- grenzt, Bewohner ausserhalb der Poli- tik zur Teilnahme am Ideenaustausch und zur individuellen Partizipation zu gewinnen; entsprechend kamen nur in- stitutionelle Initiativen wie z.B. eine Waldrandaktion der Schule zustande.

Projektgruppe

Ideenbazar

Projektteam

Ideensammlung

Auswertungsbericht

Initiativen

Abb. 10. Der Ablauf des partizipativen Prozesses in der Gemeinde Hindelbank.

Der Prozess fand ausserhalb des institutio- nellen Rahmens statt. Eine lokale Projekt- gruppe sicherte die lokale Verankerung.

Fallbeispiel Gemeinde Hindelbank:

In der stärker urbanisierten – als peri- urban bezeichenbaren – Gemeinde Hindelbank wurde der partizipative Prozess ausserhalb des institutionellen Rahmens durchgeführt. Es wurde eine Projektgruppe mit wichtigen lokalen Akteuren gebildet, welche eine lokale Verankerung des Prozesses sicherstel- len sollten (Abb. 10). Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausgangssituation und aufgrund der Erfahrungen in der Gemeinde Selzach wurde die Vorge- hensweise geändert.

Von der Projektgruppe wurden die Schulen, aber auch andere Gruppen dazu animiert, sich mit ihren Verbes- serungswünschen hinsichtlich der All- tagslandschaft auseinanderzusetzen und diese zur Darstellung zu bringen.

Die dabei entstandenen Beiträge wur- den dann in einem Ideenbazar aus- gestellt (Abb. 11). An diesem Anlass wurden die Besucher durch die Formu- lierung von klaren Spielregeln gleich- zeitig zum Austausch ihrer eigenen Verbesserungsideen motiviert. Die Re- sultate des Ideenbazars wurden in einem Auswertungsbericht veröffent- licht. In diesem Bericht wurden die Be- wohner gleichzeitig eingeladen, sich den inzwischen entstandenen Umset- zungsinitiativen anzuschliessen. Diese Initiativen wurden weiter begleitet;

dabei wurde auch die Zusammenar- beit zwischen den Initianten und den betroffenen Eigentümern sowie den

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Behörden vermittelt. Der partizipative Prozess löste in Hindelbank mehrere Initiativen aus (Ökobörse, Naturspiel- platz, Dorfplatz, Jugendtreff, Gestal- tung Aussichtsplatz, Erhaltung Dorf- brunnen) und führte auch zu einem verbesserten Gesprächsklima im Dorf.

3.3 Folgerungen für die Land- schaftsentwicklung

Trotz der unterschiedlichen Vorgehens- weisen in den beiden Gemeinden er- laubten die – deutlich unterschiedli- chen – Erfahrungen während der bei- den partizipativen Prozesse klare Rück- schlüsse auf zwei Unbekannte: auf die Eignung von Methoden und auf die relative Partizipationsbereitschaft in den beiden Gemeinden.

Relative Partizipations- bereitschaft:

Die Bewohner der stärker urbanisier- ten Gemeinde Hindelbank beteiligten sich viel zahlreicher und stärker am partizipativen Prozess und entspre- chend konnten dort auch viel mehr par- tizipative Initiativen ausgelöst werden.

Damit konnten die empirischen Er- kenntnisse bestätigt werden, wonach sich der Urbanisationsprozess und die damit verbundene Emanzipation vom dörflichen Kollektiv – bis zu einem be- stimmten Ausmass – förderlich auf die Partizipationsbereitschaft der Bewoh- ner auswirkt.

Geeignete Methoden und Wege zur Förderung der Partizipation:

Auch hier bestätigten sich die empi- rischen Erkenntnisse aufgrund der In- terviews, wobei diese weiter präzisiert werden konnten. Zur Förderung der Partizipation eignen sich besonders zwei Instrumente, welche bisher nicht zum Grundbestand der ländlichen Ge- meinden gehörten:

1. ein geschützter Rahmen bzw. eine Plattform, welche den Austausch von Ideen erlaubt und damit die Entstehung von partizipativen In- itiativen erleichtert (Abb. 12). Bei dieser Plattform haben sich zwei Ei- genschaften als besonders wichtig erwiesen:

– sie muss attraktiv und frei von politischen Attributen sein, und sie muss die Mitverantwortung der Bewohner ansprechen. In einer Anfangsphase ist sicher der Zugang über die Kinder ideal, für welche sich die Bewoh- ner und Bewohnerinnen in be- sonderem Masse verantwortlich fühlen,

– der Ideen-Austausch muss durch klare Spielregeln definiert sein, so dass die aktive Teilnahme norma- lisiert wird;

2. die Einrichtung von verständnis- orientierten Gesprächsrunden, wel- che – durch schützende moderative Elemente – ermöglichen, anstehen- de Konflikte auszutragen und Mög- lichkeiten der Zusammenarbeit zu erkennen.

Abb. 11. Der Ideenbazar in der Gemeinde Hindelbank. Dank der Definition von klaren Spielregeln beteiligten sich die Besucher aktiv am Ideenaustausch.

Aufgrund der Erfahrungen während der partizipativen Prozesse wurde je- doch offensichtlich, dass die Förderung einer breiten partizipativen Land- schaftsentwicklung nur durch einen langfristigen Lernprozess zu erreichen ist. In beiden Gemeinden konnten nur besonders partizipationsbereite Be- wohner zur Mitgestaltung der Gemein- de motiviert werden. Durch erfolgrei- che Initiativen lassen sich zwar auch weitere Kreise für partizipative Aktivi- täten gewinnen. Eine wirklich breite partizipative Landschaftsentwicklung lässt sich jedoch nur über eine Institu- tionalisierung der direkten Partizipa- tion erreichen. Dies bedingt letztlich, dass die Gemeindepolitik eine Neuori- entierung erfährt und die Institution

«Gemeinde» neben ihrer Verwaltungs- tätigkeit primär eine Vermittlerrolle übernimmt.

4 Die Aktualisierung des Allmendgedankens in seiner Bedeutung für die Landschafts- entwicklung

Durch die vertiefte und konkrete Aus- einandersetzung mit der partizipativen Landschaftsentwicklung wurde insge- samt auch klarer, was es heisst, den Allmendgedanken zu aktualisieren.

Vom feudalistischen Allmendgedanken bleibt dabei lediglich die Idee des ge- meinsamen Gutes. Neu hinzu kommt, dass die Partizipation an der Alltags- landschaft:

– individuell erfolgt;

– nicht primär auf Rechten und Nor- men, sondern auf Konsens und ge- genseitigem Verständnis basiert;

– sich nicht auf bestimmte Flächen beschränkt, sondern sich auf das ganze Gemeindegebiet erstreckt.

Die Aktualisierung des Allmendgedan- kens bedeutet konkret, dass das öffent- liche, aber auch das private Land der Gemeinde den Bewohnern zur Partizi- pation offensteht. Und zwar insofern, dass es als normal und richtig angese- hen wird, wenn Bewohner das Gespräch und die Zusammenarbeit mit den Be- sitzern und Mitbewohnern suchen, um Land mitzunutzen und mitzugestalten.

Auf diese Weise wird die Alltagsland- schaft wieder, wie im traditionellen System, zum Lebensraum der Bewoh-

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Alltags- landschaft

Politik

Bevölkerung

Land- besitzer Land- lose geschützter Rahmen

le Eigenart der Gemeinde authentisch abbilden kann. Diese Aktualisierung entspricht – auf der gesellschaftlichen Ebene – dem Übergang von einer nor- mengeleiteten zu einer kommunikati- ven Lebenswelt, welchen HABERMAS

(1981) als unerlässlichen Schritt für eine gesunde gesellschaftliche Weiter- entwicklung bezeichnet.

Periurbane Gebiete bieten gerade durch die in der Regel negativ beurteil- ten Entfremdungserscheinungen be- sonders geeignete Voraussetzungen zur Förderung der direkten individuel- len Partizipation, da sich die Bewohner hier teilweise von ihrem dörflichen Kollektiv emanzipieren konnten, ohne dass bereits eine vollständige Entfrem- dung von der Alltagslandschaft statt- gefunden hat. Damit ergibt sich die Chance, dass die von Seiten des bishe- rigen Landschaftsschutzes aufgegebe- nen und als irreversibel zerstörten pe- riurbanen Landschaften eine Vorrei- terrolle in einem neuen Umgang mit Landschaft spielen könnten.

Literatur

BRÜGGEMANN, B.; RIEHLE, R., 1986: Das Dorf. Über die Modernisierung einer Idylle. Frankfurt a. M., Campus Verlag.

186 S.

BUCHECKER M.; BERZ T., 1998: Schlussbe- richt Teilprojekt «Lebendige Kultur- landschaft». Birmensdorf, WSL. 42 S.

(unveröffentlicht).

Abb. 12. Ideales Modell, wie die Bevölke- rung in der Moderne an ihrer Alltags- landschaft partizipieren könnte. Ein ge- schützter Rahmen bietet den Bewohnern die Möglichkeit, direkt – durch Kommuni- kation und Zusammenarbeit – auf ihre Landschaft Einfluss zu nehmen. Dadurch wird längerfristig auch die indirekte Partizi- pation verstärkt.

ner – allerdings nicht mehr zum kollek- tiven, sondern zum individuellen Le- bensraum.

Eine Aktualisierung des Allmend- gedankens auf der Basis der individu- ellen Partizipation ermöglicht damit eine wünschenswerte aktuelle Land- schaftsentwicklung, welche den heuti- gen Bedürfnissen der Bewohner ent- spricht und in welcher sich die kulturel-

BUCHECKER M., in Vorb.: Die Landschaft als Lebensraum der Bewohner – Nach- haltige Landschaftsentwicklung durch Bedürfniserfüllung, Partizipation und Identifikation. Dissertation, Universität Bern.

HABERMAS, J., 1981: Theorie des kommu- nikativen Handelns. Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frank- furt a. M., Suhrkamp. 641 S.

LADNER, A., 1991: Politische Gemeinden, kommunale Parteien und lokale Politik.

Eine empirische Untersuchung in den Gemeinden der Schweiz. Zürich, Seis- ma Verlag. 314 S.

NEESON, J.M., 1993: Commoners: common right, enclosure and social change in England, 1700–1820. New York, Cam- bridge Press. 382 pp.

PFISTER, C., 1997: Landschaftsveränderung und Identitätsverlust. Akzentverschie- bungen in der Modernisierungskritik von der Jahrhundertwende bis um 1970.

Traverse 1997/2.

RÖLLIN, P.; PREIBISCH M., 1993: Vertrautes wird fremd – Fremdes vertraut. Ortsver- änderung und räumliche Identität. Ba- sel, Helbling & Lichtenhahn. 184 S.

SCHENK, W.; FEHN, K.; DENECKE, D. (Hrsg.) 1997: Kulturlandschaftspflege. Beiträge der Geographie zur räumlichen Planung.

Berlin, Gebrüder Bornträger. 316 S.

SIEDER, R., 1987: Sozialgeschichte der Fa- milie. Frankfurt a.M., Suhrkamp. 359 S.

SCHNEIDER, K.H.; SEEDORF, H.H., 1989:

Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen. Hannover, Landeszen- trale für politische Bildung. 124 S.

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