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Archiv "Schneekugel-Manufaktur: Einmal kräftig schütteln, bitte!" (16.12.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 50

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16. Dezember 2011 A 2731

E

rwin Perzy III. trägt einen de- zenten Bart und lächelt freundlich. Nie würde man vermu- ten, dass er der Gebieter über den Schnee ist – Herr Holle sozusagen.

Von seiner kleinen Wiener Manu- faktur aus beliefert er die Welt zu- verlässig mit Schnee. Den Schnee, besser gesagt die in dritter Genera- tion als Familien- und Betriebsge- heimnis gehütete „Schnee-Rezep- tur“, bannt er in wassergefüllte Ku- geln von 25 bis 200 Millimeter Durchmesser. Einmal energisch ge- schüttelt, entfaltet sich in dem glä- sernen Rund ein Flockenwirbel, der Weihnachtsmänner und -bäume, Glücksschweine und Schornstein- feger, Rentiere und Haustiere, Wie- ner Wahrzeichen und Landschaften einhüllt.

Die „Original Wiener Schneeku- geln“ schillern zwischen Kunst, Kitsch und Kult. Sie stehen auf europäischen Weihnachtsmärkten Spalier, befinden sich im Rucksack von Santa Claus und werden in den Kaufhäusern der Tokioter Einkaufs- meile Ginza Probe geschüttelt, auf dass es nur so stiebt. „Wir produzie- ren etwa 200 000 Exemplare im Jahr“, erzählt Erwin Perzy, während er durch seine Wiener Schneekugel- Manufaktur samt angeschlossenem Museum führt.

Um 1900 hatte sich sein Großva- ter, Erwin Perzy, die „Glaskugel mit Schneeeffekt“ patentieren lassen.

Geforscht hatte der Werkzeugma- cher ursprünglich nach einer Licht- quelle für Operationssäle. Dafür ex- perimentierte er mit wassergefüllten Glaskolben, die er mit einer Kerze beleuchtete. Da sie zu wenig Licht warfen, mischte er reflektierende Stoffe wie Grieß bei. Zur OP-Be- leuchtung taugte das Modell nicht – doch Perzy fühlte sich an Schneefall erinnert. Der Zufall wollte es, dass

ein Kunde gerade eine metallene Miniatur der Wallfahrtskirche von Mariazell als Souvenir anforderte.

Irgendwann machte es „klick“, und die beiden Ideen verschmolzen zum Erfolgsmodell „Glaskugel mit Schnee-Effekt“.

Die Wunderkugel fand beim Pu- blikum Gefallen, überstand einen Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise und einen weiteren Weltkrieg. In den 1950er Jahren entwickelte der Sohn des Firmengründers – er erbte von seinem Vater auch den Vorna- men – eine neue Schneemischung, ergänzte die Motivpalette um Weih- nachtsbaum, Schneemann und Co.

und knüpfte Kontakte zu US-Spiel-

warenhändlern, die das Kitsch-Po- tenzial der Blizzard-Kugel für ein

„Merry X-mas“ im amerikanischen Stil sofort erkannten.

Mittlerweile ist Erwin Perzy III.

für die Schneeerzeugung verant- wortlich. Die spezielle Rezeptur, die ihm sein Vater mündlich über- liefert hat, sorgt dafür, dass in sei- nen winterlichen Mini-Galaxien die Flocken scheinbar schwerelos wir- beln, statt wie Hagelkörner abzu- schmieren. Bis zu zwei Minuten lang dauert der Flockentanz. Und wegen dieser Schneequalität fürch-

tet er auch die billige Konkurrenz aus Asien nicht.

Für die Schneekugel-Miniaturen wird zunächst eine metallene Nega- tiv-Form angefertigt, die dann mit Kunststoff ausgegossen wird. Die weiteren Arbeitsschritte, wie etwa die Bemalung, erfolgen in Handar- beit. Das so entstandene Unikat wird in der Glassphäre verankert, addiert werden Wiener Hochquell- wasser sowie die geheimnisumwit- terte Schneemischung. Nach der Versiegelung wird der Ballon mit einem Sockel verbunden – und fer- tig ist die heile Welt.

Das Museum dokumentiert auf 50 Quadratmetern das einzigartige Herstellungsverfahren und präsen- tiert Urmodelle ebenso wie zeitge- nössische Schneekugeln und Son- deranfertigungen. Kaum etwas, was es nicht gibt. Doch, halt: „Mord, Totschlag oder Krieg kommt bei mir nicht rein. Eine Schneekugel ist eine heile Welt“, stellt Erwin Perzy III. klar. Als Besucher juckt es ei- nen mächtig in den Fingern, die Regale entlang zu schlendern und viele Mini-Blizzards loszulassen.

Was im Gegensatz zu anderen Museen kein Problem darstellt:

„Schneekugeln gehören von Zeit zu Zeit unbedingt geschüttelt“, merkt der Firmenchef an. Gerade in Zei- ten des Klimawandels kommt ihnen eine weitere wichtige Funktion zu:

Wenn sich die ersehnte weiße Weihnacht nicht einstellen will, ge- nügt eine Bewegung aus dem Handgelenk, um einen Hauch von Frost in die Stube zu zaubern.

Stefan Spath

SCHNEEKUGEL-MANUFAKTUR

Einmal kräftig schütteln, bitte!

Seit mehr als 100 Jahren stehen die original Wiener Schneekugeln für eine heile Welt, einen Hauch von Frost und pure Nostalgie.

Herr Holle in sei- nem Reich: Erwin Perzy III. produziert in seiner Manufak- tur etwa 200 000 Schneekugeln im Jahr.

Fotos: Stefan Spath

Um 1900 hatte sich sein Großvater, Erwin Perzy, die „Glaskugel mit Schneeeffekt“ patentieren lassen.

Informationen: Original Wiener Schneekugeln &

Schneekugelmuseum, Schumanngasse 87, A-1170 Wien, Telefon: 0043 1 4864341, www.viennasnowglobe.at.

K U L T U R

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