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Archiv "Hypoglykämien beim Erwachsenen: Nicht Diabetes-assoziierte Formen" (24.04.1998)

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in Abfall der Blutglukosekon- zentration führt zu einer Viel- zahl von unspezifischen Sym- ptomen, die zumeist erst im Vollbild einer Neuroglukopenie diagnostisch leicht einzuordnen sind. Während Hy- poglykämien beim Diabetiker zu den häufigsten endokrinologischen Not- fällen zählen, sind Hypoglykämien beim Nichtdiabetiker selten. Bei die- sen Patienten stellt der Nachweis einer Hypoglykämie und deren differential- diagnostische Abklärung jedoch meist eine besondere Herausforderung für den behandelnden Arzt dar.

Epidemiologie

Systematische Untersuchungen zur Häufigkeit von nicht Diabetes-as- soziierten Hypoglykämien bei Er- wachsenen liegen in der Literatur

nicht vor. Hinweise für ihre relative Häufigkeit lassen sich aber aus großen Untersuchungen an ausschließlich diä- tetisch behandelten Typ-II-Diabeti- kern ableiten.

So betrug die Häufigkeit schwe- rer Unterzuckerungszustände, die fremde Hilfe erforderlich machte, in der großen, prospektiven englischen Studie zum Typ-II-Diabetes (UK- PDS) in dieser Patientengruppe ledig- lich 0,03 Prozent pro Jahr (25).

Definition einer Hypoglykämie

Die Blutzuckerkonzentration wird beim Gesunden auch unter Fa-

stenbedingungen innerhalb enger Grenzen (3,3 bis 5,6 mmol/l entspre- chend 60 bis 100 mg/dl) konstant ge- halten.

Die Diagnose einer Hypoglykä- mie läßt sich nicht allein durch den Nachweis eines erniedrigten Blut- zuckers unterhalb 2,5 mmol/l bezie- hungsweise 45 mg/dl stellen, da unter Fastenbedingungen auch bei Gesun- den Blutzuckerwerte in diesem Be- reich gemessen werden können (10).

Zur Diagnose einer Hypoglykämie ist daher grundsätzlich das Auftreten ty- pischer Symptome sowie deren Besse- rung nach Glukosezufuhr erforder- lich.

Nur wenn alle drei Punkte nach der klassischen, von Whipple vor mehr als 60 Jahren geforderten Trias (Textkasten Whipple Trias) erfüllt sind, kann von einer Hypoglykämie ausgegangen werden (26).

Hypoglykämien beim Erwachsenen

Nicht Diabetes-assoziierte Formen Georg Brabant

Christof Schöfl Alexander von zur Mühlen

Stichwörter: Hypoglykämie, Insulinom, Whipple Trias, Blutzucker

Die Diagnose einer Hypoglykämie erfordert den Nachweis der sogenannten Whipple Trias (BZ < 45 mg/dl, hypoglykä- mische Symptome und Verschwinden derselben unter Glu- kosegabe). Ein Abfall des Blutzuckers unter 45 mg/dl ohne das Auftreten von autonomen und/oder neuroglykämischen Symptomen ist nicht gleichbedeutend mit der Diagnose ei- ner Hypoglykämie, da ein vergleichbar niedriger Blut- zucker auch bei Gesunden im Fasten beobachtet werden kann. Sowohl bei Verdacht als auch bei gesichertem Nach- weis einer Hypoglykämie steht vor der weiteren Diagnostik die ausführliche Anamnese. Bei gesund wirkenden Patien- ten ist die Differentialdiagnose zu einer sogenannten Pseu-

dohypoglykämie, bei der Symptome einer Hypoglykämie ohne einen rele-

vanten BZ-Abfall auftreten, nicht selten schwierig. Ein Hungerversuch über bis zu 72 Stunden ist häufig erforder- lich, um die Diagnose zu sichern, und erlaubt über die par- allele Messung von Insulin, Proinsulin und C-Peptid die dif- ferentialdiagnostische Einteilung in Insulinom, Störung der Glukoneogenese beziehungsweise Hypoglykämie factitia.

Beim krank wirkenden Patienten können ein Substratman- gel, Medikamente oder eine paraneoplastische Sekretion von beispielsweise „big“-IFG-II eine Hypoglykämie auslö- sen. Therapeutisch ist eine Hypoglykämie akut durch eine Glukosegabe zu behandeln. Die langfristige Behandlung be- steht in der Beseitigung der auslösenden Ursache.

ZUSAMMENFASSUNG

Key words: Hypoglycemia, insulinoma, Whipple trias, blood glucose

The demonstration of low blood glucose levels, hypoglyce- mic symptoms, and their relief after glucose administration is required for the diagnosis of hypoglycemia (Whipple trias). Blood glucose levels < 45 mg/dl without autonomic or neuroglycopenic symptoms are not diagnostic since similar glucose levels are found in fasting healthy subjects. If hypo- glycemia is suspected or diagnosed, a thorough history has to be taken prior to any further investigation. As symptoms of hypoglycemia may occur despite normal blood glucose

levels, fasting for up to 72 h is often necessary to diagnose hypoglycemia. If hypoglycemia

occurs, the measurement of insulin, proinsulin, and C- peptide allows the differential diagnosis of an insulinoma, an impaired gluconeogenesis, or factitious application of sulfonylurea drugs or insulin. In symptomatic subjects a lack of substrate, drug interactions, or occasionally para- neoplastic secretion of “big”-IGF-II may cause hypogly- cemia. Hypoglycemia is acutely treated by administration of glucose, while long-term treatment is dependent on the underlying cause.

SUMMARY

E

Abteilung für Klinische Endokrinologie (Direk- tor: Prof. Dr. med. Alexander von zur Mühlen), Medizinische Hochschule Hannover

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Pathophysiologie

Sinkt die Glukosekonzentration im Blut akut unter einen kritischen Wert von etwa 3,7 mmol/l (66 mg/dl), wird ein redundant angelegtes Sy- stem neuronaler wie humoraler Ge- genregulation aktiviert (15). Neuro- nal vorwiegend über sympathische Efferenzen und humoral über eine Freisetzung von Glukagon und Ad- renalin sowie nachgeordnet Soma- totropin (GH) und Cortisol wird Glukose rasch aus hepatischen und zu einem kleineren Teil aus renalen Glykogenreserven mobilisiert. Im Gegensatz zum akuten Blutzucker- abfall kann das ZNS bei einem langsamen Absinken der zirkulieren- den Glukosespiegel beim Fasten teil- weise auf andere Energieträger wie Ketonkörper oder Laktat umstellen (13). Bei chronisch-rezidivierenden Hypoglykämien wird eine verbesser- te Extraktion der zirkulierenden Glukose durch eine vermehrte Ex- pression des Glukosetransporters, GLUT-1, im ZNS erreicht und so bei niedrigeren Blutzuckerspiegeln eine ausreichende Versorgung der Hirn- zellen ermöglicht (12). Allerdings kann es infolge rezidivierender Hy- poglykämien zu einer Absenkung der Glukoseschwellenkonzentration kommen, die zu einer Aktivierung gegenregulatorischer Mechanismen und der damit verbundenen, für den Patienten wahrnehmbaren autono- men Symptome wie Zittern oder Tachykardien führt (3, 4, 6). Auch ei- ne vermehrte Cortisolfreisetzung scheint an der Minderung autonomer Symptome im Rahmen rezidivieren- der Hypoglykämien beteiligt zu sein (5). Wie Studien an erfolgreich ope- rierten Insulinompatienten zeigen, sind diese adaptiven Vorgänge voll reversibel (16).

Klinische Symptomatik

Es gibt keine spezifischen Sym- ptome einer Hypoglykämie. Die Sym- ptomatik wird einerseits durch die kli- nischen Zeichen einer Aktivierung des autonomen Nervensystems be- stimmt und beruht andererseits auf den Folgen einer Minderversorgung des Gehirns mit Glukose (Neuro-

glukopenie; Textkasten Symptomatik bei Hypoglykämie) (10). Vom Patien- ten werden vor allem die autono- men Symptome, insbesondere von seiten der katecholaminergen Gegen- regulation, bemerkt. Beschwerden wie Schwitzen, Zittern, Tachykardien, Wärmegefühl, Angst und Übelkeit

können schon bei milden Hypoglyk- ämien auftreten. Bei weiterem Abfall des Blutzuckers treten Zeichen einer Neuroglukopenie hinzu wie Seh- störungen, Schwäche, Schwindel und Verhaltensänderungen mit Müdig-

keit, Konzentrationsstörungen, Sprach- störungen, Kopfschmerzen und Ver- wirrtheit bis hin zu psychiatrischen Krankheitsbildern. Stärker ausge- prägte, lang anhaltende Hypoglyk- ämien führen zu schweren neurologi- schen Störungen im Sinne von apo- plektiformen Bildern, zum Auftreten von Krämpfen, Koma und schließlich zum Tod. Die Empfindlichkeit von Patienten mit neurologischen Vor- schädigungen kann dabei deutlich ge- steigert sein (9). Trotz der Vielfalt der möglichen Symptome einer Hypo- glykämie berichten die Patienten häu-

fig über ein individuelles Symptom- muster, das auch über längere Zeit- räume konstant bleiben kann. Meist bemerken die Patienten zunächst au- tonome Symptome, ehe es zu Zeichen einer Neuroglukopenie kommt. Ins- besondere bei wiederholtem und gehäuftem Auftreten von Hypoglyk- ämien können jedoch autonome Zei- chen fehlen, und neuroglukopenische Symptome treten in den Vorder- grund.

Ursachen von Hypoglykämien

Hypoglykämien beim Nichtdia- betiker haben eine Vielzahl von Ursa- chen, die sich einerseits in eine in- adäquate Sekretion oder Wirkung von Insulin und Insulin-ähnlichen Peptiden und andererseits in einen Substratmangel gliedern lassen (Text- kasten Ursachen der Hypoglykämie).

Insulinproduzierende Tumoren des Pankreas treten mit einer Inzi- denz von etwa vier Er- krankungen/Mio Per- sonenjahre auf. Etwa zehn Prozent der Insu- linome sind maligne entartet (21). In weite- ren etwa zehn Prozent der Fälle liegen multi- ple Adenome vor, die an eine multiple endo- krine Neoplasie Typ I (MEN I) denken las- sen. Bei diesen fa- miliären Formen kön- nen Insulinome mit Ne- benschilddrüsen- und Hypophysenadenomen sowie seltener mit einer Reihe anderer Tumoren vergesell- schaftet sein. Kürzlich publizierte Un- tersuchungen zeigen, daß Mutationen im MEN-I-Gen, dessen Genprodukt Menin als physiologischer Tumor- Suppressor wirkt, für das Auftreten der Erkrankung in diesen Familien verantwortlich sind (2). Mutationen des Sulfonylharnstoffrezeptors, ei- nes Regulators des ATP-abhängigen K+-Kanals der pankreatischen Beta- zellen, wurden als Ursache einer dif- fusen b-Zellhyperplasie bei Kindern beschrieben (Nesidioblastose), wel- che rezidivierende Hypoglykämien Whipple Trias

Blutzuckerkonzentration unter 2,5 mmol/l (< 45 mg/dl) Typische Symptome einer

Hypoglykämie (Textkasten Hypoglykämie) Rasche Besserung der Symptome

nach Glukosegabe

Symptomatik bei Hypoglykämie 1autonome Symptome Schwitzen, Hitzegefühl, Palpitationen, Tachykardien, Zittern, Schwäche, Angst,

Heißhunger, Übelkeit 1neuroglukopenische Symptome Sehstörungen (verschwommenes Sehen, Doppelbilder), Schwindel, Kopfschmerzen,

Verwirrtheit, Verhaltensänderungen (Konzentrationsstörungen, Aggressivität, Lethargie, Unfähigkeit zum Lösen von Routine-

aufgaben), Parästhesien, Hemiplegie, Aphasie, Krämpfe, Koma, Tod

(3)

auslöst (23). Sehr selten sind Hypo- glykämien im Rahmen einer paraneo- plastischen Sekretion Insulin-ähnli- cher Peptide, insbesondere von IGF- II („big“-IGF-II), die über Aktivie- rung des IGF-II oder des Insulinre- zeptors zum Teil schwere Unterzucke- rungszustände auslösen können (8, 27). Ebenfalls sehr selten (weniger als 200 Fälle weltweit) können Hypogly- kämien durch Antikörper gegen Insu- lin oder den Insulinrezeptor ausgelöst werden (1). Faktitielle Hypoglykämi- en sind nicht häufig (19). Wir sehen in unserer Klinik jährlich etwa einen Pa- tienten mit diesem Problem.

Hypoglykämien infolge eines Mangels an mobilisierbarer Glukose während längerer Nüchternphasen (Substratmangel) können im Rahmen einer Sepsis oder bei schwerer Malnu- trition auftreten, Folge schwerer Le- ber- oder Nierenerkrankungen sein, auf einer ausgeprägten metastatischen Durchsetzung der Leber beruhen oder seltener, und fast immer im Kindesal- ter diagnostiziert, Manifestation einer Glykogenspeichererkrankung sein.

Unter einer heute ungebräuchlichen Infusion von Sorbit- oder Fruktoselö- sungen werden bei abortiven Formen solcher Speichererkrankungen ausge- prägte Hypoglykämien beobachtet (10).

Klinisch bedeutsam sind medika- mentös ausgelöste Hypoglykämien, die häufig beobachtet werden, auch wenn die durch Insulin oder orale Antidiabetika ausgelösten Formen nicht mit berücksichtigt werden.

Wechselwirkungen von Medikamen- ten, aber auch von Noxen wie Alko- hol, der bereits in niedriger Konzen- tration die Glukoneogenese hemmt, müssen immer, insbesondere bei Pati- enten mit Niereninsuffizienz, schwe- ren Lebererkrankungen (Leberzir- rhose), Malnutrition oder schweren Infektionen, in die Differentialdiagno- se einbezogen werden (11). In selte- nen Fällen können Hypoglykämien in einer gestören humoralen Gegenregu- lation begründet sein. Allerdings sind im Erwachsenenalter Hypoglykämien als Folge einer Addisonschen Erkran- kung oder eines Ausfalls der hypophy- sären GH-Sekretion Raritäten.

Die Verdachtsdiagnose einer postprandialen Hypoglykämie im Sin- ne eines Dumping-Syndroms kann

durch die Anamnese einer Voropera- tion einfach gestellt werden. Dagegen sind sogenannte Pseudohypoglykämi- en, bei der zumeist autonome Sym- ptome auftreten, ohne daß eine Un- terzuckerung vorliegt, schwierig ein- zuordnen und stellen eine differenti- aldiagnostische Herausforderung dar

(20). Die Ursachen dieser Symptome, welche vom Patienten oft als sehr un- angenehm empfunden werden, sind noch weitgehend unklar. In systemati- schen Studien konnte weder eine Blutzuckerfehlregulation noch ein veränderter Schwellenwert für die Aktivierung der autonomen oder hu- moralen Gegenregulation als Ursache der Beschwerden gefunden werden.

Diagnostisches Vorgehen

Das Auftreten einer Whipple Trias mit niedrigem Blutzucker, hypo- glykämischen Symptomen und ra- scher Besserung der Symptomatik nach Applikation von Glukose ist be- weisend für eine Hypoglykämie. Der Nachweis dieser Konstellation gelingt beim ambulanten Patienten jedoch eher selten. Die Verdachtsdiagnose einer Hypoglykämie stützt sich daher in aller Regel auf die anamnestische Angabe von Symptomen, die an eine Hypoglykämie denken lassen. Die Messung einzelner niedriger Blut- zuckerwerte kann irreführen, da während längerer Fastenperioden auch physiologischerweise Blut- zuckerkonzentrationen bis 2,2 mmol/l (40 mg/dl) möglich sind.

Vor einer weiterführenden Dia- gnostik steht zunächst eine ausführli- che Anamneseerhebung. Die lange Zeit übliche anamnestische Eintei- lung in Nüchtern- und postprandiale Hypoglykämie hat sich für das diffe- rentialdiagnostische Vorgehen in der Praxis mit Ausnahme des Spätdum- pings als nicht hilfreich erwiesen. Ei- ne Einteilung nach klinischen Krite- rien scheint besser geeignet, die Ur- sachen einer Hypoglykämie einzu- grenzen.

Bei gesund wirkenden Patienten muß die Anamnese auf die Einnahme von Medikamenten, körperliche Akti- vität und andere prädisponierende Faktoren wie Alkoholkonsum abhe- ben, ehe organische Ursachen wie bei- spielsweise ein Insulinom in Erwä- gung gezogen werden (10, 11, 20). Die Abgrenzung zwischen einer organi- schen Hypoglykämie und einer Pseudohypoglykämie kann mitunter schwierig sein. Vor einer weiter- führenden, stationären Diagnostik sollte hier in Zweifelsfällen zur Verifi- zierung der anamnestischen Angaben ein Stimulationstest mittels einer Test- mahlzeit mit Bestimmung des Blut- zuckers bei Auftreten von Sympto- men durchgeführt werden. Ein oraler Glukosetoleranztest über fünf Stun- den gilt heute wegen häufiger falsch positiver Befunde allgemein als obso- let (10, 20). Ist der Nachweis einer Hy- poglykämie erbracht (Whipple Trias) oder besteht aufgrund der Anamnese ein begründeter Verdacht, so muß eine Ursachen der Hypoglykämie

beim Erwachsenen Autonome Sekretion von Insulin

Insulinom (MEN I) Nesidioblastose (Mutation des

Sulfonylharnstoffrezeptors) Paraneoplastische Sekretion von

IGF-II-ähnlichen Peptiden Autoimmunprozesse(Insulinauto-

antikörper, -Rezeptorantikörper) Hypoglykämien durch Störung der

humoralen Gegenregulation Ausfall der somatotropen und adrenotropen Hypophysenachse,

M. Addison Substratmangel Enzymdefekte (Fruktose- intoleranz, Galaktosämie)

Schwere Leber-, Nierenerkrankungen Kachexie, Anorexis nervosa,

Sepsis Alkohol, Toxine (Pilztoxine, Ackee-Frucht)

Medikamenteninduzierte Hypoglykämien

Faktitielle Hypoglykämie durch Insulin oder orale Antidiabetika

Salicylate, Chinin, Chinidin, Pentamidin

Trimethoprim/Sulfamethazol und Propoxyphen bei

Niereninsuffizienz Haloperidol, Disopyramid

(4)

weiterführende Diagnostik erfolgen, für die unverändert der 72-h-Hunger- versuch den Goldstandard darstellt (Textkasten Durchführung des 72-h- Hungerversuchs). Dieser dient einer- seits dem Nachweis einer Hypoglyk- ämie unter kontrollierten Bedingun- gen und andererseits der weiteren differentialdiagnostischen Abklärung, wobei der Nachweis beziehungsweise Ausschluß eines Insulinoms im Vor- dergrund steht. Ist es innerhalb von 48 h zu keiner signifikanten Sympto- matik mit entsprechendem Blutzucker- abfall gekommen, so ist eine Hypogly- kämie mit 90prozentiger Wahrschein- lichkeit und nach 72 h faktisch aus- geschlossen (22). Zur praktischen Durchführung des Tests ist eine exak- te, das heißt laborchemische Bestim- mung der Blutzuckerwerte unbeding- te Voraussetzung, da die üblicherweise auf Station benutzten Systeme zur Blutzuckerselbstmessung im unteren Bereich bis auf wenige Ausnahmen keine ausreichende Präzision aufwei- sen (24). In jedem Fall muß der am Krankenbett direkt gemessene Blut- zucker durch eine schnell verfügbare enzymatische Messung bestätigt wer- den. Bei Auftreten hypoglykämischer Symptome und niedriger Blutzucker- spiegel erlaubt die Bestimmung von Insulin, C-Peptid, Proinsulin und ge- gebenenfalls b-Hydroxybutyrat sowie von Sulfonylharnstoffen im Urin eine differentialdiagnostische Einordnung.

Da ein 72-h-Hungervesuch eine sta- tionäre Aufnahme voraussetzt, wur- den eine Reihe von ambulanten Test- verfahren vorgeschlagen, die die am- bulante Abklärung einer Hypoglyk- ämie ermöglichen sollen. Mehrere Arbeitsgruppen favorisieren den so- genannten C-Peptid-Suppressionstest.

Bei diesem Test werden Insulin unter euglykämischen oder hypoglykämi- schen Bedingungen infundiert und die Suppression von C-Peptid bezie- hungsweise Proinsulin gemessen (18).

Im Gegensatz zum Gesunden findet sich bei Patienten mit einem Insuli- nom keine Suppression von C-Peptid oder Proinsulin. Beim intravenösen Tolbutamid-Test wird 1 g Tolbutamid nach nächtlichem Fasten i. v. appli- ziert. Ein Abfall des Blutzuckers auf Werte unter 3,1 mmol/l (55 mg/dl) nach 120 bis 180 Minuten weist auf ein Insulinom hin (14). Keines dieser Test-

verfahren hat sich allerdings bislang breit durchgesetzt, da die Protokolle zur Durchführung der Teste und die Interpretation der Ergebnisse teils er- heblich variieren und verläßliche An- gaben zur Sensitivität und Spezifität insbesondere im Vergleich zum 72-h- Hungerversuch fehlen.

Beim krank wirkenden, meist po- lymorbiden Patienten stehen vor al- lem Wechselwirkungen von Medika- menten mit der Grundkrankheit (Le- ber-, Niereninsuffizienz, Sepsis) im Vordergrund. Läßt der Allgemeinzu- stand des Patienten an einen ausge- prägten Substratmangel (zum Bei- spiel Leberzirrhose, Lebermetasta- sen) oder eine tumorabhängige Hy- poglykämie mit paraneoplastischer Sekretion von zum Beispiel „big“- IGF-II denken, muß die Diagnostik auf die Grundkrankheit fokussie- ren (8, 27). Ein Glukagontest zum Nachweis eines Substratmangels oder die Bestimmung von beispielswei- se „big“-IGF-II bei Verdacht auf eine paraneoplastische Ursache die- nen hier lediglich der Bestätigung der Verdachtsdiagnose(Grafik).

Lokalisationsdiagnostik eines Insulinoms

Ist die Diagnose eines Insulinoms biochemisch gesichert, sollte vor einer Operation der Versuch einer Lokali- sationsdiagnostik mittels bildgeben- der Verfahren erfolgen. Der Tumor- nachweis mittels abdomineller Sono- graphie bleibt oft erfolglos, da die meisten Insulinome klein sind (< 2 cm). In vielen Fällen gelingt jedoch mit Hilfe einer NMR- oder CT-Unter- suchung des Oberbauchs oder endo- sonographisch die exakte Lokalisati- on des Tumors. Da erfahrene endokri- ne Chirurgen teilweise unter Einsatz des intraoperativen Ultraschalls in bis zu 95 Prozent der Fälle den Tumor in- traoperativ erfolgreich nachweisen, sind invasive präoperative Lokalisati- onsverfahren vor einer Erstoperation jedoch nicht obligat. In unklaren Fäl- len können die bildgebenden Verfah- ren durch eine invasive, funktionelle Lokalisationsdiagnostik ergänzt wer- den. Durch selektive intraarterielle Stimulation der das Pankreas versor- genden Arterien mit Kalzium ist es möglich, eine pathologisch erhöhte Insulinfreisetzung durch hochfre- quente hepatovenöse Blutentnahme einem bestimmten arteriellen Versor- gungsgebiet zuzuordnen. In einer Se- rie von bislang acht Patienten, darun- ter ein Patient, bei dem auch im intra- operativen Ultraschall der Tumor nicht darstellbar war, konnten in unse- rem Hause mit Hilfe dieser Technik in allen Fällen das Insulinom richtig lo- kalisiert und damit die positiven Be- funde von J. Doppmann an 25 Patien- ten bestätigt werden (14). Der Einsatz solch aufwendiger Verfahren sollte aber nur auf die Fälle beschränkt blei- ben, in denen mit den einfachen Stan- dardverfahren eine Tumorlokalisati- on nicht gelingt.

Therapie

Ziel der Therapie einer Hypo- glykämie besteht in der akuten Besei- tigung der Neuroglukopenie. Glukose sollte als intravenöser Bolus, beispiels- weise 40 ml 40 prozentige Glukose- lösung, und/oder als kontinuierliche Infusion, beispielsweise fünf- bis zehn- prozentige Glukoselösung, gegeben Durchführung des 72-h-Hunger-

versuchs Medikamente absetzen,

(wenn möglich) mindestens 2 l Mineralwasser

pro Tag

Beginn des Versuchs mit letzter Nahrungsaufnahme Kontrolle von Blutzucker (BZ),

Proinsulin, Insulin, C-Peptid 4stündlich bei BZ > 60 mg/dl 2stündlich bei BZ 50 bis 60 mg/dl

mindestens stündlich bei BZ < 50 mg/dl

enge klinische Überwachung zur Evaluierung von Symptomen Abbruch des Tests bei Symptomen

einer Hypoglykämie und BZ < 45 mg/dl beziehungsweise ohne Hy- poglykämiesymptome, wenn zwei-

malig BZ < 40 mg/dl Bestimmung von BZ, Proinsulin,

Insulin, C-Peptid sowie gegebe- nenfalls b-Hydroxybutyrat und

Sulfonylharnstoffpräparate

(5)

werden. Dies reicht in aller Regel aus, um die neuroglukopenischen Sympto- me rasch zu beseitigen. Führt die aus- reichende Gabe von Glukose nicht in- nerhalb weniger Minuten zum ge- wünschten Erfolg, muß die Diagnose ernstlich in Zweifel gezogen bezie- hungsweise von einer schweren zere-

bralen Schädigung ausgegangen wer- den. Alternativ zur Gabe von Glukose kann bei ausreichenden hepatischen Glykogendepots Glukagon 1 mg s. c.

oder i. m. gespritzt werden. Vor jeder therapeutischen Intervention sollte, wenn möglich, Blut zur Bestimmung von Blutzucker, Insulin, C-Peptid und Proinsulin asserviert werden.

Während die Akuttherapie rein sym- ptomatisch ausgerichtet ist, orientiert sich die langfristige Therapie an den Ursachen einer Hypoglykämie. Nach Diagnose eines Insulinoms ist dessen chirurgische Entfernung primäres Ziel. Präoperativ sowie bei Patienten mit MEN I oder Nesiodioblastose kann in einzelnen Fällen die Gabe von Diazoxid, einem oral wirksamen Ben- zothiadiazin, das die Freisetzung von

Insulin hemmt, in einer Dosierung von 150 bis 600 mg/d versucht werden (21).

Der Einsatz von Octreotid, einem syn- thetischen Somatostatinanalogon, er- scheint nur in Einzelfällen gerechtfer- tigt, da Insulinome meist keine Soma- tostatinrezeptoren besitzen. Bei mali- gnen, metastasierten Insulinomen, bei

denen eine kurative chirurgische The- rapie nicht möglich ist, kann Wachs- tum wie Symptomatik durch eine The- rapie mit Streptozotocin und 5-Fluor- uracil häufig günstig beeinflußt wer- den (17). Bei paraneoplastischen Hy- poglykämien steht ebenfalls die opera- tive Entfernung des Tumors im Vor- dergrund. Ist dies in fortgeschrittenen Fällen nicht möglich, bleibt häufig ebenso wie bei schwerem irreversi- blem Substratmangel (Metastasenle- ber) nur die kontinuierliche intravenö- se Glukosezufuhr als letzte palliative Möglichkeit. Medikamenteninduzier- te Hypoglykämien müssen identifi- ziert und beseitigt werden. Die Be- handlung faktitieller Hypoglykämien kann bis zu deren sicherem Nachweis und bis zur Einleitung einer unterstüt-

zenden psychiatrischen Therapie pro- blematisch sein. Patienten mit einer Pseudohypoglykämie sollten ähnlich wie Patienten mit einem Spätdumping diätetisch beraten werden. Durch häu- fige ballaststoffreiche Mahlzeiten (6/d) mit einem geringen Anteil an schnell resorbierbaren Kohlenhydra-

ten gelingt es meist, die Symptome gut zu kupieren.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-1022–1026 [Heft 17]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Georg Brabant Klinische Endokrinologie Zentrum Innere Medizin und Dermatologie

Medizinische Hochschule Hannover 30623 Hannover

Klassifikation des Patienten nach Klinik

Medikamentenanamnese, Tumorsuche

72 h Hungerversuch Abbruchkriterien:

Blutzucker < 45 mg/dl und neuroglykopenische Symptome beziehungsweise Blutzucker < 40 mg/dl ohne neuroglykopenische Symptome

Tumorsuche

(beispielsweise Ultraschall Abdomen, “big“-IGF-II) Verdacht auf Pseudohypoglykämie

(beispielsweise Testmahlzeit) gesund krank

Messung von Proinsulin/Insulin/C-Peptid

Proinsulin /Insulin /C-Peptid Proinsulin /Insulin /C-Peptid Proinsulin /Insulin /C-Peptid

Störung der Glukoneogenese Exogene Insulingabe

Insulinom/orale Antidiabetika Grafik

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