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Archiv "Immer mehr Krebskranke wenden sich alternativen Therapieverfahren zu: Ärztliche Betreuung weist Defizite auf" (19.11.1993)

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POLITIK LEITARTIKEL

Immer mehr Krebskranke wenden sich alternativen Therapieverfahren zu

Ärztliche Betreuung weist Defizite auf

In der Bundesrepublik Deutschland erkranken jährlich 300 000 Menschen an Krebs. Die Hälfte von ihnen wendet sich — separat oder additiv zur Standardtherapie — „nicht-konventionellen" Be- handlungsmethoden zu. Nicht wenige fallen dabei Scharlatanen und Geldschneidern in die Hände. Um Ärzten und Patienten einen

Leitfaden für die Behandlung mit alternativen Methoden zur Verfü- gung zu stellen, hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärzte- kammer nun in überarbeiteter Auflage das Memorandum „Arznei- mittelbehandlung im Rahmen besonderer Therapierichtungen" her- ausgegeben. Das Werk wurde in Bonn vorgestellt.

W

ir sind keine Gegner von nicht-konventionellen Me- thoden zur Behandlung Krebskranker Einige dif- ferenziert ausgewählte Methoden sind sogar zu empfehlen, um das sub- jektive Lebensgefühl der Betroffenen zu verbessern — allerdings erst nach erschöpfter Standardtherapie." Mit diesen Worten unterstrich Dr. Kar- sten Vilmar die Stellung der Bundes- ärztekammer (BÄK) zu dem weltwei- ten Phänomen, daß sich immer mehr Krebspatienten — und ebenfalls Ärzte

— alternativen Behandlungsmetho- den zuwenden.

Diese Entwicklung verdient nach Angaben des BÄK-Präsidenten besondere Aufmerksamkeit, da der- artige Verfahren außerhalb der in der Medizin üblichen Kontrollen und Überprüfungen entwickelt und ange- wendet werden. Daher bestehe die Gefahr, daß Patienten durch unkriti- sche Anwendung nicht-konventionel- ler Therapieverfahren sowohl ge- sundheitlich als auch ökonomisch ge- schädigt werden.

Vilmar betonte, daß es bisher keine Krebserkrankung gebe, die al- lein mit alternativen Methoden er- folgreich behandelt werden könne.

Dennoch läßt sich jeder fünfte Tu- morpatient in den Vereinigten Staa- ten und in der Bundesrepublik, so schätzt man, ausschließlich mit nicht- konventionellen Methoden therapie- ren. „Damit werden für zahlreiche Krebsarten reelle Heilungschancen vertan", erläuterte Vilmar. Dieses Risiko gehen hierzulande jährlich 60 000 Betroffene ein.

In vielen Fällen würden die Hoffnungslosigkeit der Patienten ausgenutzt und für — in der Herstel- lung — billige Arzneimittel weit über- zogene Preise gefordert, wodurch

manche Erbschaft bereits vorgezogen werde. Fast unbemerkt hat sich für diese Substanzen ein lukrativer Markt aufgetan, dessen Wert Vilmar mit 1,5 Milliarden Mark angab.

Das nun vorliegende Memoran- dum hat nach Angaben von Prof.

K. D. Bachmann, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK, nicht zum Ziel, alternative Behand- lungsverfahren zu widerlegen oder ihre Untauglichkeit darzustellen.

Dem anwendenden Arzt solle viel- mehr die Abschätzung von Nutzen und Risiken alternativer Methoden erleichtert werden. „Die unter- schiedlichen Standards konventionel- ler und besonderer Therapierichtun- gen müssen für Ärzte und Patienten erkennbar sein", erklärte Bachmann

Patienten wollen

"aktiv" werden

Besonders kritisch werteten die Experten, daß zahlreiche alternative Behandlungsverfahren darauf ver- zichten, das maligne Gewebe chirur- gisch zu exzidieren oder radiologisch bzw. chemotherapeutisch zu zerstö- ren. Stattdessen zielen sie ausschließ- lich auf eine Korrektur von allgemei- nen somatischen und/oder psychi- schen Dysfunktionen oder auf die Beseitigung von „Vergiftungen", die der Krebserkrankung zugrunde lie- gen sollen. Dafür werden Behand- lungsmethoden eingesetzt, die den Stoffwechsel „aktivieren", „reini- gen", „entgiften" und „harmonisie- ren. Unter ihnen finden sich Diät- therapien, Darmspülungen, unspezi- fische Immunstimulation, Akupunk- tur, Megavitamin-Behandlungen, Be- wegungs- und Tanztherapie, ja sogar Geistheilung.

Die mit diesen Verfahren ver- knüpften Regenerationsvorstellun- gen erscheinen dem Laien besonders attraktiv, zumal sie für den Organis- mus angeblich weniger belastend sind als die konventionellen Thera- pieverfahren. „Über unerwünschte Nebenwirkungen nicht-konventionel- ler Behandlungsverfahren wird aller- dings seltener berichtet als über sol- che der Standardtherapien", gab Vil- mar zu bedenken.

Nach den Recherchen der BÄK willigen die meisten Krebspatienten in alternative Methoden ein, um selbst therapeutisch aktiv zu werden.

Ihre Motivation leitet sich weniger von unbefriedigenden Ergebnissen der konventionellen Therapie oder mangelhaftem Vertrauen in ihre Wirksamkeit ab. Im Vordergrund steht vielmehr der Wunsch, die er- krankte Physis und Psyche im Gan- zen zu stützen, um die Abwehrkräfte weitestgehend zu aktivieren.

Die meisten Patienten, die aus eigener Initiative therapeutisch aktiv werden, entsprechen nicht dem her- kömmlichen Bild des „austherapier- ten" Krebskranken, der nach dem letzten Strohhalm greift: Es handelt sich hierbei meistens um jüngere, wohlhabende Menschen, deren Bil- dungsstand höher ist als der von Nichtanwendern. Anregungen zur Anwendung nicht-konventioneller Behandlungen gehen in der Regel von Verwandten, Bekannten und den Medien aus — weniger vom Hausarzt,

„Alternativarzt" oder Heilpraktiker.

Den ersten Versuch mit alternativen Methoden unternehmen die meisten Patienten nach Abschluß der ersten konventionellen Therapiephase.

Aus rechtsmedizinischer Sicht kann jeder Arzt dem Wunsch des Pa- tienten nachgeben, alternative Me- Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 46, 19. November 1993 (15) A1-3039

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POLITIK LEITARTIKEL / KURZBERICHTE

JA zu Anti- körper- tests

In Sachsen-Anhalt hat das Sozi- alministerium inzwischen einen Ver- gleich mit der Firma Pharma Dessau vor dem Verwaltungsgericht ge- schlossen. Das Unternehmen darf nun wieder produzieren. Die Pharma Dessau GmbH hatte, wie andere Hersteller auch, Plasma der Firma UB Plasma bezogen. Ihre Herstel- lungserlaubnis war Ende Oktober aufgehoben worden, weil die zustän- dige Behörde fehlende Zertifikate beanstandet hatte. Deswegen wur- den sogar seit November 1990 herge- stellte Arzneimittelchargen zurück- gerufen. Inzwischen seien jedoch bis- her fehlende Zertifikate nachge- reicht worden, teilte das Ministerium mit. Die Anordnung zum Rückruf der Arzneimittelchargen, für die Ma- terial der Firma UB Plasma verwen- det wurde, sei vom Verwaltungsge- richt jedoch bestätigt worden.

Modellprojekt in Niedersachsen

Auch andere Landesbehörden sind nach wie vor mit der Aufarbei- tung des HIV-Skandals beschäftigt.

So einigten sich Vertreter des nieder- sächsischen Sozialministeriums und der dortigen Krankenhausgesell- schaft auf ein Modellprojekt: In zu-

NEIN zur

Sichtung aller

Akten

nächst drei Krankenhäusern sollen die Patientenunterlagen von be- stimmten Krankenstationen aus den Jahren 1982 bis 1993 ausgewertet werden. Ziel ist es, mögliche Fälle von HIV-Infektionen durch Blutprä- parate oder Bluttransfusionen her- auszufinden. Patienten, denen diese Präparate verabreicht wurden, sollen angeschrieben werden. Als „nicht praktikabel" hat es nach Darstellung des Sozialministeriums eine Exper- tenrunde bezeichnet, entsprechende Krankenunterlagen aller Patienten in den über 200 niedersächsischen Krankenhäusern durchzusehen.

Die Kassenärztliche Bundesver- einigung (KBV) befaßt sich in einem Informationsschreiben an die Kas- senärztlichen Vereinigungen eben- falls mit dem Thema. Zur Beantwor- tung der Frage, bei welchen Blutprä- paraten zukünftig auch Chargen- nummern aufzulisten seien, verweist die KBV auf die Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes (vgl. hierzu auch Heft 42). Nach Paragraph 4 sind Blutzubereitungen „Arzneimit- tel, die aus Blut gewonnene Blut-, Plasma oder Serumkonserven, Blut- bestandteile oder Zubereitungen aus Blutbestandteilen enthalten". Nach Angaben des Bundesgesundheitsam- tes (BGA) umfaßt diese Gruppe et- wa 4 000 Arzneimittel.

thoden einzusetzen, „wenn er den Patienten sachgerecht aufklärt. Da- bei muß die Abwägung von Nutzen und Risiko für den Laien eindeutig nachvollziehbar sein", erklärte Prof.

H.-J. Wagner von der Universität Homburg/Saar. Derartige Erklärun- gen sind erforderlich, damit der be- handelnde Arzt nicht mit dem Ge- setz in Konflikt gerät.

Erstaunlicherweise sind die Er- wartungen der Patienten nicht hoch gespannt. „Die Patienten berichten mehrheitlich über positive Wirkun- gen auf das Allgemeinbefinden", er- klärte Prof. H. Friebel (Heidelberg).

Somit stehe dem Fehlen von Nach- weisen, daß nicht-konventionelle Be- handlungsmethoden Krebs heilen, Metastasen verhindern oder Remis- sionen einleiten können, lediglich die Erfahrung gegenüber, daß diese vom Patienten subjektiv positiv bewertet werden.

Da der Wunsch nach alternati- ven Verfahren in Zukunft eher zu- als abnehmen wird, rät die BÄK den Ärzten, ihre Präsenz als Gegeben- heit akzeptieren und sich im Ge- spräch mit den Patienten als Kenner nicht-konventioneller Therapien zu erweisen — letztlich auch, um die

„Fäden" der Behandlung in der Hand zu behalten. Das Angebot diesbezüglicher (tendenzfreier) In- formationsveranstaltungen für Medi- zinstudenten und Ärzte soll in Zu- kunft verbessert werden. Auch die Honorierung der zeitaufwendigen Pflege des partnerschaftlichen Pa- tient-Arzt-Verhältnisses, welches die Betroffenen vor therapeutischen Al- leingängen bewahren kann, müsse überdacht werden.

„Nachdem ein prospektiver, kontrollierter Langzeitversuch nach- gewiesen hat, daß die Zufriedenheit schwerkranker Krebspatienten auch ohne Einsatz nicht-konventioneller Behandlungsverfahren sichergestellt werden kann, verdient die Qualitäts- sicherung einer hochwertigen Stan- dardtherapie Vorrang vor alternati- ven Methoden", so Friebel. Daraus resultiere die Notwendigkeit, Defizi- te der medizinischen, pflegerischen und psychischen Betreuung im klini- schen und hausärztlichen Bereich aufzuspüren und auszuschließen.

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Blutprodukte

Ärzteorganisationen:

Die HIV-Verseuchung von Blut und Blutprodukten sowie der Umgang mit diesem Thema in Politik und Medien liefern weiterhin Diskussionsstoff. Inzwischen liegen die ersten Aus- wertungen der Rückstellproben von Blutspenden vor. Danach waren mindestens zwei

von 4 000 bis 5 000 Spendern der Koblenzer Firma UB Plas- ma HIV-positiv. Das Unterneh- men Pharma Dessau in Sach- sen-Anhalt hat mit Erfolg vor Gericht erstritten, weiter pro- duzieren zu dürfen. Ärztliche Organisationen äußern sich vermehrt dazu, was Ärzte und Ärztinnen derzeit für besorgte Patienten tun können.

A1-3040 (16) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 46, 19. November 1993

Referenzen

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