SPEKTRUM LESERBRIEFE
Berliner Positivliste
Zu dem „Seite eins"-Beitrag „Haupt- städtische Hybris" von Norbert Ja- chertz in Heft 33/1995:
Ausgesprochene Negativliste
. . . Die Berliner Positivli- ste ist eine ausgesprochene Negativliste: Hier wird die se- gensreiche Anti-Parkinson- Behandlung (Punkt 8) völlig verrissen. Ich danke außeror- dentlich für den Hinweis, daß Krankengymnastik bei dieser Erkrankung einbezogen wer- den muß. Leider ist sie eben- sowenig bezahlbar wie die medikamentöse Behand- lung! Bezüglich der Behand- lung der Multiplen Sklerose darf darauf hingewiesen wer- den, daß die Interferon-Be- handlung, die jetzt jeder ge- eignete Patient erwarten kann, 30 000 DM pro Jahr kostet.
Die KV und die AOK sind in diesem Prozeß nicht untätig geblieben, wenn man an das Spielchen mit den Ko- dex-Ärzten denkt. Auch hier ist es mehr als zweifelhaft, daß sich die anstehenden ge- sellschaftlichen Probleme da- mit lösen lassen. Vorab zu den Medikamentenkosten sollte doch jede Krankenkas- se, besonders im Hinblick auf 1997, heute schon festlegen, bis zu welcher Höhe sie die Medikamenten- und Heilmit- telkosten übernimmt.
Wolfgang Winkler, Franz- Stenzer-Straße 21, 12679 Berlin
Therapiefreiheit gleich Honorarverlust
Unter dem politisch ange- ordneten Arzneimittelbud- get ist nur noch eine Verord- nung derjenigen Arzneimit- tel möglich, die in Doppel- Blind-Versuchen sich als nachgewiesen hilfreich be- stätigt haben.
Für ein Mehr an medika- mentöser Zuwendung gleich Therapiefreiheit (die von Plazebopräparaten bis zu vie- len Venen- und Lebermedi-
kamenten, Mineralstoffen und Schlafmitteln reicht) be- steht zwar eine ärztliche Indi- kation, eventuell sogar eine ärztliche Verpflichtung im Sinne des subjektiven Hel- fens, das Geld dafür muß je- doch von den Ärzten den Kranken geschenkt werden.
Die Gleichung lautet also:
Arzneimittelbudget gleich Positivliste — Therapiefrei- heit gleich Honorarverlust.
Auf Fortschritte in der Arzneimitteltherapie und auf die geänderte Altrsstruktur einschließlich der zahlreichen sogenannten Frührentner, die Zuwanderer und die Arbeits- losigkeit muß dabei außer- dem hingewiesen werden.
Dr. med. Bernd-J. Kölmel, Parlerstraße 55, 70192 Stutt- gart
Nichtverschreibung spart Milliarden
. . . Für eine rationale pharmakologische Therapie sind die in der Liste aufge- führten Präparate sicherlich hinreichend, wobei in Einzel- fällen weitergreifende Aus- nahmen gestattet sein mö- gen. Ich frage mich nur, was Ärzte und deren Standesor- ganisationen sich um die wirt- schaftlichen Interessen der pharmazeutischen Industrie, und darum geht es offenbar in diesem Artikel, zu scheren haben. Als Hautarzt sehe ich täglich viele Patienten, die mir von vorbehandelten Ärz- ten verordnete oder selbst gekaufte Medikamente vor-- legen, deren Nutzen sich in erster Linie im Umsatz der pharmazeutischen Industrie, allenfalls noch als Plazebo niederschlägt, ironischerwei- se vielleicht noch für den Hautarzt, der die Nebenwir- kungen der Präparate zu be- handeln hat oder den Patien- ten über die Wirkungslosig- keit der versuchten Behand- lung aufklären muß.
Ohne für mich wirt- schaftspolitische oder wett- bewerbsrechtliche Kompe- tenz zu reklamieren, kann ich mir sehr wohl vorstellen, daß die bei Nichtverschreibung derartiger Präparate gespar-
ten Milliardenbeträge eine Kostenersparnis bringen, die den Patienten nicht schadet und den Ärzten auf dem We- ge einer Umverteilung von Kosten für Therapeutika zu- gunsten diagnostischer, the- rapeutischer beratender Maßnahmen nützen würde.
Eine hauptstädtische Hybris
Schulärzte
Zu dem Leserbrief „Zu begrüßen" von Dr. med. Rolf E. Ullner in Heft 33/1995, der sich auf den Beitrag von Heike Korzilius in Heft 25-26/1995
„Gesundheitserziehung und Gesund- heitsförderung: Stärkere Einbindung der Ärzte in die Schule" bezog:
Keine Konkurrenz oder Kontrollinstanz
. . . Bereits vor der Ein- schulung werden die meisten Kinder, die einen Kindergar- ten oder eine Tagesstätte be- suchen, von uns im jährlichen Abstand in den jeweiligen Einrichtungen untersucht.
Dadurch, daß wir in die Ein- richtungen gehen, erreichen wir auch die Kinder, die nicht an den Vorsorgeuntersuchun- gen teilgenommen haben. Bei den auffälligen Befunden er- halten die Eltern eine schrift- liche Nachricht mit der Bitte um eine Vorstellung bei der Kinderärztin/dem Kinder- arzt. Außerdem erhalten wir beim persönlichen Gespräch vor Ort mit den Eltern und Erzieherinnen gerade auch bei sogenannten Brenpunkt- Kindern viel eher und umfas- sender objektive Informatio- nen über die Entwicklung und das Sozialverhalten der Kinder, da wir unabhängig von Krankenscheinen, wirt- schaftlichen Bedingungen und Zeitrahmen einer Praxis arbeiten können.
Die Ergebnisse unserer anonymen Statistik über den allgemeinen Gesundheitszu- stand der Lernanfängerin- nen/fänger (zu erfragen über IDIS-Statistik Bielefeld) be- weist, wie häufig auffällige Befunde zum ersten Mal bei unseren Untersuchungen er-
kann ich bei den Urhebern der „Berliner Positivliste"
überhaupt nicht ausmachen.
Wer sind denn wir Ärzte, daß wir uns zu Sach- waltern der Interessen der Pharmaindustrie machen müssen? .. .
Dr. med. T. H. Rüther, Elisa- bethstraße 34, 24143 Kiel
kannt wurden. Daß Sie unsere Arbeit als überflüssige Mas- senuntersuchung darstellen, ist eine unverschämte Diskri- minierung. Maximal unter- sucht eine Ärztin/Arzt an ei- nem Vormittag 12 bis 15 Kin- der in der Zeit von 8.15 bis 12.00 Uhr. Es ist wohl unwahr- scheinlich, daß bei dieser
„Massenabfertigung" eine Kinderarztpraxis überleben könnte. Daraus folgt, daß die Schulärztinnen/ärzte pro Kind mehr Zeit zur Verfügung ha- ben als die niedergelassenen Kolleginnen/Kollegen. Es reicht auch nicht aus, lediglich die Ergebnisse aus der U9 als Beurteilung zur Schulfähig- keit heranzuziehen.
. . .Alle Aufgäben, die mit der Einschuluntersuchung noch verbunden sind (Ge- spräche mit den Eltern, Schulleiterinnen/leitern, The- rapeutinnen/Therapeuten, Erzieherinnen/Erziehern, Ju- gendamt etc.), werden zusätz- lich geleistet und würden den zeitlichen Rahmen einer kin- derärztlichen Praxis spren- gen. Wir möchten nicht nur Kritik über, sondern auf mehr Verständnis für unsere Arbeit und zukünftig bessere Zu- sammenarbeit zwischen den niedergelassenen Kollegin- nen/Kollegen und den Ge- sundheitsämtern hoffen.
Wir sehen uns nicht als Konkurrenz oder Kontrollin- stanz, sondern als unabhängi- ge Kolleginnen/Kollegen im öffentlichen Dienst, die be- sonders mit präventiven Auf- gaben des Gesundheitswe- sens betraut sind . . .
Dr. med. 0. Hintze in Zu- sammenarbeit der Schulärz- tinnen des Kreises Lippe, Gesundheitsamt, Felix-Fe- chenbach-Straße 5, 32756 Detmold
A-2518 (8) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 39, 29. September 1995