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Küry, D. (1999). Natur in Ballungsräumen: eine soziokulturelle Perspektive. In M. F. Broggi (Ed.), Forum für Wissen: Vol. 1999. Biosphärenpark Ballungsraum (pp. 21-25). Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft.

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Natur ist einerseits ein Begriff für die Lebensgrundlage aller Organismen auf der Welt. Andererseits steht der gleiche Ausdruck auch für Bilder, die wir uns vom Natürlichen machen. Die Naturbilder in der Bevölkerung sind insbesondere in Ballungsräumen äusserst vielfältig. Besonders grosse Unterschiede bestehen zwischen Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern sowie Laien. Um die Natur in Siedlungen zu fördern und Konflikte zu vermeiden, muss der Naturschutz nicht nur die naturwissenschaftlichen Grundlagen, sondern auch die unterschiedlichen Naturbilder der Bevölkerung in seine Konzepte mit einbezie- hen.

Natur in Ballungsräumen: eine soziokulturelle Perspektive

Daniel Küry

Life Science AG, Basel

1 Natur in Ballungsräumen

Noch vor wenigen Jahrzehnten sind die meisten Naturschutzsachverständigen davon ausgegangen, dass Ballungsräu- me, und insbesondere Städte, keine nen- nenswerten Naturvorkommen aufwei- sen. Nach 1980 wurde aufgrund von Projekten in verschiedenen Städten immer klarer, dass die Städte reichhal- tige Naturschätze beherbergen (SUKOPP

1990, BLATTNER et al. 1985). Es zeigte sich, dass in Siedlungen charakteristi- sche Lebensgemeinschaften von Pflan- zen und Tieren leben. Diese Gemein- schaften bestehen aus einer erstaunlich hohen Zahl spontan vorkommender Gefässpflanzenarten. In einigen Grup- pen wirbelloser Tiere wie den Kurz- flüglern (Coleoptera, Staphylinidae), den Rüsselkäfern (Coleoptera, Curcu- lionidae) und den Spinnen (Araneae) kommen ebenfalls viele Stadtbewoh- ner vor (KLAUSNITZER 1993).

Nachfolgend werden exemplarisch einige Charakteristika dieser Lebens- gemeinschaften vorgestellt. Dies soll als Illustration der Lebensgemeinschaften dienen und zeigen, dass gerade die Un- tersuchung der urbanen Biotope ein überaus interessantes Forschungsthe- ma darstellt.

In der Vegetation der Städte kom- men neben zahlreichen ursprünglichen Florenelementen auch neu einge- brachte, d.h. hemerobe Arten vor.

Diese Arten sind teilweise in prähisto- rischer Zeit (Archäophyten) oder seit dem 15. Jahrhundert (Neophyten) ein- gewandert (WITTIG 1991). Was wir vor- finden, sind in hohem Masse dynami- sche Lebensgemeinschaften. Ihr Be- siedlungsvermögen auf freifallenden

2 Missverständnisse aus der Mehrdeutigkeit des Naturbegriffes

Natur ist nicht Natur. Dies ist das Fazit von Beobachtungen zur Entwicklung von Umgebungsgestaltung und Natur- schutz in Ballungsräumen. Das folgen- de Beispiel soll ein typisches Wahrneh- mungsproblem in Siedlungsgebieten veranschaulichen:

In Basel entfernte die Stadtgärtne- rei in öffentlichen Grünflächen Bo- dendecker und Mahonien-Sträucher und förderte statt dessen Ruderalvege- tation. Bei vielen Besucherinnen und Besuchern stiessen diese Massnahmen auf Unverständnis. Ähnliches geschah nach der Umgestaltung von Zierrasen zu Blumenwiesen; der Stadtgärtnerei wurde eine mangelhafte Pflichterfül- lung vorgeworfen.

Natur ist hier nicht Natur, weil in diesem Fall offenbar unterschiedliche Vorstellungen des Begriffs Natur auf- einander treffen. Eine Auseinander- setzung mit der Natur wird in solchen Situationen plötzlich zu einem Ver- ständnis- und Kommunikationspro- blem. Die Existenz dieses kommuni- kativen Missverständnisses ist jedoch erst wenigen bekannt. Der Konflikt bleibt deshalb so lange erhalten, bis beide Seiten auf das vorliegende Miss- verständnis aufmerksam werden.

Während einerseits bei einem gros- sen Teil der Bevölkerung die Bedeu- tung der spontanen Natur in Städten nicht bekannt ist, fehlt andererseits in Naturschutzkreisen oft ein Verständ- nis für die kulturelle und kulturge- schichtliche Bedeutung von Natur.

3 Natur als Ökosystem – Natur als kulturelle Konstruktion

Die unterschiedliche Wahrnehmung der Natur ist ein zentrales Problem der Entwicklungsplanung naturnaher Flä- chen in Siedlungen. Der Naturbegriff weist viele Facetten auf, die sich bei Flächen ist oft sehr gross und im Verlauf

von wenigen Jahren findet ein rascher Wandel der Vegetationszusammenset- zung statt. In vielen Fällen ist die Arten- zahl der Gefässpflanzen in Städten höher als im umgebenden Landwirt- schaftsgebiet (MCNEELY 1996).

In Abhängigkeit von der Distanz zu Siedlungen zeigen Lebensgemein- schaften teilweise starke Veränderun- gen ihrer Zusammensetzung. Stadt- Land-Gradienten sind v.a. bei Tieren untersucht und zeigen für xerotherme Arthropodengruppen am Stadtrand eine höhere Artenzahl als ausserhalb der Siedlungen (HAESELER 1972, KLAUS-

NITZER 1993).

Schliesslich kann der Ballungsraum als ein kleinräumiges Mosaik verschie- dener Lebensraumtypen dargestellt werden. Die vorhandene Bausubstanz und die aktuelle Nutzung bestimmen dabei als wichtigste Faktoren die Zu- sammensetzung der jeweiligen Lebens- gemeinschaft (KIENAST 1978, ZEMP et al.

1996).

Trotz dieser vielseitigen Themen beschäftigten sich bisher zu wenige Forscherinnen und Forscher mit der Natur in Ballungsräumen. Dies dürfte auch der Hauptgrund dafür sein, dass sich der Schutz und die Förderung von Natur in Siedlungsgebieten konzeptio- nell noch nicht als eigenständige Na- turschutzaufgabe entwickelt hat.

Ein anderer Grund für den unbe- friedigenden Erfolg des Naturschutzes im Siedlungsgebiet beruht aber auf ei- nem spezifischen Wahrnehmungspro- blem: Einerseits ist Natur in Siedlun- gen allgegenwärtig, andererseits wird sie nur von den wenigsten Leuten wahrgenommen.

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näherer Betrachtung stark unterschei- den. Ein erster Schritt zur Lösung der daraus entstehenden Missverständnis- se ist eine Darstellung der beiden am häufigsten gebrauchten Naturbegriffe.

Zwei bekannte Bedeutungen des Begriffs Natur sind die materielle Na- tur und die formale Natur. Als «natura naturata» umfasst Natur den naturwis- senschaftlich verstandenen Begriff oder unsere existentielle Lebens- grundlage, ohne die wir nicht leben könnten. Als «natura naturans» meint Natur die schaffende Natur oder die Natur der Dinge.

Der scheinbar einfache und ver- ständliche Naturbegriff erhält durch diese Differenzierung plötzlich eine komplexe Dimension. Im folgenden soll deshalb versucht werden, die un- terschiedlichen Auslegungen des Na- turbegriffes hinsichtlich der Konse- quenzen für unseren Umgang mit der Natur auseinanderzuhalten.

Die Natur als naturwissenschaftli- cher Begriff fasst die Gesamtheit der lebenden Organismen und ihrer unbe- lebten Umgebung zusammen. Diese befinden sich miteinander in einer Wechselwirkung. In dieser Form ist der Mensch Bestandteil dieser Natur und selbst an diesen Wechselwirkun- gen beteiligt.

Die Natur als eine kulturelle Erfin- dung, als Bilder oder Vorstellung von dem was natürlich ist oder sei, existiert nicht in einer festen Form. Die Natur- bilder änderten sich im Verlauf der

Jahrhunderte stark und sind in ver- schiedenen Kulturkreisen sehr unter- schiedlich ausgeprägt. In dieser Be- deutung wird der Ausdruck Natur in Naturschutzkreisen oftmals nicht wahr- genommen.

4 Unterschiedliche Natur- bilder

Für den Schutz und das Management der Natur ist es wichtig, die wichtigsten Naturbilder zu kennen. Welches sind die Naturbilder, die in der Bevölke-

rung besonders ausgeprägt sind? Zu dieser Frage bestehen keine systemati- schen Erhebungen oder Analysen.

Durch ihre Zentrumsfunktionen war die Stadt in ihrem Grundkonzept schon immer ein Ort, an welchem Leute von verschiedener Herkunft zusammentra- fen. Die Zuwandernden bringen dabei ihre lebensweltlichen Erfahrungen mit.

In städtischen Gebieten sind daher be- sonders viele unterschiedliche Natur- bilder zu erwarten.

Es gab in den letzten Jahren ver- schiedene Ansätze zur Charakterisie- rung und Erforschung der Naturvor- stellungen oder Naturbilder. Mit Hilfe der sogenannten Resonanzen haben HUNZIKER et al. (1994) versucht, die Übereinstimmung von Landschafts- qualität und persönlichen Eigenheiten und Empfindungen zu charakterisie- ren. Aufbauend auf dieser Methode versuchten RÜEDE et al. (1997) die Wahrnehmungen von Expertinnen und Experten sowie Laien zu charak- terisieren. In Anlehnung an die Typen- lehre von C.G. Jung wurden introver- tierte und extravertierte Funktionsty- pen bezüglich Wahrnehmung der Landschaft charakterisiert. Ein breites Spektrum von Ausdrucksformen der Natur in der Kultur hat FALTER (1995, 1998) am Beispiel der Fliessgewässer zusammengestellt: So symbolisieren Fliessgewässer u. a. seelische Grund- kräfte, die bei der Betrachtung der Landschaft wiederzufinden sind.

Zusammenfassend dürfte für die Be- sucherinnen und Besucher der Land- schaft in Ballungsräumen das jeweilige Abb. 1. Pflanzen auf Ruderalstandorten der Hafenareale oder der Bahnhöfe werden von

der Bevölkerung meist nicht wahrgenommen. An solchen Standorten gedeihen jedoch im Siedlungsgebiet viele Rote-Liste-Arten. Naturbilder von Experten sind meist von Aspek- ten wie demjenigen auf dieser Abbildung geprägt.

Abb. 2. Die Natur in Parks und Gartenanlagen soll die Pflanzen als lebende Organismen in ihrem Gegensatz zu den gestalteten Bauwerken zeigen. Flächen, die wie auf dieser Abbil- dung gestaltet sind, entsprechen dem Naturbild der breiten Bevölkerung.

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individuelle Erlebnis für die Beurtei- lung eine grosse Rolle spielen.

Ein interdisziplinäres Forschungs- projekt der Stiftung «Mensch Gesell- schaft Umwelt» (MGU) an der Uni- versität Basel über die Meinung der Bevölkerung zur Birsrevitalisierung lieferte Befragungsresultate, die diese Thesen stützen (Gloor und Meier, mündl. Mitt.). Über drei Viertel der nutzenden Bevölkerung beurteilten die Revitalisierung des Flussabschnitts in der Agglomerationsgemeinde Mün- chenstein gesamthaft als positiv. Der Beweggrund für diese positive Hal- tung war jedoch nicht eine Erhöhung des naturschützerischen Werts des Le- bensraums für Tiere und Pflanzen.

Vielmehr konnte eine Korrelation zwi- schen einer Erhöhung der Attraktivi- tät des Gebiets für die Naherholung und einer Zustimmung zur Revitalisie- rung festgestellt werden. In diesem Fall bestimmten die gestalterischen Qualitäten und nicht die naturwissen- schaftlichen Ziele der Revitalisie- rungsmassnahme die Akzeptanz.

Diese Befragungen bestätigen deut- lich, dass Vorstellungen von Natur oder Natürlichkeit bei den Laien und bei besonders geschulten Gruppen aus Naturschutzkreisen nicht die gleichen sind und stützen so die Hypothese der unterschiedlichen Naturbilder.

5 Probleme des Natur- schutzes im Siedlungs- gebiet

Da der Begriff Natur nicht eindeutig zu umreissen ist, hat der Naturschutz in Ballungsgebieten differenzierte Ziele nicht mit differenzierten Massnahmen anzugehen. Analog zu den zwei ver- schiedenen Naturbildern lassen sich bei der Formulierung der Ziele und Auf- gaben des Naturschutzes zwei Teil- aspekte unterscheiden.

Der eine Aspekt ist derjenige der beschreibbaren ökologischen Zusam- menhänge. Diese Seite fragt danach, was zu schützen ist oder welche Aus- wirkungen das Auftauchen oder das Verschwinden von Organismen hat.

Sie versucht ausserdem Antworten zu geben auf Fragen der folgenden Art:

Wie gross muss eine Tier- oder Pflan- zenpopulation sein, damit sie überle- ben kann? Welche Arten sind für das

«Funktionieren» des Naturhaushaltes besonders wichtig? Welches ist der

beste Massstab zur Dauerüberwa- chung der Biodiversität? In Form der Naturschutzbiologie hat sich in der Lehre und Forschung der Hochschu- len eine neue Disziplin der Biologie herausgebildet, die sich diesem The- ma widmet.

Im Naturschutz sind aber auch die soziologischen, gesellschaftlichen As- pekte wichtig. In diesen Bereich spielen typischerweise Fragen der nachfolgen- den Art hinein: Welche gesellschaftli- chen Gruppierungen unterstützen die Ziele des Naturschutzes? Welche Stra- tegie muss der Naturschutz vertreten, damit er politisch die notwendige Be- achtung erfährt? Bei welchen Bevöl- kerungsgruppierungen stossen Natur- schutzmassnahmen auf Akzeptanz? In den institutionalisierten Ausbildungs- gängen und Forschungsschwerpunk- ten der Natur- und der Sozialwissen- schaften werden aber solche Fragen bisher praktisch nicht behandelt (BRAND 1998).

Ein erfolgreicher Naturschutz der Zukunft kann nur ein Naturschutz sein, der sich in gleich hohem Mass um die sozialwissenschaftlichen Aspekte wie um die naturwissenschaftlichen In- halte kümmert. In besonders hohem Mass gilt dies für die Naturschutzpla- nung im Siedlungsgebiet.

6 Konflikte aus dem Vor- handensein unterschied- licher Naturbilder

Naturschutzplanung und -politik wer- den in immer grösserem Ausmass von naturwissenschaftlich ausgebildeten Fachpersonen umgesetzt. Diese Ent- wicklung ist besonders erfreulich, sind doch die anstehenden Probleme in den letzten Jahren immer komplexer ge- worden. Die Naturschutzplanung be- nötigt bei der Erarbeitung und Umset- zung der Konzepte eine fachliche Ba- sis.

Die fehlende Übereinstimmung der Naturbilder von Bevölkerung und Leuten der Naturschutzplanung birgt jedoch ein grosses Konfliktpotential.

Wenn plötzlich durch die Unterschutz- stellung einer Fläche die Hundehalte- rinnen und Hundehalter in andere Ge- biete verbannt werden, oder wenn in städtischen Grünanlagen Naturwiesen aufwachsen sollten, dann wird meist ein mehr oder weniger grosser Protest laut. Ein anderes Beispiel ist der Bau von Betonweihern in einer ehemaligen Auenebene in der Region Basel, die bei Spaziergängerinnen und Spazier- gängern auf Ablehnung stiess, obwohl die Erbauer sie als naturschützerische Aufwertungsmassnahme verteidigten.

Wie können diese Probleme aber von der Naturschutzseite angegangen werden? Am wichtigsten sind zweifel-

Abb. 3. Im St. Johannpark in Basel wurde versucht, die soziale und die ökologische Funktion in ein einziges Konzept zusammenzufassen. Die Flächen im Zentrum sind nach der klassischen Gartenbaukunst gestaltet, während die Randbereiche als nährstoffarme, offene Flächen für xerotherme Lebensgemeinschaften angelegt wurden.

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los das Erkennen der gesamten Proble- matik und die Entwicklung von Lö- sungsansätzen im Rahmen der Kom- munikation. Die Kommunikationsstra- tegie des Naturschutzes schenkte den unterschiedlichen Naturbildern bisher zu wenig Beachtung (KARGER 1996).

Unterschiede zeigen sich bei der Be- urteilung der Ursachen und ihren Fol- gen. Fachleute argumentieren dabei eher auf der Ebene der Fakten und ab- strakten Daten. Der Einfluss des Men- schen auf ein Naturschutzgebiet wird z. B. als Trittschaden eines bestimmten Ausmasses gemessen (GLOOR et al.

1999). Die Laien in der Bevölkerung sehen jedoch eher die verschiedenen Verursachenden und Handelnden im Mittelpunkt. Hier sind die Menschen handelnde Subjekte, die sich im Rah- men sozialer Normen bewegen.

Bei der Umsetzung von Massnah- men ergeben sich aus den unterschied- lichen Auffassungen wiederum diver- gierende Ansätze. Naturwissenschaft- lich ausgebildete Fachleute versuchen häufig, mit einem technisch-wissen- schaftlichen Management die Land- schaft zu verbessern. Die Vertreterin- nen und Vertreter einer eher funda- mentalistischen Naturschutzstrategie fordern hingegen eine Veränderung der gesellschaftlichen Ansprüche an die Landschaft.

7 Konsequenzen unter- schiedlicher Naturbilder für die Naturschutzpraxis im Siedlungsgebiet

Wenn unterschiedliche Naturbilder vorkommen, dann müssen Vorhaben, welche die Natur betreffen, mit einiger Sorgfalt und vor dem Hintergrund die- ser verschiedenen Auffassungen ge- plant werden. Dieses Vorgehen ver- sucht z.B. die Stadtgärtnerei in Basel bei der Pflege ihrer Grünflächen syste- matisch einzuschlagen.

Früher gab es in den Basler Parks neben Sträuchern praktisch nur kurz gemähte Rasen. Vor einigen Jahren stellten die Unterhaltsequipen der Stadtgärtnerei jedoch fest, dass sich auf gewissen Flächen bunte Blumen- wiesen entwickeln, sobald nicht mehr wöchentlich oder vierzehntäglich ge- mäht wird. In der Folge begannen sie, die Pflegepläne für die betreuten Ge- biete grundlegend zu überarbeiten.

Auf der einen Seite wurden stark genutzte oder repräsentative Flächen bezeichnet, die wie bisher unterhalten werden, beispielsweise die zentralen Rasenflächen in Parks oder die in tra- ditionellen Gartenbaustilen angeleg- ten Flächen vor repräsentativen Ge- bäuden wie dem Bahnhof SBB oder der Mustermesse.

Andere Flächen, mit früher inten- sivem Unterhalt, werden jetzt nach einem naturnahen Konzept gepflegt.

Dazu gehören etwa die Randbereiche in Parks, grössere Flächen in den Friedhöfen, Baumrabatten entlang grösserer Strassen.

Diese Umstellungen erwiesen sich zudem als wesentlich kostengünstiger als die bisherigen Massnahmen. Die Einsparungen auf der Seite der Unter- haltsarbeiten wurden gleich wieder in die Schulung des Personals investiert (vgl. KÜRY und RITTER 1998). Diese ist besonders wichtig, denn die Gärtnerin- nen und Gärtner in den Revieren sind diejenigen, welche die neuen Pflege- konzepte der Bevölkerung erläutern müssen.

Die Stadtgärtnerei versteht sich als Vorbild für den Unterhalt privater Grünflächen. Sie möchte zeigen, dass es nicht zur Unordnung führt, wenn eine gewisse spontane Entwicklung der Tier- und Pflanzenwelt ermöglicht wird, sondern faszinierend Schönes heranwächst, etwas das sich ins Stadt- bild einfügt. Im neuen Konzept der Stadtgärtnerei sind also «klassische

Gartenanlagen» und «spontan auf- wachsende Wildpflanzen» nicht Ge- gensätze, sondern Ergänzungen (vgl.

KÜRY 1997).

Ein anderes Beispiel findet sich in der Quartierzeitung für das untere Kleinbasel, einem Quartier mit einem hohen Ausländeranteil. Die viertel- jährlich erscheinende und konsequent dreisprachig (deutsch, türkisch, italie- nisch) geschriebene Zeitung veröffent- lichte 1997 eine Nummer mit dem Titel

«Naturoasen». Dies ist ein Versuch, die Stadtbevölkerung, die aus ganz un- terschiedlichen Kulturkreisen stammt, für die Natur in ihrer unmittelbaren Umgebung zu sensibilisieren. So soll Verständnis geschaffen werden für die Arbeit, welche die Stadtgärtnerei in den Quartieren verrichtet.

8 Neue Wege des Natur- schutzes in Siedlungen

Der konsequente Einbezug der Bevöl- kerung in den Umgang mit der Natur in Siedlungen liegt auf der Hand und dürf- te in den nächsten Jahren stark an Be- deutung gewinnen. Die Abnahme na- turnaher Flächen und die Beschneidung von Freiflächen kann bei steigenden Bevölkerungszahlen in Ballungsräu- men zu Konflikten führen.

Der Schutz naturnaher Flächen in Siedlungen ist langfristig nur möglich, wenn Planung und Unterhaltsarbeiten Abb. 4. Das Personal der Unterhaltsequipen muss sich nicht nur in neue Pflegemassnah- men einarbeiten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen auch den Sinn und Zweck der Umgestaltungen auf den Grünflächen kennen, damit sie die Bevölkerung vor Ort informieren können.

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mit den sozialen Funktionen der Natur in Siedlungen abgestimmt werden.

Damit Missverständnisse bei der Kommunikation zwischen unterschied- lichen Interessengruppen vermieden werden können, muss ein Bewusstsein über die Vieldeutigkeit des Naturbe- griffs in die Naturschutz- und Frei- raumplanung eingebracht werden.

Für die Aufgaben des Naturschut- zes stellen sich die folgenden Fragen:

Wie kann die Bedeutung, die naturna- he Flächen für die Lebensqualität von uns Menschen haben, plausibel ge- macht werden? Wie sind Bereiche ge- staltet, die die Qualitäten naturnaher Lebensraum und Lebensqualität für den Menschen auf der gleichen Fläche aufweisen? Welche Kommunikations- strategie muss der Naturschutz ein- schlagen, damit die Förderung natur- naher Lebensräume in Siedlungen auch als Verbesserung der Lebensbe- dingungen für die Menschen verstan- den werden kann (KARGER 1996)?

Der Naturschutz muss sich in den nächsten Jahren insbesondere in den Ballungsräumen konkret für eine Kommunikationsstrategie entschei- den, die schliesslich mithelfen kann, die Akzeptanz seiner Ziele zu stärken und den Wirkungsgrad der eingesetz- ten Mittel zu verbessern.

Wenn die Bedeutung soziokultu- reller Faktoren für die Natur im Sied- lungsraum in ihrer gesamten Tragwei- te erkannt wird, besteht die Chance, dass ein Naturschutzkonzept erarbei- tet werden kann, welches von der ge- samten Gesellschaft getragen wird.

9 Literatur

BLATTNER, M.; RITTER, M.; EWALD, K.C., 1985: Basler Naturatlas, 3 Bände, Basler Naturschutz, Basel.

BRAND, K.-W., 1998: Soziologie und Natur – eine schwierige Beziehung. Zur Ein- führung. In: BRAND K.-W. (Hrsg.): So- ziologie und Natur. Theoretische Per- spektiven (Reihe Soziologie und Öko- logie Bd. 2), Opladen, Leske + Budrich.

S. 9–29.

FALTER, R., 1995: Der Natur freien Lauf lassen – Das Paradigma Flusslandschaft.

Laufener Seminarbeitr. 4, 95: 37–54.

FALTER, R., 1998: Was kann ein Fluss für uns bedeuten? Natur und Mensch 40, 3:

30–37.

GLOOR, D.; MEIER, H.; KÜRY, D., 1999: Um- weltforschung und Sozialwissenschaften, Zur Resozialisierung der Renaturierung.

In: GURTNER, A.; SCHNEIDER-SLIWA, R., Gewässerrenaturierungen in Stadt und Agglomeration Basel, Basler Feldbuch, in press.

HAESELER, V., 1972: Anthropogene Bioto- pe (Kahlschlag, Kiesgrube, Stadtgärten) als Refugien für Insekten, untersucht am Beispiel der Hymenoptera, Aculea- ta. Zool. Jahrb. Syst. 99: 133–212.

HUNZIKER, P.; RÜEDE, A.; FRISCHKNECHT, P., 1994: Resonanzen als Ausdruck für Qualitäten von Lebensräumen – eine Methode? GAIA 3, 3: 337–345.

KARGER C., 1996: Naturschutz in der Kom- munikationskrise. Strategien einer ver- besserten Kommunikation im Natur- schutz. Schriftenreihe zur ökologischen Kommunikation 4: 1–28.

KIENAST, D., 1978: Die spontane Vegeta- tion der Stadt Kassel in Abhängigkeit

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KLAUSNITZER, B., 1993: Ökologie der Gross- stadtfauna, (2. Auflage) Jena, Fischer 454 S.

KÜRY, D., 1997: Basler Stadtnatur, faszinie- rende Vielfalt zwischen Asphalt und Beton, Basel, Amt «Stadtgärtnerei und Friedhöfe». 51 S.

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In: KÜTTEL, M.; THÉLIN, G., Nature for East and West, Congress in Basel (22–26 oct 1997), Proceedings SAEFL, Bern, S. 235–237.

MCNEELY, J., 1996: Conserving the real ur- ban jungle: a global perspective in biodi- versity and protected areas in cities, pre- sented to Urban Wilderness Conference Chicago, Illinois, 24 oct. 1996.

RÜEDE, A.; GARAVENTA, A.; DÜRRENBER-

GER, G., 1997: Laienwissen unter der Lupe. Zur Renaturierung der Töss im Linsental. Projektbericht Forschungs- schwerpunkt 1994–1997 der EAWAG, unveröff. Polykopie, 82 S.

SUKOPP, H. (Hrsg.) 1990: Stadtökologie: das Beispiel Berlin. Berlin, Dietrich Reimer Verlag.

WITTIG R., 1991: Ökologie der Grossstadt- flora, Stuttgart, Fischer 261 S.

ZEMP, M.; KÜRY, D.; RITTER, M., 1996: Na- turschutzkonzept Basel-Stadt, Amt

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Referenzen

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