190 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 11⏐⏐13. März 2009
M E D I Z I N
Winzige Fallzahlen
Auch nach sorgfältigem Durcharbeiten des Leitartikels kann ich nur feststellen, dass eine mögliche positive Wirkung von Bromocriptin auf den Verlauf dieser Er- krankung nicht einmal wahrscheinlich ist! Fakt ist, dass in Schwangerschaft und Stillzeit eine Abwehrschwäche besteht, die sich in erhöhter Infektneigung äußern kann.
Stressfaktoren wie Geburt, Schlafmangel, Auspowe- rung und ungünstige soziale Verhältnisse können diesen Faktor noch potenzieren. Genügend Gründe, um peri- partal zum Beispiel eine Virusinfektion zu erwerben, die auch einen foudroyanten Verlauf nehmen kann, zum Beispiel in eine Myokarditis. Dass dann nach den Richt- linien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie be- handelt werden sollte, ist naheliegend. Warum sollten die Patientinnen nicht stillen beziehungsweise Milch abpumpen? Hier wird bereits eine Conclusio geschlos- sen, ohne dass der Beweis erbracht ist. Die angeführten Studien kranken an den winzigen Fallzahlen. Bevor wie in der Südafrika-Studie Folgerungen aus der vermeint- lich erfolgreichen Behandlung von sechs (!) Patientin- nen gezogen werden, sollte eine gündliche Anamnese der Frauen erfolgen. Wieviel Zeit verstrich nach der Ge- burt, welches NYHA-Stadium bestand präpartal etc.
Selbst wenn eine Vergleichbarkeit der Gruppen be- stand, ist die Fallzahl immer noch zu klein, um daraus statistische Schlüsse zu ziehen.
Bei keiner der Studien wurde dokumentiert, ob ge- stillt wurde und wenn ja, wie lange? Wenn medika- mentös abgestillt wurde, mit Bromocriptin oder Caber- golin? Von den sechs Patientinnen aus Deutschland mit
„Heilversuch Bromocriptin“ zeigten alle nach sechs Monaten eine deutlich verbesserte Pumpfunktion, leider alle ohne Kontrollkollektiv. In der Einleitung dieses Ar- tikels wurde berichtet, dass sich circa 80 % sowieso er- holen. Amüsant fand ich dann schon die Untersuchung des Serumspiegels von oxidiertem Low Density Lipo- protein als Indikator für oxidativen Stress und die Ca- thepsin-D-Aktivität. Im Vergleich von PPCM-Patientin- nen zu gesunden stillenden Müttern hatten erstere einen stark erhöhten Titer: Jetzt wäre es interessant zu erfah- ren, ob die herzinsuffizienten Frauen auch wirklich voll gestillt haben! Vielleicht hat ein hoher Prolaktinspiegel als Indikator für eine funktionierende Stillbeziehung so- gar eine schützende Funktion? Wenn nicht eindeutige wissenschaftliche Beweise für die im Artikel geäußerte
These: „Bei PPCM-Patienten ist eine prolongierte The- rapie mit Bromocriptin zu erwägen“ erbracht sind, halte ich äußerste Zurückhaltung dabei geboten, die Einheit von Mutter und Kind durch eine Unterbrechung ihrer Stillbeziehung zu beeinträchtigen. Vielleicht könnte ab- ruptes Abstillen sogar zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes aufgrund von psychischer Beeinträch- tigung führen. DOI: 10.3238/arztebl.2009.0190
LITERATUR
1. Hilfiker-Kleiner D, Schieffer E, Meyer GP, Podewski E, Drexler H: Post- partum cardiomyopathie: a cardiac emergency for gynecologists, ge- neral practitioners, internists, pulmonologists and cardiologists. [Die postpartale Kardiomyopathie. Ein kardiologischer Notfall für Gynäkolo- gen, Hausärzte, Internisten, Pneumologen und Kardiologen]. Dtsch Arztebl Int 2008; 105(44): 751–6.
Dr. med. Swana Swalve-Bordeaux Bahnhofsstraße 11
24340 Eckernförde
E-Mail: swalve-bordeaux@gmx.de
In alle Organe embolisiert
Die postpartale Kardiomyopathie wurde bereits vor et- wa 50 Jahren von W. R. Meadows (1) unter Bezugnah- me auf Hull (2) beschrieben. Er schloss 1957 mit den Worten: „Das Syndrom einer idiopathischen Herzer- krankung im letzten Trimenon der Schwangerschaft oder im postpartalen Verlauf ist gekennzeichnet durch Stauungssymptome infolge primären Linksherzversa- gens, durch Brust- und Bauchschmerzen, in 25 bis 40 % durch embolische Phänomene, akuten Bluthochdruck, Herzstolpern, generalisierte Herzerweiterung, und eine Umkehrung der T-Welle im EKG. Die pathologischen Befunde, die ähnlichen auch ohne Schwangerschaft ent- sprechen, zeigen ein weiches, schlaff erweitertes Herz, in der Herzkammerwand Thromben, ein in unterschied- lichem Ausmaß verdicktes Endokard, herdförmige und diffuse Bereiche einer Herzmuskelnekrose, besonders in den subendothelialen Bereichen der Herzkammer- wand. Dabei sind die Koronararterien selbst immer un- auffällig. Etwa zwei Drittel der Fälle erfahren eine kom- plette klinische Wiedererholung, aber das Syndrom ten- diert dazu, sich bei erneuter Schwangerschaft zu wie- derholen“ (2).
Nach meiner Auffassung geht die Ursache der schwangerschaftsspezifischen Kardiomyopathie nicht auf Immunschwäche/Autoimmunisation, viralen Infekt, Vitaminmangel, Hautfarbe oder andere spekulative Hy- pothesen zurück; sie ist nicht multifaktoriell. Kongruen- te Indizien sind in der Literatur vielmehr die Klinik und kardiohistologisch embolische Befunde.
Für mich ist der Schluss zwingend, dass in die Ute- ruswand hineingewachsene Chorionzotten – Placenta accreta seu increta – Ursache der PPCM sind, die orga- nisiert, resorbiert und myriadenartig in alle Organe em- bolisiert werden. Funktionell fällt das im Gehirn auf zu dem Beitrag
Die postpartale Kardiomyopathie
Ein kardiologischer Notfall für Gynäkologen, Hausärzte, Internisten, Pneumologen und Kardiologen
von Prof. Dr. Denise Hilfiker-Kleiner, PhD, Dr. med. Elisabeth Schieffer, PD Dr. med. Gerd Peter Meyer, Dr. med. Edith Podewski,
Prof. Dr. med. Helmut Drexler in Heft 44/2008
DISKUSSION
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 11⏐⏐13. März 2009 191
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(Sehstörungen, Eklampsie/Präeklampsie) und durch plötzliche Herzinsuffizienz.
Eine accrete Plazenta ist nicht komplett zu kurettie- ren. Das bedeutet bei Sectio prophylaktisch die Hyster- ektomie. Und beim bedrohlichen postpartalen Verlauf, um das Leben der Mutter zu retten, die Uterusexstirpati- on – statt der ultima ratio einer Herztransplantation.
DOI: 10.3238/arztebl.2009.0191a
LITERATUR
1. Meadows WR: Idiopathic myocardial failure in the last trimester of pregnancy and the puerperium. Circulation 1957; 15: 903–14.
2. Hull E, Hafkesbring F: Toxic postpartal heart disease. New Orleans Med Surg J 1937; 89: 550–7.
3. Hilfiker-Kleiner D, Schieffer E, Meyer GP, Podewski E, Drexler H: Post- partum cardiomyopathie: a cardiac emergency for gynecologists, ge- neral practitioners, internists, pulmonologists and cardiologists.Die postpartale Kardiomyopathie. [Ein kardiologischer Notfall für Gynäko- logen, Hausärzte, Internisten, Pneumologen und Kardiologen]. Dtsch Arztebl Int 2008; 105(44): 751–6.
Prof. Dr. med. Jürgen Stoffregen Im Ostkamp 19 b
59427 Unna
E-Mail: jurgenstoffregen@gmx.de
Schlusswort
Leider erlaubt der zur Verfügung stehende Platz nicht, auf alle Aspekte einzugehen, die im Leserbrief von Frau Swalve-Bordeaux angesprochen werden, der interes- sierte Leser sei auf unsere Publikationen verwiesen (1, 2, 3). Für die gesamte Leserschaft wollen wir jedoch nochmals betonen, dass bei einer schweren Postpartum- Kardiomyopathie mit hoher Letalität beziehungsweise hohem Risiko, langjährig an Herzinsuffizienz zu leiden, eine umgehende Therapie mit β-Blockern und ACE- Hemmern indiziert ist. ACE-Hemmer können über die Muttermilch auf das Neugeborene übergehen, mit dem Risiko von Missbildungen. Daher ist Abstillen indiziert, mal abgesehen davon, dass in schweren Fällen die Frau- en so schwer herzinsuffizient und orthopnoeisch sind, dass Stillen kaum möglich ist. Bei 15 bis 20 % Morta- lität und 50 % persistierender Herzinsuffizienz-Sym- ptomatik (nur in 30 % komplette Erholung) sollte die Behandlung der Mutter im Vordergund stehen, damit sich langfristig eine gute Mutter-Kind-Beziehung ent- wickeln kann!
Wenn in dieser Situation aus klinisch-pharmakologi- schen Gründen Abstillen geboten ist, dann bietet es sich an, dazu Bromocriptin einzusetzen. Unsere Beobach- tungen legen nahe, dass eine prolongierte Bromocriptin- Therapie über zwei Monate eine substanzielle Erholung der Herzfunktion zur Folge hat. Mittlerweile haben wir die Verlaufsdaten von elf Patientinnen mit Anstieg von EF 25 % im Mittel auf 52 % nach sechs Monaten. Bei 10 Patientinnen ohne Bromocriptin war die „Ejection Fraction“ (= Auswurfsfraktion) von im Mittel 23 % auf 26,5 % angestiegen. Auch für die Kollegen an der Cha- rité und der Uniklinik Göttingen waren unsere Ergeb- nisse so eindrucksvoll, dass sie diese neue Option bei Patientinnen mit schwerer Postpartum-Kardiomyopa-
thie einsetzen, mit großem Erfolg. Wir haben in unse- rem Artikel betont und wiederholen es hier: Zum jetzi- gen Zeitpunkt ist diese zusätzliche Behandlung mit Bro- mocriptin nicht etabliert, aber rechtfertigt nach unserer Meinung in Übereinstimmung mit allen kardiologi- schen Experten, dieses neue Therapieprinzip jetzt in ei- ner randomisierten Multicenterstudie zu prüfen. Diese klinische Prüfung wird Anfang 2009 beginnen.
Herr Stoffregen skizziert anhand der ersten Arbeiten zur postpartalen Kardiomyopathie Klinik und patholo- gischen Befund des Herzens analog unserer Charakteri- sierung. Hingegen bleibt er schuldig, „zwingende Bele- ge“ für seine persönliche Theorie des Pathomechanis- mus dieser Erkrankung darzulegen. Weder gibt es kon- sistent eine histopathologische Dokumentation für Em- bolisation von Chorionzotten im Herzen, noch sind an- dere Organe dementsprechend befallen. Die eher hero- ische Hysterektomie verhindert sicher sowohl eine er- neute Schwangerschaft als auch das damit verbundene Risiko einer Postpartum-Kardiomyopathie!
Welche Patientin oder behandelnde Arzt würde eine Uterusexstirpation, deren Effektivität nie überprüft wur- de, der Bromocriptin-Therapie, deren erste Ergebnisse sehr ermutigend sind, zur Behandlung der schweren Postpartum-Kardiomyopathie vorziehen?
DOI: 10.3238/arztebl.2009.0191b
LITERATUR
1. Hilfiker-Kleiner D, Kaminski K, Podewski E et al.: A cathepsin D-cleaved 16 kDa form of prolactin mediates postpartum cardiomyopathy. Cell 2007; 128: 589–600.
2. Hilfiker-Kleiner D, Meyer GP, Schieffer E et al.: Recovery from postpar- tum cardiomyopathy in 2 patients by blocking prolactin release with bromocriptine. J Am Coll Cardiol 2007; 50: 2354-5.
3. Hilfiker-Kleiner D, Sliwa K, Drexler H: Peripartum cardiomyopathy: re- cent insights into its pathophysiology. Trends in Cardiovasc Med 2008; 18: 173–9.
4. Hilfiker-Kleiner D, Schieffer E, Meyer GP, Podewski E, Drexler H: Post- partum cardiomyopathie: a cardiac emergency for gynecologists, ge- neral practitioners, internists, pulmonologists and cardiologists. [Die postpartale Kardiomyopathie. Ein kardiologischer Notfall für Gynäkolo- gen, Hausärzte, Internisten, Pneumologen und Kardiologen]. Dtsch Arztebl Int 2008; 105(44): 751–6.
Prof. Dr. med. Helmut Drexler Klinik für Kardiologie und Angiologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover
E-Mail: Drexler.Helmut@MH-Hannover.de
Interessenkonflikt
Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.