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as Tauziehen um eine Neuordnung der Gebührenordnung für Ver- tragsärzte geht in eine weitere Runde. Mit einem gemeinsamen Re- formvorschlag haben die gesetzlichen Krankenkassen einen Gegenentwurf zu dem von der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung (KBV) entwickelten„EBM 2000 plus“ vorgelegt. Nach eige- nem Bekunden wollen die Kassen mit ihrem Modell die Versorgungsqualität verbessern und mehr Leistungsgerech- tigkeit erreichen.
Über die Neuregelung des EBM ver- handeln die KBV und die Spitzenver- bände der gesetzlichen Krankenkassen seit mehr als zwei Jahren. Besonders umstritten sind dabei die Praxisbudgets.
Die Zeit drängt: Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts ist eine Neube- rechnung der Praxisbudgets zwingend erforderlich. Demnach müssen sie bis Mitte 2003 entweder angepasst oder ab- geschafft werden, wenn die Honorarbe- scheide weiterhin „gerichtsfest“ sein sollen. Die Krankenkassen wollen die Budgets neu berechnen und weiter- führen. Die KBV will sie durch ihren EBM 2000 plus ablösen. Die Verhand- lungen im paritätisch besetzten gemein- samen Bewertungsausschuss zu den Praxisbudgets sind deshalb gescheitert.
Jetzt wird der erweiterte Bewertungs- ausschuss unter Vorsitz des emeritierten Bayreuther Arbeits- und Sozialrechtlers Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Gitter ein Schiedsurteil zu den Praxisbudgets fäl- len. Das gab es noch nie. Bisher konnten sich die Verhandlungspartner immer ei- nigen. Kassen und KBV stellen jeweils neun Vertreter. Die entscheidende Stim- me obliegt dem neutralen Vorsitzenden.
Das gleiche Prozedere droht nun auch bei den Verhandlungen über die EBM-Entwürfe von KBV und Kran-
kenkassen: Am 12. November werden die Modelle im gemeinsamen Bewer- tungsausschuss beraten (das Ergebnis der Sitzung stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest). Differenzen gibt es ins- besondere bei der Höhe des kalkulatori- schen Arztlohns. Die KBV will 87 Cent pro Arztminute, die Krankenkassen set- zen dagegen ihre Obergrenze bei rund 66 Cent fest. Sollte keine Einigung er- zielt werden, wird auch hier das Schieds- amt aktiv. Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung gab bereits Ende August grünes Licht für einen solchen Schritt.
Die Krankenkassen-Vertreter er- klärten bei der Präsentation ihres Re- formmodells in Berlin, dass allein ihr Vorschlag finanzierbar sei, während die Pläne der KBV zu einem Finanzie- rungsmehrbedarf von rund 65 Prozent führten. Dabei soll die Rolle des Haus- arztes als Lotse durch das Gesundheits- wesen gestärkt werden. Ferner erhoffen sich die Krankenkassen eine verbesser- te Kooperation zwischen Haus- und Fachärzten sowie eine optimierte Be- handlung chronisch Kranker.
> Der Hausarzt soll zusätzlich zur hausärztlichen Grundvergütung für je- den Versicherten, der ihn als Hausarzt gewählt hat, eine Strukturpauschale er- halten (50 Punkte). Der besondere Be- ratungs- und Betreuungsaufwand in der hausärztlichen Versorgung soll durch die Einführung eines „hausärztlichen Gesundheitsgesprächs“ honoriert wer- den (220 Punkte).
>Die Krankenkassen wollen die Zu- sammenarbeit zwischen Haus- und
Fachärzten durch eine „klare Struktu- rierung der Versorgungsaufträge“ ver- bessern. Leistungen des Facharztes können nur dann abgerechnet werden, wenn dem Hausarzt über diese Leistun- gen und ihr Ergebnis berichtet wird.
Um die Koordination zwischen Haus- und Fachärzten zu verbessern, sollen ferner bestimmte fachärztliche Leistun- gen nur noch auf Überweisung erbracht werden können.
>Als Instrument zur Mengensteue- rung dient eine Zusammenfassung von Einzelleistungen zu Leistungskomple- xen. In den Komplexen wird unterschie- den zwischen Leistungen, die immer er- bracht werden müssen, und Leistungen, die nur bei Notwendigkeit im konkre- ten Behandlungsfall zu erbringen sind.
> Als Anreiz zur Kooperation und zur Weiterentwicklung der Praxisstruk- turen ist ein Zuschlag auf den Ordinati- onskomplex in Höhe von 20 Prozent vorgesehen. Dieser wird immer dann gewährt, so der AOK-Bundesverband, wenn eine Praxisgemeinschaft diesen Komplex abrechnet.
>Bestimmte Leistungskomplexe sol- len die Behandlung von Patienten mit chronischen Erkrankungen regeln. Die- se Komplexe gelten zunächst nur für die Versorgung von Diabetes-Patienten, weil es bisher nur für diese Erkrankun- gen allgemein akzeptierte Leitlinien gibt. Der Diabetes-Komplex definiert jene Leistungen, die in jedem Quartal bei der Betreuung eines Diabetikers er- bracht werden müssen. Die EBM-Re- gelung soll auch unabhängig von ver- einbarten Disease-Management-Pro- grammen gelten.
Der EBM-Vorschlag der Kranken- kassen sei ein „müder Abklatsch unse- res eigenen Entwurfs“, kommentierte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, den Entwurf der Kassen. Die Kassenärzte würden hier
„zum billigen Jakob“ gemacht, weil die Krankenkassen lediglich Leistungen schlechter bewerteten. Beispiel: Für ei- ne Darmspiegelung seien die Kassen noch im Oktober bereit gewesen, 4 100 Punkte zu veranschlagen. Das hatten sie mit den Kassenärzten im gemeinsa- men Bewertungsausschuss bereits ver- einbart. Nun aber wollen sie nur noch 2 900 Punkte zugestehen. Samir Rabbata P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4615. November 2002 AA3065