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Seite eins
Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 36, 4. September 1998 (1)
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ick? Glatze? Impotent?Glaubt man der Pharma- Industrie, gehören diese Sorgen der Vergangenheit an. Mit Xenical, Propecia und Viagra drängt eine neue Pillengeneration auf den Markt: „Lifestyle-Medika- mente.“ Die Umschreibung trifft es. Denn die neuen kleinen Helfer kurieren nicht nur Kranke, sie ver- helfen auch den in ihrem Wohlbe- finden Gestörten zu neuer Lebens- qualität: Frauen, die sich in einer seelischen Krise befinden, weil sie Kleidergröße 40 tragen, ebenso wie dem an sich gesunden 40jähri- gen, dem Viagra zu neuer Mannes- kraft verhilft.
Die Betroffenen mögen ernst- haft unter ihren Beeinträchti- gungen leiden. Der Krankheits- wert ist jedoch schwer zu definie- ren. Woran sich die Frage knüpft:
Sind solche Arzneimittel ein Fall
für die solidarische Krankenversi- cherung? Bei Viagra hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen mit einem klaren
„Nein“ geantwortet. Begründung:
Solidarität hört da auf, wo der private Lebensbereich prägend in den Vordergrund tritt. Mit ande- ren Worten: Das durchaus unter- schiedlich ausgeprägte individuel- le Wohlbefinden soll auch indivi- duell finanziert werden.
Solche Grenzziehungen ent- behren nicht der Willkür, weil es immer einen Patientenkreis gibt, dem die neuen Arzneimittel wirklich nützen. Die begrenzten Finanzmittel der Gesetzlichen
Krankenversicherung verlangen jedoch eine Diskussion darüber, was solidarisch abgesichert wer- den kann und soll. Vor allem, wenn man bedenkt, daß es für die
„Lifestyle-Medikamente“ je nach Definition einige tausend oder ei- nige Millionen Therapiebedürfti- ge gibt.
Ganz gleich, wer letztlich be- zahlt – der Pharmaindustrie win- ken Milliarden-Geschäfte. Ein Traum scheint wahr zu werden:
Für alles und jedes gibt es eine Pil- le. Der Preis ist normiertes Ausse- hen und Verhalten, Altwerden vielleicht bald persönliches Ver- schulden. Heike Korzilius
„Lifestyle-Medikamente“
Der Pillentrick
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aß Horst Seehofer ein ebenso unangenehmer wie ausdauernder Gegner sein kann, ist in der gesundheitspoliti- schen Landschaft längst kein Ge- heimnis mehr. Nicht ohne Grund wird der Bundesgesundheitsmini- ster in Bonner Kreisen mitunter„Drachentöter“ genannt. Doch ist er auch unberechenbar?
Den Zahnärzten mag dieser Verdacht inzwischen gekommen sein, denn sie stecken in einem ar- gen Dilemma. Der Krach um die Höhe der Honorare bei Keramik- verblendungen (Deutsches Ärzte- blatt, Heft 34–35/1998) schien bei- gelegt, als die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) der Anordnung des Ministers folgte und die Zahnärzte schriftlich über die Rechtsauffassung des Bundes- gesundheitsministeriums infor- mierte: Auch Leistungen bei Kera- mikverblendungen dürfen höch- stens mit dem 1,7fachen Satz der Gebührenordnung berechnet wer- den. Seehofer ließ daraufhin öf- fentlich verbreiten, daß er nun eine Chance sehe, „den Streit um die
Honorarabrechnung zu beenden“.
Doch kaum zwei Wochen später informierte der Minister über eine neuerliche Prüfung der zahnärztli- chen Abrechnungen, deren Ergeb- nis „ungeheuerlich und nicht hin- nehmbar“ sei. Der „harte Kern“
hielte sich nach wie vor nicht an das Gesetz, sondern schreibe wei- terhin überhöhte Rechnungen.
Gesetzliche Maßnahmen seien nunmehr unverzichtbar.
Konkret kündigt Seehofer an, daß die Behandlung mit Zahnersatz künftig wieder der Genehmigungs- pflicht der Krankenkassen unter- liegt und die Honorarobergrenzen beim Zahnersatz dauerhaft in der Gebührenordnung für Zahnärz- te festgeschrieben werden. Die KZBV betrachtet Seehofer dabei
als hauptverantwortlich für das Fehlverhalten der Zahnärzte. Aus Seehofers Sicht dürfte der Streit da- mit tatsächlich beendet sein, doch die Zahnärzte verstehen die Welt nicht mehr. Die erneute Prüfung der Abrechnung erfolgte nämlich zu einem Zeitpunkt, als sich die In- formation über den Standpunkt des Ministers noch gar nicht in den Ab- rechnungen der Zahnärzte hätte niederschlagen können.
Fazit? Einen Horst Seehofer reizt man offenbar nicht unge- straft. Er nimmt einen Schlagab- tausch an und führt ihn auf seine Weise zu Ende. Ob aus wahltakti- schen Gründen, wie die Zahnärzte jetzt mutmaßen, oder aus prinzipi- ellen Erwägungen, mag dahinge- stellt bleiben. Josef Maus