Die Information:
Bericht und Meinung THEMEN DER ZEIT
"Mögliche künftige Hausärzte"
Rückschlüsse aus einer Meinungsbefragung
Franz Stobrawa
So umwerfend neu waren die Er- kenntnisse einer neuerlichen sta- tistischen Untersuchung des Bun- desministeriums für Jugend, Fami- lie und Gesundheit nicht. ("Unter- suchung über Hausärzte und mög- liche künftige Hausärzte." Ein Gut- achten von Infratest, München, im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesund- heit, 1976):
Bereits 1974 (Heft 35, Seite 2503 bis 2509) berichtete das DEUT- SCHE ÄRZTEBLATT über eine da- mals veröffentlichte und vom Bun- desgesundheitsministerium im Jahre 1972 in Auftrag gegebene Umfrage mit dem Titel "Berufs- absichten und Motivationen der deutschen Mediziner". Die Ein- stellung der befragten Mediziner zur Berufsentscheidung und -aus- übung, auch des Allgemeinprakti- kers übrigens, war vor vier Jahren schon Gegenstand der Meinungs- befragung. Taufrisch waren die Er- gebnisse dieser "aktualisierten"
Auswertung des gestrigen Materials keineswegs, vielmehr sollte in die- ser gesonderten Studie über das Allgemeinmediziner-Potential nach dem Willen der ministeriellen Auf- traggeber eine spezielle und ziel- gerichtete Aussage getroffen wer- den.
Ausgewertet wurden die Antworten von Medizinstudenten, Assistenz- ärzten sowie Ärzten im Kranken- haus und Ärzten, die sich erst vor kurzer Zeit niedergelassen hatten.
Sie sollten Licht in folgende Fra- gen bringen:
1. Welche Entwicklung ist im Be- reich "Allgemeinmedizin" auch im
Hinblick auf die gesamte ärztliche Versorgung künftig zu erwarten?
2. Was macht den Beruf des Allge- meinpraktikers für den medizini- schen Nachwuchs weniger attrak- tiv?
3. Welche Motive sind überhaupt für die Berufsentscheidung zum Allgemeinpraktiker bestimmend?
Aus dem Katalog der Ergebnisse kristallisierten und formulierten die Befrager Forderungen, die nach ih- rer Auffassung zu einer Vergröße- rung des Allgemeinpraktiker-Po- tentials führen könnten.
Allgemeinmedizin fördern
.,.. So ist es eine der Hauptforde- rungen, die Allgemeinmedizin als ein eigenständiges Fachgebiet an den Universitäten einzuführen; ne- ben traditionellen Fächern wie "In- nere Medizin" oder "Chirurgie". So wurde es als ein erfreulicher Schritt bezeichnet, daß zur Aufwer- tung des Berufsbildes die Bezeich- nung "Arzt für Allgemeinmedizin"
eingeführt wird.
.,.. Die Zuweisung neuer. Aufgaben- gebiete soll auch äußerlich die Ei- genständigkeit des Studienfachs dokumentieren. Die Befrager kom- men zur Erkenntnis, daß die Allge- meinmedizin einen Funktionsver- lust erlitten hat, den es aufzufüllen gilt. Dies müßte im Rahmen der Umgewichtung der heutigen Medi- zin von der diagnostizierenden und therapierenden zur präventiven ge- schehen. Die Zuweisung neuer Aufgabengebiete bedingt ferner die
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Erweiterung des Ausbildungsspek- trums auf die Vermittlung psycho- logischer und soziologischer Kenntnisse. So sind neue Aufgaben der Allgemeinmedizin künftig im Bereich der "sozialen Medizin" zu suchen. Neben präventiven Aufga- ben in der allgemeinmedizinischen Praxis sind Gesundheitsaufklärung und -beratung sowie eine stärkere psychosomatische Ausrichtung zu nennen .
.,.. Neben der besonderen Ausfül- lung des Fachs "Allgemeinmedi-
zin" ist auch bei der Reform des
Studienganges mehr Wert auf pra- xi~orientierte Ausbildung zu legen.
D1e neu einzurichtenden Lehrstüh- le für Allgemeinmedizin sollen den Studenten solche Fälle vorstellen die in der Allgemeinpraxis späte;
zur täglichen Routine gehören. ln diesem Zusammenhang wird gefor- dert, daß Praktika und Assistenz- zeit nicht allein in Krankenhäu- sern, sondern verstärkt auch beim praktizierenden Arzt zu absolvieren sind. Dadurch sollen die Divergen- zen zwischen Ausbildung und Be- rufsausübung verringert und damit die Niederlassungswahrscheinlich- keit erhöht werden. Die Befrager müssen anerkennen, daß durch die Ausgestaltung der neuen Approba- tionsordnung für Ärzte (AOÄ) ein erster Anfang in dieser Richtung unternommen worden ist.
.,.. Ferner soll durch die Verbesse- rung der Wechselbeziehungen zwi- schen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern dem jungen Assistenzarzt die Entscheidung, Allgemeinpraktiker zu werden, leichter gemacht werden. Bei Überweisung aus der Praxis ins Krankenhaus und umgekehrt soll die ausführliche gegenseitige Infor- mation über Diagnosen, Therapie~
ansätze und vor allem über ana- mnestische Daten zu einer Verbes- serung und Versachlichung der Atmosphäre beitragen.
Hinderlich für eine Niederlassung sind auch technische Schwierigkei- ten, die außerhalb des medizini- schen Sektors anzusiedeln sind. So bedarf es besonders eingehen-
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der Informationen des angehen- den Praktikers über die Vorausset- zungen zur Niederlassung (Praxis- gründung, Standortwahl, Sied- lungsdichte etc.). Es scheint also ein erhöhter Beratungsbedarf vor- zuliegen. Nach Auffassung der Be- frager müssen diese Informatio- nen bereits frühzeitig, zumindest aber in der Zeit der Weiterbildung zum Facharzt, dem Niederlas- sungswilligen übermittelt werden.
Neben theoretischer Information während der Studienzeit und prak- tischer Erfahrung in der Arztpraxis
— die im übrigen jedem angehen- den Arzt zur Pflicht gemacht wer- den sollte — sollte ferner eine ei- gene Institution installiert werden, an die sich der niederlassungswilli- ge Arzt wenden kann, um seine Entscheidung zu präzisieren. Von dort her müßte er Unterstützung und Beratung erhalten. Insgesamt sollen solche Informationen nützli- che Entscheidungsgrundlagen für die Niederlassung liefern. Daß dies bereits von den Kassenärztlichen Vereinigungen praktiziert wird, wird von den Verfassern der Aus- wertung hervorgehoben.
Als besonders erfolgreich werden die Bemühungen der Kassenärztli- chen Vereinigungen bezeichnet, die Niederlassungsentscheidung von einem starken finanziellen Risi- ko zu entlasten, das heißt, durch fi- nanzielle Anreize zur Sicherung der wirtschaftlichen Situation bei- zutragen, so daß auch in weniger attraktiven Gebieten — so auf dem Lande — eine Praxis eröffnet wer- den kann.
In diesem Zusammenhang werden auch die vergleichsweise geringe- ren Umsätze den Praxen der Allge- meinmediziner angesprochen und betont, daß hier ein finanzieller Ausgleich, der gleichzeitig Anreiz sein kann, angestrebt werden müs- se. Ansatz böten hier Änderungen der Gebührensituation. So würden bisher die rein kommunikativen Tä- tigkeiten des Arztes, die vor allem beim Allgemeinarzt anfallen, schlechter bezahlt als die attrakti- veren technischen.
Numerus clausus hindert
Als dringlichste Empfehlung ist der Wunsch der Befrager zu werten, die Numerus-clausus-Bedingungen alsbald zu ändern. Nach ihrer Auf- fassung sind Allgemeinpraktiker Menschen, die eher „handwerk- lich" begabt und sozial interessiert sind, nur selten aber wissenschaft- liches Engagement besitzen. Die- sem Zustand trägt die Regelung der Studienzulassung anhand von Notendurchschnitten nicht Rech- nung, da das Medizinstudium nur noch für die Klassenbesten, und das dürften in erster Linie wohl Wissenschafts- und Karriereambi- tionierte sein, wohl kaum angehen- de Allgemeinpraktiker, in Frage kommt.
Gruppenpraxen fördern
Die Arbeitsmöglichkeiten und Ar- beitshemmnisse in der Einzelpraxis werden oftmals von den Befragten als für die Niederlassung hinder- lich hervorgehoben. Die Befrager sehen deshalb in der Gruppenpra- xis diejenige Organisationsform, die geeignet ist, den fehlenden Kontakt zu Kollegen und die dau- ernde Bereitschaft für Notfälle auf- zufangen. Dies wird überhaupt als wichtigstes Argument gegen die Berufswahl zum Allgemeinpraktiker empfunden: Die dauernde Bereit- schaft, Notfälle auch nachts und am Wochenende zu versorgen.
Die Nachwuchssorgen in der Allge- meinmedizin können, und das ist eine wichtige Schlußfolgerung aus dem Katalog von Vorschlägen des befragenden Instituts, durch geziel- te Öffentlichkeitsarbeit zur Image- Verbesserung des Allgemeinprakti- kers in der Bevölkerung, verbunden mit einem Abbau der Vorurteile, be- hoben werden.
Anschrift des Verfassers:
Diplom-Volkswirt Franz Stobrawa Bundesärztekammer Haedenkampstraße 1 5000 Köln 41 (Lindenthal)
In den nächsten sechs Monaten:
Interviews
mit unseren Lesern
LA-MED-Aktion 77
Herausgeber, Verlag und Re- daktion sind in höchstem Maße interessiert zu erfah- ren, wie der Inhalt des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES von den ärztlichen Lesern genutzt und beurteilt wird.
Zwar erhält die Redaktion re- gelmäßig Briefe zu Einzelthe- men, überwiegend zustim- mende, ergänzende, fragen- de, aber auch widerspre- chende. Gemessen an der Gesamtheit der Leserschaft, kann das auf diese Weise be- kundete äußerst rege Interes- se der Leser oder wechseln- der Lesergruppen aber nicht für alle Bezieher des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES sta- tistisch-wissenschaftlich re- präsentativ sein.
Aus diesem Grunde beteiligt sich der Deutsche Ärzte-Ver- lag an einer Gemeinschafts- untersuchung von medizini- schen Fachzeitschriften (LA- MED, Leseranalyse medizini- scher Zeitschriften e. V., München). Im Rahmen dieser Aktion wird im Laufe der nächsten sechs Monate jeder fünfzigste Arzt in der Bun- desrepublik zur Nutzung und Beurteilung von Fachzeit- schriften, also auch des DEUTSCHEN ÄRZTEBLAT- TES, befragt werden.
Diese Untersuchung wird ausgeführt vom Institut für Verbrauchs- und Einkaufsfor- schung GmbH in Hamburg (IVE). Die zu befragenden Ärzte werden nach statisti- schen Methoden ermittelt.
Falls Sie zu den zur Befra- gung ausgewählten Ärzten gehören sollten, möchten wir Sie sehr herzlich bitten, dem Mitarbeiter des Instituts IVA Gelegenheit zu einem Inter- view zu geben. Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit!
Ihr
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 45 vom 4. November 1976 2841