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Archiv "Psychotherapie: Altes Bier aus neuen Hähnen" (05.12.2014)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 49

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5. Dezember 2014 A 2171

Das Leser-Forum

PSYCHOTHERAPIE

Es besteht eine erhebliche Nachfrage nach Richtlinien-Psychotherapie – bei begrenzten Ressourcen (DÄ 45/2014: „Richtlinien-Psycho- therapie: Die Entscheidung über die Notwen- digkeit ist komplex“ von Harald J. Freyberger und Michael Linden).

Die Braven und die Cleveren

Der Artikel erweckt den Eindruck, als müssten sich die Krankenkassen vor einer Flut von Psychotherapeuten schützen, die die Ausgaben im Gesundheitssystem ins Unermessliche steigen lassen. Dabei be- trugen 2010 die Ausgaben für ambulante Psychotherapie 1,5 Milliarden Euro, was einem Anteil von sechs Prozent an den ge- samten Honorarausgaben der gesetzlichen Krankenkasse für vertragsärztliche Leis- tungen entspricht. Demgegenüber ging laut Bundesregierung allein im Jahr 2008 ein Produktionsausfall von 26 (!) Milliar- den Euro auf psychische Erkrankungen zurück.

Die Ausgaben müssten begrenzt werden, dem Gutachterverfahren wird von (Gut- achter) Prof. Linden eine wichtige Rolle der Kontrolle attestiert. Das Gutachterver- fahren diene der „Ressourcen-Allokation“, auch genannt Priorisierung. Mir ist keine Facharztgruppe bekannt, die bei so gerin- gen Verdienstmöglichkeiten im Vergleich mit anderen Facharztgruppen ständig be- weisen muss, dass ihre Leistungen „not- wendig, indiziert, machbar, nützlich, hilf- reich, wünschenswert, wirtschaftlich oder optimal“ sind. Wir Psychotherapeuten stellen dreiseitige, klein gedruckte DIN-A4-Anträge, damit wir 25-stündige Kurzzeittherapien um weitere 20 Sitzun- gen ergänzen dürfen, um Therapien ange- messen fortführen zu können . . .

Man stelle sich vor, teure Untersuchun- gen, teils unnötige Operationen, Medika- mente gegen Herzinsuffizienz in fortge- schrittenen Stadien, Chemotherapien, an- dere lebensverlängernde Maßnahmen, In- tensivmedizin, teils langjährige nutzlose Psychopharmakotherapien müssten vorher beantragt und auf ihre „nachhaltige Wir- kung“ begutachtet werden. Da liegt doch ein echtes Einsparpotenzial, oder?

Welche Auswirkungen hat das leidige

Gutachterverfahren aber auf uns Thera- peuten?

Die „braven“ Therapeuten schieben die Anträge auf, stöhnen, investieren die Zeit schließlich, setzen sich mit Gutachtern, eventuell noch Obergutachtern auseinan- der, kämpfen für ihre Patienten und freuen sich über die Bewilligung wie Kinder über den Weihnachtsmann. Wenn sie Glück ha- ben, verdient der Ehepartner ganz gut, oder beide sind Therapeuten, dann geht’s irgendwie.

Die clevereren Kollegen machen nur noch Kurzzeittherapien, teilen den Patienten mit, dass die Kasse leider nicht mehr Sit- zungen übernehmen wird, die verärgerten Patienten wechseln zu braven Therapeuten, die noch mal stöhnen und Therapien unter erschwerten gutachterlichen Bedingungen, weil Therapeutenwechsel, beantragen.

Die betuchteren Kollegen investieren Geld in teure Zusatzausbildungen, werden Su- pervisoren und Dozenten, wechseln die Seite und werden selbst Gutachter und klagen darüber, dass selbst Gutachter für Langzeittherapien, so sie überhaupt noch ambulante Therapie anbieten, Anträge bei den Gutachterkollegen stellen müssen.

Die Mutigeren unter uns geben ihren Kas- sensitz ab, weil sie keine Lust mehr haben, sich für Billiglohn auch noch ständig kon- trollieren, einschränken und belehren zu lassen. Sie werden kreativ, innovativ, be- handeln Privatpatienten und Selbstzahler, bieten neben ausgezeichneten Psychothe- rapien auch noch Beratung und Coaching an, verdienen ehrlich gutes Geld, freuen sich des Lebens, während die Braven spät- abends noch an ihren Gutachten sitzen . . .

Dr. med. Johannes Abel, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 66954 Pirmasens

Getarnte Polemik

Die Autoren stellen in ihrer als Artikel ge- tarnten Polemik zur Psychotherapie ganz einfach das fest, was für die gesamte so- matische Medizin gleichermaßen gilt: Viel Medizin ist teuer, wenig ist billig, gar kei- ne kostet gar nichts.

Ich stelle daher analog folgende Forderung an unsere somatisch tätigen Kollegen am Beispiel des Diabetes mellitus Typ II: Vor jeder Behandlung ist ein Gutachten einzu-

holen mit Bericht (Zeitaufwand der Be- gründung je nach Komplexität bis zu fünf Stunden, Honorar dem der Psychothera- pieanträge angeglichen, also gesetzlicher Mindestlohn). Andernfalls Abschaffung aller Behandlung und aller prophylakti- schen Maßnahmen, die Spätfolgen verhin- dern sollen; medizinische Behandlung erst, wenn das Kind in den Brunnen gefal- len ist, also zum Beispiel Abwarten der Amputationsfähigkeit oder Einrichten ei- nes Shunts zur Dialyse . . . Der Erfolg bei Anwendung auch bei unbewegten Herz- Kreislauf-Kranken, rauchenden Bronchiti- kern etc.: überflüssige Praxen, mehr Geld in den Kassen, kein Ärztemangel mehr. In welcher gedanklichen Steinzeit bewegen sich die Psychotherapiegegner denn im- mer noch wider alle Studien, nach denen PT nicht zulasten sondern zum Nutzen der Solidargemeinschaft geht, weil die Men- schen bei einer erstaunlich hohen, von der Medizin bislang nicht erreichten Erfolgs- quote profitieren, weniger krank werden, weniger frühberentet werden müssen, we- niger arbeitslos werden etc.? Psychothera- pie erfordert im Gegensatz zum Pillen- schlucken von den Patienten einen erhebli- chen Kraft- und Zeitaufwand und den Mut zur Innenschau, zu dem wohl nicht einmal alle Mediziner bereit wären (vielleicht rührt daher auch die Angst davor) . . .

Dr. med. Kurt Schulz, Facharzt für Psychosomatische Medi- zin und Psychotherapie, 83024 Rosenheim

Altes Bier aus neuen Hähnen

Ja, es ist wahr: Es gibt einen großen Be- darf für Psychotherapie in unserer Gesell- schaft. Psychotherapie kann je nach Dia- gnose präventiv, kurativ, als alleinige The- rapie oder auch zur Begleitung oder Un- terstützung anderer therapeutischer Maß- nahmen eingesetzt werden. Sie kann kurz- fristig wirksam sein oder ein langfristiges Erfordernis. Harald J. Freyberger und Mi- chael Linden führen eine Vielzahl sinnvol- ler und evidenzbasierter Möglichkeiten für die Anwendung psychotherapeutischer Behandlungen auf.

Was in ihrem Beitrag für das DÄ dann al- lerdings folgt, ist eine in wohlgesetztere Worte gekleidete Version der launigen Aussage des Vorsitzenden des Gemeinsa-

B R I E F E

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A 2172 Deutsches Ärzteblatt

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5. Dezember 2014 men Bundesausschusses (G-BA), Josef

Hecken, aus dem vergangenen Jahr: Man benötige nicht für jeden Bürger einen Psy- chotherapeuten, eine Flasche Bier tue es manchmal auch. Die Ausgangsthese, auf der Freyberger und Linden argumentieren, lautet schlicht: Wir werden uns niemals genügend Psychotherapeuten leisten, um den tatsächlich vorhandenen Bedarf zu be- friedigen. Also muss der Bedarf so defi- niert werden, dass er zum vorhandenen Angebot passt. Es geht also in diesem Bei- trag nicht um eine überfällige realistische Bedarfsplanung für ambulante psychothe- rapeutische Versorgung, sondern darum, einen als quasi naturgesetzlich festgestell- ten Mangel zu verwalten . . .

Vielleicht gibt es für all die Patienten/-in- nen, die dann von der ambulanten psycho- therapeutischen Versorgung für immer ab- geschnitten werden, wenigstens eine Fla- sche Bier auf Rezept. Wir bevorzugen al- lerdings, gemeinsam mit allen Verantwort- lichen guten Willens im Gesundheitswesen für eine psychotherapeutische Versorgung, das heißt für eine fachlich begründete Be- darfsplanung und für differenzierte und sachgerechte psychotherapeutische Ange- botsstrukturen, zu kämpfen, die tatsächlich zweckmäßig, wirtschaftlich und am Bedarf der Patienten/-innen ausgerichtet ist.

Rudi Merod, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, Berufsverband Psychosoziale Berufe e.V., 72076 Tübingen

GERONTOLOGIE

Das Gehtempo und die Variabilität der Schritte geben klare Hinweise auf die Muskelmasse und die geistige Fitness (DÄ 44/2014: „Der Gang verrät viel über den Gesundheitszustand im Alter“ von Dorothee Hahne).

Umdenken erforderlich

Die wissenschaftlichen Ergebnisse zur Be- deutung von Bewegung im Alter auf die kognitive Leistungsfähigkeit fordern dem- nach ein totales Umdenken in Bezug auf

„seniorengerechtes Wohnen“. Die logische Folge aus den Erkenntnissen muss also sein: bitte nicht „barrierefrei“!

Im Alter muss man also Treppen steigen:

möglichst gezwungenermaßen. Ergo: Stu- fen einbauen, Maisonette-Stil, überall kleine Hürden, der Weg zwischen Bett und Esstisch kann also nicht weit und komplex genug sein – damit das Gehirn wach und aktiv bleibt. Auf keinen Fall im

Bett füttern! Da trocknet das Hirn dann wohl am raschesten ein.

Zu fordern sind evidenzbasierte Maßnah- men für Senioren!

Dr. med. Friederike M. Perl, 70372 Stuttgart

von Bewohnern verantwortungsvoll zu er- mitteln und umzusetzen – das Ergebnis ist dann die starre Umsetzung von Pflegezie- len und einer Kalorien- und Flüssigkeits- zufuhr, die sich an Senioren mit Lebens- willen und erlebtem Lebenssinn orientie-

ren.Hochbetagte Patienten/-innen werden in der modernen Medizin nach Leitlinien behandelt, die anhand von Studien mit viel jüngeren Teilnehmern/-innen entwi- ckelt wurden. Geboten wäre statt reflexar- tiger Indikationsstellung eher zuvor ein empathisches Gespräch mit hochbetagten, multimorbiden Patienten/-innen – mög- lichst gemeinsam mit Angehörigen – über grenzwertigen oder fragwürdigen Benefit belastender Therapien im Vergleich zum Spontanverlauf und ähnliche Inhalte einer verantwortungsvollen Nutzen-Risiko-Ab- wägung.

Doch das „leistungs-“bezogene Abrech- nungssystem, die Furcht vor Unterlassung unter anderem machen das Ausloten der sinnvollen Grenzen in der individuellen Behandlungssituation zu einem ärztlichen Handeln für Idealisten – und begünstigen daher den aktionistischen Verbrauch gi- gantischer materieller und personeller Ressourcen.

Dr. Heinrich Günther, 01259 Dresden

STERBEHILFEGESETZ

Über eine gesetzliche Regelung will der Bun- destag im nächsten Jahr entscheiden (DÄ 43/2014: „Die Vorschläge konkretisieren sich“

von Eva Richter-Kuhlmann).

Erhebliche Ressourcen notwendig

Die Forderungen nach Stärkung der Pal- liativmedizin sind zweifellos ethisch ver- antwortungsvoll. Doch sie sollten auch thematisieren und hinterfragen, woher die personellen und finanziellen Ressourcen in einer alternden Gesellschaft kommen sollen, diese Anforderungen umzusetzen.

Sonst stellt man nur Wunschlisten auf, de- ren Umsetzung zum Beispiel am Mangel an Pflegepersonal scheitern wird. Dass dies schon in naher Zukunft den sozialen Druck zur Legalisierung von assistiertem Suizid und/oder aktiver Sterbehilfe massiv erhöhen dürfte, wird viel zu wenig thema- tisiert.

Zwei mögliche Quellen erheblicher Res- sourcen sollten deshalb tabulos diskutiert und verantwortungsvoll erschlossen wer-

den:In Pflegeheimen – beschönigend oft mit

„Seniorenresidenz“ bezeichnet – sind tag- täglich tausende Pflegende emotional am Limit, weil sie schwerstbeeinträchtigten Bewohnern Kalorien und Flüssigkeit zu- führen sollen, auch wenn diese klare ver- bale oder nonverbale Zeichen der Nah- rungsverweigerung geben. Mit solchen ethischen Konflikten in der täglichen Ar- beit werden die Pflegenden meist alleinge- lassen – Folgen wie Burn-out, hohe Fluk- tuation usw. sind die Folge und bekannt.

In der Palliativmedizin gilt das Lindern leidvoller Symptome wie Schmerz, Hun- ger und Durst als gebotenes Handeln, wenn der Verzicht auf Lebensverlänge- rung gerechtfertigt ist. In stationären Pfle- geeinrichtungen jedoch fehlen oftmals die kommunikativen Ressourcen, den Willen

MANNHEIMER UNIKLINIK

Alfred Dänzer ist nicht mehr Geschäftsführer der Mannheimer Uniklinik (DÄ 44/2014: „Mann- heimer Uniklinikum: Dänzer zurückgetreten“).

Semantik der Realität

Immer häufiger wird in der Tagespresse die Funktionsbezeichnung „Klinikchef“

verwendet, wenn der Verwaltungsleiter gemeint ist. Neuerdings bezeichnet auch das DÄ einen Geschäftsführer als Klinik- chef. Wahrscheinlich erfolgt die Umdeu- tung dieses Begriffs in den Medien auch deshalb, weil damit die dominante Stel- lung des Verwaltungsleiters im heutigen durchökonomisierten Krankenhaus zum Ausdruck kommt, gegen die der eigentli- che Klinikchef, nämlich der Chefarzt, oft nur schwer ankommt. Hier folgt also die Semantik der Realität und Friedrich Schil- ler würde sich wundern, dass seine These über die „Sprache, die für Dich dichtet und denkt“ auf diese Weise bestätigt wird.

Prof. Dr. med. Hans-Dieter Göring, Tumorzentrum Anhalt am Städtischen Klinikum Dessau e.V., 06847 Dessau-Roßlau Leserbriefe per E-Mail richten Sie bitte an leserbriefe

@aerzteblatt.de, Briefe an das Deutsche Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln. Die Redaktion wählt Briefe zur Veröffentlichung aus und behält sich Kürzungen vor.

B R I E F E

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