A 1204 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 111|
Heft 26|
27. Juni 2014I
ch glaube an das Gute im Men- schen. Ich glaube an meine Kas- senärztliche Vereinigung (KV). Ich möchte heute ein Plädoyer halten:Meine KV ist gut für mich. Ich meine das ernst. Sie hilft mir, setzt sich für mich gegen die Krankenkassen ein und nimmt mir Arbeit ab. Sie tut Din- ge, die ich nicht tun will. Ich lese ihre Rundbriefe. Ich lese zum Beispiel, dass „die ggf. erfolgende Beschluss- fassung im Bewertungsausschuss ei- nen Ankündigungsbeschluss enthal-
ten soll, der es ermöglicht, bis zum 01.12.2013 noch Änderungen vorzu- nehmen, die sich aufgrund der heute vorgelegten und noch zu vertiefenden Simulationsberechnungen der KBV und der Kassenärztlichen Vereinigun- gen als notwendig erweisen und die die mit der Reform verbundenen Zie- le zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung unterstützen.“ Ich finde das gut. Unterstützung, Ziele und Stärkung, so etwas wärmt mein Herz.
Obwohl ich vieles nicht verstehe, ha- be ich das Gefühl, dass da die richti- gen Dinge von den richtigen Men- schen gemacht werden.
Und während sich die fleißigen Hel- fer meiner KV abends an ihren vertie- fenden Simulationsberechnungen ab- arbeiten und das alles hoffentlich bis Ende November irgendwie hinkriegen, gehe ich lieber ins Kino, kaufe mir ein Eis oder treffe mich mit Freunden.
Wissen Sie, ich arbeite noch nicht lan- ge als niedergelassener Arzt. Ich bin motiviert. So verschlüssele ich die Di- agnosen meiner Patienten zum Bei- spiel genau nach ICD-Nummern. Das kenne ich schon aus dem Kranken- haus. Wenn man es da nicht richtig macht, geht das Krankenhaus pleite, so viel weiß ich. Pleite gehen möchte ich nicht. Warum ich als niedergelas- sener Arzt auch verschlüsseln muss,
habe ich nicht genau verstanden, aber es gibt da etwas wie den sogenannten Morbi-RSA. Der hat wohl eher nichts mit der Republik Südafrika zu tun, so- weit ich weiß. Aber einen Sinn wird es schon haben. Und meine KV will das.
Ich mach’ das dann.
Ich vergebe auch Ziffern, mit de- nen dokumentiert wird, was man mit den Patienten den lieben langen Tag veranstaltet hat. Ich finde, das ist gerechtfertigt. Viele Kollegen klagen nun über „überbordende Bürokratie“.
Ich brauche etwa eine Dreiviertelstun- de für Schreibkram am Tag. Das ist Bürokratie, aber sie bordet nicht über.
Sie ist notwendig.
Auch wenn ich mich unbeliebt ma- che: Heute muss doch jede Putzfrau dokumentieren, wann sie wie welches Klo am Hauptbahnhof gereinigt hat – da ist es doch nur recht und billig, dass ich bei meinen Patienten auf- schreiben muss, was ich gemacht ha- be. Ist das wirklich so viel verlangt?
Googeln Sie mal „überbordende Büro- kratie“. Sie kriegen 66 000 Einträge.
Sie finden überbordende Bürokratie in Griechenland, in der Altenpflege, im Handwerk, auf dem Einwohnermelde- amt, in Hessen bei der Bundeswehr, ja sogar in Indien und beim Deutschen Beamtenbund, in Schulen, ja selbst in Kitas. Eigentlich ist nichts vor überbor- dender Bürokratie sicher.
Da können wir Mediziner ein biss- chen überbordende Bürokratie, die noch nicht mal sehr überbordet, auch aushalten. Laut NAV-Virchow-Bund gilt die überbordende Bürokratie als eines der größten Hemmnisse für den ärztlichen Nachwuchs, in die Nieder- lassung zu wechseln. Man müsste mit dem Nachwuchs mal reden, ich sehe das entspannt. Aber ich gebe zu, wie gesagt: Ich bin noch nicht lange nie- dergelassen.
GLOSSE
Dr. med. Christian Hoffmann, Hamburg
BÜROKRATIE
Echt überbordend?
zwar den Gesundheitszustand rich- tig wiedergibt, jedoch erdichtete oder verfälschte Einzelheiten bei- spielsweise bezüglich der Befund- erhebung enthält, kann unrichtig im Sinne des Gesetzes sein (vergleiche Bundesgerichtshof in Strafsachen - BGHSt 10, 157). Äußert sich ein Arzt in einem Gutachten über die Geschäftsfähigkeit einer Person, muss er deutlich machen, worauf er seine Beurteilung stützt. Auch un- abhängig von möglichen strafrecht- lichen Konsequenzen überrascht es doch immer wieder, mit welcher Leichtfertigkeit Ärzte in diesem Kontext Atteste erstellen, ohne die komplexen rechtlichen Hintergrün- de hinreichend zu kennen. Das Aus- stellen von Attesten stellt eine ärzt- liche Maßnahme dar, für die man über das nötige Fachwissen verfü-
gen muss.
▄
Prof. Dr. med. Harald Dreßing Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Fakultät Medizin Mannheim der Universität Heidelberg
Johannes Leygraf Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Hamm
Porf. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Uniklinik RWTH Aachen
LITERATUR
1. Cording C, Foerster K: Psychopathologische Kurztests durch den Notar – ein im Grund- satz verfehlter Vorschlag. Deutsche Notar- Zeitschrift 2006; 5: 329–33.
2. Habermeyer E, Saß H: Ein am Willensbegriff ausgerichteter symptomorientierter Ansatz zur Prüfung der Geschäftsfähigkeit.
Fortschr. Neurol. Psychiat. 2002a; 70:
5–10.
3. Habermeyer E, Saß H: Die überdauernde krankhafte Störung der Geistestätigkeit als Voraussetzung der Geschäftsunfähigkeit.
Nervenarzt 2002b; 73: 1094–9.
4. Schneider F, Frister H, Olzen D: Begutach- tung psychischer Störungen. 2. Aufl., Sprin- ger, Berlin, Heidelberg 2010.
5. Bartsch H: Die postmortale Schweigepflicht des Arztes beim Streit um die Testierfähig- keit des Patienten. NJW 2001; 54: 861–3.
6. Staudinger J v, Baumann W: Kommentar zum BGB, 5. Buch. 15. Auflage, § 2229:
Rn. 87, Sellier-de Gruyter, Berlin 2012.
7. Foerster K, Dreßing H: Psychatrische Be- gutachtung. Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen. Elsevier, München 2009.
8. Fischer T: Kommentar zum Strafgesetz- buch, 61. Auflage, § 278 Rn. 4, C. H. Beck, München 2014.