A2836 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 43⏐⏐27. Oktober 2006
P O L I T I K
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ie Krankenkassen-Szene ist in Bewegung geraten: Nach der ersten länderübergreifenden Fusion zweier Kassen – der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Rheinland und der AOK Hamburg – Ende Juni 2006 kommt es jetzt erstmals zu ei- ner kassenartenübergreifenden Ko- operation zwischen gesetzlichen Krankenkassen, wenn auch be- schränkt auf den Bereich der Infor- mationstechnologie (IT). Die Allge- meinen Ortskrankenkassen Berlin,Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom- mern, Rheinland/Hamburg, Sachsen- Anhalt, Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe sowie die Barmer betreiben künftig ein gemeinsames Rechenzentrum in Wuppertal.
Die rasant voranschreitende tech- nische Entwicklung und die stei- genden Anforderungen an die IT stellen die Krankenkassen vor stän- dig neue Herausforderungen. „Na- hezu keine Aufgabe ist heute mehr ohne eine moderne und leistungs- fähige IT zu lösen. Komplexe Ver- sorgungsformen, wie die integrierte
Versorgung oder Disease-Manage- ment-Programme, sind ohne IT-Un- terstützung nicht denkbar“, begrün- dete Dr. Johannes Vöcking, Vor- standsvorsitzender der Barmer, das Gemeinschaftsprojekt. Ziel sei es, Synergieeffekte zu nutzen, Kosten zu verringern und mit modernen Softwarelösungen den Service für die Versicherten zu verbessern. Die acht Krankenkassen haben dazu im April 2006 die Arbeitsgemeinschaft
„GKV Informatik GmbH“ gegrün-
det, die für die beteiligten Kassen die komplette IT-Infrastruktur auf der Grundlage der von der AOK Systems entwickelten Branchensoft- ware „oscare“ einrichtet und be- treibt. Mittelfristig sollen dadurch Kosteneinsparungen von mindes- tens 13 Prozent im Bereich des IT- Betriebes erreicht werden. Die Ein- sparungen ergeben sich im Wesent- lichen aus der gemeinsamen Nut- zung zentraler Dienste, der Konzen- tration von zuvor fünf auf ein Rechenzentrum und verbesserten Preiskonditionen bei externen Part-
nern. Auf die IT-Kosten entfallen circa 20 Prozent der allgemeinen Kassenverwaltungskosten. Die rund 580 Mitarbeiter der GKV Informa- tik stammen fast alle aus den bishe- rigen IT-Bereichen der beteiligten Krankenkassen.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt betonte anlässlich einer Besichtigung des Rechenzentrums, damit sei der Beweis erbracht, dass eine Konzentration des Einzuges der Sozialversicherungsbeiträge über eine zentrale Stelle grundsätzlich möglich sei. „Das traditionelle Kas- senartenwesen muss nicht so beste- hen bleiben. Der Ansatz, dass kassen- artenübergreifend Effizienzgewinne angestrebt und Problemlösungen ent- wickelt werden, ist für die gesam- te gesetzliche Krankenversicherung vorbildhaft“, so Schmidt. Das ein- gesparte Geld – Versichertengeld – komme wieder den Versicherten zu- gute. Die Krankenkassen profitier- ten davon ebenso wie die Versi- cherten.
Die beteiligten Kassen betreuen über die virtuelle Clearingstelle zu- sammen nahezu ein Viertel aller ge- setzlich Versicherten. Man sei aber offen für weitere Partner von drau- ßen, erklärte Vöcking. Darüber hin- aus erhofft man sich Synergien bei Großprojekten wie der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und dem Ausbau der Vernetzung.
Die Daten und Anwendungen der beteiligten Kassen werden vollstän- dig getrennt voneinander gepflegt, sodass die kassenspezifische Profilie- rung im Wettbewerb gewährleistet bleibt. Darüber hinaus wurden in Ab- stimmung mit dem Datenschutz um- fangreiche Sicherheitsvorkehrungen realisiert. Unter anderem sind alle Systeme doppelt (an zwei Standor- ten) und mit unterschiedlichen Tras- sen für die Datenkommunikation aus- gelegt. Jede IT-Komponente wird in einer zentralen Leitstelle rund um die Uhr überwacht. Kameraüberwa- chung innerhalb und außerhalb des Gebäudes sowie Bewegungsmelder in allen sensiblen Bereichen gehö- ren zu den Sicherheitsvorkehrungen.
Zum Hochsicherheitsbereich der acht Großrechner gelangt man nur durch eine Personen-Schleuse. I Heike E. Krüger-Brand
KRANKENKASSEN
Kooperation im IT-Bereich
Sieben Allgemeine Ortskrankenkassen und die Barmer betreuen gemeinsam über ein zentrales Rechenzentrum fast ein Viertel der gesetzlich Krankenversicherten.
Erwarten Syner- gieeffektedurch das gemeinsame Rechenzentrum:
Ulla Schmidt und Johannes Vöcking bei der GKV Infor- matik in Wuppertal
Foto:dpa