• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Klassifikation und Diagnose des Diabetes mellitus" (04.12.1998)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Klassifikation und Diagnose des Diabetes mellitus" (04.12.1998)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

ährend des Amerikani- schen Diabeteskongresses im Juni 1997 wurden in Boston neue Kriterien zur Diagnose und eine neue Klassifikation des Diabetes mellitus vorgestellt. Beides hat das „expert committee on the diagnosis and classification of diabe- tes mellitus“ erarbeitet, das von der Amerikanischen Diabetes-Gesell- schaft ins Leben gerufen wurde und dem Vertreter dieser Gesellschaft sowie weitere Diabetologen aus den USA und Europa angehörten. Vor- gestellt wurde der Bericht des Ex- pertenkomitees von dessen Vorsit- zendem (J. R. Gavin, Bethesda, MD) und von K. G. M. M. Alberti als Ver- treter der WHO. Auch wenn der in Boston vorgetragene und inzwischen publizierte Report (3) formal eine Verlautbarung der Amerikanischen Diabetes-Gesellschaft ist, kann man nach Aussage von Prof. Alberti da- von ausgehen, daß sich die WHO der neuen Klassifikation und auch den Diagnosekriterien (mit Ausnahme

der Kriterien zur Diagnose des Ge- stationsdiabetes) anschließen wird.

Dies ist insofern von Bedeutung, als es in den letzten zwei Jahrzehnten international zwei Klassifikationen und Diagnosekriterien gegeben hat:

die der amerikanischen NDDG (National Diabetes Data Group) (1) und der WHO (2). Diese Verlautba- rungen unterschieden sich in eini- gen, nicht ganz unwichtigen Details.

Die jetzt bevorstehende Vereinheit- lichung ist sehr zu begrüßen.

Klassifikation des Diabetes mellitus

Die neue Klassifikation ist im Textkasten: Klassifikation des Diabe- tes mellitus dargestellt. Die wichtig- sten Änderungen lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen.

Œ Die neue Klassifikation ori- entiert sich an ätiologischen Ge- sichtspunkten und verläßt die frühe- re, vorwiegend an der Therapie aus- gerichtete Einteilung. Auf diese Weise werden die vor allem in Nord- amerika verbreiteten Begriffe wie IDDM (Insulin Dependent Diabetes Mellitus) und NIDDM (Non Insulin Dependent Diabetes Mellitus) elimi- niert und ausschließlich durch die Bezeichnungen Typ-1- beziehungs- weise Typ-2-Diabetes ersetzt. Dies ist sehr zu begrüßen, da mit den Dia- gnosen IDDM und NIDDM, die sich in letzter Zeit auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit erfreuen, mehr Verwirrung als Klarheit ge- schaffen wurde.

 Es wird die Unterteilung des Typ-1-Diabetes in eine immunolo- gisch bedingte Form (1 A) und eine idiopathische Form (1 B) vorge- schlagen.

Die praktische Bedeutung die- ser Einteilung dürfte für unsere Re- gion nicht sehr groß sein, da in Euro-

Klassifikation und Diagnose des

Diabetes mellitus

Wolfgang Kerner

WHO und Amerikanische Diabetes-Gesellschaft (ADA) haben kürzlich eine gemeinsam erarbeitete Neufassung der Klassifikation und Diagnosekriterien des Diabetes mellitus vorgestellt. Die neue Klassifikation ist an der Ätiologie der Diabetesformen orientiert. Begriffe wie IDDM und NIDDM werden auf diese Weise eliminiert. Der diagnosti- sche Grenzwert für die Nüchternglukose im Plasma wurde auf 126 mg/dl (entsprechend 110 mg/dl im Vollblut) gesenkt.

Ausschlaggebend hierfür waren neue Arbeiten aus der Epi- demiologie der mikrovaskulären Komplikationen. Neu ist, daß zur Diagnose einer gestörten Glukosetoleranz nicht

mehr unbedingt ein oraler Glukose- Toleranztest erforderlich ist. Dies ist

nun anhand der Nüchtern-Glukosewerte möglich (abnorme Nüchternglukose). Die gestörte Glukosetoleranz ist in der neuen Klassifikation keine eigenständige Erkrankung mehr, sondern hat den Stellenwert eines Krankheitsstadiums.

Keine Änderungen wird es beim Gestationsdiabetes geben.

Hierzu existieren weiterhin die unterschiedlichen Richtlini- en von ADA und WHO.

Schlüsselwörter: Diabetes mellitus, Klassifikation, Diagnose, Gestörte Glukosetoleranz, Gestationsdiabetes

ZUSAMMENFASSUNG

Classification and Diagnosis of Diabetes Mellitus The American Diabetes Association (ADA) has recently published a new classification of diabetes mellitus and revised criteria for diagnosis. It has been announced that WHO will adopt these changes in near future. The classification is no longer based on therapeutic options but on our present knowledge on the etiology of diabetes. The terms IDDM and NIDDM have been eliminated and replaced by type 1 and type 2 diabetes. Measurement of fasting glucose is the pre- ferred test for diagnosis of diabetes. The diagnostic threshold

value has been lowered to 126 mg/dl (110 mg/dl in whole blood). For the diagnosis of an impair-

ment in glucose tolerance an oral glucose tolerance test is no longer necessary. Diagnosis is now possible on the basis of a fasting plasma glucose value between 110 and 125 mg/dl (impaired fasting glucose). With regard to gestational diabetes no consent was found between ADA and WHO. Different diagnostic criteria from both institutions will continue to exist.

Key words: Diabetes mellitus, classification, diagnosis, impaired glucose tolerance, gestational diabetes

SUMMARY

W

Klinik für Diabetes und Stoffwechselkrankhei- ten (Direktor: Prof. Dr. med. Wolfgang Kerner), Klinikum Karlsburg

(2)

Klassifikation des Diabetes mellitus

I. Diabetes mellitus Typ 1 (bb-Zellzerstörung, die zum ab- soluten Insulinmangel führt)

A. Immunologisch bedingt B. Idiopathisch(in Europa selten)

II. Diabetes mellitus Typ 2 (reicht vom Vorwiegen der In- sulinresistenz mit relativem Insulinmangel bis zum Vor- wiegen des Sekretionsdefizits mit Insulinresistenz)

III. Andere Diabetestypen mit bekannten Ursachen A. Genetische Defekte der b-Zellfunktion

1. Chromosom 12, HNF-1a(MODY3) 2. Chromosom 7, Glukokinase (MODY2) 3. Chromosom 20, HNF-4a(MODY1)

4. Mitochondriale DNA (MIDD, Maternally Inheri- ted Diabetes and Deafness)

5. Andere Defekte

B. Genetische Defekte der Insulinwirkung

1. Insulinresistenz Typ A, 2. Leprechaunismus, 3. Rabson-Mendenhall-Syndrom, 4. Lipatrophischer Diabetes, 5. Andere Defekte

C. Erkrankungen des exokrinen Pankreas

1. Pankreatis, 2. Trauma/Pankreatektomie, 3. Neo- plasmen, 4. Zystische Fibrose, 5. Hämochromatose, 6. Fibrokalzifizierende Pankreatitis, 7. Andere Er- krankungen

D. Endokrinopathien

1. Akromegalie, 2. Cushing-Syndrom, 3. Gluka- gonom, 4. Phäochromozytom, 5. Hyperthyreose, 6. Somatostatinom, 7. Aldosteronom (primärer Hyperaldosteronismus), 8. Andere Erkrankungen E. Medikamentös-toxisch induziert

1. Vacor (Rattengift), 2. Pentamidin, 3. Nikotinsäure, 4. Glukokortikoide, 5. Schilddrüsenhormone, 6. Diaz- oxid, 7. b-adrenerge Agonisten, 8. Thiazid-Diuretika, 9. Dilantin, 10. a-Interferon, 11. Andere Ursachen F. Infektionen

1. Kongenitale Röteln, 2. Zytomegalievirus, 3. An- dere Infektionen

G. Seltene, immunologisch bedingte Formen

1. „Stiff-man“-Syndrom, 2. Anti-Insulin-Rezeptor- Antikörper, 3. Andere Formen

H. Andere, manchmal mit Diabetes assoziierte Syndrome 1. Down-Syndrom, 2. Klinefelter-Syndrom, 3. Tur- ner- Syndrom, 4. Wolfram-Syndrom, 5. Friedreich- sche Ataxie, 6. Chorea Huntington, 7. Lawrence- Moon-Biedel-Syndrom, 8. Dystrophia myotonica, 9.

Porphyrie, 10. Prader-Willi-Labhart-Syndrom, 11.

Andere Syndrome

IV. Gestationsdiabetes (Schwangerschaftsdiabetes)

Diagnostische Kriterien des Diabetes mellitus

Symptome des Diabetes und Plasmaglukose 200 mg/dl/11,1 mmol/l (Glukose im kapillären Vollblut 200 mg/dl/11,1 mmol/l) zu einem beliebigen Zeitpunkt des Tages (ohne Rücksicht auf den Zeit- punkt der letzten Mahlzeiteneinnahme). Die klassischen Symptome des Diabetes sind: Polyurie, Polydipsie und sonst nicht zu erklären- der Gewichtsverlust oder

Nüchtern-Plasmaglukose 126 mg/dl/7,0 mmol/l (Glukose im kapillären Vollblut 110 mg/dl/6,1 mmol/l). Nüchtern bedeutet: Kei- ne Kalorienzufuhr für wenigstens acht Stunden oder

2h-Plasmaglukose 200 mg/dl/11,1 mmol/l (Glukose im ka- pillären Vollblut 200 mg/dl/11,1 mmol/l) während eines OGTT.

Testdurchführung nach WHO-Richtlinien mit 75 g Glukose (oder äquivalenter Menge hydrolysierter Stärke), aufgelöst in Wasser.

Ohne die eindeutigen Zeichen der Hyperglykämie mit metabolischer De- kompensation müssen die Ergebnisse der Glukosebestimmung durch Wie- derholungsmessungen zu einem späteren Zeitpunkt bestätigt werden.

Die Anwendung des oralen Glukosetoleranztests (OGTT) wird für die klini- sche Routine nicht empfohlen.

Die der Diagnose eines Diabetes zugrundeliegende Glukosemessung muß mit einer qualitätskontrollierten Labormethode erfolgen. Geräte, die zur Selbstmessung durch den Patienten konzipiert sind, eignen sich hierfür nicht!

Durchführung des oralen Glukosetoleranz-Tests

(nach WHO-Richtlinien)

G Durchführung am Morgen (nach 10 bis 16stündiger Nahrungs- karenz) nach einer mindestens dreitägigen Ernährung mit mehr als 150 g Kohlenhydraten/Tag. Patient in sitzender oder liegender Position. Rauchen vor und während des Tests nicht erlaubt.

G Zum Zeitpunkt 0 trinkt der Patient 75 g Glukose (oder äquivalen- te Menge hydrolysierte Stärke) in 250 bis 300 ml Wasser innerhalb von 5 Minuten. Kinder erhalten 1,75 g/kg Körpergewicht (bis maxi- mal 75 g). Blutentnahmen zur Glukosebestimmung zu den Zeit- punkten 0 und 120 Minuten (der 60-Minuten-Wert ist nicht obligato- risch). Sachgerechte Aufbewahrung der Blutproben bis zur Mes- sung.

Es ist viel zu wenig bekannt, aber von großer praktischer Bedeutung, daß län- geres Fasten oder eine Kohlenhydratmangel-Ernährung auch bei Gesunden zur pathologischen Glukosetoleranz führen kann.

Es ist unnötig, bei Patienten, die Medikamente erhalten, die bekanntermaßen die Glukosetoleranz verschlechtern, einen OGTT durchzuführen.

Diabetes-Screening bei Gesunden

Œ Tests sollten in Betracht gezogen werden bei allen Personen, die 45 Jahre oder älter sind. Bei Normalbefunden sollte Wiederholung nach drei Jahren erfolgen.

 Tests sollten in Betracht gezogen werden bei jüngeren Personen oder in kürzeren Intervallen durchgeführt werden, wenn:

G ein Übergewicht vorliegt (120 Prozent Normalgewicht oder BMI 27 kg/m²)

G ein/e erstgradig Verwandte/r einen Diabetes hat

G eine Frau ein Kind mit > 4 000 g geboren hat oder bei ihr ein Ge- stationsdiabetes festgestellt wurde

G ein Hypertonus vorliegt (140/90 mmHg)

G eine Hyperlipidämie mit HDL-Cholesterin 35 mg/dl und/oder Triglyzeriden 250 mg/dl vorliegt

G eine frühere Untersuchung eine gestörte Glukosetoleranz oder ei- ne abnorme Nüchternglukose ergeben hat

(3)

pa ein Typ-1-Diabetes ohne immu- nologische Phänomene selten ist.

Ž Die Einteilung in Typ-2a- Diabetes und Typ-2b-Diabetes wird nicht länger empfohlen. Diese Ver- änderung ist sinnvoll, da es sehr frag- lich ist, ob nicht übergewichtige, im späteren Erwachsenenalter manife- stierte Diabetiker tatsächlich einen Typ-2-Diabetes oder viel eher eine dem Typ-1-Diabetes ähnliche Er- krankung haben.

 Der Begriff der gestörten Glukosetoleranz (Impaired Glucose Tolerance; IGT) wurde beibehalten.

Er wird jedoch nicht mehr als eigen- ständige Diagnose geführt, sondern dient zur Beschreibung des Aus- maßes der Hyperglykämie oder des Stadiums der Erkrankung.

Davon unberührt bleibt die Rol- le der gestörten Glukosetoleranz als

Risikofaktor für die Entwicklung ei- nes Diabetes mellitus und für makro- vaskuläre Erkrankungen.

In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß der Begriff

„abnorme Nüchternglukose“ (Im- paired Fasting Glucose; IFG) als Äquivalent zur gestörten Glukoseto- leranz hinzugekommen ist.

 Alle Diabetestypen können in verschiedenen Stadien der Hyper- glykämie vorkommen.

Häufig verstärkt sich das Aus- maß der Hyperglykämie mit der zunehmen Dauer des Diabetes(Gra- fik).

Diagnostische Kriterien

Die neuen Kriterien zur Dia- gnose eines Diabetes mellitus sind dem Textkasten: Diagnostische Krite- rien des Diabetes mellitusund der Ta- belle 1 zu entnehmen. Folgende Punkte sind hervorzuheben:

Œ Die Diagnose eines Diabetes mellitus kann anhand der Nüchtern- glukose oder des 2h-Glukosewertes beim oralen Glukose-Toleranz-Test (OGTT) gestellt werden. In der al- ten Klassifikation waren die Grenz- werte im Plasma für den Glukose- Nüchternwert 140 mg/dl und für den 2h-Wert 200 mg/dl. Es war ein seit langem bekanntes Problem, daß bei- de Werte oft nicht gleichsinnig be- wertet werden konnten: Wenn ein Patient mit einem Nüchternwert von 130 mg/dl einem OGTT unterzogen

wurde, lag der 2h-Wert in der Regel deutlich über 200 mg/dl. Demnach waren nicht selten, je nach Verwen- dung von Nüchtern- oder 2h-Wert, unterschiedliche Diagnosen zu stel- len. Diesem Phänomen tragen die neuen Diagnosekriterien Rechnung und „synchronisieren“ beide Werte besser, indem sie die Grenzen für die Plasmaglukose auf 126 oder 200 mg/dl festsetzen.

 Unabhängig davon beruht die Absenkung des Nüchternwertes von 140 auf 126 mg/dl auf neuen Er- gebnissen aus der Epidemiologie der mikrovaskulären Komplikationen

des Diabetes. In verschiedenen Stu- dien konnte gezeigt werden, daß die Prävalenz der Retinopathie bereits bei Nüchternwerten im Plasma über 126 mg/dl und bei 2h-Werten über 200 mg/dl stark zunimmt.

Ž Während nach den alten Kri- terien die Diagnose einer gestörten Glukosetoleranz nur anhand eines OGTT gestellt werden konnte, ist dies nach neuen Kriterien auch mit der Nüchternglukose möglich. Hier- für wurde der Begriff „abnorme Nüchternglukose“ (Impaired Fasting Glucose; IFG) eingeführt.

 Die Autoren der neuen Dia- gnosekriterien empfehlen, in der täglichen Praxis ausschließlich die Nüchternglukose zu verwenden. Der hauptsächliche Grund ist die Verein- fachung der Diagnostik. Der OGTT soll nur in unklaren Fällen oder im

Rahmen von wissenschaftlichen Stu- dien angewandt werden (Textkasten:

Durchführung des oralen Glukose- toleranz-Tests[nach WHO-Richtlini- en]).

 Derzeit eignet sich das glyko- sylierte Hämoglobin (HbA1 oder HbA1c) nicht zur Diagnose des Dia- betes. Die Gründe hierfür sind, daß die Messung des glykosylierten Hä- moglobins nicht ausreichend stan- dardisiert ist, das heißt die Schwan- kungen von Labor zu Labor sind zu groß. Hinzu kommt, daß die Mes- sung des glykosylierten Hämoglo- bins bedeutend teurer als die Mes-

Stadien Normoglykämie Hyperglykämie

Typen

Typ 1**

Typ 2 Andere Typen*

Gestations- diabetes

Normale Blutzuckerregulation

Diabetes mellitus Gestörte Glukose-Toleranz

Gestörte Nüchtern-Glukoseoder Nicht

insulinbedürftig Insulin zur

guten Einst. Insulin zum Überleben Grafik 1

Schematische Darstellung des Zusammenhangs zwischen ätiologisch klassifiziertem Diabetestyp und dem Ausmaß der Hyperglykämie (3). ** In den initialen Stadien des Typ-1-Diabetes können Störungen des Glukosestoffwechsels nur mit speziellen Methoden nachgewiesen werden. * In seltenen Fällen kann bei diesen Patienten In- sulin lebensnotwendig sein.

Gestations- diabetes*

Typ 1**

Typ 2 Typen

Stadien Normoglykämie Hyperglykämie

Andere Typen*

(4)

sung von Glukose ist. Aus interna- tionaler Sicht ist die Messung des glykosylierten Hämoglobins nicht überall verfügbar. Bei der zu erwar- tenden Verbesserung und Vereinfa- chung der Analytik ist es aber durch- aus denkbar, daß zukünftige Diagno- sekriterien auf der Messung des gly- kosylierten Hämoglobins beruhen werden.

‘ Die Diagnose eines Diabetes darf nur mit Glukosewerten gestellt werden, die mit einer qualitätskon- trollierten Labormethode gemessen wurden. Geräte zur Blutzucker- selbstmessung eignen sich hierfür unter keinen Umständen!

Selbst bei Anwendung exakter Labormethoden ist zu bedenken, mit

welcher Genauigkeit ein Glukose- wert gemessen werden kann: So- gar bei einem „guten“ Variationsko- effizienten einer Methode von zwei Prozent muß man davon ausgehen, daß bei einem „wahren“ Wert von 126 mg/dl der 95-Prozent-Vertrau- ensbereich von 121 bis 131 mg/dl reicht.

Je nach klinischer Bedeutung der Diagnose sollten im Einzelfall Werte im Grenzbereich mehrmals in größeren zeitlichen Abständen ge- messen und/oder ein oraler Glukose- toleranztest gemacht werden.

’ Der Report, in dem die neuen Diagnosekriterien beschrieben sind (3), verwendet Plasma-Glukosewer- te. Da in der Praxis die Glukose eher

selten im Plasma gemessen wird, gibt Tabelle 3 Hinweise zur ungefähren Umrechnung in geläufigere Werte.

Diagnose des Gestationsdiabetes

Unter Gestationsdiabetes wird jede Störung der Glukosetoleranz verstanden, die während einer Schwangerschaft auftritt oder erst- mals festgestellt wird. Es wird auch weiterhin unterschiedliche Diagno- sekriterien der WHO und der Ame- rican Diabetes Association (ADA) geben. Die WHO verwendet für den Gestationsdiabetes dieselben Krite- rien, wie sie außerhalb einer Schwan- Tabelle 2

Diagnose des Gestationsdiabetes (Deutsche Diabetes-Gesellschaft)

Screening-Test (24. bis 28. Schwangerschaftswoche): 50 g Glukose oral (zu einem beliebigen Zeitpunkt des Tages, unabhängig vom Zeitpunkt der letzten Mahlzeit). Verdacht auf Gestationsdiabetes, wenn Glukose nach einer Stunde:

Kapilläres Vollblut Venöses Vollblut Venöses Plasma

mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l

> 140 > 7,8 > 120 > 6,7 > 140 > 7,8

Die Diagnoseeines Gestationsdiabetes wird bei entsprechendem Verdacht durch einen vollständigen OGTT (75 g; nach Richt- linien der WHO, zusätzlich 60-Minuten-Wert) gestellt. Ein Gestationsdiabetes liegt vor, wenn für mindestens zwei Werte gilt:

Kapilläres Vollblut Venöses Vollblut Venöses Plasma

mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l

Nüchtern > 90 > 5,0 > 90 > 5,0 > 105 > 5,8

60 Minuten > 190 > 10,6 > 165 > 9,2 > 190 > 10,6

120 Minuten > 160 > 8,9 > 140 > 7,8 > 160 > 8,9

Tabelle 1

Diagnostische Kriterien des Diabetes mellitus

Plasma-Glukose

Nüchtern Tagesverlauf OGTT

mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l

Diabetes 126 7,0 200 + Sympt. 11,1 + Sympt. 2hPG** 200 2hPG 11,1

Gestörte

Glukosetoleranz 110–125* 6,1–6,9* 2hPG = 140–199 2hPG = 7,8–11,0

Normalbefund < 110 < 6,1 2hPG < 140 2hPG < 7,8

* Impaired Fasting Glucose = Abnorme („gestörte“) Nüchternglukose

** 2hPG = 2-Stunden Plasmaglukose bei oralem Glukosetoleranztest (75 g)

(5)

gerschaft gelten. Demgegenüber hat die ADA schwangerschaftsspezi- fische Grenzwerte erstellt, die in leichter Modifikation auch von der Deutschen Diabetes-Gesellschaft empfohlen werden. Diese Kriterien sind in Tabelle 2 zusammengefaßt.

Im Gegensatz zu früher wird im vor- liegenden Report der Screeningtest nicht mehr für alle Schwangeren empfohlen. Nach den neuen Emp- fehlungen sind hiervon ausgenom- men normalgewichtige Frauen unter dem 25. Lebensjahr ohne familiäre Diabetesbelastung (nur erstgradige Verwandte). Bei auffälligem Scree- ningtest muß ein OGTT zur definiti- ven Diagnose angeschlossen werden.

Screening auf Diabetes mellitus bei Gesunden

Die Empfehlungen der Exper- tengruppe für das Diabetes-Scree- ning sind im Textkasten: Diabetes- screening bei Gesundenwiedergege-

ben. Das Screening sollte durch Mes- sung der Nüchternglukose erfolgen.

Nach Untersuchungen aus den USA sind 50 Prozent aller Fälle mit Typ-2-Diabetes nicht diagnostiziert.

Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Zahl der nicht diagnostizierten

Diabetiker in Deutschland nur halb so groß ist, wären hierzulande davon mindestens eine Million Menschen betroffen. Es erscheint plausibel, daß durch regelmäßiges Screening und das damit verbundene frühere Ein- setzen der Therapie die Folgen des Diabetes vermindert werden kön- nen. Kontrollierte Studien zum Er- folg von derartigen Screening-Maß- nahmen liegen allerdings nicht vor.

Zum jetzigen Zeitpunkt wird ein Antikörper-Screening zur Frühdia- gnose des Typ-1-Diabetes außerhalb kontrollierter Studien nicht empfoh- len. Der hauptsächliche Grund für diese Entscheidung ist das Fehlen ge- sicherter therapeutischer Maßnah- men, mit denen der Ausbruch der Er- krankung verhindert werden kann.

Seit Fertigstellung dieses Ma- nuskripts sind die vorläufigen Richt- linien der WHO zur Klassifikation und Diagnose des Diabetes mellitus erschienen (Alberti KGMM, Zim- met PZ for the WHO Consultation:

Definition, Diagnosis and Classifica- tion of Diabetes Mellitus and its Complications. Part 1: Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus.

Provisional Report of a WHO Con- sultation. Diabetic Med 1998; 15:

539–553). Diese Richtlinien unter- scheiden sich inhaltlich nur marginal von den vorgestellten Richtlinien der American Diabetes Association.

Als wichtige Unterschieden seien er- wähnt:

Œ Nach WHO-Richtlinien wird die Diagnose einer gestörten Gluko- setoleranz auch weiterhin bevorzugt mit einem 75-g-OGTT, und nicht mit der Nüchternglukose gestellt. Ins- gesamt mehren sich die Hinweise, daß die Diagnosestellung durch die Nüchternglukose nicht ohne Proble- me ist.

 Die Diagnose eines Gesta- tionsdiabetes wird nach WHO wie bisher anhand eines 75-g-OGTT ge- stellt. Patientinnen, die nach dem Ergebnis dieses Tests einen manife- sten Diabetes oder eine gestörte Glukosetoleranz aufweisen, werden als Gestations-Diabetikerinnen ein- gestuft.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-3144–3148 [Heft 49]

Literatur

1. National Diabetes Data Group: Classifi- cation and diagnosis of diabetes mellitus and other categories of glucose intoler- ance. Diabetes 1979; 28: 1039–1057.

2. Report of a WHO Study Group: Diabetes mellitus. WHO Technical Report Series 1985; 727: 9–25.

3. The Expert Committee on the Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus:

Report of the expert committee on the diagnosis and classification of diabetes mellitus. Diabetes Care 1997; 20:

1183–1197.

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Wolfgang Kerner Klinik für Diabetes und

Stoffwechselkrankheiten Klinikum Karlsburg Greifswalder Straße 11 17495 Karlsburg Tabelle 3

Vergleich der Glukosekonzentrationen in verschiedenen Regionen des Gefäßsystems und verschiedenen Fraktionen des Blutes

Nüchtern Postprandial

mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l

Plasma venös 126 7,0 200 11,1

Vollblut venös (hämolysiert) 110 6,1 180 10,1

Vollblut kapillär (hämolysiert) 110 6,1 200 11,1

Plasma kapillär 126 7,0 220 12,2

Den Blutproben zur Glukosemessung (im Plasma oder im hämolysierten Vollblut) muß ein Zusatz zur Hemmung der Glykolyse in den Erythrozyten zugefügt werden. Entsprechende Blutentnahme-Röhrchen beziehungsweise Hämolyse-Lösungen sind im Handel erhältlich.

Die angegebenene Unterschiede zwischen Vollblut und Plasma gehen von normalen Hä- matokritwerten aus. Die Unterschiede sind um so geringer, je niedriger der Hämatokritwert ist.

Für die Glukosekonzentration im enteiweißten Plasma oder Vollblut sind die angegebenen Plasmawerte (bei normalen Gesamteiweißkonzentrationen) um 5 bis 10 Prozent nach oben zu korrigieren. Messungen der Glukose im enteiweißten Plasma oder Vollblut sind heute kaum noch in Gebrauch.

Die angegebenen Werte für den postprandialen Zustand gelten strenggenommen nur für Nichtdiabetiker mit normalem postprandialen Anstieg des Plasmainsulins und normaler In- sulinsensitivität für Glukose (und damit „normaler“ Glukoseextraktion der peripheren Ge- webe).

Cave: Die Glukosemessung im Serum ist obsolet. Blutproben, aus denen Serum zur Bestim- mung anderer klinisch-chemischer Parameter gewonnen wird, enthalten keinen Zusatz, der die Glykolyse in den Erythrozyten hemmt. Da bei Gewinnung des Serums die Zeit zwischen Blutentnahme und Zentrifugation nicht definiert ist und bis zu mehreren Stunden dauern kann, muß unter Umständen mit einem erheblichen Verbrauch der Glukose in den Erythro- zyten gerechnet werden. Unverständlicherweise bieten trotzdem manche Labors die Mes- sung der Glukose im Serum an.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Ob ein Diabetes mellitus bei Perso- nen mit IGT jedoch auf Dauer voll- ständig verhindert wird, kann anhand des Beobachtungszeitraums von etwa drei Jahren noch nicht

Die Experten arbeiten derzeit an einer nicht-operativen diagnostischen Methode, die bereits kleinste Veränderungen des peripheren Nerven- systems über die Hornhaut des Auges

Die positive DR entspricht der Gesamtwahrscheinlichkeit für alle unterhalb der Entscheidungsgrenze liegenden Referenzwerte, dass die mit der Testmethode gemessenen Werte auf

Es muss jedoch die Frage gestellt werden, ob die Diagnose- stellung des tief sitzenden Rektum- karzinoms durch eine einfache digi- tale Untersuchung nicht eher hätte erfolgen

Häuser W, Eich W, Herrmann M, Nutzinger D, Schiltenwolf M, Hen- ningsen P: Fibromyalgia syndrome — classification, diagnosis, and treatment [Fibromyalgiesyndrom:

Häuser W, Eich W, Herrmann M, Nutzinger D, Schiltenwolf M, Hen- ningsen P: Fibromyalgia syndrome — classification, diagnosis, and treatment [Fibromyalgiesyndrom:

N ach der American Diabetes Association hat sich auch die WHO für strengere Diabetes- kriterien ausgesprochen: Beide fordern in ihren neuen Richtlinien, die Diagnose bereits bei ei-

Köhler erteilte allerdings der Idee von einheitlichen Mindeststandards eine Absage: „Ich sehe derzeit keine Chance, Mindeststandards auf einem für alle Mitgliedstaaten