Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
TAGUNGSBERICHT
Das Fortbildungszentrum der Lan- desärztekammer Hessen in Bad Nauheim war am 28. und 29. Febru- ar 1976 Schauplatz der Jahresver- sammlung des Deutschen Kassen- arztverbandes. Das Generalthema lag auf der Hand: Die steigenden Kosten im Gesundheitswesen und Maßnahmen, mit denen der Ko- stenflut begegnet werden kann. Ein berufspolitisches Grundsatzreferat des 1. Bundesvorsitzenden, Dr.
med. Helmuth Walther (Büttelborn/
Hessen), eine Podiumsdiskussion mit namhaften Vertretern aus der Politik, der Pharmaindustrie, der Krankenkassen, der Krankenhaus- gesellschaft und der Ärzteschaft gaben den beiden Versammlungs- tagen das Gepräge.
Vom Fleiß der Delegierten und Mit- glieder zeugte gut ein Dutzend Empfehlungen und Entschließun- gen. So billigte die Mitgliederver- sammlung eine vom Bundesvor- stand erarbeitete Resolution an die Kassenärztliche Bundesvereini- gung, wonach zwecks Kostensen- kung in Zukunft Überweisungen zu zusätzlichen ärztlichen Leistungen nur noch von den auf Originalkran- kenscheinen behandelnden Ärzten gegeben werden sollten. Von Ver- sicherten werden, häufig aus Un- kenntnis, bei den Kassenärzten Leistungen gefordert und veran- laßt, die nicht notwendig seien, wird in der Entschließung ausge- führt. Auch der Tatbestand, daß ärztliche Leistungen ohne Vorlie- gen eines ordnungsgemäßen Überweisungsscheines ausgeführt werden, müsse — außer in Not- fällen — unterbunden werden.
Die moderne medizinische Diagno- stik und Therapie sei so vielseitig,
daß eine ärztliche Indikation zur Ausführung von ärztlichen Leistun- gen vorliegen müsse. In diesem Zusammenhang wurde auch an die Krankenkassen appelliert, bei der Ausstellung von Zweit-Kranken- scheinen einen strengeren Maß- stab anzulegen und dazu vorher den behandelnden Arzt zu hören.
In einer weiteren Entschließung wird gefordert, um den Kostenan- stieg in den Griff zu bekommen, müßten — bevor von den Politikern der Sozialversicherung weitere La- sten aufgebürdet werden — die Fi- nanzierungsfragen geregelt wer- den. Man müsse auch den Mut zu unpopulären Entscheidungen auf- bringen. Darüber hinaus müsse von allen Beteiligten darauf hingearbei- tet werden, daß die Bürger mehr Selbstverantwortung und Gesund- heitsbewußtsein praktizieren.
Kritik an staatlichen Gebühren Kritisiert wurde von der Hauptver- sammlung, daß die Kostenbela- stung ärztlicher Praxen durch die Erhöhung der staatlichen Gebüh- ren immer größer werde. So seien die Eichgebühren von Blutdruck- meßgeräten innerhalb der vergan- genen zwei Jahre auf das Doppelte gestiegen (von fünf auf zehn Mark);
die Eichgebühr für eine Personen- waage wurde auf 40 Mark herauf- gesetzt. Bei Prüfungen von Rönt- gengeräten werden vom Techni- schen Überwachungsverein bei- spielsweise bei einer internisti- schen Röntgeneinrichtung Gebüh- ren von mindestens 1000 Mark ver- langt, abgesehen von den monatli- chen Unkosten für Auswertung der Röntgenplaketten und Durchfüh-
rung der Sicherheitsmaßnahmen.
Diese und weitere zusätzliche Be- lastungen für die ärztliche Praxis würden dazu führen, daß weniger in den Praxen investiert werde, was dann wiederum zu einer Ver- schlechterung der ärztlichen Ver- sorgung führen könne.
Bundesvorsitzender Dr. Walther, der sich in seinem berufspoliti- schen Grundsatzreferat für die Ho- norierung der ärztlichen Einzellei- stung einsetzte und sich gegen weitere Kürzungen der Laborlei- stungen wandte, stellte heraus, daß nach vorliegenden Abrechnungser- gebnissen für das erste Halbjahr 1975 sich zwar die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherun- gen gegenüber dem ersten Halbjahr 1974 um 9,11 Prozent erhöht ha- ben, dieser Zuwachs sich aber kei- neswegs in dieser Höhe auf die Honorare auswirke, wie fälschli- cherweise behauptet werde. Es müsse berücksichtigt werden, daß allein im vorigen Jahr die Zahl der Kassenärzte, vor allem in Stadt- randzonen und auf dem Lande, um rund drei Prozent zugenommen habe, so daß folglich der rechneri- sche Umsatz des einzelnen Kas- senarztes im Vergleichszeitraum nur um knapp sechs Prozent ge- stiegen sei. Hinzu kommen eine er- höhte Inanspruchnahme des um- fassenden Leistungsangebotes der sozialen Krankenversicherung und damit des Arztes, zusätzliche Aus- gaben für kassenärztliche Tätigkeit der Polikliniken und für ambulant tätige Institute sowie Ausgaben für Heimdialyse, ferner Ausgaben für Notfallbehandlung durch Nicht- kassenärzte und ambulante Kran- kenhausleistungen der ermächtig- ten Ärzte.
Dr. Walther bejaht, wie er betonte,
„vernünftige Verhandlungen mit den Krankenkassen" als Kostenträ- gern der medizinischen Versorgung der Bevölkerung über die Weiter- gabe eines gewissen Rationalisie- rungsrabattes für Laborleistungen, die von den Laborgemeinschaften durch Aufstellung von wirtschaft- lich arbeitenden Großanalysegerä- ten bewältigt werden können. Die
Der Kostenflut im Gesundheitswesen gemeinsam entgegenwirken
Jahresversammlung des Deutschen Kassenarztverbandes in Bad Nauheim
970 Heft 14 vom 1. April 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
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Ärzteschaft sei jedoch nicht bereit zuzulassen, daß das Prinzip der leistungsgerechten Vergütung der kassenärztlichen Tätigkeit kurzfri- stig über Bord geworfen werde.
Bei einer Podiumsdiskussion be- richtete Dr. Hanse, Vorstandsmit- glied im Bundesverband der Phar- mazeutischen Industrie, hinsicht- lich der Berliner Beschlüsse zur Kostendämpfung sei bislang ledig- lich die Einschränkung von Ärzte- musterlieferungen genehmigt wor- den. Daß dadurch möglicherweise auf die Kassen zusätzlich finanziel- le Belastungen zukommen könn- ten, die schwerlich abschätzbar sind, warf der Frankfurter AOK-Di- rektor Hans Georg Kraushaar ein.
Sicherlich sei manche kostenlo- se Arzneimittelverschreibung über den Gebrauch von Ärztemustern erfolgt. Dr. Hanse wies dann noch darauf hin, daß bisher 40 pharma- zeutische Firmen im Bundesgebiet die Bereitschaft zu verstehen gege- ben haben, ihre Preise im Jahr 1976 stabil zu halten.
Ministerialdirigent Wolfgang Kartte (Bundeswirtschaftsministerium) er- klärte, die Regierung habe sich das Ziel gesetzt, Maßnahmen zu größe- rer Transparenz des Arzneimittel- marktes zu treffen, um dadurch zur Kostendämpfung beizutragen. In diesem Zusammenhang gab er be- kannt, daß zur „Roten Liste" von seinem Ministerium Preisverglei- che zusammengestellt werden, um den Ärzten die Möglichkeit einzu- räumen, kostenbewußter Ver- schreibungen vorzunehmen. Auf die Selbstverantwortung der Ärzte- schaft wies der 2. Bundesvorsitzen- de des Kassenarztverbandes, Dr.
med. Bernhard Lingnau (Hamburg), hin, der in einem Fazit feststellte:
Der Arzt befindet sich in einer Schlüsselposition, der er sich be- wußt sein muß.
Für Kostentransparenz
Im Anschluß an eine Vorstandssit- zung des Deutschen Kassenarzt- verbandes befürwortete Bundes- vorsitzender Dr. Walther bei einem
Deutscher Kassenarztverband
Gespräch mit Pressevertretern in Frankfurt am Main Maßnahmen für eine Kostentransparenz auch in der Sozialversicherung. Um dem Sozialversicherten das Ausmaß der für ihn ausgeführten Leistungen of- fenzulegen, sollte am Ende eines Quartals eine Durchschrift der Ab- rechnungsziffern für den einzelnen Patienten der jeweils zuständigen Krankenkasse zugeleitet werden.
Dort habe der Versicherte dann die Möglichkeit, Einsicht zu nehmen, ohne daß Ausgaben für Porto oder Schreibkosten entstünden. Dr.
Walther fügte hinzu, grundsätzliche Bedenken gegen diesen Vorschlag könnten nicht erhoben werden, da ja auch jeder Privatversicherte eine spezifizierte Rechnung erhal- te. GM
ZITAT
Freiheit und Geld
„... Eine der großen Tragö- dien unseres ärztlichen Beru- fes ist es, daß die Freiheit immer mit dem Geld ver- wechselt worden ist. Es wird wohl allen klar, daß unsere berufliche Freiheit allmäh- lich, Zoll für Zoll, ausgehöhlt wird von Politikern, die, wie der alte Fabius, die offene Feldschlacht vermeiden und lieber heimlich vorgehen. Es könnte sein, daß wir eine hi- storische Entwicklung erle- ben, die wir nicht aufhalten können, aber ich glaube, wir sollten es wenigstens versu- chen. Eine der wichtigsten Aufgaben für Ärzte ist zur Zeit, deutlich zu machen, daß es uns nicht ums Geld geht, sondern um die Freiheit bei der Ausübung der Heilkunde;
und daß diese Freiheit auf lange Sicht für den Patienten sogar noch wichtiger ist als für uns."
J. E. Utting, Abteilung für An- ästhesie, Universität Liver- pool, in „Lancer, 31. Januar 1976
GESCHICHTE DER MEDIZIN
Die
Himmelsreisen der Schamanen
Fasten von Medizinmännern in Amerika
Eugen Heun
Fortsetzung und Schluß
Bei Kariben in Holländisch-Guyana dauerte nach Fr. Andres (1938) der Einweihungskurs für Medizinmän- ner vierundzwanzig Tage. Während dieser Zeit wechselten dreimal 24 Stunden, die nachts singend und tanzend, bei Tag in der Hängemat- te verbracht wurden, mit drei Un- terrichtstagen, an denen die Prüf- linge tagsüber nichts zu essen be- kamen, abends aber Tabaksaft, Ta- kinisaft und Kasiriwein tranken.
Dazu wurden Tabakblätter gekaut und Zigarren geraucht. Erregend wirkte wohl auch auf die Prüflinge, daß jeder von einem ihm zugeteil- ten Mädchen mit roter Farbe be- malt wurde, um den Geistern wohl- gefällig zu erscheinen. Der Kurs gipfelte in der Hervorrufung einer Ekstase, die als „Himmelsreise"
bezeichnet wird. Der eine oder an- dere Proband erlebte allerdings nur Übelkeit und lag zum Schluß totenähnlich am Boden, womit die Prüfung nicht bestanden war.
Wer bei den Kariben am Unterlauf des Maroni-Ffusses in Surinam Schamane werden will, muß nach Peter Kloos (1971) zunächst einen Auszug von der Rinde des Takini- Baumes trinken. Danach tritt ein fieberartiger Zustand ein, was als Wirkung von Geistern verstanden wird. Der Novize bleibt acht bis
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