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Archiv "Die unklinische Visite: Zwei Jahre Prominenten-Talkshow im Krankenhaus" (25.01.1979)

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Er kam an einem Herbstabend. Adolf Sommerauer, Fernseh-Pfarrer der Nation, brachte einen bösen Schnupfen mit, Hals- und Sprech- weh inklusive. Er wirkte vergrippt, verstört und verdrossen, hatte indes den Termin nicht absagen wollen.

Ihn erwartete als Gesprächsgast

„Deutschlands intimste Talkshow"

(Die Zeit) in der Krebsnachsorge- Frauenklinik Oberaudorf/Bad Trissl.

Was ihn an diesem Abend bewog, aus zahllosen Fernseh-Erlebnissen („Pfarrer Sommerauer antwortet") just dieses eine Beispiel zum besten zu geben, wußte er später nicht mehr zu sagen. Er schilderte wort- reich den „merkwürdigen Not- und Klageruf" einer Dame mittleren Al- ters, die „seelisch fürchterlich" litt.

Und zwar unter einem „zu klein ge- ratenen Busen". Über den Bild- schirm wußte Sommerauer auch ge- gen diese Schwäche Trost und Rat:

„Machen Sie sich nichts daraus. Es gibt Schlimmeres, wenn Sie das Ge- genteil bedenken: nicht zuwenig Busen, sondern zuviel des Guten wäre vom Übel!" Nach solcherma- ßen Bekenntnis blickte der Pfarrer pfiffig in die Runde und ergänzte mit umwerfender Logik: „Als Mann sehe ich das so, meine Damen: Was zu klein ist, kann auch nicht hängen!"

Die Krebs-Patientinnen starrten ihn an. Adolf Sommerauer hatte gar nicht bedacht, daß ihm hier mehr als hundert brustamputierte Frauen zu- hörten: allesamt überempfindlich und verzagt, verzweifelt, entmutigt, wie stigmatisiert und eingefangen vom bitteren Gefühl, Patientin zu bleiben auf Lebenszeit. Wer kennt schon das seltene Phänomen, daß eine Frau den Verlust ihrer Brust im Regelfall aufgewühlter erlebt als das Grundübel Krebs!

Plötzlich löste sich die Spannung.

Die Frauen kicherten. Dann lachten sie schallend, lachten minutenlang.

Der Pfarrer schien einen Augenblick konsterniert. Da prusteten sie noch lauter im Chor, und er stimmte mit ein. Es war wie eine Befreiung.

Adolf Sommerauer hatte aus dem Stegreif und ohne Absicht geschafft, was einem Arzt niemals gelingen wird: im erlösenden Gemeinschafts- gelächter diesen Patientinnen gleichzeitig etwas zu nehmen und zu geben, einen Alpdruck und neues Selbstbewußtsein.

Medizinisch verwöhnt — seelisch vereinsamt

Eine Prominenten-Talkshow in einer Klinik zu veranstalten, ist zunächst etwas ganz und gar Unklinisches.

Die Idee kam mir im Herbst 1976.

Zufällig wohne ich in Oberaudorf.

Nicht zufällig beobachte ich die Krebsnachsorge-Klinik nebenan kri- tisch und genau: der Medizinjourna- list war zunächst einmal neugierig auf die vermeintliche Zauberberg- Atmosphäre. Wie mochte sich ein wochenlanges Zusammenleben von 300 krebskranken Frauen auf die Psyche auswirken?

Die vermutete Zauberberg-Misere, sagten sie in vielen Gesprächen, sei gar nicht ihr Hauptproblem. Das lie- ge woanders: „Wir fühlen uns hier, wenngleich medizinisch erstklassig betreut, seelisch alleingelassen."

Am deprimierendsten seien die tri- sten, unausgefüllten Abende: „Da fällt uns die Decke auf den Kopf. Da grübeln wir und grübeln. Und dann kommt sie unweigerlich, diese ent- setzliche Angst!"

Die Gynäkologisch-Onkologi- sche (Krebsnachsorge-)Klinik Oberaudorf/Bad Trissl veran- staltet seit zwei Jahren regel- mäßig eine Talkshow „wie im Fernsehen". Einige tausend Patientinnen haben die Talk- show-Abende inzwischen mit- erlebt. Nach einer breitange- legten Umfrage glaubt jede vierte Krebskranke, „Die Kli- nik-Talkshow verbessert mei- ne Stimmungslage" und jede siebte bekennt: „Diese Veran- staltungen helfen mir, mit meiner Krankheit besser zu- rechtzukommen."

Der Hilferuf war unüberhörbar. Zu- nächst habe ich angeregt, in jedes Krankenzimmer ein Telefon zu stel- len. Die Klinikleitung tat es sofort.

Dann kam ich auf den Talkshow- Einfall. Damit allein war allerdings noch nichts getan, er mußte auch realisiert werden.

Am 26. November 1976 hatten wir Premiere mit Anneliese Fleyen- schmidt vom Fernsehen, Hanna Neumeister vom Bundestag und Münchens Polizeipräsident Schrei- ber. Mein Lampenfieber als Ama- teur-Talkmaster war groß. Inzwi- schen habe ich's überwunden. Mitt- lerweile stellten sich in zwei Jahren an 37 Abenden 120 Persönlichkeiten selbstlos zur Verfügung: „Minister und weltbekannte Künstler, Wissen- schaftler, Artisten, Publizisten und andere Stars, die hier keiner Frage ausweichen und gewissenhaft Herz und Charakter, Denkweise und Tem- perament nur deshalb offenbaren, um anderen Menschen zu helfen"

(Deutsche Apotheker-Zeitung).

Heute ist die Talkshow aus dem Kli- nikleben nicht mehr wegzudenken.

An jedem dritten Freitag geht sie über die Speisesaal-„Bühne". Die Show bringt „völlig neue Bezugs- punkte in das Dasein der Patientin- nen. ,Vorher sah ich Prominente nicht einmal aus der Ferne, und hier habe ich mich mit ihnen wie mit gu- ten Nachbarn unterhalten', sagt eine Frau, die schon dreimal zugeschaut

Die unklinische Visite

Zwei Jahre Prominenten-Talkshow im Krankenhaus Erlebnisse und Ergebnisse

Georg Schreiber

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Klinik-Talkshow

Blick in den Saal der Nachsorgeklinik Oberaudorf/Bad Trissl: Befreiendes Lachen bei der Talk-Show mit Pfarrer Sommerauer Fotos (2): Horst Prange

hat. Ein wenig Desillusionierung auf der einen, viel Kontaktgewinn auf der anderen Seite. ‚Anderthalb Wo- chen diskutieren wir über den Abend, dann freuen wir uns schon auf den nächsten', erwähnt eine an- dere" (Nürnberger Nachrichten).

Zwischen August und Oktober 1978 habe ich Fragebogen ausgeteilt.

Meine vierzehnte von vierzig Fragen an die „Verehrten Patientinnen" war eine Art Schlüsselfrage: „Was be- deutet und bietet Ihnen, wenn Sie jetzt einmal nachdenken, die Talk- show?" Auf 13 vorgegebene Mög- lichkeiten, sich positiv oder negativ zu äußern, kamen 567 Antworten.

Die positiven überraschten mit 98,1 Prozent. Und jede siebte Krebspa- tientin notierte: „Die Talkshow- Abende helfen mir, mit meiner Krankheit besser zurechtzukom- men." Zwei Drittel der Kranken hat- ten sie öfters als einmal miterlebt, manche bis zu fünf Abenden und mehr. Auffällig war: je öfter sie das Erlebnis hatten, um so günstiger wirkte es sich auf die Grundstim- mungslage aus.

Bad Trissl —

ein Haus ohne Vorbild

Die Gynäkologisch-Onkologische Klinik Oberaudorf/Bad Trissl gehört, wenngleich in privatem Besitz, zum Tumorzentrum München am Fach- bereich Medizin der Ludwig-Maxi-

milians-Universität. Der Ferienort Oberaudorf liegt, landschaftlich un- gemein reizvoll, in einem der süd- lichsten oberbayerischen Zipfel an der tiroler Grenze bei Kufstein. „Bad Trissl" war früher ein kleines Sana- torium am Ortsrand. Später, als Ärz- tekammer-Präsident Hans Joachim Sewering die progressive Idee hatte, Krebsnachsorge ebenso definitiv wie Vorsorgemaßnahmen an diese Krankheit zu binden, suchte er einen privaten Aufkäufer und fand in Hans Hermann Rösner einen vortreffli- chen Partner.

So entstand 1968 die Modellklinik

„Bad Trissl" ausschließlich für Frau- en, die ihre Brust- oder Genital- krebs-Primärbehandlung hinter sich haben. Dann spürt diese Nachsorge- Klinik Strahlenschäden und Rezidi- ve, Metastasen und anderenorts un- beachtet gebliebene Zweiterkran- kungen auf. „Ich habe volles Ver- trauen zu den Ärzten", wird von den Patientinnen immer wieder betont.

„Hier wird alles für uns getan. Ich habe Frauen gesehen, die wurden hereingetragen oder kamen auf Krücken und sie haben die Klinik so frisch und gesund, wie es nur geht, wieder verlassen" (Münchener Me- dizinische Wochenschrift).

So gesund, wie es nur geht — mehr läßt sich auch in Bad Trissl nicht erreichen. Immerhin genießt dieses Haus ohne Vorbild weltweiten Ruf.

Und alle zwei Jahre versammelt Dietrich Schmähl (vom „Deutschen

Krebsforschungszentrum Heidel- berg") führende Onkologen zum

„Internationalen Oberaudorfer Sym- posion".

Die private „Dorf- und Universitäts- klinik" steckt voller weiterer Merk- würdigkeiten. Sie wirkt auf den er- sten Blick wie ein Ferienhotel — nicht wie ein Krankenhauskomplex. Von 350 konzessionierten Betten wurden 50 gar nicht erst aufgestellt. Einziger Grund: neben 50 Doppelzimmern (alle mit Dusche, WC, Telefon und Alpenblickbalkon) soll eine beque- me Mehrheit von 200 Einzelzimmern erhalten bleiben. Voll bettlägerig sind etwa zehn Prozent der Kranken.

Mit der Kapazität des Ärztlichen Di- rektors Alfred Leonhardt im medizi- nischen wetteifert im wirtschaftli- chen Bereich Klinikbesitzer Rösner.

Er beschäftigt von 180 Angestellten (u.•a. 22 Ärzte, 18 medizinisch-tech- nische Assistentinnen, 56 Schwe- stern und 21 Helferinnen) in der Ver- waltung nur fünf, also eine Verwal- tungskraft auf 60 Patientinnen (Ver- gleich: im Münchener Universitäts- klinikum Großhadern eine auf drei Patienten). Mit 123 Mark deckt der Einheitspflegesatz sämtliche Lei- stungen ab, eingeschlossen die täg- lichen Konsiliarbesuche der Univer- sitäts-Kliniker aus München. Die Oberaudorfer Ärzte liquidieren pri- vat nichts. Gelegentliche Privatpa- tientinnen zahlen denselben Kas- sensatz wie 97 Prozent Sozialversi- cherte. Ein Journalist prägte den

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 4 vom 25. Januar 1979 231

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Slogan: Die Klinik im Hotel für Pri- vatpatienten auf Kassenschein!

Meine Fragebogenaktion ergab:

79,1 v. H. der Kranken fühlen sich

„Gut aufgehoben" und 58,7 „Hier nicht so sehr nur als Patient". Im- merhin sind 29,2 „viel mit anderen Patientinnen zusammen", lediglich 2,4 nennen die anderen „mehr eine Last als eine Hilfe oder Abwechse- lung". Bezeichnend auch die Reak- tion auf meine Randfrage: „Wissen Sie zufällig, was Ihre Krankenkasse täglich für Ihren Klinik-Aufenthalt bezahlt?" 91 v. H. wußten es nicht.

Es gibt auch

unsichtbare Krebs-Symptome Wenn Kranke dafürhalten, in einer Klinik „gut aufgehoben" zu sein, ist das eine Sache und eine andere, wenn sie sich in derselben Klinik

„seelisch alleingelassen" fühlen.

Die Krankheit Krebs offenbart sicht- bare Symptome und unsichtbare:

Verzagtheit und Verzweifelung, Bit- terkeit, dumpfe Panik und ein Über- maß an Rundum-Sensibilität. Schul- medizinisch genaugenommen spricht gesichert noch nichts dafür, daß Seele und Krebs Komplizen sein könnten. Es spricht aber auch nichts dagegen. Es spricht überhaupt nichts dagegen, mit einer humanen Krebsnachsorge klinisch und ambu- lant auch psychische Qual und seeli- sche Traumen therapeutisch mit an- zugehen, gleichgültig zunächst, wie exakt sie wissenschaftlich darstell- bar sind oder nicht, ob sie vielleicht im nach- oder vorhinein, ob sie als Auswirkung oder Mitursache, als Er- gebnis oder Erlebnis die Krankheit begleiten (Zu diesem Problemkreis plane ich weitergehende, intensive Recherchen. Vielleicht gelingt es in

„Bad Trissl", vielleicht auch nicht, verläßliche Spuren möglicher Zu- sammenhänge zwischen Krebs und Psyche zu sichern).

Auch die Oberaudorfer Klinik be- müht sich um mehr psychische Hil- festellung. Das ist aber gar nicht so einfach. Woher soll ein gesunder Therapeut das notwendige Einfüh- lungsvermögen nehmen? Wer selbst

vom Krebs nicht betroffen ist, kann sich in eine Patientenseele letztlich nicht einfühlen. Dieses Handikap verunsichert auch mich.

Unsere Klinik-Talkshow war wohl der erste Ansatz, auf die ungute Stimmungslage in Krankenhäusern hilfreich auch mal von außen einzu- wirken. Diese Veranstaltungen ver- stehe ich als eine neue medizin- journalistische Variante. Als ein Ex- periment, gleichzeitig einer Klinik Therapie-Mithilfen anzubieten und potentiellen Patienten draußen Sinn und Segen der Krebsnachsorge na- hezubringen. Immerhin eilten, weil Ungewöhnliches hier geschah, Dut- zende Beobachter von Presse, Funk und Fernsehen ungerufen nach Oberaudorf, um „eine der bemer- kenswertesten Veranstaltungen in der Bundesrepublik" (Die Zeit) als

„die ehrlichste Talkshow Deutsch- lands" (Neue Ruhr-Zeitung) und

„richtungweisendes Modell" (Rhei- nischer Merkur) zu beschreiben. Sie taten es in einer Zeitungs- und Zeit- schriften-Auflage von bislang 40 Millionen mit gleichbleibend positi- ven Berichten. Journalistisches Wohlwollen in diesem Ausmaß ha- ben andere Medizinbetriebsstellen wohl schon lange nicht mehr erlebt.

Sinn und Ziel meines Experimentes werden mit deutlich an den Umfra- ge-Ergebnissen: in Prozenten nen- nen 57,3 Patientinnen die Talkshow-

Pfarrer Sommerauer — aus anderer Per- spektive ... Foto: Hendrik Heuser

Abende unterhaltsam, 42,2 interes- sant, 27,3 heiter und 25,1 anregend.

Auf den ersten Blick sieht das mager aus. Auf den zweiten muß man die desolate Grundstimmung der Kran- ken bedenken. Und ausdrücklich

„nicht interessiert an Themen und Teilnehmern" waren nur 3,3 Prozent.

An anderer Fragebogenstelle halten 41,7 die Talkshow für „ein allgemein positives, schönes Erlebnis", 35,4 für „eine willkommene und vollkom- mene Abwechselung", daneben bie- tet sie 26,5 „Anregungen für eine längere Zeit" und 22,1 „Anlaß zum Nachdenken". Bei 25,1 „verbessert sie meine Stimmungslage" gegen- über 3,5 und 0,4 Prozent, denen die Abende „eigentlich wenig" geben oder „die Stimmungslage eher ver- schlechtern". Auf meine Frage „Was haben Sie getan, als die Talkshow zu Ende war?", notierten 39,9 Kranke

„Ich bin sofort ins Bett gegangen, weil ich sehr müde war", während 31,4 sich „noch am gleichen Abend"

und 52,1 „in den darauffolgenden Tagen mit anderen Patientinnen über die Show unterhalten" haben.

Die „Großen"

ohne Tünche und Make-up

Es geht bei dieser Talkshow nicht nur darum, aus dem „Krebsklinik- Ghetto" mit prominenter Hilfe einen attraktiven Kontakt zur Außenwelt herzustellen. Auch nicht darum, die Kranken ausschließlich zu unterhal- ten. Und ebensowenig nur darum, sie abzulenken von eigenen auf Schwierigkeiten anderer, in diesen Fällen sehr interessanter Gäste. Na- türlich präsentiere ich die „Großen im kleinen", also ohne Tünche und Make-up. „Und den Patientinnen tut es sicherlich gut, wenn sie erfahren, daß auch der oft bewunderte Promi- nente ein Mitmensch mit Sorgen und Nöten, Zweifeln und Schicksa- len ist" (Süddeutsche Zeitung).

Wichtiger als vieles andere ist die Chance, eine Identifizierung zwi- schen Patientin und geladenem Gast zu erreichen. Ihre seelischen Probleme resultieren ja aus einer

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Eine Talk-Runde besonderer Art (v. 1. n. r.): Loriot, Joachim Fuchsberger, Harry

Valörien Foto: Thomas Stankiewitz

Klinik-Talkshow

plötzlichen veränderten, jetzt elen- den, noch unbewältigten Situation.

Eine ähnliche Situation soll und kann die Patientin gelegentlich auch beim vermeintlich so starken und strahlenden, für unverletzbar gehal- tenen, im Fernsehen so selbstsiche- ren Gast durchschauen. So gibt es ihr zweifellos seelischen Auftrieb, wenn einer der Gäste, wie mehrfach geschehen, unvermutet die eigene Krebsoperation bekennt. Wenn er dieselbe Angst eingesteht und die- selbe Anstrengung, sie halbwegs zu bewältigen. Wenn, um ein anderes Beispiel zu nennen, Werner Forß- mann berichtet, daß auch er sich in einem Abgrund wähnte, als ihm kurz nach der Nobelpreis-Verleihung ei- ne demütigende, berufliche Ernied- rigung widerfuhr. Oder wenn Raub- tier-Dompteur Dieter Farell seine permanente Berufslebensgefahr streift und stockend erzählt, er habe unlängst, schon halb zu Tode zer- fleischt, eine Panther-Attacke nur mit dem Vorsatz durchgestanden:

„Gib dich um Himmels willen nicht auf! Du bist nur verloren, wenn du dich selbst aufgibst!" Oder wenn Margarete Buber-Neumann über ih- re acht Konzentrationslager-Jahre spricht, vier unter Stalin in Sibirien und vier unter Hitler in Ravensbrück

— und dann auf die Frage, wie eine Frau dies alles ertragen könne, nur sagte: „Frauen sind im Ertragen eben stärker als Männer."

Eine Identifizierung ergibt sich ge- nauso, wenn die Patientinnen dem Weltstar Erika Köth deutlich anmer- ken, daß sie nach ihrem Abgang von der Opernbühne die neue Lebenssi- tuation seelisch noch gar nicht ver- kraftet hat. Wenn ihre Kollegin Leo- nie Rysanek eine Lebenskrise ent- hüllt: ihr Absacken in tiefste Depres- sion, als sie plötzlich nicht mehr sin- gen konnte und auch nicht mehr le- ben wollte. Oder wenn sich ein ehe- maliger Wirtschaftsboß als Anony- mer Alkoholiker offenbart, sein In- die-Gosse-Geraten freimütig schil- dert: seine Qualen, seine Hoffnungs- losigkeit, aber auch seine Kraft, die ihm daraus erwachsen und wie er bemüht ist, sein unheilbares Leiden zu bezwingen. „Da wurde dann atemlos gelauscht, wenn einer die-

ser ‚Großen' auch die letzte Maske fallenließ. Dies sind dann die Mo- mente, auf die es ankommt: sie ge- ben den Frauen der Krebsklinik die Gewißheit, daß nicht nur sie allein ein Schicksal zu bewältigen haben"

(Münchener Merkur).

Dazu zwei Patientinnen: „Wir haben jetzt eine ganz andere Vorstellung von den Talkshow-Teilnehmern.

Zum Beispiel von Loki Schmidt und Antje Huber, die beide ihren Sohn verloren haben." — Und: „Wir schät- zen vor allem, daß sich die Gäste auch mal Gedanken machen, wie es den Krebskranken so ergeht. Dieses Tabu, vom Krebs nicht zu sprechen, sollte überhaupt in der Bevölkerung endlich gebrochen und wir sollten nicht wie Außenseiter oder Men- schen 2. Klasse angesehen werden.

Besonders gut haben mir übrigens bei der Talkshow gefallen Professor Hoimar von Ditfurth und Botschafter Jesco von Puttkamer, Hans Mohl, Ernst von Khuon, Ernst Fritz Für- bringer, Cornelia Froboess, Fides Krause-Brewer und Rundfunkinten- dant Reinhold Vöth" (Aus Frage- bogen-Bemerkungen).

Selbstverständlich wird an Talk- show-Abenden auch sehr viel ge- lacht und geschmunzelt. Für heitere Hochstimmung sorgten nicht zuletzt Hans Abich und Gustl Bayrhammer, Liesel Christ, Sammy Drechsel, Joa- chim Fuchsberger, Paul Kuhn, Hans

Joachim Kulenkampff, Willy Millo- witsch, Günter Rohrbach, Gisela Schlüter, Olga Tschechowa, Ilse Werner und viele andere. „Es darf gelacht werden", wußte „Die Welt"

zu berichten, „wenn Polizeipräsi- dent Schreiber gesteht, daß er sich vor Einbrechern nicht gar so sicher fühlt. Es darf gestaunt werden, wenn die bildhübsche Fernseh-Moderato- rin Petra Schürmann von ihrem Stu- dium der Philosophie und Theologie erzählt. Es tröstet, wenn der Bayern- Darsteller Beppo Brem mit 71 be- kennt, daß er keine Altersrente hat und noch fest arbeitet."

Gesprächstabus gibt es nicht Mit drei, gelegentlich auch vier Gä- sten stelle ich von der „Mischung"

her jede Talkshow-Runde mensch- lich und beruflich so kontrovers wie möglich zusammen. Die meisten Mitwirkenden lernen sich „persön- lich" erst unmittelbar vor der Veran- staltung kennen. Alle kommen ohne Honorar. Dafür schulden wir ihnen mehr als Dank! Der Journalist Gün- ter Dahl (selbst Teilnehmer einer

„gemischten" Talk-Runde mit dem Benediktiner-Abt Odilo Lechner, der Schauspielerin Ursula von Manescul und Justizminister Hans-Jochen Vo- gel) schrieb dazu im „stern": „Was mag sie bewegen, sich auf den wei- ten Weg nach Oberaudorf zu ma- chen ohne Gage und ohne Breiten-

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wirkung? Ist es die ,gute Tat', die jeder schon immer mal auf dem Pro- grammzettel seines Lebens notiert hatte, ist es der verstohlene Wunsch, einen Logenplatz im Himmel zu er- gattern, ist es Dankbarkeit gegen- über dem eigenen Schicksal, daß man von dieser schlimmen Krank- heit bisher verschont geblieben ist, oder — so hat es Ursula von Manes- cul nachher formuliert — allein die Idee, diese Frauen für zwei Stunden auf andere Gedanken zu bringen — natürlich macht man da mit!"

Die Zweistundengespräche führe ich wellenartig: heiter — ernst — hei- ter. Unterhaltsames und Heiteres stehen im Vordergrund. V . -2,ht etwa auf Kosten der Gesprächspartner, sondern mit ihrer Hilfe. Im Mittel- punkt allen Frage- und Antwort- spiels steht der Mensch, denn nichts ist spannender und unterhaltsamer als Allzumenschliches, zumal am so- genannten Prominenten. Die Patien- tinnen sollen erfahren, was in Wahr- heit hinter ihm steckt, wes Geistes Kind und wozu er fähig ist — oder auch nicht. „Starallüren gibt es nicht. Alles ist auf die Zuhörerinnen zugeschnitten. Dazu trägt auch ein Briefkasten des Talkmasters in der Klinik bei, in den die Frauen ihre Fragen und Wünsche an die Mitwir- kenden einwerfen können" (Der Deutsche Arzt). „Diese Kranken sind ein dankbares, aber keineswegs un- kritisches Publikum. Sie haben so- viel in sich hineingehorcht, daß sie die Kunst, Zwischentöne auch bei anderen zu hören, durchaus beherr- schen" (Talkshow-Teilnehmer Ro- bert Lembke in „Bild + Funk").

Es gibt kein Gesprächstabu. Nichts wird vorbesprochen oder abgespro- chen, und niemand weiß, was auf ihn zukommt. Meistens gelingt es, die Teilnehmer selbst zum „Mitspie- len" so anzuregen, daß sie sich mit Vergnügen auch gegenseitig ausfra- gen. Je mehr sich der Moderator im Hintergrund hält, je zwangloser und improvisierter ein Abend verläuft, um so eindrucksvoller bleibt die Ge- samtwirkung. Vielleicht ist es das Unmittelbare, Ungefärbte, Zufällige und Spontane, was verblüffte Mit- wirkende und Journalisten gele-

Ideenreicher Initiator und Moderator der Oberaudorfer Talkshow: Dr. med. Georg Schreiber Foto: Arthur Grimm

gentlich äußern ließ, diese Talkshow sei „menschlicher, wärmer, offener als eine im Fernsehen" (Kölner Stadt-Anzeiger).

Kostproben aus dem Stegreif

Wann immer ein Künstler mit in der Runde saß, ließ er sich anregen, Zeit und Gespräch mit kurzen, trefflichen Stegreif-Kostproben aufzulockern.

Hans Söhnker und Marianne Hoppe, Dagmar Berghoff, Barbara Rütting, Ursula Lingen oder Kurt Meisel tru- gen etwas vor. Utta Danella und Hans Werner Richter lasen Eigenes.

Lola Müthel sang Chansons, Rudolf Schock Weihnachtslieder, Franz Grothe und Peter Kreuder spielten Evergreens. Alice und Ellen Kessler tanzten, Hans Clarin und Ernst Stan- kovski blödelten. Die Magier Gerd Maron, Marvelli und Punx zauber- ten, und die Patientinnen hörten die Stimmen von Anja Silja, Leonie Ry- sanek, Martha Mödl oder Erika Köth.

Die Zuhörerinnen erlebten auch im- provisierte Premieren. Sylvia Caduff zum Beispiel, Deutschlands erster weiblicher Generalmusikdirektor, setzte sich spontan ans Klavier und begleitete Anneliese Rothenberger.

Beide hatten vorher nichts eingeübt, sie kannten sich gar nicht. Frau Ro- thenberger kam denn auch auf Platz 2 der Patientinnen-Umfrage nach Gästen, „die den jeweils stärksten Eindruck hinterlassen haben". Bis- lang halten Platz 1 gleichstimmig Vicco von Bülow (Loriot) und Bruce Low. Andere Stars boten ebenfalls Ungewohntes: Liselotte Pulver über- raschte als Sängerin, Bibi Johns mit Liedern von Morgenstern, erstmals hier vorgetragen und komponiert von Robert Pronk. Beide holten sich stürmischen Applaus. Und Peter Norton spielte, es war am Karfreitag, Johann Sebastian Bach virtuos auf der Gitarre.

Im Grunde zeigte sich jeder Gast be- eindruckt und nachdenklich. Einer schrieb es ins Gästebuch: „Ich kam in diese Klinik, um etwas zu geben.

Jetzt weiß ich, daß mir etwas gege- ben wurde." Vielleicht wollen die Teilnehmer auch deshalb nochmal wiederkommen. Manche boten obendrein ein Sondershow- und Un- terhaltungs-, Vortrags- oder Vorle- se-Programm an. Caterina Valente zum Beispiel, oder Will Quadflieg, Günther Schramm und Gert Fröbe, Katja Ebstein, Georg Spillner (Musi- cal-Clown Nuk), Ottfried Preußler oder Hans Sachs. Die Zauberkünst- ler Ole Becher (Marvelli) und Ludwig Hanemann (Punx) präsentierten je- weils am Tag nach der Talkshow zu- sätzlich und ebenfalls ohne Gage ein volles Bühnengastspiel.

Es gab andere positive Nebenwir- kungen. Fritz Molden, Großverleger aus Wien, stiftete einen Stapel Bü- cher und Klaus Hoffmann, Präsident der BfA, schickt jetzt regelmäßig Rentenberater in die Klinik. Bruno Merk und Fritz Pirkl, bayerische In- nen- und Sozialminister, erfuhren während der Talkshow bittere Kla- gen: bis zu zwei Jahren müssen Krebskranke auf ihren Versehrten- ausweis warten. Die Minister ver- suchten sofort, den Übelstand abzu-

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Klinik-Talkshow

stellen. Andere Zuständige nahmen Patientinnen-Briefe mit, so Volrad Deneke und Herbert Ehrenberg, Jo- sef Ertl, Hans Friderichs, Georges Fülgraff, Liselotte Funcke, Günter Gaus, Rudolf Hanauer, Annemarie Renger, Rosemarie Scheurlen, Josef Stingl, Käte Strobel, Richard Stück- len, Hans Jochen Vogel oder Hans Georg Wolters.

Vorbild für andere Kliniken?

Mein zeitraubendstes Problem ist das Aushandeln von Terminen mit Persönlichkeiten, deren Terminka- lender oft auf zwei Jahre und mehr vollgeschrieben sind. Rosie Mitter- maier zum Beispiel als Nachbarin aus Reit im Winkt nach Oberaudorf zu holen, dauerte viel länger, als Harry Valärien oder Rudi Michel, Jo- sef Neckermann oder auch Otto von Habsburg in der Gesprächsrunde zu haben oder Liesel Westermann aus Leverkusen, Hildegard Hamm-Brü- cher aus Bonn, Julia Dingwort-Nus- seck aus Hannover und EG-Kom- missar Guido Brunner aus Brüssel.

Unsere Talk-Runden mögen ande- ren Krankenhäusern vorbildlich er- scheinen. Das Modell wird aber, wie die Klinik „Bad Trissl" selbst, eine Ausnahme bleiben. Nicht nur des- halb, weil man sich hier ohne Hono- rierung engagiert, der Talkmaster nicht ausgenommen. Darüber hin- aus betreibe ich auch die aufwendi- ge Vororganisation in meiner ohne- hin spärlichen Freizeit. Hinzu kommt, daß Klinikbesitzer Rösner,

„für sein einmaliges Engagement und persönliches Opfer" vor Jahres- frist vom „Kollegium der Medizin- journalisten" mit einem „Goldenen Groschen" geehrt, sämtliche Reise- kosten der Gäste nebst Porto und Telefonaten, Übernachtungen und Sondergetränken am Talk-Abend für jede Patientin, aus seiner Privat- schatulle bezahlt. Füglich bleibt bei Einschätzung aller Realitäten zu be- zweifeln, daß unser bescheidenes Modell verzückte Nachahmer finden könnte.

Die Talkshow sollte dennoch zum Nachdenken anregen. Zuvorderst

darüber, daß Kranke möglicherwei- se mehr benötigen als kalte Klinik- Routine. Daß sie Bedürfnisse haben auch über rein medizinische Betreu- ungs-Verrichtungen hinaus. Daß Seelenpflege und unterhaltsame Kurzweil, in welcher Form auch im- mer, noch niemandem geschadet haben.

Ohne Zweifel gibt es vielschichtige Möglichkeiten und mancherorts auch originelle Ansätze, um die Graustimmung in Krankenhäusern aufzuheitern. Dazy braucht man nur ein wenig Phantasie. Und Hartnäk- kigkeit, um gute Ideen auch durch- zusetzen. Außerdem muß man wis- sen, was jeder Journalist berück- sichtigt: Außergewöhnliches und Verblüffendes erreichen stets die höchsten Aufmerksamkeitswerte.

Auch dafür ein Beispiel aus unserer

„Trickkiste": das große Münchener Ärzte-Orchester gab den Oberau- dorfer Patientinnen am 16. Dezem- ber ein erlesenes Weihnachtskon- zert. Das heißt: sie hörten erstmals von Ärzten ganz andere Töne. Der Erfolg war ausgezeichnet.

Natürlich hat Unterhaltung im Kran- kenhaus ihren Preis. Ebenso natür- lich kann man ihn, um beim Exem- pel zu bleiben, in Grenzen halten.

Konzert-Unkosten machten hier nur ein Bus zum Transport und ein Abendessen des Orchesters in der Klinik. Im übrigen habe ich die Pa- tientinnen rigoros auch danach be- fragt: „Wären Sie bereit, für gute Veranstaltungen (im Krankenhaus) Unkostenbeiträge zu zahlen?" 33,8 Prozent sagten „Ja, in jedem Fall".

Nur 1,5 „interessieren (neben der Drei-Wochen-Talkshow) keine wei- teren Unterhaltungsabende", wäh- rend es 60,6 „auf die Veranstaltung ankommt".

Auf welche Veranstaltung es an- kommt, verdeutlicht das Umfrage- Ergebnis überraschend. Die häufig- sten, von insgesamt der Hälfte aller Patientinnen geäußerten Wünche, zielen auf „Musik und Gesang" mit 36,2 und mit 13,8 Prozent auf „Medi- zinische Aufklärung". Das letztere erstaunt nur den Unerfahrenen. Es

bedeutet schlicht, daß behandelnde Ärzte Informationslücken und Unsi- cherheit hinterlassen. Das mag Journalisten gleichzeitig treffen, die über Krebsprobleme zuwenig, manchmal aber auch des Unguten zuviel verbreiten. In beiden Fällen bleibt ein Patient, der seelischen Umweltschutz braucht, ein doppelt leidtragender Patient.

Lebenshilfe —

der bessere Journalismus

Mangel an Aufklärung, Verunsiche- rung und offensichtliche Zweifel zwischen Wahrheit und Gerücht si- gnalisiert unsere Umfrage noch an- derweitig: 30,2 Prozent der Kranken wünschen ausdrücklich und 16,6 haben „nichts dagegen", daß über ihr Leiden offen in einer Klinik- Talkshow gesprochen wird. Das ge- schieht auch. Anlaß gab erst jüngst das Dilemma nach Hackethals Ver- wirrspiel. In der Gesprächsrunde saß Karl Günter Ober, Gynäkologie-Or- dinarius aus Erlangen. Er nahm kein Blatt vor den Mund. Ober erklärte zum Beispiel, in Deutschland werde zuviel operiert. Anschließend bat Ilse Werner um Zurufe von Schlager- Wünschen und pfiff in alter Frische:

„Sing ein Lied, wenn du mal traurig bist ... "

Unterhaltung und Gesundheit kön- nen viel miteinander zu tun haben.

Unsere Talk-Gäste erkennen das.

Auch journalistisches Engagement und Unterhaltung gehören zusam- men, was unsere Talkshow ebenfalls andeutet. Für mich heißt journalisti- sches Engagement außerdem, Le- benshilfen anzubieten. Und zwar in erster Linie. Leider geschieht das zu selten. Und nachgerade wird uner- träglich, daß zu viele Journalisten ausschließlich Negativaussagen ab- sondern. Daß sie nurmehr tätig wer- den mit hoch erhobenen Zeigefin- gern. Daß sie penetrant in jeder pu- blizistisch abgekochten Suppe Haa- re entdecken müssen, krampfhaft auch dann, wenn gar keine drin wa- ren. Und daß sie ihre Kritik-Auf- pfropfer-Masche völlig unkritisch für „besten Journalismus" halten.

DEUTSCHES ÄRZ 1 ATT Heft 4 vom 25. Januar 1979 235

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Für mich hat der bessere Journalis- mus mehr Freundlichkeit, mehr Hilfsbereitschaft und weniger Angst im Angebot. Allein darauf ist die Oberaudorfer Klinik-Talkshow aus- gerichtet. Zur Dienstleistung des Medizinjournalisten gehören die se- riöse Aufklärung. Beim Krebs mit dem Ziel, der Krankheit ihren Schrecken zu nehmen, soweit und wo immer das möglich ist. Was wie- derum bedeutet, mittelbar und un- mittelbar Betroffenen nicht zuwenig und nicht zuviel zu sagen.

Beides versucht unser Modell im kleinen. Erstens erfahren die Patien- tinnen hier einiges über sich. Zwei- tens erfährt die Ortsbevölkerung, weil kostenlos und regelmäßig zur Talkshow eingeladen, einiges über die Patientinnen. Diese Notwendig- keit war zwingend. Ein Beobachter beschrieb das so: „Früher isolierten sich die Kranken, und die Oberau- dorfer Bürger förderten die Isolie- rung mit zum Teil grotesker Krebs- furcht. Die ging so weit, daß beim Friseur der Stuhl, auf dem eine Krebs-Patientin saß, frei blieb."

Die Probleme sind allgemein. Auch meine Umfrage brachte mehrfach zutage, was eine Patientin so aus- drückt: „Wie soll ich mit dem Gere- de der Leute fertig werden? Ich wer- de oft so ‚taktvoll' gefragt: Faßt Ihr Mann Sie noch an? Oder: Ich an Ihrer Stelle würde nur heulen. Oder meine Kinder, 12 und 8 Jahre alt, werden dumm angesprochen: Habt Ihr auch schon Krebs?"

Alle Krebsnachsorge bleibt Stück- werk, solange die psychosozialen Nach-Sorgen der Patienten nicht aufgespürt und abgebaut werden.

Hier könnten sich Journalisten sehr breitfrontig sehr nützlich machen!

Unsere Umfrageergebnisse bieten gute Anhaltspunkte. „Haben Sie den Eindruck", wollte ich von den Pa- tientinnen wissen, „daß Sie um Ihre Rechte, die Sie an Behörden, Versi- cherungen oder irgendwelche Insti- tutionen haben, kämpfen müssen?"

„Nein" sagten 44,6 Prozent. Aber 15,7 sagten „Ja", 14,3 erklärten „Ich weiß von meinen Rechten überhaupt nichts", 6,1 „Ich bin unsicher" und

19,3 hinterließen ohne Antwort eine unangenehme Dunkelziffer.

Nächste Frage: „Auf welchen Gebie- ten fühlen Sie sich unsicher?" Die häufigsten Reaktionen betrafen Renten- (26 Prozent), Behinderten- (23,8), Sozialhilfe- (14,9) und Kran- kenversicherungsfragen (14,0) vor Arbeitslosigkeit und Arbeitsmög- lichkeiten mit 12,3 Prozent.

Letzte Frage: „Wenn Sie demnächst aus der Klinik entlassen werden, welche Sorgen und Schwierigkeiten könnten Sie dann möglicherweise haben?" Von jenen Patientinnen, die offen antworteten, machen sich

„zur Zeit keine Sorgen" (in Prozen- ten) 27,3. Das „Fortschreiten meiner Krankheit" fürchten 14,1, um ihr Be- rufsleben 12,2. Außerdem vermuten 5,8 „zu wenig oder kein Interesse meines Hausarztes", 5,2 ein gestör- tes Familienleben und „Schwierig- keiten mit dem Mann", 4,6 haben Wohnungssorgen und 3,5 befürch- ten, „mit der Angst nicht fertig zu werden".

33,3 Prozent schwiegen sich hart- näckig aus. Meine Recherchen erga- ben, daß etwa jede zehnte Frau nach ihrer Klinikentlassung einer bedrük- kenden Situation gegenüberstand und -steht. Entweder war ihr der Mann davongelaufen oder die Woh- nung finanziell nicht zu halten, ent- weder gingen der Arbeitsplatz oder der Kampf um die Rentenverlänge- rung verloren. Es gibt eine lange Li- ste voller Widrigkeiten und Sekun- därfolgen einer Krankheit, die ihren psychosozialen Begleitstreß wie kaum eine andere hat: von A bis Z, vom Anfang bis zur Zwangsvorstel- lung, Krebs bedeute den Ausschluß vom Leben. Was die Klinik „Bad Trissl" dieser Bedrängnis entgegen- zusetzen versucht mit einer kleinen Prominenten-Talkshow, ist sicher nicht allzuviel, aber ebenso sicher besser als nichts.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Georg Schreiber Brünnsteinstraße 13 8203 Oberaudorf

Dezentrale

Spezialisierung — eine Möglichkeit zur Kosten-

reduzierung

im Krankenhaus

Hans Peter Gockel

Die Ärzteschaft hat nicht erst seit der aktuellen Diskussion und Maßnahmen zur Kosten- dämpfung im Gesundheitswe- sen eine Reihe praktikabler Vorschläge zur rationelleren und wirtschaftlicheren Ver- sorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Leistungen entwik- kelt. Allerdings fanden die Be- mühungen der ärztlichen „Ba- sis" nur wenig Unterstützung von amtlicher Seite. Ein Dis- kussionsbeitrag zeigt Mög- lichkeiten auf, wie mit „dezen- traler Spezialisierung" eine wirtschaftlichere Versorgung der Patienten erfolgen kann.

Es gibt zwei Möglichkeiten der Mo- dellentwicklung: die deduktive Me- thode, indem zunächst ein Ziel ge- setzt und dann ein Modell zu seiner Erreichung erdacht und erprobt wird. Hier besteht die Gefahr, daß wegen der Übermächtigkeit des Ziels „Störungen der Modellfunk- tion" auf „Widerstände" zurückge- führt und echte Konstruktionsmän- gel ignoriert werden. Die zweite Möglichkeit der induktiven Modell- entwicklung aus historisch erprob- ten Abläufen genießt heute kein gro- ßes Ansehen, da sie „unaufgeklärt"

verläuft. Daß die praktischen Ergeb- nisse besser sein könnten, wird ger- ne ignoriert.

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