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Archiv "Prävention — eine permanente Herausforderung" (01.11.1979)

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Die Diskussion über Prävention zielt vorrangig auf die sogenann- ten Zivilisationskrankheiten. Bei deren Definition, Abgrenzung und Bewertung wird jedoch häu- fig übersehen, daß durch die Er- folge der medizinischen Versor- gung und die Verbesserung von Ernährung und Hygiene in den Industriestaaten die Lebenser- wartung der Bevölkerung vor al- lem in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts drastisch gestie- gen ist.

DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT

Heft 44 vom 1. November 1979

Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Prävention —

eine permanente Herausforderung

Friedrich Wilhelm Schwartz

Angewandt auf die sogenannten Zivilisationskrankheiten, können von der Krankheitsprävention nicht ähnlich gute Erfolge erwartet werden, wie sie sich besonders bei den Infektionskrankheiten erzielen ließen.

Dies liegt nicht nur an den Lücken der Kenntnisse über Herz-Kreis- lauf-, Stoffwechsel- und Krebskrankheiten, sondern auch daran, daß andere Altersgruppen hiervon betroffen sind. Es wird vielfach die Tatsache übersehen, daß die Beseitigung einer Todesursache zwangsläufig die Wahrscheinlichkeit erhöht, an einer anderen Krank- heit zu sterben. Die Medizin hat sich bisher daran orientiert, nicht die häufigsten, sondern die vermeidbaren Todesursachen zu bekämpfen.

Die alleinige Betrachtung globaler Mortalitätsziffern führt zu gesund- heitspolitischen Fehlbewertungen. Klare, wissenschaftlich begrün- dete Maßstäbe sind Voraussetzungen erfolgreicher Krankheitspräven- tion.

Es ist ein keineswegs neues, son- dern seit der Antike anerkanntes und von den Ärzten und der Gesell- schaft nach dem Stand des medizi- nischen Wissens befolgtes Grund- prinzip, daß die Vorsorge gegen Krankheiten und ihre Verhütung hö- her zu bewerten ist als ihre Behand- lung. So eindeutig die allgemeine Zustimmung zu dieser Forderung ist, so schwierig ist deren konse- quente und effektive Verwirkli- chung.

Die Krankheitsprävention bewährte sich bisher insbesondere auf dem Gebiet der Infektionserkrankungen.

Seit zwei Jahrzehnten werden je- doch weltweit auch Wege gesucht, sie auf die sogenannten Zivili- sationskrankheiten auszudehnen, denn diese beherrschen das heutige Krankheitsspektrum in den Indu- strieländern.

Zunächst richteten sich die Anstren- gungen vorrangig auf die sogenann-

te sekundäre Prävention, das heißt, auf Eingriffe zu Beginn der Krank- heiten mit dem Ziel, deren Fort- schreiten zu verhindern oder zu mil- dern. Solche Projekte, vor allem in bezug auf Krebs, Herz-Kreislauf- und häufige Stoffwechselkrankhei- ten, entstanden in den 60er Jahren und wurden mit großer Euphorie vorangetrieben.

Die daran geknüpften Erwartungen haben sich allerdings weltweit nicht erfüllt, sondern Skepsis und Pro- blembewußtsein Platz gemacht.

Lücken in unseren Kenntnissen über Ätiologie und Pathogenese erwiesen sich als Hindernisse, ebenso wurden vertiefte Kenntnisse über die be- grenzte Leistungsfähigkeit verschie- dener Methoden der Frühdiagnostik und Frühtherapie gewonnen.

Dies gilt insbesondere für Herz- Kreislauf-Erkrankungen und häu- fige Stoffwechselleiden (Diabetes), ebenso für Krebserkrankungen. Auf

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Spektrum der Woche Aufsätze · Notizen Prävention

dem ersteren Gebiet findet allge- meine Zustimmung heute nur das Screening auf Bluthochdruck. Bei den Krebsfrüherkennungsmaßnah- men hat sich die Mortalitätsrate als eine nur sehr bedingt geeignete Größe zur Erfolgsmessung erwie- sen. Geeigneter wären stadien- und altersspezifische Angaben zur Über- lebenszeit, zur vorzeitigen Invalidität und nicht zuletzt zum Befinden der Patienten. Die Aufklärung über die Leistungsfähigkeit der Programme sollte daran orientiert sein, daß sie das Auftreten von Krebs nicht ver- hindern können, aber die therapeu- tischen Aussichten der Betroffenen wesentlich verbessern. Verbesse- rungen der Frühdiagnostik und -the- rapie haben derzeit Vorrang vor je- der Ausweitung der Programme.

Die genannten Schwierigkeiten gel- ten in gleicher Weise für den nun- mehr verstärkt und teilweise alterna- tiv verfochtenen Gedanken einer pri- mären Prävention. Aussagen über die Zusam;-r;enhänge von Lebensbe- dingungen und gruppenspezifi- schem, bGziehungsweise individuel- lem Gesundheitsverhalten auf der einen und der Entstehung von Krankheiten beziehungsweise der wirksamen Verhinderung dieser Be- dingungen und Verhaltensweisen auf der anderen Seite, können der- zeit nur hypothetisch und spekulativ formuliert werden.

Jede ernsthafte Beschäftigung mit dem Gegenstand der Prävention setzt eine eindeutige Beantwortung folgender Fragen voraus:

..,. Welche Krankheiten sollen be- einflußt werden: vorrangig häufige oder solche, die mit Sicherheit be- einflußbar sind?

..,. Welche Ziele sollen verfolgt wer- den: die Verhinderung oder die Hin- ausschiebung des Krankheitsein- tritts, die Linderung des Verlaufs oder die Verlängerung der Überle- benszeit nach festgestellter Dia- gnose?

..,. Welches sind die theoretischen Grundlagen zur Erklärung der Zu- sammenhänge von Ursachen, Wir-

kungen und ihrer Beeinflussung, und wie gut sind diese gesichert?

..,. Welche Interventionsmethoden werden vorgeschlagen, und wie werden diese auf dem Hintergrund medizinischer Theorien, ethischer Werte, sozialer Durchführbarkeit, Fi- nanzierbarkeit sowie kurz- und lang- fristiger beabsichtigter und unbeab- sichtigter Wirkungen begründet?

Zunahme

der Zivilisationskrankheiten Die Diskussion über Prävention zielt vorrangig auf die sogenannten Zivi- lisationskrankheiten. Bei deren De- finition, Abgrenzung und Bewertung wird jedoch häufig übersehen, daß durch die Erfolge der medizinischen Versorgung und die Verbesserung von Ernährung und Hygiene in den Industriestaaten die Lebenserwar- tung der Bevölkerung vor allem in der ersten Hälfte dieses Jahrhun- derts drastisch gestiegen ist. Die Folge war- zusammen mit einer ver- minderten Reproduktionsrate-eine Umstrukturierung der Bevölkerung zu höheren Altersklassen, ·ein noch anhaltender Prozeß. Damit verän- dert sich auch zwangsläufig die Morbiditäts- und Mortalitätsstruk- tur: Die Zahl und das Spektrum der Verbrauchs- und Verschleiß- oder anderer altersabhängiger Krankhei- ten nehmen zu, das registrierte Spektrum der Erkrankungen ver- schiebt sich zunehmend zu der Gruppe der chronischen Krankhei- ten, das heißt, der nicht vollständig heilbaren Krankheiten .

Ni'Cht nur die Veränderung des Al- tersaufbaus, sondern auch die Ver- besserung der Diagnostik - vor al- lem chronisch verlaufender Krank- heitsprozesse - erhöht die Zahl der in einem gegebenen Zeitraum dia- gnostisch registrierten Fälle und ih- re epidemiologische Beobachtungs- dauer. Den gleichen Effekt haben le- bensverlängernde Therapieverbes- serungen bei chronischen Krankhei- ten. Unbeachtet bleiben dabei ein verbessertes Befinden oder eine bessere Lebensqualität der Patien- ten. Eine Beschreibung und Bewer-

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

tung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung allein nach Mortalitäts- und Morbiditätszahlen ohne die Messung veränderter Befindlichkei- ten, Beobachtungszeiten und Über- lebenszeiten nach Diagnosestel- lung, vermag Fortschritte der medi- zinischen Versorgung chronisch Kranker nicht zu erfassen. Ohne fortlaufende, im Längsschnitt vorge- nommene Bestimmung der krank- heitsspezifischen Beobachtungszei- ten lassen sich auch über tatsächli- che Veränderungen des Erkran- kungsrisikos langwierig verlaufen- der Krankheiten keine gesicherten Aussagen machen.

Vermeidbare Todesursachen?

Eine wesentliche Veränderungs- komponente der Mortalität unter ih- ren derzeitigen Meßbedingungen mit der Folge der zwangsläufigen Zunahme chronischer Krankheiten als Todesursache liegt in der weitge- henden Eliminierung medizinisch vermeidbarer Todesursachen. Es wird vielfach übersehen, daß die Beseitigung einer oder mehrerer Todesursachen zur Erhöhung der Sterblichkeit an einer anderen führt.

Die Medizin hat sich mit Recht daran orientiert, nicht die häufigsten, son- dern die vermeidbaren Todesursa- chen auszuschalten und bei den un- vermeidbaren den Todeszeitpunkt so weit wie möglich hinauszuschie- ben. So lange es keine allgemein anerkannte und angewendete Defini- tion eines "natürlichen Alterstodes"

gibt, führt jede Verminderung einer bestimmten Todesursache zur Erhö- hung einer anderen. Deshalb ist die Betrachtung globaler Mortalitätszif- fern ohne einen altersspezifischen längs- und querschnittliehen Ver- gleich ein oft irreführender Ansatz zur Beschreibung und Gewichtung von "Zivilisationskrankheiten".

Eine weitere Problematisierung er- gibt sich, wenn man sich vorstellt, daß durch Ausschaltung aller ver- meidbaren Todesursachen alle Mit- glieder einer Bevölkerung im hohen Alter an nur ein oder zwei unver-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Prävention

meidbaren Ursachen sterben: Nach dem Stand unseres Wissens und nach den diagnostischen Gepflo- genheiten kommen dafür am ehe- sten Krebs- und Herz-Kreislauf- Krankheiten infrage.

Die in den letzten Jahren registrierte zunehmende lnzidenz dieser Krank- heitsgruppen zu Lasten anderer Ur- sachen zeigt, daß die Entwicklung der Statistik dieser Überlegung folgt. Das Ziel einer auf diese bei- den Krankheitsgruppen orientierten Prävention kann daher realistischer- weise nicht in ihrer völligen Elimina- tion gesehen werden, sondern in Spanne der Krankheitsfreiheit, der Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Überlebenszeit nach gestellter Diagnose. Beide Krankheitsgruppen sind altersspezifisch zu interpretie- ren vor dem Hintergrund des natürli- chen Alterungsprozesses und des letztlich unvermeidbaren Todes.

Eine wesentliche Konsequenz des Ansteigens von Zahl und Dauer der registrierten und damit zur Behand- lung anstehenden chronischen Krankheiten ist die Tatsache, daß die gesundheitliche Versorgung in glei- chem Maße kostspieliger, kompli- zierter und arbeitsteiliger wird. Die Versorgungslasten und -pflichten bei langdauernden Krankheiten rei- chen ferner über die engere medizi- nische Versorgung hinaus in den so- zialen Bereich des Kranken und der Gemeinschaft.

Keine gültigen Krankheitsmodelle

Für die großen Gruppen der bösarti- gen Neubildungen, der Herz-Kreis- lauf- sowie der häufigsten Stoff- wechselkrankheiten ist festzuhalten:

Nach heutigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand liegen keine ge- schlossenen ätiologisch-patho- genetischen Modelle vor, die gesi- cherte Interventionsansätze auf- zeigen.

Bei den Krebserkrankungen gibt es wenige gut definierte Noxen, deren Langzeiteinwirkung das Auftreten von Malignomen wahrscheinlich

oder höchstwahrscheinlich machen.

Dazu gehören insbesondere einige toxische Stoffe aus der Arbeitswelt, sowie das Rauchen. Nicht gesichert ist die Rolle derzeit häufig diskutier- ter Substanzen in der Nahrung, wie Flavotoxine, Nitrosamine, polyzykli- sche Kohlenwasserstoffe und Ab- bauprodukte fett- und eiweißreicher Nahrung.

Wichtigste Ansatzpunkte für eine aktive Prävention sind derzeit das Rauchen und gezielte arbeitsmedizi- nische Maßnahmen in bestimmten Betrieben.

Für die Gruppe der Herz-Kreislauf- Krankheiten ist das Konzept der Ri- sikofaktoren sehr populär gewor- den. Es ist jedoch unklar, ob diese Faktoren mehr als indikativen und prädiktiven Wert haben. Über die wechselseitige Interdependenz und Abhängigkeit dieser sogenannten Risikofaktoren (Rauchen, Choleste- rinerhöhung, Adipositas und so wei- ter) von den allgemeinen und indivi- duellen Lebensbedingungen gibt es zwar eine Vielzahl von Hypothesen mit unterschiedlicher Evidenz, aber kein hinreichend gesichertes Wis- sen, das Gewähr für erfolgreiche be- völkerungsweite Programme bietet.

Aufgaben

präventiver Gesundheitspolitik Angesichts dieser Unsicherheiten sollte eine um die Effektivität ihrer Maßnahmen besorgte Gesundheits- politik nicht auf „unspezifische mul- tifaktorielle" Ansätze ausweichen, wie dies derzeit im Vorfeld der „Kon- zertierten Aktion des Gesundheits- wesens" diskutiert wird. Diffuse Zie- le können nicht zu klaren, erfolgs- orientierten Handlungen führen. Je- der unkontrollierte Aktionismus auf dem Felde der Präventivmedizin weckt falsche Hoffnungen, ist eine Verschwendung von Mitteln und verhindert wirklichen Erkenntnis- fortschritt.

Während Programme zur Beeinflus- sung des Rauchens und des Blut- hochdrucks ausreichend gerecht- fertigt sind, bedarf es bei anderen

primärpräventiven Maßnahmen auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Er- krankungen und des Krebses einer wesentlich verstärkten epidemiolo- gischen Grundlagenforschung und der kontrollierten Entwicklung von Interventionsansätzen. Nicht ver- gleichend angelegte Modellaktionen sind in der Regel nicht wissen- schaftlich auswertbar.

Bei Maßnahmen, die in die persönli- che Lebenssituation der Betroffenen eingreifen oder ihr Krankheitsrisiko möglicherweise erhöhen, ist eine Kontrolle durch unabhängige ethi- sche Komitees empfehlenswert.

Einen sehr hohen und unbestreitba- ren Aufwand-Nutzen-Effekt haben die Maßnahmen der Unfallverhütung im Verkehr, im Haushalt, am Arbeits- platz und in der Freizeit. Unfallopfer gehören vielfach zu jüngeren Alters- gruppen mit langer Lebenserwar- tung, und die meisten Unfälle sind grundsätzlich vermeidbar. Bedeu- tende Anstrengungen sind ferner notwendig, um den Alkoholismus und den Mißbrauch von Drogen und Tabletten zu bekämpfen.

Weitere wesentliche präventivmedi- zinische Aufgaben liegen auf dem Gebiet der genetischen Beratung und Familienplanung und in der dia- gnostischen und therapeutischen Konsolidierung bestehender Vorsor- ge- und Früherkennungsprogram- me.

Die aufgezeigten Ansätze bieten ge- nügend Herausforderungen für wis- senschaftlich begründete Präven- tionskampagnen in der Gesund- heitspolitik.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz Geschäftsführer

des Zentralinstituts

für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland Haedenkampstraße 5

5000 Köln 41 (Lindenthal)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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