D
er Anruf des Nobelkomi- tees erreichte den Patholo- gen Robin Warren (68) aus Perth und den Mikrobiologen Barry Marshall (54) von der University of Western Austra- lia in einem Wirtshaus. Die Australier hatten auch in den vergangenen Jahren jeweils zur Bekanntgabe des Medizin- Nobelpreises eine Verabre- dung in einer Bar in Perth, weil sie schon seit längerem mit dem Anruf aus Stockholm ge- rechnet hatten. Denn bereits Anfang der 80er-Jahre hatten die Forscher einen medizini- schen Mythos entzaubert, von dem Millionen Menschen pro- fitiert haben: Sie postulierten, dass nicht Stress oder falsche Ernährung die Ursache für die meisten Gastritiden ist, son- dern ein ungewöhnliches, ge- krümmtes Bakterium namens Helicobacter pylori.Obwohl zuerst kaum je- mand diese These ernst nahm, gelang es Warren und Mar- shall im Laufe der Zeit – un- ter anderem durch schmerz- hafte Selbstversuche –, ein- deutig zu belegen, dass die säureresistenten Keime ne- ben der Gastritis etwa 80 Pro- zent aller Ulcera ventriculi und mehr als 90 Prozent aller Ulcera duodeni auslösen.
Vor der nun mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Entdeckung der Helicobacter- Bakterien wurden Magenbe- schwerden behandelt, indem die Säureproduktion im Ma- gen unterdrückt wurde. Ob- wohl diese Therapie in vielen Fällen die Probleme beseitigte, erlitt ein hoher Anteil der Pati- enten einen Rückfall – ein Phänomen, das sich die Wis- senschaftler nicht erklären konnten. Anfang der 80er-Jah- re stieß Robin Warren bei sei- ner Arbeit jedoch auf eine mögliche Erklärung: Er ent- deckte in etwa der Hälfte aller Biopsien der Magenschleim- haut, die er als Pathologe un- tersuchte, kleine, gekrümmte Bakterien, die besonders den unteren Bereich des Magens besiedelten. Und überall dort, wo die Erreger anzutreffen waren, gab es auch Anzeichen einer Entzündung – für War- ren ein deutlicher pathogeneti-
scher Hinweis darauf, dass die Keime irgendwie an der Ent- stehung dieser Entzündungen beteiligt waren.
Zusammen mit seinem Kol- legen Barry Marshall gelang es Warren 1982, die Bakterien im Labor zu kultivieren. Dennoch war die Wissenschaftsszene nicht überzeugt: Ein Bakteri- um könne niemals in der un- wirtlichen Umgebung des Ma- gens bei extrem niedrigem pH- Wert überleben noch sich ver- mehren, lauteten die Gegenar- gumente. Dem konnten War- ren und Marshall jedoch schnell den Boden entziehen:
Marshall schluckte die Bakte- rien und entwickelte innerhalb weniger Tage eine akute Ga- stritis, die tatsächlich auf die Be- siedelung der Magenschleim- haut durch die Keime zurück- zuführen war.
In den folgenden Jahren ge- lang es Warren, Marshall und anderen Arbeitsgruppen, auch die Überlebensstrategie des Erregers und den Mechanis- mus der Entzündungsreaktion aufzuklären: Helicobacter be- sitzt ein Enzym, das in der sau- ren Umgebung der Magen- schleimhaut basisches Ammo- niak produziert und somit die Säure neutralisiert. Dies ist
das Startsignal für verschie- dene Zellen des Immunsy- stems zur Leukopedese. Im Gegensatz zu Helicobacter sterben diese Zellen jedoch im sauren Magenmilieu ab und setzen dabei entzün- dungsfördernde Substanzen frei, die dann die Gastritis auslösen. Als Reaktion auf
diese chronische Entzündung im unteren Bereich des Ma- gens produziert der obere Teil des Magens vermehrt Säure, was im empfindlichen Duo- denum die Entwicklung von Ulcera begünstigt.
Trotz dieser bahnbrechen- den Erkenntnisse sind noch viele Fragen offen. So ist zwar
etwa die Hälfte der Weltbevöl- kerung mit Helicobacter pylo- ri infiziert, es entwickeln je- doch nur etwa zehn bis 15 Pro- zent der Infizierten tatsächlich Symptome. Ein Faktor dabei scheint zu sein, welcher Bakte- rienstamm sich im Magen ein- nistet, ein anderer ist die gene- tische Veranlagung des Infi- zierten. Auch der Infektions- modus ist bislang nicht geklärt.
Als wahrscheinlich gelten frühkindliche Kontakte zur Mutter oder zu anderen infi- zierten Kindern.
Dank der Entdeckung von Warren und Marshall können heute Helicobacter-Infektio- nen mithilfe von Antikörper- tests, durch die histologische Identifizierung der Bakterien in Biopsien oder durch einen Atemtest zweifelsfrei nach- gewiesen werden. Die Ent- wicklung einer Kombina- tionstherapie (Tripel-Thera- pie) aus zwei Antibiotika und einem Protonenpumpenhem- mer hat schließlich dazu ge- führt, dass Gastritis und Ma- gengeschwüre keine chroni- schen Krankheiten mit einem erhöhten Krebsrisiko mehr sind, sondern durch eine kur- ze Behandlung geheilt wer- den können.
Warren arbeitete von 1968 bis 1999 am Royal Perth Hos-
pital als Pathologe. Marshall ist am Helicobacter-pylori-For- schungszentrum in Nedlands (Western Australia) als Mikro- biologe tätig. Beide teilen sich nun die mit 1,07 Millionen Eu- ro dotierte Auszeichnung des Nobelkomitees. Die Preisver- leihung findet am 10. Dezem- ber in Stockholm statt. zyl A K T U E L L
Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 407. Oktober 2005 AA2665
Das Warten hat ein Ende: die frisch gekürten Nobelpreisträ- ger Robin Warren (links) und Barry Marshall
Helicobacter pylo- ri ist nur ungefähr drei Tausendstel Millimeter groß.
Mit seinen Geißeln kann es sich auf der Magenschleim- haut schnell fort- bewegen.
Foto:ZacPac®
Nobelpreis für Medizin
Der Bakterientrunk lieferte der Fachwelt den Beweis
Zwei australische Forscher erhalten die hohe Auszeich- nung für die Entdeckung des Magenkeimes Helicobac- ter pylori und seine Rolle bei der Gastritis.
Foto:REUTERS