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Archiv "Gesundheitspolitik: Differenzen zwischen den Unionsparteien" (28.09.2001)

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ie Unionsparteien haben in wesentlichen Punkten un- terschiedliche Vorstellun- gen darüber, welches der richtige Kurs in der Gesundheitspolitik ist. Während die Parteivorsitzen- de der CDU, Angela Merkel, in ihrem Konzept „Neue Soziale Marktwirtschaft“ unter anderem die Einführung von Regel- und Wahlleistungen sowie die Ver- breiterung der Bemessungs- grundlage für die Berechnung der Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fordert, spricht sich der frühe- re Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer in einem von ihm mitgeprägten CSU-Konzept explizit gegen diese beiden Reformvor- schläge aus. Die CSU vertritt die Auf- fassung, dass innerhalb des GKV-Kata- logs nicht plausibel zwischen Regel- und Wahlleistungen abgegrenzt werden könne. Die Einbeziehung „sonstiger Einkunftsarten“ zur Finanzierung der GKV sei mit einem zu hohen Verwal- tungsaufwand verbunden.

CDU: Leistungskatalog auf Kernleistungen reduzieren

Die CDU bekennt sich in Kapitel 3 des Konzepts „Neue Soziale Marktwirt- schaft“ zur solidarisch finanzierten Ge- setzlichen Krankenversicherung, fordert aber zugleich mehr Wettbewerb und Ei- genverantwortung, um die Beitragssätze stabil zu halten. So will die CDU die obli- gatorische, in ihrer Finanzierung ein- kommensabhängige GKV auf einen

„ausgewogenen“ Katalog von Kernlei-

stungen konzentrieren, der unter Einbe- ziehung der Kassen und der Ärzteschaft zu definieren sei. Die weitergehende Ab- sicherung müsse stärker als bisher über freiwillige, privat finanzierte Zusatzlei- stungen erfolgen, die von der Gesetzli- chen oderprivaten Krankenversicherung angeboten werden könnten.

Die CDU plädiert für einen stärke- ren Wettbewerb zwischen den Lei- stungserbringern – unter anderen durch individuelle Verträge mit den Kranken- kassen – und regt die Einführung von Fallpauschalen auch für die ambulante Versorgung an. Gleichwohl müsse die Möglichkeit der freien Arzt- und Kran- kenhauswahl für die Versicherten bei- behalten werden. Um den tatsächlichen Aufwand für medizinische Leistungen zu verdeutlichen und erbrachte Leistun- gen besser kontrollieren zu können, spricht sich die CDU im ambulanten Bereich für eine Umstellung vom Sach- leistungs- auf das Kostenerstattungs-

prinzip aus. In der Standardver- sorgung sollten zudem verstärkt Behandlungsleitlinien entwickelt und angewendet werden.

Die CDU schlägt vor, die Bemessungsgrundlage für die GKV-Beiträge – bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (zurzeit 6 525 DM monatlich) – auf alle Einkunftsarten auszu- dehnen. Dies würde bedeuten, dass zum Beispiel auch auf Zins- oder Mieteinnahmen Kranken- kassenbeiträge gezahlt werden müssten. Längerfristig soll zu- dem die Familienmitversiche- rung in der GKV an das Vor- handensein von Kindern oder Pflegebedürftigen in der Familie gekoppelt werden. Darüber hinaus spricht sich die CDU für die Heraus- nahme versicherungsfremder Leistun- gen aus dem GKV-Leistungskatalog aus. Es müsse geprüft werden, inwie- fern Leistungen, die nicht zur Wieder- herstellung der Gesundheit dienen, aus anderen Quellen (zum Beispiel Steu- ern) finanziert werden könnten.

CSU: Kernleistungskatalog politisch nicht vermittelbar

Die CSU hat eine Kehrtwende in der Gesundheitspolitik angemahnt. Noch in dieser Legislaturperiode müssten Maß- nahmen ergriffen werden, um ein Um- kippen des Systems der GKV zu vermei- den, betonten Horst Seehofer und Wolf- gang Zöller (CSU, MdB) am 31. August in München. Nach dem CSU-Konzept

„Gesundheitspolitik für das neue Jahr- hundert – Mehr Gesundheit, mehr Qua- P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 39½½28. September 2001 AA2469

Gesundheitspolitik

Differenzen zwischen den Unionsparteien

Angela Merkel und Horst Seehofer präsentierten in kurzer Abfolge Reformvorschläge für die Gesetzliche Kranken- versicherung, die zum Teil deutlich voneinander abweichen.

Unterschiedliche Vorstellungen: Horst Seehofer „beschwört“ An-

gela Merkel. Foto: dpa

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lität, mehr Verantwortung“, das wesent- lich detaillierter ist als das der CDU, sollte sich der Staat zurücknehmen und stattdessen die Eigenverantwortung der Versicherten stärken. Steigende Beiträ- ge, ausufernde Defizite, strukturelle Verwerfungen und Schieflastigkeiten im Gesundheitssicherungssystem könnten nicht hingenommen werden. Den ge- setzlichen Krankenkassen drohe ein Defizit von mehr als fünf Milliarden DM im Jahr 2001.

Finanzieller Handlungsdruck

Das von Wolfgang Zöller, Horst Seeho- fer und der Bayerischen Sozialministerin Christa Stewens vorgestellte Konzept fordert einen staatlichen Rahmen für die GKV, der besser als bisher die demogra- phische Entwicklung, die sinkende Lohnquote und den medizinischen Fort- schritt bei der Ausgabenentwicklung berücksichtigt. Sämtliche Soziallei- stungszweige stünden bei der Fortschrei- bung des Status quo unter starkem finan- ziellen Handlungsdruck. Es könne nicht hingenommen werden, dass die Beitrags- sätze allein in der Krankenversicherung auf rund 20 bis 30 Prozent der beitrags- pflichtigen Entgelte zwischen den Jahren 2030 und 2075 steigen.

Die CSU lehnt ein planwirtschaftlich ausgerichtetes Gesundheitssicherungs- system ebenso ab wie die Umsteuerung auf „Marktwirtschaft pur“. Vielmehr müsse ein Mittelweg beschritten werden.

Durch mehr Transparenz und einen sozi- al abgefederten Wettbewerb sollten wirt- schaftliche Anreize für die Versicherten und Leistungserbringer gesetzt werden, um so die Effizienz zu verbessern und Wirtschaftlichkeitsreserven zu mobilisie- ren. Der Staat müsse die Überregulie- rung und Bevormundung der Versicher- ten und Akteure im Gesundheitswesen zugunsten von mehr Selbstbestimmungs- rechten und Autonomie zurücknehmen.

Als Eckpfeiler der Gesetzlichen Kran- kenversicherung fordert die CSU die Beibehaltung einer solidarischen Finan- zierung mit Elementen des sozialen Aus- gleichs und der Rücksichtnahme auf so- zial Schwache, chronisch Kranke und Versicherte mit hohen Erkrankungsrisi- ken. Der Zugang zu den gesetzlichen Leistungen müsse barrierefrei garantiert

werden. Unverzichtbar seien die freie Arztwahl ebenso wie die freie Wahl des Krankenhauses und die Freiberuflich- keit der Heilberufe. Den Versicherten müssten Rechte eingeräumt und Pflich- ten auferlegt werden. Es sollten ihnen mehr Möglichkeiten und Optionen zur Wahl unterschiedlicher Versicherungen und Versicherungsleistungen offen ste- hen. Die CSU empfiehlt die Einführung von Selbstbehalttarifen für alle Versi- cherten einschließlich der Empfänger von Sozial- und Arbeitslosenhilfe, um alle Versicherten zu einer pfleglicheren Inanspruchnahme der Kassenleistun- gen zu veranlassen. Um sozial schwache Gruppen innerhalb der Solidargemein- schaft nicht über Gebühr finanziell zu belasten, sollten Überforderungsklau- seln zum Zuge kommen. Für alle Versi- cherten müsse das Wahlrecht auf Ko- stenerstattung eingeführt werden.

Hoher Verwaltungsaufwand

Die Begrenzung des Pflichtleistungska- talogs der GKV auf einen Grundsiche- rungskatalog hält die CSU im Gegensatz zur CDU für nicht praktikabel, weil in- nerhalb der Pflichtleistungen kaum plausibel zwischen Regel- und Wahllei- stungen abzugrenzen sei. Eine willkürli- che Zuordnung sei politisch nicht ver- mittelbar und rechtlich angreifbar. Da- gegen hält die CSU ein System von Re- gel- und Wahlleistungen dort für um- setzbar, wo Leistungen abgrenzbar und vom Risiko her überschaubar sind. Dies sei beispielsweise bei der prothetischen Versorgung der Fall. Die CSU schlägt vor, die Leistungsblöcke „Kranken- hausbehandlung“, „Arzneimittel“ und

„ärztliche Behandlung“ sowie das

„Krankengeld“ von Wahltarifen auszu- klammern. Die übrigen GKV-Leistun- gen könnten insgesamt oder teilweise für Wahltarife geöffnet werden.

Die von Teilen der SPD, der CDU und den Bündnisgrünen geforderte Ver- breiterung der Bemessungsgrundlage für die GKV durch eine Einbeziehung

„sonstiger Einkunftsarten“ hält die CSU für inpraktikabel, da das Lohnab- zugsverfahren hier nicht greife. Zudem sei die Einbeziehung „sonstiger Ein- kunftsarten“ mit einem hohen Verwal- tungsaufwand verbunden. Außerdem

vergrößere sie die Umverteilung zula- sten des Mittelstandes. Die oberen Ein- kommensgruppen würden ohnedies in- folge der Bemessungsgrenze in der GKV von einem überzogenen sozialen Ausgleich verschont.

Vergütungsvorschriften obsolet

Die kassenärztlichen Vergütungsvor- schriften und kaum mehr durchschau- bare Gebührenordnungen seien obso- let; sie sollten durch leistungsgerechte Gebühren und einfachere Gebühren- strukturen ersetzt werden. Der Ver- tragsarzt müsse stärker individuell in die Verantwortung für Ausmaß und Kosten von Leistungen, die er veran- lasst hat, eingebunden werden. Beim Dispensierverbot dürfe der eine Lei- stungserbringer (zum Beispiel der Arzt) keinen finanziellen Vorteil an der Erbringung der Leistung des anderen Heilberuflers (zum Beispiel des Apo- thekers) haben. Das in der Berufsord- nung verankerte Werbeverbot müsse

„systemadäquat“ gelockert werden, um dem wachsenden Informationsbedarf des Versicherten Rechnung zu tragen.

Die Zunahme der Zahl der Leistungs- erbringer sei ein normales Marktrisiko;

dieses dürfe nicht auf die Solidarge- meinschaft abgewälzt werden.

Die CSU plädiert für einen regu- lierten Wettbewerb zwischen Ärzten, Zahnärzten, Physiotherapeuten, Apo- thekern und Krankenkassen. Die tra- ditionellen kartellähnlichen Struktu- ren sollten aufgebrochen und flexibili- siert werden. Das körperschaftlich or- ganisierte System sei weitgehend über- holt. Künftig müssten auch arztgrup- penspezifische und kassenindividuelle Vertragsabschlüsse zugelassen wer- den. Die Selbstverwaltung der Lei- stungserbringer und Krankenkassen müsse entscheiden, in welchen Orga- nisationsformen sie sich zusammen- schließen. Begrenzt könnten verstärkte Kooperationen zwischen den gesetzli- chen Krankenkassen und den privaten Versicherungsunternehmen zugelassen werden; diese sollten transparent sein, um Quersubventionen und eine Vermischung öffentlicher und pri- vater Versicherungssysteme zu vermei- den. Jens Flintrop/Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K

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A2470 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 39½½28. September 2001

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