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Archiv "TOP I - Gesundheits- und Sozialpolitik: Kontrollierte Kritik" (13.05.2005)

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E

s war Zufall, sicherlich.

Doch irgendwie ist die Wahl des Tagungsortes Berlin für den 108. Deut- schen Ärztetag symbolisch.

Nach Ärztetagen in Köln und Bremen mit scharfen Angriffen auf die Politik kam das Ärzteparlament dieses Jahr nur rund sieben Kilometer Luftlinie vom Bundesgesundheitsministe- rium zusammen. Eine An- näherung, nicht nur räum- lich. Schon Bundesärzte- kammerpräsident Prof. Dr.

med. Jörg-Dietrich Hoppe signalisierte in seiner Eröff- nungsrede Gesprächsbereit- schaft und unterließ allzu harsche Attacken auf die

Gesundheitsministerin. In der Debatte zu Tagesordnungspunkt I, „Gesund- heits-, Sozial- und ärztliche Berufspoli- tik“ sind die Delegierten ihm gefolgt.

Frontalangriffe blieben aus. Sachlich wurde in dem großen, mit Kameras und Scheinwerfern ausgestatteten Sitzungs- saal des Estrel Conven-

tion Centers diskutiert.

Warum, erschließt sich aus dem unscheinbaren letzten Satz des vom Vor- stand der Bundesärzte- kammer eingebrachten

Leitantrages: „Zur Bewältigung der an- stehenden Reformaufgaben in unserem Gesundheitswesen ist die Einbindung der Kompetenz der ärztlichen Selbstver- waltung unverzichtbar.“ Im Klartext:

Die Ärzteschaft will sich in der Diskussi- on um weitere Reformen nicht isolieren.

So standen bereits nach zwei Stun- den Debatte die eingebrachten Anträge zur Abstimmung. Als erstes der Leitan- trag des Vorstandes der Bundesärzte- kammer (BÄK): „Die Position der Ärz-

teschaft zur Steuerung des Gesund- heitswesens ein Jahr nach dem Gesund- heitsmodernisierungsgesetz (GMG)“.

Ein kurzes Handzeichen – und durch.

Der Tenor des Entschließungsantra- ges: die Individualität des Arzt-Patien- ten-Verhältnisses müsse geschützt werden. Neue Versor- gungsstrukturen sollten sich am Nutzen für die Patienten und nicht an den wirtschaftlichen In- teressen der in Konkur- renz stehenden Kran- kenkassen ausrichten. Ansonsten ent- wickle sich der Preiswettbewerb zu ei- nem wirtschaftlichen Überlebens- kampf, der die Qualität der Kranken- versorgung gefährde.

Während der Debatte sitzt der Bun- desärztekammerpräsident auf einer Em- pore inmitten des Vorstandes. Nach und nach ruft er von dort die gemeldeten Redner ans Pult. Im Scheinwerferlicht, von einer Kamera auf eine große Lein- wand projiziert, tragen sie ihr Anliegen

vor: Von einigen kurzen Nachträgen zur Eröffnungs- veranstaltung bis zu Beiträ- gen über die ausufernde Bürokratie, die Freiberuf- lichkeit der Ärzte oder die Nachwuchssorgen der Me- diziner.

Schon in den Reden der Eröffnungsveranstaltung wurde deutlich, dass die Sor- ge um den Nachwuchs zu den bedeutenderen Themen des Ärztetages gehört. Dass die Jungmediziner nur spärlich in deutsche Kliniken und Praxen nachrücken, hängt nicht zuletzt am schlechten Ruf des Arztberufes. Die miserablen Arbeitsbedin- gungen tun ihr Übriges. Die Politik sorge mit ihren Entscheidungen dafür, dass der vormals „übermüdete Arzt nun vom unmotivierten und über- lasteten Arzt“ abgelöst werde, so Dr.

med. Wolfgang Albers von der Berliner Fraktion Gesundheit. Das sei eine „ge- sundheitspolitische Zeitbombe“. Es ge- he nicht an, dass die Politik „so wenig Arzt wie möglich bezahlen, aber so viel Arzt wie möglich herausholen will“.

Hier sei die Ärzteschaft noch stärker ge- fordert, sich bei den Verhandlungen der Rahmenbedingungen durchzusetzen.

Zu viel Geld fließt in die Bürokratie

Nicht minder drückt den Ärzten der Schuh bei den Einschränkungen der Freiberuflichkeit. Einzig den Patienten fühlt sich die Kölnerin Angelika Haus verpflichtet, nicht der Politik. Die Dele- gierte aus Nordrhein warnt davor, sich vom Gesetzgeber auf einen vorher- bestimmten Weg „biegen“ zu lassen.

Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1913. Mai 2005 AA1325

1 0 8 . D E U T S C H E R Ä R Z T E T A G

TOP I: Gesundheits- und Sozialpolitik

Kontrollierte Kritik

Traditionell gibt es am Tag eins des Ärztetages die politische Grundsatzdebatte.

Diese stand im Zeichen einer sachlichen Problemdiskussion.

Leitete gewohnt souverän, geschickt und humorvoll über vier Tage die Versammlung – Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages

„Wir verlieren das Soziale in unserem Gesundheitswesen.“

Jörg-Dietrich Hoppe

Alle Fotos aus Berlin:Bernhard Eifrig

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Denn am Ende seien es die Ärzte, die das vor den Patienten verantworten und rechtlich dafür geradestehen müss- ten. Zudem sei die Kopplung der Dis- ease-Management-Programme (DMP) an den Risikostrukturausgleich (RSA) ein Fehler, so Dr. med. Axel Munte.

„Millionenbeträge fließen in die Büro- kratie und stehen den Patienten nicht mehr zur Verfügung.“ Die Ärzteschaft solle dieses „Bürokratie-Ungetüm“

nicht weiter mittragen, verlangte der bayerische Delegierte.

Mit seiner Kritik bezog sich Munte wohl auch auf die Rede der Ministerin.

Darin hatte diese der Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen vorge- halten, selbst für einen Teil der Doku- mentationsarbeiten verantwortlich zu sein. Gegen die bürokratischen Bela- stungen sprach sich auch der Heidelber- ger Delegierte Dr. med. Christian Ben- ninger aus: „Warum verweigern wir uns nicht? Eine Woche Papierstreik.“ Jetzt müsse Schluss sein. „Wir reden nicht mehr, wir tun was.“

Sicherung der Freiberuflichkeit hat Vorrang

Dass das Thema von großer Relevanz ist, wurde schnell klar: von den insgesamt sieben Entschließungsanträgen befassen sich drei mit der Freiberuflichkeit. So for- dert etwa ein Antragsteller den Ärztetag auf, sich gegen die zunehmend „dirigisti- schen Tendenzen in Richtung einer

Staatsmedizin und der Errichtung neuer bürokratischer Hemmnisse“ auszuspre- chen. Zudem dürfe nicht zugelassen wer- den, dass Innovationen im Interesse ei- ner vordergründigen Ökonomie verhin- dert würden. Gestellt hat den Antrag Dr.

med. Hans-Jürgen Thomas, Vorsitzender des Hartmannbundes.

Der sächsische Delegierte Dr. med.

Erik Bodendieck blies mit seinem An- trag ins gleiche Horn: „Die deutsche Ärzteschaft lehnt es ab, weiterhin als ,Untertan‘ der Gesundheitspolitik ver- steckte Rationierung, verfehlte Wirt- schaftspolitik und mangelnde Kommu- nikation umzusetzen. Die ärztliche Tätigkeit schließt dirigistische Eingriffe durch die Politik aus.“ Weiterhin lehn- ten die Ärzte es ab, bei wachsenden An- forderungen in Praxis und Klinik durch die Arbeitszeitregelungen oder Punkt- mengenbegrenzungen statistisch entla- stet zu werden, „aber dafür einen er- heblichen Einbruch ihrer Vergütung hinnehmen zu müssen.“

Doch einige zentrale Fragen finden in der Debatte gar keine Erwähnung.

Habe die Ministerin lediglich „en pas- sant“ über die Reformoptionen Bür- gerversicherung/Kopfpauschale geredet, werde dies in der gesundheitspoliti- schen Diskussion nicht berücksichtigt, finden einige Delegierte. „Die weitere Ausrichtung des Gesundheitswesens muss auf dem Ärztetag diskutiert wer- den“, moniert etwa der Politologe und Ärztetagsdelegierte Ekkehard Ruebsam- Simon.

Damit muss sich Ruebsam-Simon aber mindestens bis zum nächsten Jahr gedulden. Denn nachdem es keine weiteren Wortmeldungen gab, folgte die Abstimmung über den Leitantrag der Bundesärztekammer: Befürwor- ter – Gegenstimmen – Enthaltungen.

Zufriedene Gesichter bei den Vor- standsmitgliedern auf der Empore.

„Der Antrag ist übereinstimmend an- genommen.“

Wartelisten für Patienten werden länger

Jener Antrag I-01 untermauert die Posi- tion der Ärzteschaft zu den Folgen des GMG. „Die Gesundheitsreform trägt nicht dazu bei, die finanzielle Situation der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) langfristig zu sichern und die Versorgungssituation der Menschen zu verbessern“, heißt es dort. Vielmehr führten etwa die Art der Einführung des DRG-Fallpauschalensystems, die konkurrierenden Versorgungsverträge und die Kopplung der DMP an den RSA zu einem „wirtschaftlichen Über- lebenskampf von jedem gegen jeden“.

Statt eines politisch angepriesenen Qualitätswettbewerbs entstünden ver- mehrt Versorgungsengpässe. Mindest- mengenregelungen forcierten zudem die Konzentrationsprozesse im sta- tionären Bereich. Die Folge: Kranken- häuser schließen, die Wartelisten für die Patienten werden länger.

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A1326 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1913. Mai 2005

Einig in der Einschätzung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) und seiner Auswirkungen: Der Deutsche Ärztetag billigte einstimmig den gesundheitspolitischen Leitantrag des Vorstandes der Bundesärztekammer.

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Mit dem GMG, heißt es in dem Antrag weiter, blieben die Patienten als Kunden auf der Strecke. „Die Barrieren zur Inan- spruchnahme von GKV-Leistungen wer- den höher: durch die Einführung der Praxisgebühr, durch Ausweitung von Zu- zahlungen, durch Leistungsausschlüsse.“

Betroffen davon seien insbesondere die sozial Schwächeren.

Künftig gelte es die Patienten in den Mittelpunkt gesundheitspolitischer Entscheidungen zu rücken. Die Indivi- dualität der Arzt-Patienten-Beziehung müsse respektiert werden. Die Ein- führung neuer Versorgungsstrukturen solle sich am Mehrwert für die Patien- ten orientieren, nicht „an der Einkaufs- politik einer unter Wettbewerbsdruck stehenden Krankenkasse“.

Kritischer Blick nach Brüssel

In einem weiteren, ebenfalls einstimmig angenommenen Antrag des Vorstandes äußert der Ärztetag den Willen, die Entwicklung der europäischen Gesund- heitspolitik konsequenter zu begleiten.

Das deutsche Gesundheitswesen be- komme in immer stärkerem Ausmaß die rechtlichen und politischen Einflüsse der europäischen Gesundheitspolitik zu spüren, heißt es zur Begründung.An- gesichts der Unterschiedlichkeit der Gesundheitssysteme sei der Versuch ei- ner Harmonisierung abzulehnen.

Kritisiert wird zudem, dass mit dem so genannten Herkunftslandprinzip für Ärzte grundsätzlich das Recht ihres Herkunftslandes für im EU-Ausland erbrachte Gesundheitsleistungen gel- ten solle. Nur unter Beachtung des deutschen Rechts über die ärztliche Berufsausübung sollten Ärzte aus der Europäischen Union in Deutschland arbeiten können.

Mit der sehr grundsätzlichen, aber sachlichen Kritik der Ärzte wird die Ge- sundheitsministerin leben können. Zu- mal sie selbst eine Zusammenarbeit mit den Ärzten vorschlug. Die vorläufige Annäherung könnte jedoch schnell be- endet sein, wenn die nächsten großen Reformen auf den Weg gebracht wer- den. Räumlich gilt das für das nächste Jahr in jedem Fall. Dann tagt das Ärzte- parlament im 150 Kilometer entfernten

Magdeburg. Timo Blöß

Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1913. Mai 2005 AA1327

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elten hat ein Einzelschicksal welt- weit so viel Aufsehen erregt wie der öffentliche Tod der US-amerikani- schen Wachkomapatientin Terry Schia- vo. Auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nahm diesen „Fall“ zum Anlass, sich über Patientenverfügungen und Sterbehilfe zu äußern. Zwar stehe es ihr nicht an zu beurteilen, ob die rich- tige Entscheidung getroffen worden sei.

„Eines weiß ich genau: Mit der Würde des Menschen ist es unvereinbar, eine kranke und sterbende Frau, die sich nicht mehr dagegen wehren kann, in den Medien zur Schau zu stellen“, sagte

sie auf der Eröffnungsveranstaltung zum 108. Deutschen Ärztetag in Berlin.

Aktiver Sterbehilfe erteilte die Mini- sterin eine deutliche Absage. „Ich teile in diesem Punkt voll und ganz die Mei- nung des Ärztetages.Aktive Sterbehilfe darf es in Deutschland nicht geben.“

Niemals gehöre es zum Arztberuf, den Tod herbeizuführen, sagte auch der

Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe. Es sei die Angst vor der Lebens- verlängerung um jeden Preis, vor allem aber die Unwissenheit über die palliativ- medizinischen Behandlungsmöglich- keiten, die diese Diskussionen immer wieder anheizten. In Belgien könnten seit Mitte April Ärzte bereits so ge- nannte Medikamenten-Sets zur aktiven Sterbehilfe in Apotheken erwerben.

Diese Entwicklung mache ihm Angst, sagte Hoppe. „Denn dort droht etwas zur Selbstverständlichkeit zu werden, das zunächst nur als absolute Ausnah- me gedacht war – die Euthanasie.“ Der Patient habe das Recht auf einen würdi- gen Tod, aber nicht das Recht, getötet zu werden. Schmidt forderte dazu auf, sich mit der Thematik auseinander zu setzen und beispielsweise in Form einer rechtssicheren Patientenverfügung dar- zulegen, wie man für sich die Wahrung der Würde definiert. Hoppe spricht sich allerdings gegen eine gesetzliche Re- gelung aus. Zwar seien Patienten- verfügungen prinzipiell bindend. „Was aber geschieht, wenn sie der konkreten Behandlungssituation nicht mehr ent- sprechen oder wenn sie schon viele Jah- re alt sind?“ fragte der BÄK-Präsident.

Wenn der Arzt in einer solchen Situati- on den mutmaßlichen Willen des Pati- enten ermitteln müsse, könne er dies nur anhand der Gesamtumstände tun,

„wie religiöser Überzeugung und allge- meiner Lebenseinstellung, und vor al- lem muss er das Gespräch mit den näch- sten Angehörigen suchen“. Das alles sei höchst individuell und nicht normier-

bar. Deshalb wird es nach Ansicht Hop- pes eine abschließende, in jedem Ein- zelfall gültige gesetzliche Regelung wohl kaum geben können. Wenn sonst angemessene Diagnostik und Therapie nicht mehr geboten seien, könnten Be- grenzungen geboten sein. „Dann muss die palliativmedizinische Versorgung in den Vordergrund treten.“ Kli

Sterbehilfe

Keine aktive Euthanasie

Hoppe glaubt nicht

an eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung.

„Mit der Würde des Menschen ist es unvereinbar, eine sterbende Frau in den Medien zur Schau zu stellen.“

Ulla Schmidt

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