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Archiv "Insulinpflichtiger Typ-2-Diabetes: Patientenzentrierte Schulung verbessert die Stoffwechsellage" (10.02.2006)

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L

ebenslang eingeübte Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten kön- nen auch durch ärztliche Aufklärung und Therapieempfehlungen nur schwer verändert werden. Viele Studien haben gezeigt, dass klassische Patienteninfor- mationen und -schulungsprogramme, die im Wesentlichen Wissensvermittlung in den Vordergrund stellen, in der Regel nicht ausreichen, um das Risikoverhalten der Patienten positiv zu beeinflussen und Lebensstiländerungen hervorzurufen (1–6).Als Behandlungsalternative wurde ein patientenzentriertes Schulungspro- gramm entwickelt und evaluiert, bei dem die Patienten durch verhaltenstherapeu- tische Maßnahmen beim Einüben der Verhaltensänderungen oder neuer Ver- haltensgewohnheiten unterstützt wer- den. Dies ist die erste Untersuchung zu einem patientenzentrierten verhaltens- medizinischen Schulungsprogramm bei insulinpflichtigem Typ-2-Diabetes.

Methode

Hintergrund der Studie

Das patientenzentrierte Gruppenschu- lungsprogramm „Diabetes und Verhal- ten“ wurde für die diabetologische Schwerpunktpraxis konzipiert. Das Programm wurde in Gruppen von je acht bis zehn Patienten durchgeführt.

Es setzt sich aus einem einleitenden motivierenden Einzelgespräch, der

Gruppenschulung und begleitenden Einzelgesprächen von Arzt und Pati- ent zusammen. In der Schulungs- und Einstellungsphase werden Therapie- optionen erörtert und festgelegt, die die Patienten als umsetzbar, motivie- rend und gewinnbringend empfinden.

Patientenzentrierte Stufentherapie be- deutet in diesem Programm, einzelne, nacheinander zu definierende Be- handlungsstufen in Richtung des The- rapieziels zu entwickeln. Die Behand- lungsstufen werden gemeinsam mit den Patienten festgelegt und jeweils auf Effektivität durch Blutzucker- selbstmessungen überprüft. Primat al- ler gemeinsam zu fällenden Entschei- dungen ist dabei, dass die Patienten die Maßnahmen in ihrem Alltag umsetzen oder nach Absprache modifizieren können, um Behandlungswiderstände zu vermeiden. Wesentliches Instru- ment für die Erprobung und Umset-

Insulinpflichtiger Typ-2-Diabetes:

Patientenzentrierte Schulung verbessert die Stoffwechsellage

Alexander Tewes1, Matthias Frank2, Uwe Tegtbur3, Ulrich Brinkmeier4

Zusammenfassung

Die Effekte des patientenzentrierten verhal- tensmedizinischen Schulungsprogramms „Dia- betes und Verhalten“ wurden in einer Multi- centerstudie evaluiert. Bei 101 Patienten aus neun Diabetes-Schwerpunktpraxen wurden vor Beginn, nach Abschluss und sechs Monate nach der Schulung folgende Parameter erho- ben: Nüchternblutzucker, HbA1c, Körperge- wicht (BMI) und Blutdruck. Die Auswertung er- folgte mit einem mehrfaktoriellen varianzana- lytischen Design mit Messwiederholungen so- wie t-Tests für gepaarte Stichproben. Nach sechs Monaten konnte der HbA1c-Wert von im Mittel 8,7 Prozent auf 7 Prozent gesenkt wer- den (p < 0,001). Die Baselinerate betrug 8,6 Pro- zent. Der Nüchternblutzucker fiel von 199 mg/dL auf 143 mg/dL (p < 0,001), die Baseline betrug 198 mg/dL. Gewicht und Blutdruck der Patienten stabilisierten sich. Die Baselinedaten zeigen, dass die Veränderungen auf die Inter- vention zurückzuführen sind. Die Ergebnisse sind unabhängig von Vorschulungen oder zu- vor erfolgten Insulineinstellungen und lassen

den Schluss zu, dass durch die Intervention der Diabetes besser eingestellt und die Patienten zu eigenverantwortlichem Handeln (Selbstma- nagement) motiviert wurden. Dies unterstützt die Annahme, dass eine patientenzentrierte verhaltensmedizinische Schulung zu einer deut- lich verbesserten Stoffwechseleinstellung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und Insulinbe- handlung führen kann.

Schlüsselwörter: Diabetes mellitus, Typ-2-Dia- betes, Insulin, Patientenschulung, Gesundheits- verhalten

Summary

Behaviour-medicine and self-

management improve glycemic control in insulin-dependent type-2 diabetics In a longitudinal multicenter study in Germany effects of the structured behavioural education program “Diabetes und Verhalten“ (diabetes and behaviour) were evaluated. This study of 101 patients recruited randomly from 9

German outpatient-diabetes-centers focussed specifically on guided self management and self-effectiveness. Data were collected on fasting blood glucose, HbA1c, body-mass index (BMI), and blood-pressure. 72.5 per cent had taken part in at least one structured diabetes educa- tion program within the last few years before the start of the study. After 6 months, HbA1c was reduced from 8.7 to 7 per cent (p < 0,001) baseline rate 8.6 per cent. Fasting blood glu- cose dropped from 199 mg/dL to 143 mg/dL (p <

0.0001), baseline rate 198 mg/dL. Body weight and blood pressure remained unchanged. The baseline data suggest that the changes are attributable to the chosen intervention. All results occurred independently from previous participation in other educational or treatment programmes. In summary, patients receiving training showed improved diabetic control and self management. These results add evidence for the efficacy of patient-centered education in insulin dependent type 2 diabetics.

Key words: diabetes mellitus type 2, insulin, pa- tient education, health promoting behaviour

1Abteilung Sozialpsychiatrie und Psychotherapie (Direktor:

Prof. Dr. med.Wielant Machleidt), Medizinische Hochschule Hannover

2Innere Abteilung (Leiter: Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Frank), Saarland Klinik Kreuznacher Diakonie Fliedner Neunkrichen

3Betriebseinheit Sportphysiologie/Sportmedizin (Direktor:

Prof. Dr. med. Gerolf Gros), Medizinische Hochschule Han- nover

4Abteilung Medizinische Psychologie (Leiterin: Priv.-Doz.

Dr. rer. biol. hum. Karin Lange), Medizinische Hochschule Hannover

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zung dieser Stufen ist die ereignisge- steuerte Blutzuckermessung. Diese de- finiert eine neue Systematik verhal- tensmedizinisch orientierten Lernens.

Durch Blutzuckerselbstmessungen vor und ein bis zwei Stunden nach dem Es- sen (prä-/postprandial) erfährt der Dia- betespatient seine individuellen Blut- zuckerreaktionen auf Nahrungszufuhr, Bewegung und Medikamenteneinnah- me.

Die Blutzuckerselbstmessungen wer- den in der Lern- und Einstellungs- phase intensiviert durchgeführt. Auf Basis dieser selbst gemessenen Er- gebnisse entwickelt sich ein partner- schaftliches therapeutisches Gespräch zwischen Praxisteam und Patienten, durch welche Maßnahmen (zum Bei- spiel Antidiabetika, Nahrungsmenge, Bewegung, Insulin) eine Verbesserung der Blutzuckerlage erreicht wird. Der Patient entscheidet sich für die indivi- duell sinnvollsten Maßnahmen; strikte Ernährungsvorgaben entfallen. Auf dieser Basis werden Selbstverantwor- tung erlernt und Behandlungsgrenzen akzeptiert.

Die Gruppenschulungsphase kann von den Praxen variabel umgesetzt wer- den. Die Schulung umfasst insgesamt 15 Stunden: beispielsweise 5 Sitzungen zu je 3 Stunden oder 10 Sitzungen à 90 min.

Die Schulung soll innerhalb von drei bis fünf Wochen erfolgen. Die Inhalte des Programms entsprechen den Vorgaben der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) (7, 8).

Erstes Ziel der Schulung ist die indi- viduelle Insulineinstellung der Patien- ten. Dazu erfolgt insbesondere eine För- derung der Patienten zum eigenver- antwortlichen Handeln (Selbstmanage-

ment) in Bezug auf die Erkrankung.

Zur Vertiefung und zur Therapiean- passung finden zusätzlich Einzelge- spräche statt.

Folgende Einschlusskriterien lagen dieser Arbeit zugrunde: insulinpflichti- ger Typ-2-Diabetes, HbA1c > 6,5 Pro- zent (Empfehlung), kontinuierliche Teilnahme an der Schulung, Bereit- schaft zur Teilnahme an der Studie. Die Ehe- oder Lebenspartner konnten teil- nehmen. Als Ausschlusskriterien galten die Diagnose von Typ-1-Diabetes, intel- lektuelle oder kognitive Leistungs- störungen, die eine Beteiligung an dem Programm erheblich beeinträchtigt hät- te, außergewöhnliche Belastungen durch kritische Lebensereignisse, unabhängig von der Erkrankung.

Im Rahmen der Kongresse der Deut- schen Diabetes-Gesellschaft (DDG)

konnten bundesweit neun Schwer- punktpraxen für die Untersuchung ge- wonnen werden. Wie viele Patienten pro Praxis jeweils an der Studie teil- nahmen, lag im Ermessen der jeweili- gen Praxis. Die Rekrutierung der Pa- tienten erfolgte durch die Praxismitar- beiter, nicht durch die Projektleitung.

Grundsätzlich wurde jeder Patient an- gesprochen, der aufgrund der Indika- tion für die Teilnahme infrage kam.

Nach Auskunft der Praxen wurden le- diglich diejenigen Patienten nicht berücksichtigt, die sich nicht bereit er- klärten, an der Evaluierung teilzuneh- men. Diese Quote wurde in den Pra- xen nicht quantitativ erhoben. Daher ist nicht bekannt, wie vielen Patien- ten tatsächlich der Vorschlag, an der Maßnahme teilzunehmen, unterbrei- tet wurde.

Entwicklung des HbA1c-Wertes über einen Zeitraum von sechs Monaten Grafik 1

´ Tabelle 1

Entwicklung der medizinischen Parameter über einen Zeitraum von 6 Monaten

Einheit n t1 t3 Differenz 95-%-KI p-Wert

M SA M SA

Body-Mass-Index BMI 61 33,16 6,19 33,46 6,56 –0,30 –1,06; 0,47 0,437

Nüchternblutzuckerwert mg/dL 52 198,63 73,05 142,80 29,99 55,83 36,09; 75,58 < 0,001

HbA1c % 59 8,70 1,72 7,06 0,95 1,64 1,22; 2,66 < 0,001

systolischer Blutdruck mm Hg 59 141,77 19,37 139,34 16,68 2,44 –2,02; 6,89 0,279

diastolischer Blutdruck mm Hg 60 82,04 10,09 80,75 7,60 1,30 –0,87; 3,47 0,235

Anmerkung: t1 und t3 entsprechen den Untersuchungszeitpunkten zu Beginn und sechs Monate nach Abschluss der Schulung. Die Werte wurden in Form von Mittelwerten (M) und Standardabweichungen (SA) und dem 95-%-Konfidenzintervall (95-%-KI) angegeben.

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Qualifikation der Praxisteams

Das Programm wurde in der Evaluie- rungsphase in diabetologischen Schwer- punktpraxen eingesetzt. Als Gruppen- leitungen waren ausschließlich Diabe- tesberaterinnen und Diabetesassisten- tinnen tätig. Jedes an der Studie teilneh- mende Praxisteam hatte zuvor an einer zweitägigen Fortbildung teilgenom- men. Inhalte der Fortbildung waren die Einführung in das patientenzentrier- te Schulungsprogramm „Diabetes und Verhalten“ und praktische Übungen in patientenzentrierter Didaktik, Grup- penarbeit sowie Krisenmanagement.

Versuchsplan und Messzeitpunkte Die Effekte des patientenzentrierten Schulungsprogramms wurden in einer Multicenterstudie mit Längsschnittde- sign evaluiert, bei der die Ergebnisse der Interventionsphase mit einer Base- line in einem AB-Plan nach Bortz (9) verglichen wurden.

Es wurde eine Verbesserung der dia- betesrelevanten Parameter erwartet, wobei die langfristige Entwicklung dieser Werte evaluiert wurde. Bei 101 Patienten aus den neun Schwerpunkt- praxen wurden folgende Parameter an vier Messzeitpunkten als abhängige Va- riablen erhoben: Nüchternblutzucker, HbA1c, Körpergewicht (BMI) und Blut- druck (systolisch/diastolisch). Als unab- hängige Variablen wurden Alter, Ge- schlecht, sozioökonomischer Status (Bil- dungsstand und Beschäftigungsverhält- nis) und Insulineinstellung erhoben. Aus ethischen Gründen konnte in der Studie keine Kontrollgruppe gebildet werden, weil Patienten mit insulinpflichtigem Typ-2-Diabetes nicht unbehandelt blei- ben dürfen. Daher wurde eine Baseline aus dem Quartal vor Beginn der Inter- vention verwandt. Zu Beginn der Schu- lung wurden die Baselinedaten der Pati- enten aus dem Quartal vor Beginn der Intervention erfasst (t0). Weiterhin wur- den zum Schulungsbeginn die Ausgangs- werte erhoben (t1). Kontrolluntersu- chungen fanden direkt nach Abschluss der Schulung (t2) sowie sechs Monate später (t3) statt. Bei diesem Vorgehen handelt es sich um den bereits beschrie- benen AB-Plan. Die Daten wurden in den Jahren 2003 und 2004 erhoben.

Statistik

Der Studie wurden als abhängige Varia- blen die Vergleiche der Werte zwischen t1 (vor Beginn der Schulung) und ein halbes Jahr nach Abschluss der Schu- lung (t3) zugrunde gelegt. Die Thera- pieeffekte wurden in Form von Mittel- werten und Standardabweichungen dargestellt. In den Grafiken werden zu den Mittelwerten auch die Standard- fehler aufgeführt. Um den Verände- rungsprozess der erhobenen Variablen zu dokumentieren, erfolgte die Signifi- kanzprüfung mit einem mehrfaktoriel- len varianzanalytischen Design mit Messwiederholungen auf dem Zeitfak- tor. Dies bedeutet, dass die Mittelwert- unterschiede der unabhängigen Varia- blen sowie deren Interaktionen in be-

zug auf die jeweils abhängige Variable verglichen wurden. Für eine nähere Be- schreibung des Verfahrens wird auf die Fachliteratur verwiesen (9). Da die län- gerfristige Veränderung der Stoffwech- sellage der Patienten als Hauptkriteri- um für einen Therapieerfolg gilt, wur- den zur Hypothesentestung die Signifi- kanzen zwischen den Messzeitpunkten t1 und t3 mit dem t-Test geprüft. Die va- rianzanalytischen Berechnungen er- folgten über alle Messzeitpunkte hin- weg. Die t-Tests wurden zur Absiche- rung der Signifikanzprüfung zwischen einzelnen Messzeitpunkten berechnet.

Das α-Niveau zur Annahme der Hypo- these bezüglich jeden einzelnen Faktors betrug α < 0,05 (signifikant), bezie- hungsweise α< 0,01 (hochsignifikant).

Ergebnisse

Die Daten der 101 Patienten (55 Frau- en und 46 Männer) wurden statistisch ausgewertet. Das durchschnittliche Al- ter betrug 58 Jahre (± 9). Begleit- und Folgeerkrankungen waren Hyperto- nus (n = 67), koronare Herzkrankheit (n = 18), Dyslipidämie (n = 30), Nephro- pathie (n = 10) und Herzinsuffizienz (n = 3). Die Patienten erhofften sich von der Teilnahme am Schulungspro- gramm in erster Linie eine Optimierung der Einstellung (n = 91), gefolgt von der

Vermeidung von Folgeschäden (n = 23), der Erstmanifestation (n = 23) und von Notfällen (n = 1). Zu Beginn der Schu- lung kontrollierten die Studienteilneh- mer durchschnittlich 14-mal (± 11,3) wöchentlich ihren Blutzucker. 28 Pro- zent der Stichprobe waren zum Zeit- punkt der Schulung noch ganztägig berufstätig, 8 Prozent teilzeitbeschäf- tigt, 8 Prozent arbeitslos, 9 Prozent Hausfrauen oder Hausmänner, 49 Pro- zent waren bereits berentet. 3 Prozent der Patienten hatten keinen Schulab- schluss, 65 Prozent einen Hauptschul- abschluss, 24 Prozent mittlere Reife, 5 Entwicklung des HbA1c-Wertes in Abhängigkeit von der Insulintherapie

Grafik 2

(4)

Prozent Abitur und 3 Prozent einen Hochschulabschluss. 8 Prozent lebten allein, 77 Prozent waren verheiratet oder lebten mit einem festen Partner zusammen, 5 Prozent waren geschieden und 10 Prozent verwitwet. Zwölf Studi- enteilnehmer (11,88 Prozent) beende- ten die Studie nach einem halben Jahr vorzeitig (Drop-outs).

Die varianzanalytischen Berechnun- gen über sämtliche Messzeitpunkte zeigten, dass der HbA1c-Wert innerhalb eines halben Jahres hochsignifikant von 8,54 Prozent (± 1,66) auf 7,06 Prozent (± 0,99) gesenkt wurde (F2;44= 36,72;

p = 0,000). Zieht man die Baselinedaten aus dem Quartal vor Beginn der Inter- vention in Betracht, so zeigt sich in der Berechnung der einzelnen Veränderun- gen mittels t-Test folgendes Bild: Der HbA1c-Wert betrug in der Baseline 8,43 Prozent (± 1,51) und stieg auf 8,50 Pro- zent (± 1,53) bis hin zum Beginn der Schulung (p < 0,001) an. Zum Abschluss der Schulung sank der HbA1chochsig- nifikant auf 7,9 Prozent (± 1,29, p <

0,001). Dieser Trend setzte sich ein hal- bes Jahr nach Abschluss der Schulung fort, der HbA1c fiel auf 7,03 Prozent (± 1,29, p < 0,001) (Grafik 1). Zwischen den entscheidenden Messzeitpunkten, zu Beginn der Intervention sowie sechs Monate nach Abschluss der Schulung, sank der HbA1cvon 8,7 Prozent (1,72) auf 7,06 Prozent (± 0,95, p < 0,001) (Ta- belle).

Die Entwicklung des HbA1c-Wertes war von der vorausgehenden Insulin- einstellung unabhängig (Grafik 2). Bei Patienten, die zu Beginn der Schu- lung bereits Insulin spritzten, sank der HbA1c von initial (t1) 8,6 Prozent (± 1,71), auf 8,13 Prozent (± 1,44) während t2 und betrug bei t3 7,06 Pro- zent (± 1,06). Analog sank der HbA1c bei den Patienten, die zum ersten Mal auf Insulin eingestellt wurden, von an- fänglich (t1) 8,38 Prozent (± 1,36) auf 8,01 Prozent (± 1,32) bei t2 und betrug sechs Monate nach Schulungsende (t3) 7,06 Prozent (± 0,56).

Der durchschnittliche Body-Mass- Index stieg nicht signifikant (p = 0,437) von 33,16 (± 6,19) zu Beginn der Schu- lung auf 33,46 kg/m² (± 6,56) nach ei- nem halben Jahr. Weder der systolische noch der diastolische Blutdruck änder- ten sich signifikant (Tabelle).

Diskussion

Der HbA1c-Wert der Studienteilnehmer konnte von Beginn bis ein halbes Jahr nach Abschluss der Schulung im Mittel um 1,5 Prozentpunkte gesenkt werden.

Damit wurde das Therapieziel (10) er- reicht. 72,5 Prozent der Patienten waren zuvor bereits auf Insulin eingestellt, und 30 Prozent hatten bereits vorher an einer strukturierten Schulung teilgenommen.

In Anbetracht dieser Erkenntnisse und dem Trend der Baselinedaten (t0 bis t1) hin zu einer weiter steigenden Progredi- enz des HbA1c, kann davon ausgegangen werden, dass durch das patientenzentrier- te Schulungsprogramm „Diabetes und Verhalten“ die Stoffwechseleinstellung signifikant verbessert wurde. Die Daten zum Nüchternblutzucker stützen diese

Ergebnisse. Die Teilnahme am Schu- lungsprogramm war freiwillig. Daher könnte eine Selektion stattgefunden ha- ben, indem eventuell relativ viele moti- viertere Patienten rekrutiert wurden. Die Baselinedaten ließen eine progrediente Verschlechterung der relevanten medizi- nischen Parameter erkennen. Durch die Teilnahme an der Schulung konnten die Patienten diesen Trend stoppen.

Der Trend der Baselinedaten, bezogen auf das Körpergewicht, lässt einen weite- ren signifikanten Anstieg vermuten. Bei einer Einstellung auf Insulin erhöht sich in der Regel das Körpergewicht um bis

zu 5 kg innerhalb eines Jahres (10–12).

Diese Studie zeigt hingegen, dass bei der Therapie mit dem Programm „Diabetes und Verhalten“ eine signifikante Ge- wichtszunahme trotz der Ein- oder Um- stellung auf Insulin zunächst verhindert wurde. Hierzu ist anzumerken, dass während der Insulineinstellungsphase kein verhaltensmedizinisches Adiposi- tasprogramm angeboten wurde, sondern als primäres Ziel ausschließlich eine ver- besserte Stoffwechseleinstellung, ver- bunden mit einer Gewichtsstabilisierung, angestrebt wurde. Ergänzende Pro- grammmodule zum Abnehmen und zur Förderung der körperlichen Aktivität werden in Kürze evaluiert. Der diastoli- sche Blutdruck blieb zu allen Messzeit- punkten stabil im Normbereich (13), der systolische Blutdruck war leicht erhöht.

Zwischen den Messzeitpunkten t1 und t3 waren die Blutdruckschwankungen nicht signifikant.

Bei der untersuchten Stichprobe be- stand offensichtlich keine positive Selek- tion hinsichtlich einer höheren Schulbil- dung der Probanden. 68 Prozent der Stu- dienteilnehmer hatten keinen oder ei- nen Hauptschulabschluss, 24 Prozent mittlere Reife. Die patientenzentrierte Schulung setzt bei den Patienten ein ho- hes Maß an Mitarbeit voraus: Selbstma- nagement erfordert aktives Handeln bei der Diabetestherapie. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass erfolgreiche Entwicklung des Körpergewichts (BMI) über einen Zeitraum von sechs Monaten

Grafik 3

(5)

Mitarbeit an patientenzentrierter Schu- lung zur Förderung des Selbstmanage- ments unabhängig vom Bildungsstatus der Patienten ist.

Fazit

Obwohl 72,5 Prozent der Patienten be- reits vor Beginn der Schulung mit Insulin therapiert wurden, verbesserten sich die wesentlichen Erfolgsparameter zusätz- lich hoch signifikant. Das weitere Absin- ken des HbA1czwischen t2 und t3 legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Patien- ten über eine grundsätzlich bessere Dia- beteseinstellung und ein verbessertes Selbstmanagement verfügten als vor Be- ginn der Schulung.Obwohl sämtliche Ba- selinetrends in dem Quartal vor Beginn der Schulung auf ein weiteres Ansteigen der kritischen Parameter hindeuteten, konnten diese teilweise aufgehalten oder rückgängig gemacht werden. So wurden Gewicht und Blutdruck stabilisiert und HbA1cund Nüchternblutzucker signifi- kant verbessert. Diese Ergebnisse stüt- zen die Annahme, dass eine patienten- zentrierte verhaltensmedizinische Schu- lung zu einer deutlich verbesserten Stoff- wechseleinstellung führen kann.

Besonderer Dank der Autoren gilt den an der Studie betei- ligten Praxisteams, dem Vorstand des Verbands der Diabe- tesberatungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. so- wie Roche Diagnostics GmbH.

Manuskript eingereicht: 15. 3. 2005, revidierte Fassung an- genommen: 13. 7. 2005

Die hier vorgestellte Studie wurde von Roche Diagnostics GmbH gefördert. Roche Diagnostics stellte der Medizini- schen Hochschule Hannover eine Projektstelle Bat IIa (be- setzt mit Dipl.-Psych. Alexander Tewes) und Sachmittel zur Verfügung. Roche Diagnostics erstattete die dienstlich ge- nehmigten Reisekosten und Honorare für geleistete Fortbil- dungsveranstaltungen im Rahmen der Studie. Priv.-Doz.

Tegtbur hat keinen Interessenkonflikt erklärt.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(6): A 341–5.

Literatur

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Anschrift für die Verfasser:

Dr. rer. biol. hum. Ulrich Brinkmeier Medizinische Hochschule Hannover Abteilung Medizinische Psychologie Carl-Neuberg-Straße 1

30625 Hannover

E-Mail: brinkmeier.ulrich@mh-hannover.de

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

MEDIZINGESCHICHTE(N)) Ärztliches Ethos Arzt als Heiler

Zitat:„Das Staatsexamen, darüber müssen wir uns einmal klar sein, macht wohl den Mediziner, niemals aber den Arzt. Zum Arzt wird man geboren oder man ist es nie. Gütige Götter legen ihm Gaben in die Wiege, die nur geschenkt, niemals aber erworben werden können. Was unser Glück trübt, nicht nur auf dem Gebiet der Heilkunde, ist die maßlose Überschätzung des formalen Wissens, die Nichtachtung oder gar Verachtung geistiger und seelische Einflüsse seitens der exakten Forscher.

Sehen wir uns doch einmal um in der Geschichte.Wir werden viele große Ärzte fin- den, die nicht ein Semester Medizin studiert haben. Man lese einmal, gerade als ge- reifter Mann, die Evangelien. War nicht Christus ein Arzt ganz hohen Grades, ein Psychotherapeut, neben dem unsere aufgeblühten Analytiker ganz, ganz winzig er- scheinen? Und wodurch wirkte Christus? Genau noch wie heute jeder wahre Arzt, durch die bezwingende Menschlichkeit. ‚Stehe auf und wandle!'

Glaubt man im Ernst, daß Coué (1) ein Schwindler war, daß er nicht unzähligen Kranken, bei denen die Schulmedizin versagte, Hilfe gebracht hat? Hatten nicht Laien wie Prießnitz (2) und Hessing (3) eine ganz vortreffliche ärztliche Beobach- tungsgabe,wußten sie nicht ihre Gedanken in helfende Tat umzusetzen? Und Hand aufs Herz – wir sind ja unter uns (4) –, steckt nicht in jedem von uns staatlich ap- probierten Ärzten ein gut Teil Kurpfuscher?“

Aus: Erwin Liek: Der Arzt und seine Sendung. München 1926. – Der Danziger Chirurg und Gynäkologe Liek (1878–1935) war ein Verteidiger der Naturheilkunde, und trat für eine Zusammenarbeit mit der Schulmedizin ein. Das zitierte Buch er- reichte große Popularität in der Weimarer Republik, enthielt jedoch fragwürdige Thesen zu Führerschaft und Priestertum des Arztes, zur Eugenik und Euthanasie sowie zur biologistischen Vorstellung vom „Volkskörper“. Damit förderte es die Akzeptanz der NS-Ideologie unter den Ärzten, die Liek vor allem im Hinblick auf die „Neue deutschen Heilkunde“ und die damit verbundene Aufwertung der Naturheilkunde durch Teile des NS-Regimes (unter anderem Rudolf Heß) be- grüßte. – (1) Der Apotheker Émile Coué (1857–1926) aus Nancy etablierte mit seinem populären Buch „Die Selbstmei- sterung“ eine autosuggestive Methode der Selbsttherapie. (2) Der Landmann Vinzenz Prießnitz (1799–1851) gründete in Gräfenberg (Schlesien) eine erste Kaltwasserheilanstalt und wurde damit zum Wegbereiter der modernen Naturheil- bewegung. (3) Friedrich Hessing (1838–1918), berühmter Laienorthopäde. (4) Lieks Buch richtete sich in erster Linie an seine ärztliche Kollegen.

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