THEMEN DER ZEIT
Jährlich erkranken über 40 000 Frauen in Deutschland an Brust- krebs. Etwa fünf Prozent von ihnen tragen ein dominant wirksames und hochpenetrantes Brustkrebsgen (BRCA1). Mutationen dieses Gens können dazu führen, daß die betroffe- nen Frauen an Brust- und/oder Ovari- alkrebs erkranken. Es wird jedoch ge- schätzt, daß BRCA1-Mutationen für nicht mehr als zwei Prozent aller Fälle von Brustkrebs und für höchstens drei Prozent aller Fälle von Ovarialkrebs verantwortlich sind. Bei nicht erbli- chen Brustkrebs-Formen, die etwa 90 bis 95 Prozent aller Erkrankungen ausmachen, konnten bislang keine BRCA1-Mutationen nachgewiesen werden.
Die breite diagnostische Anwen- dung einer BRCA1-Genuntersu- chung hält die Gesellschaft für Hu- mangenetik e.V. daher gegenwärtig für nicht notwendig und sinnvoll. In der überwiegenden Zahl der Fälle würde eine solche Untersuchung kei- ne Aussage über das individuelle Er- krankungsrisiko erlauben.
Einen Nutzen sieht die Gesell- schaft hingegen nur bei Gentests in Einzelfällen, also bei Patientinnen aus Brustkrebs-Familien. Die Aus- wahl der Frauen aus Risikofamilien müßte sich an der genetischen Analy- se der Familienanamnese sowie des Erkrankungsalters und des Tumor- typs (Anzahl der Primärtumore) ori- entieren. Folgende Kriterien sollten nach Ansicht der Gesellschaft für Hu- mangenetik für die Untersuchung manifest erkrankter Patientinnen zu- treffen:
1> Der Brustkrebs beziehungs- weise die Ovarialerkrankung muß vor dem 50. Lebensjahr und bei minde- stens einer weiteren Verwandten un- abhängig vom Verwandtschaftsgrad und deren Erkrankungsalter aufge- treten sein;
> die Erkrankung muß nach dem 50. Lebensjahr und bei minde-
BERICHTE
stens einer Verwandten 1. oder 2.
Grades vor dem 50. Lebensjahr mani- fest geworden sein;
> mehr als ein Primärtumor muß unabhängig vom Erkrankungsal- ter und dem familiären Vorkommen diagnostiziert worden sein.
Voraussetzung für die Untersu- chung nicht betroffener Frauen in ei-
Die Hoffnung vieler Multiple- Sklerose-Patienten auf einen neuen therapeutischen Wirkstoff wurde durch eine Entscheidung des Bun- desinstituts für Arzneimittel und Me- dizinprodukte zerschlagen: Mit Be- scheid vom 25. April wurde dem Im- munsuppressivum Deoxyspergualin (Immodul®) die Zulassung versagt.
Hierbei handelt es sich um die chemi- sche Abwandlung einer bakteriellen, wachstumshemmenden Substanz, die in Japan zur Behandlung akuter Ab- stoßungskrisen nach Nierentrans- plantation verordnet werden darf.
In Deutschland, Frankreich und der Schweiz wurde die Substanz auf In- itiative der Behringwerke — in Abspra- che mit dem Bundesamt — an insge- samt 236 Multiple-Sklerose-Patienten klinisch geprüft. Das Studiendesign sah eine Laufzeit von zwei Jahren vor.
Da bei der ersten Zwischenauswer- tung nach sechs Monaten Deoxysper- gualin-behandelte Patienten eine Ver- besserung der neurologischen Störun- gen aufwiesen, reichte das Unterneh- men im vergangenen Mai einen An- trag auf vorgezogene Zulassung ein.
Nach § 28 Abs. 3 des Arzneimit- telgesetzes kann eine Substanz vorzei- tig zugelassen werden, wenn hinrei- chende Anhaltspunkte dafür vorlie- gen, daß der Wirkstoff einen großen
ner Kontrollgruppe sei, daß sie min- destens 18 Jahre alt sind. Darüber hinaus müsse bei einer betroffenen Angehörigen die ursächliche Mutati- on zweifelsfrei feststehen.
Neben einem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn erhofft sich die Gesellschaft für Humangenetik von den Gentests eine gesichertere Basis für die Anwendung einer BRCA1- Gendiagnostik in der medizinischen Praxis. Der Nutzen bestehe insbeson- dere darin, daß präventive Untersu- chungen gezielter angeboten werden können, nämlich nur den Frauen, die tatsächlich ein Erkrankungsrisiko durch Genmutation tragen.
Petra Spielberg
therapeutischen Wert besitzt und sei- ne unverzügliche Zulassung von öf- fentlichem Interesse ist. Bei Auswer- tung der Datenlage nach zwölf Mo- naten fielen die Ergebnisse für die Verumgruppe zwar nicht so eindeutig aus, wie ein Sprecher der Behringwer- ke mitteilt, dennoch sieht das Unter- nehmen die gesetzlichen Bestimmun- gen für eine vorzeitige Zulassung von Deoxyspergualin nach wie vor erfüllt.
Das Bundesinstitut hingegen kam zu einem anderen Urteil. Nach Angaben der Behringwerke ist die jet- zige Entscheidung nur schwer nachzu- vollziehen, zumal die Entwicklung des Präparates längere Zeit durch die Behörde unterstützt worden war. Ei- ner der Gründe für die Ablehnung ist möglicherweise ein medizinisches Pa- radoxum: Deoxyspergualin vermin- dert zwar die motorischen Störungen, läßt aber im Kernspintomogramm keine objektivierbaren Veränderun- gen der Gehirnläsionen erkennen.
Damit unterscheidet sich der Wirk- stoff völlig von einer Konkurrenzsub- stanz, dem Beta-1b-Interferon.
Aufgrund der ablehnenden Ent- scheidung der Bundesbehörde wer- den die Behringwerke die Weiterent- wicklung von Deoxyspergualin zur Therapie der Multiplen Sklerose ein- stellen. zyl
Genetisches Screening bei Brustkrebs
Nur bei familiärer
Anamnese zu empfehlen
Zulassung für
Deoxyspergualin versagt
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 19, 12. Mai 1995 (35) A-1371