M E D I Z I N R E P O R T
A
A3160 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4719. November 2004
D
ie Schizophrenie zählt zu den ko- stenträchtigen psychiatrischen Er- krankungen. Die direkten und die etwa fünffach höheren indirekten („so- zialen“) Kosten werden für Deutschland auf bis zu neun Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Trotz verbesserter Thera- piemöglichkeiten führen Schizophrenien auch heute noch zu sozialer Behinderung und gesellschaftlicher Stigmatisierung.Allein in Deutschland erkranken etwa 800 000 Personen einmal im Leben an ei- ner Episode des schizophrenen Formen- kreises. Selbst unter optimaler Therapie sind rund eine viertel Million Patienten schon in jungen Jahren krankheitsbe- dingt erwerbsunfähig und frühberentet.
Diese epidemiologischen Kennzahlen bildeten die Basis eines Expertensympo- siums zur „Schizophrenietherapie“ auf dem Hauptstadtkongress 2004 Medizin und Gesundheit in Berlin.
Neuerkrankungsrate:
Relativ hoch
Auf 100 000 Personen kommen jährlich 15 bis 50 Neuerkrankungen. Dabei sind Frauen und Männer gleich häufig be- troffen. Schizophrenie kann in jedem Lebensalter auftreten. Epidemiologi- sche Studien belegen jedoch eine häufi- ge Ersterkrankung zwischen dem 15.
und 40. Lebensjahr – bei einer Abnah- me des Morbiditätsrisikos ab dem 30.
Lebensjahr. Der Zeitpunkt der Erster- krankung unterscheidet sich dabei nur geringfügig zwischen den Geschlech- tern: Männer trifft der Schicksalsschlag eher zwischen dem 15. und dem 30. Le- bensjahr, Frauen dagegen zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr.
Die Schizophrenie verändert die Art und Weise, wie der Patient sich selbst und seine Umwelt erlebt; die Um- und Mitwelt erlebt den Erkrankten oft als einen sich ständig und chronisch verän- dernden Menschen. Im Mittelpunkt der akuten Psychose stehen formale Denk- störungen, Affektstörungen, Sinnestäu- schungen (Halluzinationen), katatone Symptome, Wahnideen und Ich-Störun- gen. Diese Einschränkungen führen zur sozialen Desintegration. Oft verändert sich das Weltbild des Patienten auf eine für Außenstehende nicht nachvollzieh- bare Weise.
Die Entstehung der Ursachen für ei- ne Schizophrenie ist bisher noch nicht geklärt. Epidemiologische Studien sind heute übereinstimmend jedoch zu der Erkenntnis gelangt, dass neben hirnmor- phologischen, biochemischen und un- spezifischen Faktoren auch eine geneti- sche Disposition ausschlaggebend sein kann. Denn für Geschwister liegt das Morbiditätsrisiko bei 20 Prozent, für Kinder bei einem erkrankten Elternteil bei neun bis 16 Prozent und bei 40 Pro- zent, wenn beide Elternteile darunter leiden. Eineiige Zwillingsgeschwister sind zu 40 bis 60 Prozent betroffen.
Schizophrene Psychosen können als einmaliges Ereignis auftreten, aber auch rezidivierend und chronisch ver- laufen. Eine Prognose ist in der Regel zum Zeitpunkt der Ersterkrankung schwierig. Bei rund 22 Prozent der Be- troffenen kommt es zu einer vollständi- gen Remission. Der episodisch remit- tierende Verlaufstyp ohne Beeinträch- tigung im Intervall betrifft rund 35 Pro- zent aller Schizophrenen.
Entsprechend der multifaktoriellen Genese der Schizophrenie setzt die
Behandlung ein so genanntes integra- tives Therapiekonzept voraus. Berich- tet wurde beim Hauptstadtkongress 2004 in Berlin, dass der Einsatz von modernen pharmakologischen und psychosozialen Therapieverfahren, die aufeinander abgestimmt sein müssen, eine Symptomverminderung und eine Remission in 70 Prozent der Fälle be- wirken kann.
Konsequente Langzeittherapie
Eine konsequente Langzeittherapie mit Neuroleptika könne bei vielen Schizo- phrenie-Patienten die Positiv- und Ne- gativ-Symptomatik wesentlich verbes- sern. Zur Therapie von schizophrenen Psychosen kommen heute atypische Neuroleptika der neueren Generation – mit hohem Innovationspotenzial und bei einer relativ geringen Rate an Ne- benwirkungen – zum Einsatz. Aller- dings sind die Entwicklungs- und Markteinführungskosten enorm. Ent- sprechend sind die Arzneimittelherstel- lerabgabepreise und die Apotheken- preise hoch. Sie variieren vom ein- bis 15fachen bei einem relativ breiten the- rapeutischen Arsenal.
Damit kann das Arzneimittelbudget eines niedergelassenen Facharztes für Psychiatrie, der einen chronifizierten Schizophrenen behandelt, bereits bei zwei bis drei Patienten im Jahr er- schöpft sein. Dementsprechend erfolgt oftmals eine kollegiale Ringüber- weisung, oder der für die Psychiatrie schon seit langem kennzeichnende Drehtüreffekt zwischen Klinik und niedergelassener Facharztpraxis kommt in Gang. Dr. rer. pol. Harald Clade
Schizophrenie
Ein kostenträchtiges Krankheitsbild
Viele Patienten sind in jungen Jahren erwerbsunfähig.
Foto:ddp