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Archiv "Bürokratie in Praxen und Krankenhäusern: Vom Versuch, den Alltag in Ziffern zu pressen" (30.03.2012)

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30. März 2012

BÜROKRATIE IN PRAXEN UND KRANKENHÄUSERN

Vom Versuch, den Alltag in Ziffern zu pressen

Das „Bürokratiemonster“ verdirbt vielen Ärztinnen und Ärzten die Freude an der Arbeit und stiehlt ihnen Zeit, die sie lieber ihren Patienten widmen würden. In einem komplexen Gesundheitssystem stellt sich die Frage: Wie viel Bürokratie muss sein, und wie viel ist zu viel?

K

öln-Zollstock – hier, im Ar- beiterviertel im Südwesten der Rheinmetropole, betreibt An- drea Wende seit fünf Jahren eine Hausarztpraxis. Mit 1 300 Scheinen im Quartal bewältigt sie ein gewalti- ges Arbeitspensum. Die 49-Jährige ist niemand, der schnell klagt – auch nicht über den Papierkram, den sie täglich nach der Sprechstunde oder am Wochenende bearbeiten muss.

„Vieles gehört einfach zu meinem Job“, sagt sie und meint damit Be- scheinigungen über Arbeitsunfähig- keit, Anträge für Rehabilitationsleis- tungen oder Mutter-Kind-Kuren, Einschätzungen der Leistungsfähig- keit für das Arbeitsamt oder auch

„Tausende von Attesten“. Da ist zum Beispiel der psychisch kranke Pa- tient, dem die Ärztin bescheinigt, dass er einen Hund halten muss, ob- wohl ihm das die Wohnungsgenos- senschaft untersagt. „Aber sonst geht der doch gar nicht mehr aus dem Haus“, erklärt Wende. Diese Art der Bürokratie hält sie nicht für sinnlos.

Aber es gibt auch Überflüssiges und Ärgerliches, für das die Haus- ärztin insbesondere die Kranken-

kassen verantwortlich macht. Denn in vielen Fällen wird der Kosten- druck an Ärzte und Patienten wei- tergegeben, was sich in einer Flut von Anfragen niederschlägt. „Wenn ich jede Woche von neuem eine Prognose darüber abgeben muss, wie lange ein Patient voraussicht- lich noch krankgeschrieben ist, fin- de ich das unnötig“, sagt Wende.

Ärgernis Praxisgebühr

Dazu kommt das Management un- terschiedlicher Verträge mit ver- schiedenen Krankenkassen sowie deren jeweils individuellen Sat- zungsleistungen. Die einen zahlten Reiseimpfungen, die anderen nicht – es sei schier unmöglich, hier auf dem Laufenden zu bleiben.

Als besonderes bürokratisches Ärgernis empfindet Wende – wie viele ihrer Kollegen – den Einzug der Praxisgebühr. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV) verschlingt der da- mit verbundene Verwaltungsauf- wand jeden Monat zehn Arbeits- stunden pro Praxis. Die Kosten schlagen mit jährlich 360 Millionen

Euro zu Buche. Obwohl die meis- ten Patienten in Wendes Hausarzt- praxis ihre zehn Euro ohne Murren entrichten, gibt es häufig Ärger. Ih- re drei Medizinischen Fachange- stellten müssen sich mit Patienten auseinandersetzen, die es nicht ein- sehen, für den Arztbesuch bezahlen zu müssen, oder einfach verschwin- den, ohne zu zahlen. Die säumigen Zahler müssen dann am Ende des Quartals noch einmal angeschrie- ben werden. Das kostet Zeit und Nerven und hat mit der eigentlichen medizinischen Versorgung der Pa- tienten nichts zu tun.

Diesen individuellen Befund be- stätigt Dr. Thomas Kriedel, Vor- standsmitglied der Kassenärztli- chen Vereinigung (KV) Westfalen- Lippe: „Die Praxisgebühr trifft auf ganz wenig Verständnis bei den nie- dergelassenen Ärzten.“ Die KV, die sich als eine der ersten den Büro- kratieabbau auf die Fahne geschrie- ben hat, hat im Jahr 2006 den all - gemeinen Dokumentationsaufwand der niedergelassenen Ärzte gemes- sen und auf das Bundesgebiet hoch- gerechnet. Sie kam dabei auf Kos-

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jährlich. Ähnlich hoch sind die Kosten für den Abrechnungsauf- wand. Kriedel fordert deshalb: „Wir müssen Bürokratie abbauen.“ Der hohe Verwaltungsaufwand schrecke den ärztlichen Nachwuchs ab und verschwende Geld, das in der Pa- tientenversorgung sinnvoller ange- legt wäre.

Unsinnige Kontrollbürokratie Zu diesem Schluss kommt auch ei- ne Studie der Unternehmensbera- tung A. T. Kearney, die kürzlich für Schlagzeilen sorgte. Danach waren im Jahr 2010 rund 23 Prozent der Ausgaben in der gesetzlichen Kran- kenversicherung bürokratischen Abläufen geschuldet. Das sind 40,4 Milliarden Euro. In der Industrie liegt dieser Verwaltungskostenan- teil nur bei sechs Prozent. Haupt- verantwortlich für die hohen Kos- ten sind A.T. Kearney zufolge die Krankenkassen: Diese verursachten nicht nur in ihren eigenen Unter- nehmen Bürokratie, sondern auch bei den Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken. „Die Krankenkas- sen sind nachweislich immer stär- ker in die Funktion einer Zentralin- stanz gerückt, deren Hauptaufgabe – neben der Zusicherung von erfor- derlichen Patientenversorgungen – die Kontrolle, das Management und die Allokation von Leistungsausga- ben an die um sie herum angeord- neten Leistungserbringer des Ge- sundheitssystems darstellt“, schrei- ben die Autoren.

Diese Auffassung teilt der KBV- Vorstandsvorsitzende Dr. med. An- dreas Köhler: „Wir erleben zuneh- mend, dass das Kostenmanagement der Krankenkassen über die Schreib- tische der Vertragsärzte und Ver- tragspsychotherapeuten erfolgt.“ Die Kassen wollten immer mehr mitbe- stimmen, sei es bei Wirtschaftlich- keits- und Plausibilitätsprüfungen oder bei Qualitätssicherungsmaß- nahmen. „Da gibt es kein Vertrauen in die ärztliche Tätigkeit“, meint Köhler. Das sei so nicht akzeptabel.

Wie eine Bestätigung wirkt da die Aussage von Prof. Dr. Mathias Binswanger: „Wir behelligen 95 Prozent weiße Schafe mit aufwen- digen Kontrollen, um fünf Prozent

schwarze Schafe zu treffen. Das ist ökonomisch unsinnig“, beschrieb der Ökonom Anfang des Jahres in einem Interview mit dem Journal der KV Hamburg die Situation der Ärzte in Deutschland. Eine ent- scheidende Voraussetzung für Qua- lität sei, die Leute, dort, wo es funk- tioniere, in Ruhe arbeiten zu lassen.

Doch der Alltag in den Praxen und Krankenhäusern sieht anders aus. Nach einer aktuellen Erhebung der KBV verbringt ein niedergelas- sener Arzt durchschnittlich 26 Pro- zent seiner Arbeitszeit mit Bürokra- tie. Und der jüngsten Mitgliederbe- fragung des Marburger Bundes

(MB) zufolge sind 54 Prozent der Klinikärzte täglich mehr als zwei Stunden mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt. „Die Patienten be- schweren sich, dass die Ärzte keine Zeit haben, und gleichzeitig müssen diese ein Fünftel bis ein Drittel ih- rer Zeit mit Bürokratie verbringen“, sagt KBV-Chef Köhler. „Diesem Widerspruch muss sich auch die Politik stellen.“

Denn die Politik gibt den Rahmen vor und ist deshalb für einen Teil der bürokratischen Erfordernisse mit verantwortlich. „Allerdings sind es in der konkreten Umsetzung häufig

die Partner der Selbstverwaltung – Krankenkassen, KVen oder die KBV –, die Dokumentationserfor- dernisse vereinbaren müssen“, räumt Köhler ein. Komplex ist vor allem die vertragsärztliche Abrechnung.

Da werde man im Rahmen der an- stehenden EBM-Reform auch den Aspekt des bürokratischen Auf- wands mit berücksichtigen müssen.

Für Hausärztin Wende ist die Ab- rechnung das kleinere Problem, weil ihre Praxisassistentinnen ihr hier viel abnehmen. Als belastend empfindet sie jedoch die Pflicht, ih- re Diagnosen nach ICD-10 zu ver- schlüsseln. „Zu mir kommen Pa-

tienten, die sagen: ,Mir ist so ko- misch‘ oder ,Mir geht’s nicht gut.

Ich hab Stress mit meiner Freun- din.‘ Versuchen Sie einmal, das in einen ICD-Code zu übertragen.“

Das koste viel Zeit und Überle- gung. Wende ist durchaus bewusst, dass von der gewissenhaften Doku- mentation des Krankheitsgesche- hens letztlich die Höhe der Gesamt- vergütung und damit indirekt das eigene Honorar abhängt. Für die ei- gene medizinische Dokumentation nütze ihr die Verschlüsselung aber nichts. Die Folge ist eine „doppelte Buchführung“, Ärger über die ver- Andrea Wende

(49) in ihrer Praxis in Köln-Zollstock.

Liegen gebliebenen Schreibkram erledigt die Hausärztin am Wochenende –

„aber nie zu Hause“.

Es ist nicht die Masse an Bürokratie, sondern die Sorge, etwas falsch zu machen und deshalb später Ärger zu bekommen.

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30. März 2012 lorene Zeit und dann noch die Unsi-

cherheit, ob etwaige Kodierfehler später einmal sanktioniert werden.

Denn: „Das, was ich mit dem Pa- tienten bespreche, kann man nicht in Ziffern pressen.“

Abhilfe ist hier nicht in Sicht. „Es steht nun einmal im Gesetz, dass die KVen die Steigerung der Vergütung damit begründen müssen, dass die Krankheitslast der Bevölkerung sich verändert hat“, erklärt KBV-Vor-

stand Köhler. „Und das geht eben nur mit den ICD-10-Diagnosen.“

Ähnlich ist die Lage in den Kran- kenhäusern. Dort ist die korrekte Eingabe der Diagnosen und Proze- duren in das ICD-/OPS-Format überlebenswichtig, seit die Häuser ihre Leistungen auf Basis diagnose- orientierter Fallpauschalen abrech- nen. Sonst folgt das Geld nicht der Leistung. Für die Klinikärzte hat die Schreibarbeit dadurch noch ein- mal deutlich zugenommen.

„In dem Krankenhaus, in dem ich bis Ende 2011 tätig war, hat mich die Dokumentation fast so viel Zeit gekostet wie die eigentli- che ärztliche Tätigkeit“, berichtet der Anästhesist Martin Kersting.

Bei seinem neuen Arbeitgeber, dem Evangelischen Krankenhaus Mül-

heim an der Ruhr, nehme jetzt aber auf der Intensivstation eine medizi- nische Dokumentationsassistentin den Ärzten die Kodierung ab. Die Assistentin schaut jeden Tag die Pa- tientenakten durch, geht auch bei den Visiten mit und fragt bei den Ärzten alles ab, was sie mit den Pa- tienten gemacht haben. „Das ist na- türlich erheblich entspannter als vorher“, betont der 40-Jährige. Frü- her habe er sich alleine durch die

Kodiertabellen wälzen müssen –

„eigentlich ein Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass wir Ärzte uns doch gerade auf einer Intensivstati- on auf die Patienten konzentrieren sollten“.

„Die Kodierung ist Aufgabe von entsprechend qualifizierten Doku- mentationsassistenten“, meint auch Dr. med. Andreas Botzlar, Zweiter Vorsitzender des MB. Die Klinik- ärzte benötigten ihre Zeit für die Versorgung der Patienten. Das se- hen zwar inzwischen immer mehr Krankenhäuser so – aber bei wei- tem noch nicht alle. „In vielen Krankenhäusern kodieren die Ärzte nach wie vor selbst, und das Con- trolling überprüft hinterher, ob alles richtig ist“, sagt Anästhesist Kers- ting, der auch als Honorararzt tätig

ist und dadurch viele Krankenhäu- ser kennt. Dahinter stecke die An- nahme, der Arzt diagnostiziere ja ohnehin alles und könne dann auch gleich verschlüsseln.

Mit den „richtigen“ Diagnosen möglichst hohe Fallpauschalen he- rauszuholen und durch die „richti- gen“ Verweildauern Kürzungen der Fallpauschalen zu verhindern ist das Ziel der Krankenhausleitungen.

Das ruft immer häufiger den Medi- zinischen Dienst der Krankenversi- cherung (MDK) auf den Plan, der im Auftrag der Krankenkassen die Abrechnungen auf Fehler und Ma- nipulationen hin prüft. Allein 2010 hat der MDK rund zwei Millionen Einzelfallprüfungen in den Klini- ken durchgeführt, was einer Prüf- quote von 11,1 Prozent entspricht.

Das geht aus der medinfoweb-Früh- jahrsumfrage 2011 hervor, an der sich 222 Krankenhäuser beteiligten.

Der MDK prüft und prüft

In den meisten Krankenhäusern werden die Einzelfallprüfungen heutzutage primär von einer eige- nen Abteilung Medizincontrolling bearbeitet. „Insbesondere die Fra- gen zur Kodierung können die dort tätigen spezialisierten Ärzte, Pfle- gewissenschaftler und Dokumenta- re in der Regel eigenständig klä- ren“, erläutert Prof. Dr. med. Nor- bert Roeder, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Münster. Die Fehlbelegungsprüfungen – War ein stationärer Aufenthalt notwendig?

War die Verweildauer angemessen?

– bedürften aber einer fachmedizi- nischen Einschätzung, „für die wir leider auf die Arbeitszeit der kli- nisch tätigen Kollegen zurückgrei- fen müssen“. Insgesamt seien die Prüfquoten am Uniklinikum Müns- ter in den vergangenen Jahren kon- tinuierlich gestiegen. Roeder führt diese Entwicklung auf den Wettbe- werb der Kostenträger zurück, die über die Fallprüfungen Rechnungs- kürzungen realisieren wollten.

Stetig zugenommen haben in den vergangenen Jahren auch die Ver- waltungsaufgaben der Ärzte, die sich aus der Qualitätssicherung in den Krankenhäusern ergeben. „Na- hezu zu jedem Protokoll und zu je- der Dokumentation ist inzwischen

Wie lange will es sich die Gesellschaft noch leisten, ärztliche Arbeitskraft mit Verwaltungs- tätigkeiten zu verschwenden?

Sven Gregor (44) in seiner frisch übernommenen Praxis im Süden Düsseldorfs.

Die Medizinischen Fachangestellten entlasten den Ge- fäßchirurgen von Abrechnungs- und Kodierpflichten.

Fotos: Lajos Jardai

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30. März 2012 zusätzlich noch ein Qualitätssiche-

rungs- oder ein Qualitätsmanage- mentbogen auszufüllen, der aber nicht mehr aussagt als das, was man ohnehin schon dokumentiert hat“, erläutert Anästhesist Kersting. Hin- zu kommen die ebenfalls der Quali- tätssicherung geschuldeten Kom- missionen: Hygiene, Röntgen, Trans- fusion et cetera. Der Zeitaufwand sei hier teilweise enorm, berichtet Dr. med. Sven Gregor, der nach lan- gen Jahren im Krankenhaus – zu- letzt als leitender Oberarzt – im Ja- nuar im Düsseldorfer Süden eine gefäßchirurgische Praxis übernom- men hat: „In der Klinikabteilung, in der ich zuletzt gearbeitet habe, gab es am Ende noch drei leitende Ärz- te: einen Chef und zwei Oberärzte.

Und es gab neun Kommissionen, in denen immer einer von den dreien sitzen musste.“ Da gehen viele Stunden für die Patientenversor- gung verloren.

Sehr viel Zeit nimmt auch das Verfassen von Arztbriefen in An- spruch. Internisten benötigen nicht selten eine halbe Stunde für einen Brief. Deshalb gibt es sie noch im- mer – Ärzte, die wie vor 20 Jahren Stapel von Patientenakten mit nach

Hause nehmen, um sie abends zu diktieren. Dabei fällt für das Gros der Ärzte nicht das Verfassen von Arztbriefen unter Bürokratie, wohl aber das Eingeben in den Compu- ter. „Es gibt Krankenhäuser, die ha- ben einen exzellenten Schreib- dienst“, beschreibt Gregor eine mögliche Lösung.

Der Dokumentationsaufwand ist sehr unterschiedlich, je nachdem, in welchem Bereich man arbeitet – ob

als Krankenhausarzt, als niederge- lassener Facharzt oder als Hausarzt.

„Es gibt allerdings immer ein Paket an Verwaltungstätigkeit, das dazu- gehört“, sagt Gregor. Damit dieses Verwaltungspaket nicht zur Bürde wird, setzt der 44-Jährige auf Ar- beitsteilung: „Ich habe versucht, in meiner Praxis die Bürokratie auf nahe null zu reduzieren.“ Aller- dings habe sein Vorgänger hier be- reits wertvolle Vorarbeit geleistet.

Die Dokumentation für die Abrech- nung ebenso wie die ICD-10-Ko- dierung übernehmen die Medizini- schen Fachangestellten. Die medi- zinische Information über seine Pa- tienten dokumentiert Gregor in der Karteikarte, Ultraschallbefunde ar- chiviert er auf der Festplatte des Praxiscomputers. „Im Vergleich zum Krankenhaus fällt im niederge- lassenen Bereich eine ganze Menge an Bürokratie weg, weil man allei- ne arbeitet und Entscheidungen sel- ber trifft.“ Für die gefäßchirurgi- sche Praxis heißt das: Man führt ein sehr fokussiertes Anamnesege- spräch, man untersucht den Patien- ten und trifft seine Therapieent- scheidung. „Und wenn der Patient wiederkommt, sieht man ihn selbst

und nicht ein Kollege.“ Damit ent- falle die Schnittstellenproblematik inklusive der damit einhergehenden Informationsverluste.

„Das Thema Bürokratieabbau könnte noch systematischer ange- packt werden“, meint KV-Vorstand Kriedel. Auf Initiative der KBV ist in Kooperation mit der KV Westfa- len-Lippe auf Bundesebene ein

„Best Practice Forum“ entstanden, bei dem sich die KVen darüber aus-

tauschen wollen, wie bestehende Bürokratie abgebaut und neue Bü- rokratie vermieden werden kann.

Einmal hat sich das Gremium bis- her getroffen.

Ärztemangel nährt Hoffnung Eine Zusammenarbeit strebt die KV Westfalen-Lippe auch mit der KV Bayerns an. Diese hat Ende 2011 gemeinsam mit dem bayerischen Gesundheitsministerium eine An- laufstelle für Bürokratieabbau ins Leben gerufen (www.kvb.de/buero kratieabbau). Sie sammelt Vor- schläge zur Entbürokratisierung des Praxisalltags und leitet diese an die Institutionen weiter. Auch die KBV plant eine Internetplattform. Zudem ist man mit den Krankenkassen im Gespräch. Dazu KBV-Chef Köhler:

„Zum ersten Mal scheint hier Ver- ständnis aufzukeimen, dass die in- dividuellen Kassenanfragen für die Ärzte sehr belastend sind und man diese vereinfachen kann.“

Was den Streit zwischen den Krankenhäusern und den Kranken- kassen über die steigende Zahl der Abrechnungsprüfungen betrifft, hat das Bundesgesundheitsministerium inzwischen Vorschläge unterbreitet, die Rahmenbedingungen für die MDK-Prüfungen zu ändern. Da- nach sollen die Krankenhäuser bei wiederholten Abrechnungsauffäl- ligkeiten zusätzlich zum Rückzah- lungsbetrag die Hälfte dieses Betra- ges als Strafe an die Kassen entrich- ten. Auch sollen die Kassen den MDK mit weiteren Prüfungen be- auftragen können, wenn die Ergeb- nisse der Einzelfallprüfungen Auf- fälligkeiten aufweisen. Im Gegen- zug sollen die Stichprobenprüfun- gen gestrichen werden. Ob dadurch die Kassen weniger Rechnungsprü- fungen in Auftrag geben?

Hoffnung, dass die Ärzte mittel- fristig von Verwaltungstätigkeiten entlastet werden, nährt sich eigent- lich nur aus dem absehbar noch zu- nehmenden Ärztemangel in Klinik und Praxis. Dazu Chirurg Gregor:

„Die Frage ist doch, wie lange es sich die Gesellschaft noch leisten will, kostbare ärztliche Arbeitskraft mit Verwaltungstätigkeiten zu ver-

schwenden.“

Jens Flintrop, Heike Korzilius Auch die Politik hat sich des Themas Bürokratie-

abbau angenommen. Im Jahr 2006 hat die Bun- desregierung das Standardkosten-Modell einge- führt, mit dem Ziel, die Kosten für den Verwal- tungsaufwand bei der Einführung neuer Vorschrif- ten oder Gesetze zu beziffern. Der Nationale Nor- menkontrollrat, der die Kostenmessung auf Bun- desebene überwacht, unterstützt unter anderem die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenärztlichen Vereinigungen bei dem Versuch,

die Methode auf das Gesundheitssystem zu über- tragen. Die Idee dahinter: Werden die Kosten bü- rokratischer Vorgaben sichtbar, könnte das zu ei- ner besseren Kosten-Nutzen-Abwägung bei der Festlegung neuer Rechtsnormen führen. Der Ge- meinsame Bundesausschuss, der über den Leis- tungsumfang der gesetzlichen Krankenversiche- rung entscheidet, will von Ende dieses Jahres an im Vorhinein die Kosten bemessen, die mit der Einführung seiner Richtlinien einhergehen.

BÜROKRATIE KOSTET

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