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Archiv "Drei Wochen Auszeit in Peru: „Un problema social“" (11.04.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1511. April 2008 A805

S T A T U S

K

napp zehn Millionen Men- schen leben in Lima, der Hauptstadt Perus. Im Zentrum, in den Vierteln um die Plaza Mayor, entsteht der Eindruck, als ob alle gleichzeitig unterwegs wären. Im Stadtteil Pueblo Libre geht es beschaulicher zu. Vor- beigehende und Besucher der „Poli- clinico San Ezequiel Moreno“ schau- en neugierig auf den Aushang neben dem vergitterten Eingang. Werden sie in meine Sprechstunde kommen? Ich bin hoffnungsvoll: Die Konsultatio- nen sind gratis, und die Möglichkeit, sich von einem deutschen Arzt be- handeln zu lassen, werden sich nicht viele entgehen lassen, beruhigt mich Schwester Aura Esther.

Die Ärzte arbeiten gern hier

Ich gönne mir eine kleine Auszeit:

drei Wochen Peru. Seit mehreren Jahren arbeite ich als Kardiologe mit Schwestern einer Glaubenskongre- gation zusammen. In der von ihnen geleiteten Poliklinik „San Ezequiel Moreno“ werden ambulante Leis- tungen angeboten. Hierher kommen Menschen der unteren Schichten.

Die Kosten der Behandlung, die in einem Land mit nur geringem Versi- chertenanteil in der Regel selbst ge- tragen werden müssen, sind niedri-

ger als in staatlichen oder privaten Einrichtungen. Die Ärztinnen und Ärzte, die an verschiedenen Tagen Sprechstunden abhalten, arbeiten gern hier. Neben der Abwechslung zur Krankenhausroutine sind dafür die entspannte Atmosphäre, die Für- sorge der Schwestern und der Zu- verdienst verantwortlich. Schnell kommen wir ins Gespräch und tau- schen Erfahrungen aus. Ich lerne die Arbeitsplätze meiner Kollegen in Krankenhäusern der Stadt kennen, indem ich zu Hospitationen eingela- den werde. Konzentriert, aber im- mer gut gelaunt, agieren emsig viele Ärzte und Schwestern um die Pa- tienten. Besonders beeindrucken mich die aufwendige Dokumentati- on der Abläufe ohne Computer und die patientennahe Weiterbildung.

Neben dem organisierten Ablauf kümmern sich die Ordensschwes- tern aufopferungsvoll um mittellose Bedürftige: So gibt es einen öffentli- chen Speisesaal, in dem Mahlzeiten fast kostenfrei ausgegeben werden.

Kleidung und Medikamente werden für sie in großen Kartonagen zum Preis der Zollgebühren von Organi- sationen aufgekauft. Bei Letzteren handelt es sich um Apothekenrück- gaben aus europäischen Ländern.

Mein Behandlungszimmer ist übersichtlich: Tisch, Liege und zwei Stühle, ein Blutdruckmessgerät, ei- nige Poster über verbreitete Krank- heiten und vermeidbare Gefahren des Lebens. Ich habe zunächst Zeit, mir alles anzusehen, bis die ersten Patienten kommen. Bluthochdruck und Diabetes sind mir vertraute Krankheiten, ich hätte sie hier in ge- ringerer Zahl erwartet. Die Anamne- se spielt vor dem Hintergrund der fi- nanziellen Engpässe eine herausra- gende Rolle. Ich muss gut abwägen, wen ich ins Labor oder zu einer ap- parativen Folgeuntersuchung schicke.

Die in Lima ansässigen Glaubens- kongregationen arbeiten zusammen.

So erweitert sich mein Aufgaben- kreis. Ich werde zu Konsultationen in das Pflegeheim Santa Maria de la Es- peranza nach Chosica (eine Auto- stunde vom Zentrum entfernt) gebe- ten, das von Franziskanermönchen verwaltet wird. Ich sehe etwa 20 Pa- tienten, verändere in Absprache mit dem vor Ort tätigen Allgemeinarzt Therapien, veranlasse einfache Dia- gnostik. Bei einer 50-jährigen Pati- entin sind eine Computertomografie des Schädels und bei einem 63-jähri- gen Patienten ein Hörgerät erforder- lich, wofür sich mit Geduld und In- itiative Möglichkeiten finden.

Ein schweres Schicksal

Während der Sprechstunde im Pfle- geheim erhalte ich einen Anruf in vertrauter Sprache. Die deutsche Or- densschwester Elisabeth bittet mich, eine Patientin anzusehen, die an ei- ner Herzerkrankung leiden soll.

Schwester Elisabeth, 81 Jahre alt, gehört zur Kongregation der Ursuli- nen und arbeitet seit 55 Jahren in Li- ma. Ich lerne die Patientin, Señora Maria Reyes, am nächsten Tag ken- nen. Sie lebt weit draußen in Comas.

Hier kommen die Menschen an, die für die Verheißung auf ein besseres Lebens in der Großstadt aus ländli- chen Regionen angezogen werden.

Sie bauen ihre Hütten aus geflochte- nen Zuckerrohrstauden auf Sand.

DREI WOCHEN AUSZEIT IN PERU

„Un problema social“

Ein kardiologischer Einsatzbericht aus den Anden

Fotos:privat

Wegen der finanziellen Nöte spielt die Anamnese eine heraus- ragende Rolle. Heiko Hildebrand während einer Sprechstunde

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A806 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1511. April 2008

S T A T U S

Im Gegensatz zu dem vieler Nachbarn ist das Haus von Familie Reyes aus Stein. Im Haus gibt es kei- ne Fenster. Maria Reyes hat drei Kin- der, die zwischen drei und 14 Jahre alt sind. Einen Familienvater gibt es nicht. Alle schlafen auf dem Boden, ein wackliger alter Tisch mit vier Plastikstühlen, ein Herd und Koch- geschirr sind das Inventar des Hau- ses. Für ihren Lebensunterhalt arbei- tet Maria Reyes auf einem Markt als Köchin. Täglich schiebt sie mit im- mer größerer Anstrengung einen ge- mieteten Imbisswagen über mehrere Kilometer zur Arbeit. Luftnot und

Schmerzen quälen sie. Ein lautes Diastolikum an typischer Stelle lässt auf einen Defekt der Aortenklappe schließen. Señora Reyes ist nicht krankenversichert und hat keine Rücklagen. Im Ultraschall zeigt sich eine fortgeschrittene Aortenklap- peninsuffizienz bei einer erweiterten Aorta ascendens, kurz ein OP-Be- fund. Was nun? Mithilfe der Ärzte und Schwestern gelingt es, ihr ein Angebot zu machen: Sie kann über eine spezielle Versicherung, die im Fall einer schweren akuten Erkran- kung mit überschaubaren Beiträgen eintritt, im namhaften „Hospital 2 de Mayo“ operiert werden. Darüber freue ich mich sehr.

Ein Gefühl der Ohnmacht

Nach Deutschland zurückgekehrt, währt die Freude nur kurz. Mich er- reicht die Nachricht, dass Maria Rey- es kein Einverständnis für die Opera- tion geben wird. Ich organisiere ein Telefonat mit ihr, versuche geduldig, Bedenken auszuräumen. Ich stehe mit Kardiologen des Landes in Ver- bindung und bedränge sie höflich, al- les zu versuchen, Señora Reyes doch

der indizierten Operation zuzu- führen. Es nützt nichts, alle Vorberei- tungen sind umsonst. Meine Kolle- gen konstatieren, dass es sich um „un problema social“ handelt, was wohl so viel bedeutet, dass es nicht lösbar ist. Die Patientin hat ihre Entschei- dung mit der Familie und nach Vor- stellung bei einem Schamanen ge- troffen. Vielleicht erhofft sie sich, dass sie noch so lange leben kann, bis ihre Kinder selbst in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Mehr hat sie sich möglicherweise für ihr Leben nicht vorgenommen. „Un problema social“ kann auch Diskri- minierung im eigenen Land heißen:

„Warum hast du so viele Kinder, wenn du nicht einmal für dich selbst sorgen kannst?“ Wir organisieren für Maria Reyes regelmäßige Kontrol- len und eine langfristig gesicherte medikamentöse Behandlung.

Einige Monate später soll das Schicksal Señora Reyes noch ein- mal auf eine harte Probe stellen. Bei einem Unfall hat sie sich schwer an Arm, Hand und Gesicht verletzt.

Mit dem linken Auge kann sie nur noch eingeschränkt sehen. Opera- tionen und Rehabilitationen, auf die sie ein Anrecht hat, da für alle öf- fentlichen Fahrzeuge in Peru Versi- cherungspflicht besteht, haben die eingeschränkten Funktionen erfreu- licherweise verbessern können. Ein Schmerzensgeld wird es nicht ge- ben. Schwester Elisabeth versucht, eine leichte Arbeit zu finden, die Maria Reyes von zu Hause aus durch- führen kann. Bis dahin lebt sie von der Hilfe der Familie und Almosen.

Trotz solcher Schicksale sind meine Kollegen stolz auf ihr Land.

Sie möchten mir seine Schönheiten vermitteln und nehmen mich mit in die prächtige Innenstadt von Lima.

Sie zeigen mir die unfassbaren Lini- en und Figuren von Nazca, deren Erforschung und Erhaltung die Deutsche Maria Reiche aus Dresden fast ihr gesamtes Leben gewidmet hat. Ich bestaune die Pyramidenstät- te Caral – mit 5 000 Jahren die ältes- te Stadt der Welt, in der nachweis- lich nur friedlich Handel betrieben wurde. Trotz alledem kann ich mich nicht von den Menschen lösen. I Dr. med. Heiko Hildebrand E-Mail: heiko_hildebrand@freenet.de

RECHTSREPORT

Chefarztbehandlung:

Stellvertreterklausel unzulässig

Ein Wahlarzt ist gemäß § 613 Bürgerliches Ge- setzbuch (BGB) grundsätzlich verpflichtet, die Leistungen am Patienten persönlich und eigen- händig zu erbringen. Das hat der Bundesge- richtshof (BGH) in einem Urteil bekräftigt.

Die beklagte Privatpatientin befand sich in stationärer Behandlung in dem Klinikum des li- quidationsberechtigten Chefarztes. Sie hatte mit dem Klinikum eine schriftliche Wahlleistungsver- einbarung geschlossen. Da der Chefarzt für den Tag ihrer Operation beurlaubt war, unterzeichne- te sie am Vortag einen mit einzelnen handschrift- lichen Einträgen versehenen Vordruck, der mit

„Schriftliche Fixierung einer Stellvertreterverein- barung“ überschrieben war. Diese Vereinbarung enthielt die Feststellung, die Patientin sei über die Verhinderung des Chefarztes und den Grund hierfür unterrichtet worden. Eine Verschiebung der Operation sei medizinisch nicht vertretbar.

Der Bundesgerichtshof betont in seiner Ent- scheidung, dass ein Patient den Wahlleistungs- vertrag im Vertrauen auf die besonderen Erfah-

rungen und herausgehobene medizinische Kom- petenz des von ihm ausgewählten Arztes ab- schließt. Daher ist eine Vereinbarung in den All- gemeinen Geschäftsbedingungen, dass auch ein Vertreter diese Wahlleistungen erbringen darf, grundsätzlich unzulässig. Eine vom Patienten mit dem Abschluss einer solchen Vereinbarung be- zweckte Sicherung der besonderen Erfahrung und Sachkunde des Wahlarztes wäre damit be- reits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ob- jektiv unmöglich.

Zulässig ist nur eine Stellvertreterklausel, die auf Fälle beschränkt ist, in denen die Verhinderung des Wahlarztes zum Zeitpunkt des Vertragsab- schlusses unvorhersehbar war. Weiterhin darf als Vertreter nur der ständige Vertreter im Sinne der Gebührenordnung für Ärzte bestimmt werden.

Auch durch eine Individualvereinbarung ist eine Vertretung nur unter begrenzten Voraussetzungen möglich. In diesem Fall ist der Patient so früh wie möglich zu unterrichten, und es ist ihm anzubie- ten, dass ein Vertreter die Leistungen erbringt oder er darauf verzichten und sich ohne Zuzahlung be- handeln lassen kann. (Urteil vom 20. Dezember 2007, Az.: III ZR 144/07) RA Barbara Berner Auf Anraten eines

Schamanen entscheidet sich Señora Maria Reyes gegen die Operation ihrer Herzklappe.

Schwester Elisabeth arbeitet seit 55 Jah- ren in Lima.

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