Lothar Thomas
D
as Risiko einer Infektionsge- fährdung durch Blutprodukte, speziell HIV und Hepatitis, hat bei Ärzten, Patienten und Juristen, insbesondere aber bei den Gesundheitspolitikern und Massen- medien im Jahr 1993 eine erhebliche Beachtung erfahren. Ein wichtiger Kritikpunkt der Gesundheitspolitiker und in den Massenmedien war, daß die Spontanerfassung von Verdachts- fällen einer Nebenwirkung durch Blutprodukte nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Aus diesem Anlaß wird nachfolgend dargestellt, wer die An- zeige der Nebenwirkungen von Blut- produkten durchzuführen hat. Unter Blutprodukten werden zellhaltige Blut- und Blutbestandteilkonserven sowie die Präparategruppen, die aus Blut hergestellt werden, .verstanden (Tabelle 1).Dieser Beitrag beschränkt sich bewußt auf die Darlegung der gesetz- lichen Situation, ohne die Problem- matik der Patientenberatung aufzu- greifen.
Blutprodukte sind ArzneimiHel
Blutprodukte sind zulassungs- pflichtige Arzneimittel, ihre Herstel- lung und der Vertrieb unterliegen dem Arzneimittelgesetz (AMG) (1).
Im Verdachtsfall der Nebenwirkung gelten deshalb für Arzneimittel und Blutprodukte die gleichen Meldewe- ge (Abbildung 1). Die Nebenwirkung eines Arzneimittels und damit auch eines Blutproduktes muß nach § 29 Abs. 1 Satz 2 bis 5 AMG den zuständi- gen Behörden gemeldet werden. Zu- ständige Bundesbehörden sind das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI).
KURZBERICHT
Blutprodukte Anzeige von
Nebenwirkungen
Meldepflichtig gegenüber den zuständigen Bundesbehörden ist gemäß dem AMG der pharmazeuti- sche Unternehmer oder die das Blut- produkt abgebende Blutbank. Der verabreichende Arzt und der das Blutprodukt im Krankenhaus ausge- bende Arzt oder Apotheker sind nur meldepflichtig gemäß ihrer Berufs- ordnung.
Anzeigepflichten des pharmazeutischen Unternehmers
Wird dem Pharmazeutischen Un- ternehmer der Verdachtsfall einer Nebenwirkung eines Arzneimittels bekannt, zum Beispiel Spender einer Fresh Frazen Plasma-Konserve wird beim nachfolgenden Spendetermin als HIV-oder Hepatitis-C-Antikörper- positiv erkannt, so ist er unverzüglich verpflichtet, wie folgt zu handeln:
1. Meldung zu erstatten an BfArM/PEI gemäß der Einzelfallan- zeigepflicht nach § 29 Abs. 1 Satz 2 bis 5 AMG. Die Anzeigepflicht besteht ab dem Zeitpunkt, zu dem die Daten- lage einen Verdachtsfall einer Neben- wirkung oder einer Wechselwirkung mit anderen Mitteln ergibt. Die Be- richterstattung erfolgt vermittels des Formulars "Bericht über uner- wünschte Arzneimittelwirkungen", das in enger Zusammmenarbeit von BfArM, den Kammern der Heilberu- fe und dem Bundesverband der Phar- mazeutischen Industrie entwickelt wurde.
2. Meldung zu erstatten an die Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft (AKdÄ) und die
Krankenhaus Nordwest, Laborotoriumsmedi·
zin (Chefarzt: Prof. Dr. med. Lothar Thomas).
Frankfurt a. M.
Arzneimittelkommission der deut- schen Apotheker (AKdA) gemäß dem Kodex der Mitglieder des Bun- desverbandes der Pharmazeutischen Industrie e. V Für diese Berichterstat- tung ist ebenfalls das unter Punkt 1 genannte Formular zu verwenden.
3. Mitteilung zu erstatten an den Arzt und/oder Apotheker gemäß dem Kodex der Mitglieder des Bundesver- bandes der Pharmazeutischen Indu- strie e. V Die Mitteilung hat schrift- lich zu erfolgen. Benutzt werden soll sowohl auf den Briefumschlägen als auch den Briefen das Symbol einer ro- ten Hand mit der Aufschrift "Wichti- ge Informationen über ein Arzneimit- tel". In dringenden Fällen können diese Mitteilungen auch mündlich, te- legrafisch oder fernschriftlich abgege- ben werden.
4. Falls ein Rückruf des Arznei- mittels (das gilt auch für Blutproduk- te) erforderlich ist, muß die Meldung an den Regierungspräsidenten gemäß
§ 141 der Pharmavertriebsordnung erfolgen (5). Dieser ruft das Arznei- mittel zurück.
Anzeigepflichten des Arztes
Für die Ärzteschaft gibt es keine gesetzliche Meldepflicht über uner- wünschte Arzneimittelwirkungen. Nach der "Berufsordnung für die deutschen Ärzte" (2) ist der behan- delnde Arzt beim Umgang mit Blut- produkten jedoch verpflichtet:
..,.. nach § 15 Abs. 1 eine Char- gendokumentation durchzuführen, so daß der Empfänger des Präparates ei- ner inkriminierten Charge durch Rückverfolgung identifiziert werden kann (6).
..,.. nach § 30 Abs. 7 eine vermu- tete Infektion oder gleichartige Ne- A-1930 (54) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 27, 7. Juli 1995
Tabelle 1: Blutprodukte (6)
....
Alpha (1)-Proteinase Inhibitor....
Antithrombin III....
Blutgerinnungstaktor VII....
Blutgerinnungstaktor VIII....
Blutgerinnungstaktor IX....
Faktor XIII....
C1-Inaktivator....
Fibrinogen....
Gewebekleber (Fibrin)....
Gefrorenes Frischplasma( virusinaktiviert)
....
Humanserum....
Immunglobuline....
Interferon Alpha....
Interferon Beta.... Interferon Gamma
....
Plasmaproteinlösung....
Prothrombinkomplex-präparate
....
Prothrombinkomplexmit Faktor-VIII-Inhibitor- Bypass-Aktivität
....
Transfer-Faktor....
Zellhaltige Blut- undBlutbestandteilkonserven
benwirkungen aus anderer Ursache bei verschiedenen Patienten der Arz- neimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft mitzuteilen.
Wurde beispielsweise ein Blut- produkt verabreicht, das von einem infektionsverdächtigen oder infektiö- sen Spender stammt, so sind folgende Nebenwirkungsmeldungen durchzu- führen:
1. Der verabreichende Arzt muß die beim Patienten auftretende Infek- tion (auch den Verdachtsfall) der AKdÄ mitteilen. Die Mitteilung er- folgt vermittels des Formulars "Be- richt über unerwünschte Arzneimit- telwirkungen". Die AKdÄ ist ver- pflichtet, Nebenwirkungsmeldungen
KURZBERICHT
Berufsordnung Arzneimittelgesetz
I
Arzt ~ PflichtI
AKdÄ ~1---,~ . . _.1 , I
Datenaustausch
t
I I I I I I I I I I
: kann ...---.,_ AMG
•
§ 29 Abs.1§ 14.1 Pharma- betriebsverein-
barung . . - - - , _
·---~
BIAM/PEI
!
---· !
Laborberichts- pflicht bei HIV
AIDS-:
Zen-
!
trum :
~
Regierungs- präsidium:
Pharma- rückruf
Abbildung 1: Meldewege für Ärzte und Apotheker gemäß ihrer Berufsordnung und für Phormohersteller gemäß des Arzneimittelgesetzes (AMG) und der Phormobetriebsvereinborung. BfAr = Bundesinstitut für Arz- neimittel und Medizinprodukte, PEI
=
Poul Ehrlich Institut, AKdÄ=
Arzneimittelkommission der deutschen Ärz- teschoft, AKdA = Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker .an das Bundesinstitut für Arzneimit- tel und Medizinprodukte, Berlin, wei- terzugeben. Sie gibt aber Name und Adresse des meldenden Arztes nicht bekannt. Die Ärzte können auch di- rekt den Bundesbehörden (BfArM/
PEI) melden.
2. Der behandelnde Arzt muß die Infektion des Patienten (auch den Verdachtsfall) den örtlichen Gesund- heitsbehörden melden, wenn es sich um eine meldepflichtige Krankheit gemäߧ 3 Abs. 1 bis 4 des Bundesseu- chengesetzes handelt (4), zum Bei- spiel wenn das inkriminierte Blutpro- dukt von einem Hepatitis-C-Antikör- per-positiven Spender stammt. Die Mitteilung erfolgt vermittls desFor- mulars "Meldung einer übertragba- ren Krankheit".
3. Wurde ein Blutprodukt eines HIV-Antikörper-positiven Spenders verabreicht, so ist der Empfänger auf HIV-Antikörper zu testen. Ist das Er- gebnis im Bestätigungstest positiv, so hat das Labor, das diesen Test durch- geführt hat, dies dem (BfArM/PEI) nach der Laborberichtsverordnung anonymisiert mitzuteilen (3). Die Mitteilung erfolgt auf dem "Erhe- bungsbogen zur Verordnung über die Berichtspflicht für HIV-Bestätigungs- teste". Der im Labor tätige Arzt benötigt dazu anamnestische Anga- ben des Klinikers.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl1995; 92: A-1930-1931 [Heft 27]
Literatur
1. Bekanntmachung über die Anzeige von Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln und Arzneimittel- mißbrauch nach § 29 Abs. 1, Satz 2-5 des Arzneimittelgesetzes. Bundesanzeiger 1991;149:5389-5392
2. B,erufsordnung für die deutschen Ärzte. Dt Arztebl1994; 91: A-53-58 [Heft 112) 3. Bundesminister für Jugend, Familie, Frau-
en und Gesundheit: Verordnung über die Berichtspflicht für positive HIV-Bestäti- gungstests (Laborberichtsverordnung).
Bundesgesetzblatt 1987; 43: 2141
4. Bundesseuchengesetz in der Fassung vom 18 . .12. 1979. BGBl Nr; 75: 2263
5. Erste Verordnung zur Änderung der Be- triebsverordnung für pharmazeutische Un- ternehmer. Bundesgesetzblatt, Teil I 1988;
480-481
6. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärzte- kammer: Chargendokumentation von Blut und Blutprodukten. Dt Arztebl 1994; 91:
A-664 (Heft 10)
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Lothar Thomas Krankenhaus Nordwest Laboratoriumsmedizin Steinbacher Hohl 2-26 60488 Frankfurt
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 27, 7. Juli 1995 (57) A-1931