• Keine Ergebnisse gefunden

Finanzmärkte und wie sie funktionieren

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Finanzmärkte und wie sie funktionieren"

Copied!
9
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spielwiese von Spekulanten oder Rückgrat von Unternehmen? –

Finanzmärkte und wie sie funktionieren

Von Philip Reinhardt, Stuttgart

Seit den 1970er-Jahren hat eine massive Deregulierung zu einer „Entkopplung“ von Finanz- und Realwirtschaft geführt. Wie sehen also die Finanzmärkte von heute aus?

Welche Rollen spielen Aktien, Devisen und Derivate für Kleinanleger, Unternehmen und Spekulanten? Und wie kann die Politik die Finanzmärkte effektiver regulieren?

© Oliver Schopf/www.oliverschopf.com

Themen

Aktien 3 M 1

Banken 1 M 3

Börse 1 M 0M 2

Bretton Woods 2 M 2

Deregulierung 2 M 1M 4

Derivate 1 M 2

3 M 2M 3

Devisen 1 M 2

Effizienzmarkthy-

pothese 3 M 4

Futures 3 M 2M 3

Hebeleffekt ZM 1

Herdenverhalten 3 M 4 Investmentfonds 3 M 2M 3

Leerverkauf ZM 2

Regulierung 2 M 2M 4

Schattenbanken 3 M 5

Spekulation 3 M 1M 5

Aufbau der Unterrichtseinheit

MODUL h KOMPETENZEN MATERIALIEN

1 Finanzmärkte – Teilmärkte und Funktionen Vorwissen: Börse

5 Die Schülerinnen und Schüler können …

• die Funktionen der Finanzmärkte erklären,

• die Bedeutung verschiedener Finanzmarktakteure beur- teilen,

• die Funktionsweise von Devisenmärkten erklären.

M 0M 5

2 Finanzmärkte zwischen Regulierung und Deregulierung

4 Die Schülerinnen und Schüler können …

• Phasen der Finanzmarktentwicklung systematisieren,

• Wechselwirkungen von Finanz- und Realwirtschaft erläutern,

• Ziele eines Währungsraums charakterisieren,

• die Deregulierung von Finanzmärkten beurteilen,

• Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung beurteilen.

M 1M 4

3 Instrumente und Akteure auf den Finanzmärkten

5 Die Schülerinnen und Schüler können …

• Motive von Finanzmarktakteuren analysieren,

• die Funktionsweise verschiedener Anlageformen darstel- len sowie deren Chancen und Risiken erörtern,

• Ursachen von instabilen Finanzmärkten erläutern.

M 1M 5 ZM 1ZM 2

METHODE

Ein Vernetzungsdiagramm erstellen

1 Komplexe Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in einem Wirkungsgefüge oder einem Kreislaufdiagramm darstel- len.

ME

Die Dauer ist in Unterrichtsstunden à 45 Minuten angegeben. Die Angaben sind als Richtwert zu betrachten.

M 4M 5

zur Vollversion

VORSC

HAU

(2)

Finanzmärkte – Teilmärkte und ihre Funktionen

Fachliche Hinweise

Im Rahmen der Durchführung sogenannter „Unternehmensplanspiele“ an Schulen wird Schülerin- nen und Schülern* regelmäßig bewusst, dass die Finanzierung von Unternehmensgründungen eine wesentliche Bedingung für Erfolg oder Misserfolg einer Gründung ist. Nicht nur Unternehmensgrün- dungen sind auf Finanzmärkte angewiesen; auch die Privathaushalte und Staaten stehen in enger Beziehung zu ihnen. Denn hier finden Transaktionen zwischen Nachfragern nach Finanzmitteln, so- genannten Schuldnern, und Anbietern von Finanzmitteln, sogenannten Gläubigern, statt. Letztere sind bereit, Geld z. B. für Unternehmensgründungen, den Kauf eines Wohnhauses oder den Staats- haushalt zur Verfügung zu stellen. Die Realwirtschaft, die Güter und Dienstleistungen produziert und bereitstellt, ist also auf funktionierende Finanzmärkte angewiesen. Finanzmärkte lassen sich dabei in verschiedene Teilmärkte untergliedern, z. B. nach der Dauer, nach der die Zahlung einer Kapitalschuld fällig wird (Fristigkeit). Sind Schuldner auf der Suche nach kurzfristig zu entleihendem Kapital, sind sie auf dem Geldmarkt richtig; soll Kapital hingegen mittel- oder langfristig beschafft werden, werden sie auf dem Kapitalmarkt fündig. Sowohl auf dem Geld-, als auch auf dem Kapi- talmarkt erfolgt die Kapitalbeschaffung durch die Ausgabe von Wertpapieren, wie z. B. Tages- und Termingeldern (Geldmarkt) oder Aktien und Anleihen (Kapitalmarkt). Darüber hinaus lassen sich Finanzmärkte danach unterteilen, welche Finanzprodukte auf den jeweiligen Teilmärkten gehan- delt werden. So bezeichnet der Kreditmarkt den Teilmarkt, auf dem ausschließlich bilaterale, d. h.

zwischen zwei Parteien geschlossene, Kreditverträge individuell vergeben und abgeschlossen wer- den. Häufig treffen hier kleine und mittelständische Unternehmen oder Privathaushalte mit einer Bank zusammen. Auf dem Devisenmarkt werden dagegen internationale Währungen gehandelt und somit der Tausch inländischen Geldes in ausländisches ermöglicht und umgekehrt. Der Kauf und Verkauf von Gütern, wie z. B. Rohstoffe, Aktien, Zinsen, zu einem zukünftigen Zeitpunkt findet wiederum auf dem Derivatemarkt für „abgeleitete Finanzprodukte“ statt.

Didaktisch-methodische Überlegungen

Modul 1 geht der Frage nach, welche Funktionen die Finanzmärkte erfüllen. Als Einstieg werden die Schüler hierzu mit exemplarischen Fallbeispielen und zugehörigen Bildimpulsen konfrontiert.

Dies dient als Ausgangspunkt, um zu erarbeiten, aus welchen Teilmärkten sich „die Finanzmärkte“

zusammensetzen und welche Akteure auf diesen aktiv sind. Beispielhaft wird ein Teilmarkt, der Devisenmarkt, näher betrachtet: An diesem werden sowohl die realwirtschaftlichen Funktionen des Finanzmarkts als auch die damit verbundenen spekulativen Möglichkeiten und deren Folgen verdeutlicht.

Modul 1: Finanzmärkte – Teilmärkte und ihre Funktionen

Lernziel: Die Schüler überprüfen, inwiefern Finanzmärkte für ein funktionierendes Wirtschaftsgeschehen notwendig sind.

Methoden: Mindmap (M 0), Analyse von Fallbeispielen (M 1), Analyse eines Videos (M 3), Analyse eines Schaubildes (M 4), Ge- dankenexperiment (M 5), Erstellen eines Schaubildes (M 5)

MODULPHASE ABLAUF MEDIEN

Einstieg I Auf der Grundlage einer Definition und eines Schaubilds wiederholen und erweitern die Schüler ihre Kenntnisse über die Börse. Sie setzen dies ge- stalterisch in einer Mindmap um.

M 0 Kopien im Klassensatz

* Zur besseren Lesbarkeit wird nachfolgend „Schüler“ verwendet, wenn „Schülerinnen und Schüler“ gemeint sind.

zur Vollversion

VORSC

HAU

(3)

„Ohne Moos nix los“ –

M 1

was passiert an den Finanzmärkten?

Denkt man an Finanzmärkte, hat man häufig das Bild von Aktienspekulanten vor Augen. Doch an den Finanzmärkten finden jeden Tag unzählige Transaktionen mit verschiedensten Finanzprodukten statt, nicht nur mit Aktien …

A) Um seine Kapazitäten auszubauen, plant ein deutscher Automobilhersteller, ein neues Produktionswerk in Deutschland oder Japan zu errichten. Dazu benötigt das Unternehmen Kapital: Es wandelt daher seine Rechtsform in eine Aktiengesellschaft um.

B) Um seine bestehenden finanziellen Ver- pflichtungen – wie z. B. Löhne oder Rechnun- gen von Zulieferern – erfüllen zu können, ver- kauft das Automobilunternehmen einen Teil der in seinem Besitz stehenden Aktien.

C) Martin Müller möchte sich bald den Traum vom eigenen Haus erfüllen. Dafür hat er vor einigen Jahren einen Bausparvertrag abge- schlossen. Zusätzlich benötigt er jedoch einen Kredit über 100.000 Euro von seiner Bank.

D) Ein großer Chemiekonzern hat sein Kapital nicht nur in seinen eigenen Produktionsanla- gen und in Aktien angelegt. Einen Teil seines Kapitals hat er auch über eine große deutsche Bank in Rohstoff-Indizes ( Fachbegriffe) an- gelegt. Nun hofft der Chemieriese auf steigen- de Rohstoffpreise.

E) Eine Bank legt große Geldsummen in einem anderen Währungsgebiet an, da dort höhere Zinserträge erwartet werden als im heimischen Währungsgebiet.

F) Einige Anleger erwerben Staatsanleihen und gewähren somit einem Staat einen Kredit. Da der betreffende Staat als ökonomisch stabil und zahlungsfähig eingestuft wird, sind die Zinsen, die die Anleger am Ende der Laufzeit dieser Wertpapiere erhalten, relativ niedrig.

1. Versuchen Sie in Partnerarbeit, die Beispiele verschiedenen Teilmärkten des Finanzmarktes zuzuordnen.

Bild links: © PhonlamaiPhoto / iStock / Getty Images Plus; Bild rechts: © jmiks / iStock / Getty Images PlusBild links: © Wara1982 / iStock / Getty Images Plus Bild rechts: © matejmo / iStock / Getty Images Plus Bild links: © wakila / E+ Bild rechts: © James Brey / E+

© Polaroid: Colourbox

zur Vollversion

VORSC

HAU

(4)

M 4

Betrachten Sie die Grafik und wiederholen Sie Ihre Kenntnisse über den Marktmechanismus. Es wird dabei von einer vollständigen Konkurrenz ausgegangen.

1. Stellen Sie Thesen zum Devisenmarkt nach folgendem Muster auf:

„Je mehr US-Dollar für einen Euro bezahlt werden müssen, je höher also der Wechselkurs, umso geringer ist die Nachfragemenge nach Euro.“

2. Erklären Sie, wie sich der Wechselkurs in der Regel verändert, wenn die Europäische Zent- ralbank in der Eurozone den Leitzins senkt.

Ein Teilmarkt unter der Lupe – der Devisenmarkt

Wer eine Reise ins Ausland unternehmen oder ausländische Güter und Dienstleistungen erwerben möchte und hierfür eine fremde Währung benötigt, kann sich am Devisenmarkt über den aktuel- len Wechselkurs zwischen der heimischen und der internationalen Währung informieren. Doch wie kommt dieser Wechselkurs eigentlich zustande? Das Preis-Mengen-Diagramm verrät es am Beispiel des Wechselkurses zwischen US-Dollar und Euro.

Das Diagramm stellt in einem Preis-Mengen Diagramm dar, wie ein Wechselkurs in Ländern mit flexiblen Wechselkursen – wie es Deutschland oder die USA sind – zustande kommt. Angeboten und nachgefragt werden ausländische Währungen an einem Teilmarkt des Finanzmarkts: dem Devisenmarkt. Unter Devisen versteht man dabei ausländische Zahlungsmittel im Besitz von Inlän- dern. Als Beispiel wird hier der Wechselkurs zwischen US-Dollar und Euro gewählt.

WECHSELKURS LEITZINSEN

Der Preis für eine ausländische Währungseinheit, aus- gedrückt in der inländischen Währungseinheit (Preis- notierung). Die Menge an ausländischer Währung, die man für eine Einheit inländischer Währung erhält (Mengennotierung).

Bei diesen Zinssätzen handelt es sich um die von der Zentralbank festgelegten Zinssätze, zu denen sich die Geschäftsbanken bei der Zentralbank zur Liquiditäts- beschaffung Geld leihen oder überschüssige Geldre- serven anlegen können.

Euro-Angebot

Wechselkurs zwischen US-Dollar und Euro EURO-MARKT

Euro-Nachfrage

MENGE IN EURO PREIS FÜR 1 EURO

IN US-DOLLAR

zur Vollversion

VORSC

HAU

(5)

Finanzmärkte zwischen Regulierung und Deregulierung

Fachliche Hinweise

Spätestens seit der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 sind die Stimmen der Kritiker deregu- lierter Finanzmärkte lauter geworden. Wie konnte es passieren, dass von einer Immobilienkrise in den USA eine weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise ausgehen konnte? Dies hat u. a. mit der Aus- gestaltung der Regeln, denen die Finanzmärkte unterliegen oder nicht unterliegen, zu tun. Waren zur Zeit des Goldstandards die Wechselkurse fixiert, das Umtauschverhältnis von Geld in Gold fest- gelegt, das Kapital mobil und die Zinspolitik der Zentralbanken diesen Zielen unterworfen, wurde die Mobilität des Kapitals im darauffolgenden System von Bretton Woods stark eingeschränkt und die Wechselkurse stabilisiert. Durch den An- und Verkauf von Devisen mussten die Zentralbanken ihre jeweiligen Wechselkurse in festgelegten Schwankungsgrenzen halten. Seit den 1970er-Jahren sind die Finanzmärkte massiv dereguliert worden. Viele Politiker, Unternehmen und Anleger er- hofften sich positive Auswirkungen von Marktfreiheit. In der Folge floss immer weniger Kapital in realwirtschaftliche Investitionen. Anleger haben es sich stattdessen zum Ziel gesetzt, ihr Geld mittels Finanzprodukten, die von der Realwirtschaft abgekoppelt sind, zu vermehren. Die heutige Eurozo- ne entspricht einem System fester Wechselkurse, in dem Kapital frei beweglich ist. Alle Staaten der Eurozone haben die gleiche Währung und können keine eigenständige Geldpolitik betreiben. Wie die Eurokrise aufzeigte, ist auch diese Konstellation problembehaftet.

Didaktisch-methodische Überlegungen

Den Schülerinnen und Schülern* soll zunächst die historische Entwicklung der Finanzmärkte und der verschiedenen „Spielanordnungen“ bewusst werden, bevor sie die Konsequenzen regulierter bzw. deregulierter Finanzmärkte erkennen und diese beurteilen. Am Ende des Moduls sollen sie sich ein differenziertes Urteil über die (De-)Regulierung von Finanzmärkten und aktuelle Entwick- lungen bilden können.

Modul 2: Finanzmärkte zwischen Regulierung und Deregulierung

Lernziel: Die Schüler beurteilen regulierte bzw. deregulierte Finanzmärkte.

Methoden: Analyse einer Karikatur (M 1), Erstellen eines Zeitstrahls (M 1), Analyse einer Statistik (M 2), Analyse von Fallbei- spielen (M 4)

MODULPHASE ABLAUF MEDIEN

Einstieg Die Schüler analysieren eine Karikatur und nehmen Stellung zur Kritik des Karikaturisten bezüglich des Verhältnisses zwischen den Finanz- märkten und der Politik.

M 1 Beamer/OHP Erarbeitung I/

Sicherung I

Sie erarbeiten die Entwicklung der Finanzmärkte im Zeitverlauf und identifizieren verschiedene Phasen vom Real- zum Finanzkapitalismus hin sowie die Auswirkungen dieser Entwicklung auf realwirtschaftliche Vorgänge.

M 1 M 2 Kopien im Klassensatz, Beamer/OHP Erarbeitung II/

Sicherung II

Die Schüler erarbeiten grundlegende Gestaltungsmöglichkeiten des internationalen Finanzsystems und reflektieren bezüglich des „Unmög- lichkeits-Theorems“ die Konstruktion der Eurozone. Sie beurteilen die Deregulierung von Finanzmärkten.

M 3 Beamer/

OHP Kopien im Klassensatz, Transfer Anhand von sechs exemplarischen Fallkonstruktionen von Transaktio-

nen auf den internationalen Finanzmärkten stellen die Schüler Chancen und Risiken der Finanzmärkte gegenüber. Sie bewerten die Deregulie- rung von Finanzmärkten sowie die Maßnahme einer Finanztransakti- onssteuer aus mehreren Blickwinkeln.

M 4 Beamer/OHP

* Zur besseren Lesbarkeit wird nachfolgend „Schüler“ verwendet, wenn „Schülerinnen und Schüler“ gemeint sind.

zur Vollversion

VORSC

HAU

(6)

Im Strudel der Deregulierung –

M 1

die Entwicklung der Finanzmärkte

Die Finanzmärkte boomen: Zu kaum einer Zeit war es so einfach wie heute, durch spekulative An- lagegeschäfte aus Geld noch mehr Geld zu machen. Gleichzeitig haben sich die Bedingungen für Arbeitslose und Geringverdiener erschwert. Denn auch in der Wiege des Sozialstaats, in Europa, wurden und werden sozialstaatliche Strukturen in beispiellosem Maße aufgebrochen und abgebaut.

Wie hängt beides zusammen – und was hat die Entwicklung der Finanzmärkte damit zu tun?

In kapitalistischen Marktwirtschaften sind unterschiedliche „Spielanordnungen“

möglich, schreibt Stephan Schulmeister vom Österreichischen Institut für Wirt- schaftsforschung (WIFO). Die Phase vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1970er-Jahre bezeichnet der Ökonom als „realkapitalistische Spielanordnung“.

In dieser Konstellation richtete sich das Profitstreben der Unternehmer fast aus- schließlich auf Aktivitäten in der physischen [= dinglichen] Welt, also auf Investitio- nen in Maschinen statt in Finanzderivate. Feste Wechselkurse, niedrige Realzinsen, stabile Rohstoffpreise und „schlummernde“ Aktienmärkte bildeten die Rahmenbe- dingungen. Die Konsequenz waren, so Schulmeister, hohe Wachstumsraten und anhaltende Vollbeschäftigung.

Dem realkapitalistischen Aufschwung schloss sich nach der Analyse des WIFO- Forschers der finanzkapitalistische Abschwung an: „Im Finanzkapitalismus dämp- fen instabile Wechselkurse und Rohstoffpreise, über der Wachstumsrate liegende Zinssätze und boomende Aktienmärkte unternehmerische Aktivitäten in der Real- wirtschaft, gleichzeitig werden Finanzspekulationen immer attraktiver.“ In dieser Konstellation gingen Wachstum und Beschäftigung zurück, die Staatsverschuldung stieg schneller. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung bilde die heutige europäische Beschäftigungs- und Staatsschuldenkrise, so Schulmeister. Den lan- gen Weg zur aktuellen Krise interpretiert der Forscher als eine Abfolge politischer Entscheidungen zum Abbau von Regulierungen zugunsten der Finanzwirtschaft. In der realen Wirtschaft entstanden dadurch Krisen. […]

© Oliver Schopf

Finanz derivate:

Finanzprodukte, die ihren Wert von rea- len Gütern ableiten und deren (Ver-) Kauf zu einem zu- künftigen Zeitpunkt vereinbaren, der in der Realität oft nicht stattfindet.

Realzinsen:

Differenz zwischen der Rendite einer Kapitalanlage und der durchschnittli- chen Inflationsrate während der Lauf- zeit der Anlage. Bei niedrigen oder gar negativen Realzin- sen lohnt sich das Sparen nicht.

Finanzspekulation:

Anlegen von Kapital an den Finanzmärk- ten, z. B. in Aktien, mit der Hoffnung auf Gewinne, unter gleichzeitigem Risi- ko von Verlusten.

zur Vollversion

VORSC

HAU

(7)

Vom Goldstandard zum Hochgeschwindigkeitshandel

M 2

Feste oder flexible Wechselkurse? Bindung des Papiergelds an Gold? Freier oder eingeschränkter Kapitalverkehr? Diese Fragen wurden im Laufe der Zeit unterschiedlich beantwortet.

Goldstandard von 1844 und 1914

Das Umtauschverhältnis von Papiergeld zu Gold war festgelegt. Dadurch waren die Zentralbanken verpflichtet, entsprechend der im Umlauf befindlichen Geldmenge ihrer Banknoten Gold anzukaufen und zu verkau- fen. Da der Wechselkurs der teilnehmenden Länder an Gold gebunden war, sollten auch die Wechselkurse zwischen den Währungen grundsätzlich stabil bleiben – bei weitge- hend freiem Kapitalverkehr. Die Zentralban- ken passten ihre Zinspolitik so an, dass der Wechselkurs stabil blieb.

System von Bretton Woods

Von 1944 bis 1973 waren die Wechselkurse in einem fixen Verhältnis an den US-Dollar gebun- den. Der US-Dollar wiederum war in einem festen Kurs an Gold gebunden. Der internationale Kapitalverkehr unterlag scharfen Kontrollen und der Handel mit abstrakten, von der Realwirtschaft entkoppelten Finanzprodukten war weitgehend verboten. Durch den An- und Verkauf von Devisen mussten die Zentralbanken der Mitgliedstaaten von Bretton Woods ihre jeweiligen Wechselkurse in festgelegten Schwankungsgrenzen halten.

Deregulierung seit den 1970er-Jahren

Ab Mitte der 1960er-Jahre kam es zu einer wachsenden Staatsverschuldung der USA, u. a. zur Finanzierung des Vietnam-Krieges. In der Folge stieg die US-amerikanische Inflation an und das Vertrauen in die Fähigkeit der USA, Dollar jederzeit in Gold umtauschen zu können, sank. 1971 wurde die Goldbindung des Dollars aufgehoben. Im Laufe der 1970er-Jahre gaben daher viele Länder die festen Wechselkurse auf und es kam zur schrittweisen Beseitigung von Kontrollen des in- ternationalen Kapitalverkehrs. 1986 hob die britische Regierung viele Zulassungsbeschränkungen für Börsengeschäfte auf und begründete damit den Ruf Londons als internationales Finanzzentrum.

Die US-amerikanische Regierung zog 1999 nach, indem sie den sogenannten „Glass-Steagall- Act“ aus den 1930er-Jahren abschaffte. Dieser hatte es Banken untersagt, gleichzeitig Kredit- und Wertpapiergeschäfte zu betreiben. Im Jahr 2001 erlaubte die US-Börsenaufsicht schließlich den computergesteuerten Hochgeschwindigkeitshandel mit Wertpapieren.

Nach: Informationen zur politischen Bildung: Internationale Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen. Heft 334: 3/2017. Bonn: Bpb;

isw-Report Nr. 87 (2011): ABC der Schulden- und Finanzkrise. München: isw; https://www.bpb.de/politik/wirtschaft/finanzmaerk- te/54851/bretton-woods-system?p=all; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/159798/umfrage/entwicklung-des-bip-bruttoin- landsprodunkt-weltweit/; http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/52602/

aus: Atlas der Globalisierung – Die Welt von morgen © 2012 Le Monde diplomatique, Berlin zu finden in http://www.monde-diplomatique.de/karten/view. php?pagesize=10&page=1&id=970

1. Informieren Sie sich in den Fachbegriffen (auf S. 34) über „Finanzialisierung“ und „Deregu- lierung“.

2. Analysieren Sie die Statistik. Erklären Sie sie mithilfe des Textes.

3. Überprüfen Sie auf der Grundlage der Statistik die Aussage von Stephan Schulmeister: „Im Finanzkapitalismus dämpfen instabile Wechselkurse und Rohstoffpreise, über der Wachs- tumsrate liegende Zinssätze und boomende Aktienmärkte unternehmerische Aktivitäten in der Realwirtschaft, gleichzeitig werden Finanzspekulationen immer attraktiver.“

zur Vollversion

VORSC

HAU

(8)

Instrumente und Akteure auf den Finanzmärkten

Fachliche Hinweise

Was die Finanzmärkte von „normalen“ Märkten unterscheidet, ist insbesondere der höhere Anteil rein spekulativer Geschäfte. Grundsätzlich kann man zwischen der Spekulation mit Vermögensge- genständen wie Aktien und Immobilien einerseits und mit Derivaten andererseits unterscheiden.

Dies bedeutet nicht, dass Derivate keine Vermögenswerte sein können. Mit dieser Unterscheidung kann jedoch die ungleiche Entwicklung von Finanzmärkten und der Realwirtschaft besser nach- vollzogen werden. Wenn z. B. ein Unternehmen Aktien ausgibt, um an Kapital für Investitionen zu gelangen, dient dies der Finanzierung der Realwirtschaft – und damit der Herstellung von realen Gütern oder Dienstleistungen. Wenn allerdings auf den Kurs von Vermögen bzw. Vermögensge- genständen von Anteilseignern und Anlegern spekuliert wird, heißt das, dass mit den Erwartungen bestimmter Entwicklungen ausschließlich ein Zweck verfolgt wird: die Geldvermehrung. Wird auf steigende Kurse und Preise spekuliert, so bezeichnet man dies als „Hausse-Spekulation“. An den Fi- nanzmärkten entstehen jedoch auch Gewinne und Verluste mit der Spekulation auf fallende Kurse – der „Baisse“-Spekulation. Dies geschieht oft mithilfe von „Leerverkäufen“. Durch Ausnutzen des

„Hebeleffekts“ (engl. „leverage“) können mit relativ geringen finanziellen Mitteln enorme Gewin- ne – oder Verluste – eingefahren werden. Derartige Spekulationsformen sowie der Derivatehandel können negative Folgen für Volkswirtschaften und das Gemeinwohl entfalten.

Didaktisch-methodische Überlegungen

In diesem Modul sollen die Schülerinnen und Schüler* verschiedene Spekulationsformen und Fi- nanzinstrumente sowie die dahinterstehenden Akteure und Mechanismen kennenlernen. Anhand einzelner Beispiele werden Konflikte zwischen individuellem Nutzen und Gemeinwohlinteressen problematisiert. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln eignet sich gut für das Verständnis der Spe- kulation mit Derivaten. Dabei können die Lernenden ihr Wissen über allgemeine Marktfunktionen anwenden und das Menschenbild des Homo oeconomicus kritisch reflektieren.

Modul 3: Instrumente und Akteure auf den Finanzmärkten

Lernziel: Die Schüler beurteilen Chancen und Risiken verschiedener Finanzprodukte und Instrumente auf den Finanzmärkten.

Methoden: Erstellen eines Fließschemas (M 2), Analyse einer Statistik (M 3), Pro-Kontra-Diskussion (M 3)

MODULPHASE ABLAUF MEDIEN

Einstieg/

Erarbeitung I

Anhand eines Dialogs werden die Schüler an die Spekulation mit Vermögensgegenständen, zunächst Aktien, herangeführt. Dafür ver- setzen sie sich in die Perspektive eines Kleinaktionärs hinein. Im An- schluss analysieren sie exemplarisch am Beispiel des Weizenmarkts die Funktionsweise des Finanzinstruments „Future“ und veranschauli- chen sie in einem Fließschema.

M 1 M 2 Beamer/OHP, Kopien im Klassensatz

Sicherung I/

Transfer I

Die Lernenden analysieren die Auswirkungen von Rohstoffspekulation

und erörtern dessen Für und Wider. M 3

Kopien im Klassensatz Erarbeitung II/

Sicherung II/

Transfer II

Die Schüler überprüfen anhand mehrerer theoretischer Modelle die Beschaffenheit von Finanzmärkten und analysieren die Chancen von Akteuren vor dem Hintergrund ihrer Marktmacht.

M 4 M 5 Kopien im Klassensatz Erarbeitung III/

Sicherung III

Im Zusatzmaterial lernen die Schüler zwei weitere Spekulationsformen kennen – Optionen und Leerverkäufe. Sie vollziehen deren Funktions- weise nach und reflektieren deren Bedeutung für die Realwirtschaft.

ZM 1 ZM 2 Beamer/OHP

* Zur besseren Lesbarkeit wird nachfolgend „Schüler“ verwendet, wenn „Schülerinnen und Schüler“ gemeint sind.

zur Vollversion

VORSC

HAU

(9)

Fachbegriffe

Bancor Ein von John Maynard Keynes vorgeschlagenes Weltwährungssystem, das nie verwirklicht wurde. Der Bancor sollte dabei an Gold gebun- den und die Teilnahmestaaten daran gekoppelt werden. Zudem waren Sanktionen für Länder vorgesehen, die Handelsüberschüsse oder -de- fizite erwirtschaften.

Deregulierung Abbau staatlicher Beschränkungen und Kontrollen mit dem Ziel, positi- ve Wettbewerbseffekte zu fördern. Deregulierte Finanzmärkte sollen zu Effizienzsteigerung und Kostensenkungen beitragen.

Direktinvestition Eine Investition im Ausland zum Erwerb von Produktionsmitteln, wie z.

B. Grundstücke, Betriebsstätten oder Beteiligungen an Betrieben.

ETF (Exchange Tra- ded Fund)

Ein Investmentfonds, der an einer Börse gehandelt wird und damit für Privatanleger offen ist. Ursprünglich wurden nur Indexfonds an der Bör- se gehandelt, sodass ETFs häufig gleichbedeutend zu Indexfonds sind.

Finanzialisierung Die Finanzwirtschaft nimmt gegenüber der Realwirtschaft eine immer bedeutsamere Stellung ein. Im Finanzsektor werden zunehmend hö- here Gewinne erwirtschaftet als mit der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Zudem richten sich Unternehmen verstärkt am Fi- nanzmarkt aus.

Fonds Ein Fonds sammelt das Kapital vieler Anleger ein und investiert es in eine Bandbreite an verschiedenen Aktien, Anleihen, Immobilien, Deri- vaten oder Devisen. Dadurch streut der Fonds die Risiken der einzelnen Kapitalanlagen.

Großaktionär Ein Aktionär, der einen großen Anteil am Aktienkapital einer Gesell- schaft besitzt, wird als Großaktionär bezeichnet. Meist sind Großaktio- näre an vielen Gesellschaften beteiligt und haben auch eine Funktion im Aufsichtsrat sowie erheblichen Einfluss auf das Unternehmen.

High-Frequency- Trade /

Hochfrequenzhandel

Automatisierter Computerhandel, bei dem Programme in den elektro- nischen Handelssystemen der Börsen nach Preisdifferenzen suchen. Die Gewinne aus diesen Transaktionen können minimal sein und bestehen oft nur für Sekundenbruchteile. Doch die Computerprogramme können sie hunderttausendfach nutzen.

Index(fonds) Ein Index misst die Wertentwicklung eines „Korbs“ von Wertpapieren, die untereinander gewichtet werden. Ein Beispiel ist der Deutsche Akti- enindex (DAX). Indexfonds legen ihr Kapital im gleichen Gewichtungs- verhältnis in die Wertpapiere, die ein bestimmter Index enthält, an.

Rohstoff-Index Ein Indexfonds, der die Wertentwicklung der Future-Preise verschie- dener Rohstoffe eines Index nachbildet und Kapital in diese investiert.

Dabei haben die Anleger i. d. R. kein Interesse am (Ver-)Kauf der rea- len Ware. Durch zusätzliche Nachfrage oder plötzlichen Kapitalabzug können Rohstoff-Indizes Preissteigerungen und -verfall verstärken oder hervorrufen.

Quelle (Zitat) „Großaktionär“, „Kleinaktionär“: https.://www.boerse.de/boersenlexikon; Quelle (Zitat): „High-Frequency-Trade“: https://www.zeit.de/2013/20/boerse-aktien-hochfrequenzhandel

zur Vollversion

VORSC

HAU

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Chinas Position als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt hinter den USA spiegelt sich inzwischen auch am Kapitalmarkt wider, bis Ende November 2018 betrug die

Auch die Einrichtung von Bad Banks hat Konturen eines zentralen Clearings mit dem Staat als Clearer, der die Liquidität (wieder-) herstellt und Risiken übernimmt. Bad Banks

Er spricht von einem naiven Staatsverständnis, ist doch davon auszugehen, dass Politiker im Ringen um die Wählergunst immer mehr Aufgaben an sich ziehen werden und in die

Oder ist es vielmehr die Erkenntnis der Chinesen, dass ein Präsident Trump in seiner zweiten Amtszeit einen noch viel größeren Schaden anrichten kann und somit ein

März dieses Jahres steht. Insgesamt haben die deutschen MFIs im zweiten Quartal ihren Bestand an von inländischen Unternehmen emittierten Wertpapieren um 22,1 Mrd Euro verringert.

Bereits jetzt werden die Stimmen aus der Finanzbranche lauter, bestehende Regulierung auszuset- zen, auch, damit keine Wettbewerbsnachteile für euro- päische Banken entstehen..

Reichen die Sparmaßnahmen nicht, müssen dann die Banken, ähnlich wie die Commerzbank während der Finanzkrise, mit Steuergeldern gerettet werden.. Doch das muss

Die Bankenregulierung konzentrierte sich darauf, die Verlusttragfähigkeit der Banken zu erhöhen und ihre riskanten Aktivitäten zu begrenzen.. Basel 3 und dessen Übertragung in EU-