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Archiv "Arzneimittelimitate: Lifestyle-Medikamente – im Visier der Fälscher" (09.12.2005)

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n einer Plastikschüssel auf dem Kopf transportiert eine junge Afrikanerin ein Sammelsurium an Arzneimitteln – lose Medikamenten-Blister und Faltschach- teln ordentlich hintereinander gereiht.

Sie wird diese Medikamente auf dem Markt verkaufen wie andere Leute Obst und Gemüse. Wahrscheinlich verfügt sie selbst über keinerlei pharmazeutische Kenntnisse, ebenso wahrscheinlich ist es, dass ein Großteil ihres Waren-

angebots aus Fälschungen be- steht – pharmazeutischer Alltag in vielen Entwicklungsländern.

Die US-amerikanische Arz- neimittelbehörde FDA schätzt, dass es sich bei bis zu 25 Pro- zent aller Medikamente, die in Entwicklungsländern vertrie- ben werden, um Fälschungen oder Präparate minderer Qua- lität handelt. Gefälscht werden in erster Linie Antibiotika, Ma- laria-, Tuberkulose- und HIV- Präparate, also Medikamente gegen lebensbedrohliche Er- krankungen. Eine Studie, die der Lancet im Jahr 2003 veröf- fentlicht hat, ergab beispiels- weise, dass bis zu 40 Prozent

der Artesunate-Präparate keinen Wirk- stoff enthalten und damit keine thera- peutische Wirkung entfalten können. Die Präparate gelten als Mittel der Wahl ge- gen resistente Formen der Malaria. Von den rund eine Million Menschen, die jährlich an Malaria sterben, könnten 200 000 gerettet werden, wenn die ver- fügbaren Medikamente wirksam und von guter Qualität wären und korrekt an- gewendet würden, folgert die Weltge- sundheitsorganisation (WHO).

Den Weg in die Medien finden nur die spektakulärsten Fälle. So starben 1995

während einer Meningitis-Epidemie in Niger 2 500 Menschen an einem gefälsch- ten Impfstoff. Mit Frostschutzmittel ver- setzter Hustensaft verursachte im selben Jahr in Haiti 89 Todesfälle, drei Jahre spä- ter starben 30 Kinder in Indien ebenfalls an gepanschtem Hustensaft.

Armut, ein nur mangelhaft funktionie- rendes öffentliches Gesundheitswesen sowie kaum regulierte Arzneimittel-

märkte öffnen den Fälschern Tür und Tor.

„Von Fälschungen ist in erster Linie der Selbstmedikationsmarkt betroffen“, sagt Dr. Richard Jenke vom German Pharma Health Fund (GPHF), einer Entwick- lungshilfeinitiative der forschenden Arz- neimittelhersteller in Deutschland. „Und der beträgt in manchen Entwicklungslän- dern 80, 90 oder 100 Prozent des Arznei- mittelmarktes.“ Der Bedarf an Medika- menten ist groß, die Preise sind für die meisten Kranken in Afrika, Asien und Lateinamerika unerschwinglich. Ihnen bleibt nur der Schwarzmarkt, wo sie in

vielen Fällen wirkstofffreie, unter- oder überdosierte, verunreinigte oder abgelau- fene Präparate erhalten. Die Folgen: Re- sistenzentwicklungen, Gesundheitsschä- digungen,Todesfälle.

Um Fälschungen auch unter einfach- sten Bedingungen auf die Spur zu kom- men, hat der GPHF ein Minilabor ent- wickelt, das in zwei Reisekoffer passt.

Nach Angaben Jenkes sind inzwischen rund 200 der so genannten Minilabs in 40 Ländern im Ein- satz, unter anderem auch in mehreren afrikanischen Staa- ten im Rahmen des „Roll-Back- Malaria-Programms“ der WHO.

Lukratives Geschäft

Die UN-Organisation be- schäftigt sich seit Mitte der 80er-Jahre mit dem Thema Medikamentenfälschungen.

Das Geschäft mit den Imita- ten ist lukrativ. Die Nachfrage nach den vermeintlichen Arz- neimitteln ist hoch, die Pro- duktionskosten sind gering – insbesondere dann, wenn statt eines Wirkstoffs Mehl oder Backpulver in Tablettenform gepresst werden. Da in den meisten Entwicklungsländern man- gels Ressourcen weder die Arzneimittel- qualität noch die Vertriebswege effektiv überwacht werden können, ist für die Fälscher auch die Gefahr, entdeckt und bestraft zu werden, gering. Derzeit ver- fügen von den 191 Mitgliedstaaten der WHO nur rund 20 Prozent über eine ef- fektive Arzneimittelgesetzgebung und -überwachung. In 50 Prozent der Staaten befindet sich ein Regulierungssystem in verschiedenen Stadien des Aufbaus, bei P O L I T I K

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Arzneimittelimitate

Lifestyle-Medikamente – im Visier der Fälscher

Gefälschte Arzneimittel sind hauptsächlich ein Problem der Entwicklungsländer. Doch das In-

ternet öffnet Kriminellen ein Einfallstor zu den regulierten Märkten der Industriestaaten.

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den restlichen 30 Prozent kann von sy- stematischer Arzneimittelüberwachung keine Rede sein. So weit die Situations- analyse der WHO.

Die Organisation hat 1999 Leitlinien veröffentlicht, die betroffenen Staaten helfen sollen, gegen Fälschungen vorzu- gehen. Neben öffentlichen Informations- und Aufklärungskampagnen geht es da-

bei in erster Linie darum, Strukturen zu schaffen, die ein hohes Maß an Arz- neimittelsicherheit gewährleisten. Dazu gehört aus Sicht der WHO eine entspre- chende Gesetzgebung ebenso wie eine ef- fektive Behördenstruktur. Inzwischen gibt es offenbar erste Fortschritte zu ver- zeichnen. Im vergangenen Jahr habe die chinesische Arzneimittelbehörde – das Land wird neben Nigeria, Indien und Russland immer wieder als eine der Drehscheiben im internationalen Handel mit gefälschten Medikamenten genannt – 1 300 illegale Produktionsstätten ge- schlossen und Fälschungsfälle mit einem Warenwert von rund 57 Millionen US- Dollar untersucht, so die WHO.

Doch Arzneimittelfälschungen sind nicht mehr nur ein Problem der Ent- wicklungsländer. Ende November 2003 meldet der 47-jährige Thomas W. beim Landratsamt im bayerischen Dillingen

ein Gewerbe an. Der arbeitslose Haus- meister teilt der Behörde als Tätigkeits- felder „freischaffender Künstler, Wa- renannahme und -ausgabe von Natur- heilmitteln und Medikamenten“ mit. Im März 2004 stellt das Landratsamt bei ei- ner gewerberechtlichen Kontrolle fest, dass Thomas W. in einem Büroraum große Mengen verschreibungspflichti-

ger Medikamente lagert. Bei der an- schließenden Durchsuchung beschlag- nahmt die Kriminalpolizei Arzneimittel im Wert von mehr als einer Million Euro, darunter die potenzfördernden Präparate Viagra, Cialis und Levitra, das Haarwuchsmittel Propecia, außerdem Reductil zur Gewichtsreduktion und das Raucherentwöhnungsmittel Zyban.

Sämtliche Medikamente sind Totalfäl- schungen, das heißt, Präparat und Ver- packung sind gefälscht. Schnell wird klar, dass W. nur ein kleines Rad in ei- nem weit verzweigten Vertriebssystem ist. Seine Aussage führt die Staatsan- waltschaft Augsburg zum Drahtzieher, dem US-Amerikaner Dr. Richard Ad- ler. Der 67-jährige Arzt hatte die Präpa- rate über das Internet angeboten und Thomas W. mit dem Versand beauftragt.

Dieser hatte seinerseits bereits 2 000 Kunden in Deutschland beliefert. Ver-

schickt wurden die Tabletten in kleine Plastiksäckchen eingetütet – ohne Ver- packung, ohne Beipackzettel und ohne ärztliches Rezept. Das Amtsgericht er- lässt wegen Verstoßes gegen das Arznei- mittel- und Markengesetz, außerdem wegen Betruges Strafbefehl gegen Ad- ler. Eine Geldstrafe von 720 000 Euro wird festgelegt. Zwei Konten mit einem Guthaben von 74 000 Euro werden be- schlagnahmt. Adler selbst, der sich auf Mallorca aufhalten soll, tritt nicht in Er- scheinung. Er lässt sich von einer Mün- chener Anwaltskanzlei vertreten.

Hohe Dunkelziffer

Dillingen ist ein Musterfall. Während in Entwicklungsländern bevorzugt Antibio- tika, Chemotherapeutika, Entzündungs- hemmer und Analgetika im Visier von Kriminellen stehen, findet man in den In- dustriestaaten vorwiegend Imitate von so genannten Lifestyle-Medikamenten. Der Markt ist lukrativ,denn die Präparate sind teuer und werden, zumindest in Deutsch- land, nicht von den Krankenkassen er- stattet. Das Potenzmittel Viagra beispiels- weise hält die WHO für eines der am häu- figsten gefälschten Medikamente welt- weit. Allein im vergangenen Jahr sind nach Angaben des Herstellers Pfizer zehn Millionen gefälschte Viagra-Tabletten von Behörden beschlagnahmt worden.

Der Schaden belaufe sich auf zweistellige Millionensummen.

Auf etwa 29 Milliarden Euro Umsatz beziffert der Bundesverband der Phar- mazeutischen Industrie die globale Arz- neimittelfälschungsindustrie in einem Po- sitionspapier. Es sei jedoch unmöglich, die wahren Ausmaße des Handels mit ge- fälschten Medikamenten abzuschätzen, denn in Europa tauchten Fälschungen hauptsächlich jenseits der offiziellen Pharmavertriebswege auf.

Angesichts solcher Summen verwun- dert es nicht, dass die betroffenen Phar- mafirmen in die Offensive gehen. Im Sommer haben Pfizer, MSD, Lilly, Hoff- mann-LaRoche, GlaxoSmithKline und Abbot in einem Brief den damaligen Bun- desinnenminister Otto Schily und Bun- desgesundheitsministerin Ulla Schmidt um Unterstützung im Kampf gegen Arz- neimittelfälschungen gebeten. Bei einem anschließenden Treffen waren auch Ver- P O L I T I K

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Beispiel Nigeria: Medikamente sind wie Obst und Gemüse im Straßenverkauf zu haben.

Foto:AP

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treter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes zu- gegen. Die Öffentlichkeit sollte ebenfalls auf das Problem auf- merksam gemacht werden. Das war nicht immer so.In der Vergan- genheit waren viele Firmen um Diskretion bemüht, wenn Fäl- schungen ihrer Präparate auf dem Markt auftauchten. Zu groß war die Furcht vor Imageschäden, der Verunsicherung von Ärzten und Patienten und daraus resultieren- den Umsatzeinbußen. In den großen Konzernen ermitteln die eigenen Security-Abteilungen.

„Das Problem wächst. Wir müssen Verbraucherschutz betreiben“, erklärt MSD-Sprecher Michael Winnebeck die neue Offenheit. Die Firma ist mit ihrem Haarwuchsmittel Propecia von Fälschun- gen im lukrativen „Lifestyle-Markt“ be- troffen. Einfallstor für die Imitate ist das Internet. „Das Geschäft läuft diskret ab – ohne Rezept, ohne Arzt, ohne Apothe- ker.“ Im Fall Dillingen wurde das ge- fälschte Propecia,getarnt in Hundefutter- behältern, aus China geliefert. „Die Ta- bletten kann man in jedem Labor herstel- len“, sagt Winnebeck. Was hinterher als Propecia verkauft wird, ist „schwankende Ware“: ohne Wirkstoff, unter- oder über- dosiert – alles sei möglich.

Spitzenreiter Viagra

„Gefälscht wird prinzipiell alles“, sagt Prof. Dr. Harald Schweim von der Uni- versität Bonn. Neben den Wirkstoffen seien Verpackungen und Beipackzettel betroffen.Auch die Verfallsdaten würden verlängert. Dabei werden die Fälschun- gen immer perfekter. Selbst ein Fach- mann könne Original und Fälschung oft nur sehr schwer voneinander unterschei- den, so Schweim.

Dem Bundeskriminalamt (BKA) sind seit 1996 in der legalen Verteilerkette von Hersteller, Großhandel und Apotheke 36 Fälle von Arzneimittelfälschungen be- kannt geworden, davon 27 mit Bezug zu Deutschland. Sie gelangten meist über den Großhandel in den Markt. Entdeckt wurden die Präparate unter anderem von Überwachungsbehörden und Apothe- kern. Ihre Herkunft war meist nicht ein- deutig festzustellen und ihr Weg nicht

lückenlos nachvollziehbar.Dem BKA zu- folge gibt es jedoch Hinweise darauf, dass die Medikamente aus Osteuropa, Süd- ostasien und Südafrika stammten. In den meisten Fällen handelte es sich um illega- le Reimporte in gefälschter Verpackung, also Arzneimittel, die zum Export aus der Europäischen Union bestimmt waren, dann aber in gefälschter Aufmachung auf den deutschen Markt gelangten. Auch HIV-Präparate und Antibiotika waren unter den beschlagnahmten Produkten.

In der Regel enthielten die Präparate ei- nen reduzierten Substanzgehalt. Völlig wirkungslose oder gesundheitsgefähr- dende Medikamente sind innerhalb der legalen Verteilerkette bislang in Deutsch- land nicht aufgetaucht.

Im vergangenen Jahr hat der Zoll in 29 Fällen gefälschte Medikamente auf- gegriffen. Bis Ende September 2005 wa- ren es schon 43 Fälle. Die Präparate gin- gen den Zollbeamten in der Regel im

Rahmen der Abfertigung von Post- und Luftfrachtsendungen ins Netz. In rund 90 Prozent der Fälle handelte es sich um Viagra- Fälschungen. Rund 50 Prozent der Funde stammten aus Indien.

Weitere Ursprungsländer waren Ägypten, China, Thailand, Indo- nesien und die USA.

Mit der 12. Novelle des Arznei- mittelgesetzes hat der Gesetzgeber im Jahr 2004 erste Schritte eingeleitet, um dem wachsenden Problem der Medika- mentenfälschungen zu begegnen. Seither ist die Fälschung von Arzneimitteln und deren Vertrieb ein eigenständiger Straf- tatbestand. Die Delikte konnten zuvor le- diglich als Produktpiraterie verfolgt wer- den. Als Fälschungen gelten Arzneimit- tel, die „hinsichtlich ihrer Identität oder Herkunft falsch gekennzeichnet“ sind.

Wer solche Arzneimittel herstellt oder in Verkehr bringt, wird mit einer Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu drei Jahren bestraft. In besonders schweren Fällen drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Eine weitere wichtige Änderung: Der Großhandel mit Medikamenten ist jetzt genehmigungspflichtig. Damit verbun- den ist auch eine behördliche Überwa- chung der Betriebe.

„Die 12. AMG-Novelle ist ein guter Ansatz“, urteilt Michael Winnebeck aus der Sicht der Pharmaunternehmen. „Das Problem ist derzeit noch die Umset- zung.“ Wie bei den übrigen Wirtschafts- delikten müssten die Strafverfolgungs- behörden Schwerpunkte bilden. Staats- anwälte und Kriminalbeamte müssten sich im Fach „Arzneimittelkriminalität“

spezialisieren,um eine effektive Strafver- folgung betreiben zu können.

Für die Überwachung der am Arznei- mittelhandel beteiligten Betriebe und Einrichtungen sind die Bundesländer zu- ständig. Die Aufgabenverteilung ist aller- dings von Land zu Land unterschiedlich.

Das Bundesgesundheitsministerium gibt in einem „Verzeichnis der für den Vollzug des Arzneimittelgesetzes zuständigen Behörden, Stellen und Sachverständi- gen“ auf 70 DIN-A4-Seiten einen Über- blick über die Zuständigkeiten. In Nord- rhein-Westfalen beispielsweise überprü- P O L I T I K

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Arten von Fälschungen

Nach § 8 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln versteht man unter Fälschun- gen „hinsichtlich ihrer Identität oder Her- kunft falsch gekennzeichnete Arzneimittel“.

Typen von Fälschungen

> gefälschter Wirkstoff in Originalver- packung

> Originalpräparat in gefälschter Ver- packung (Originalverpackung wird für den Vertrieb anderer Fälschungen eingesetzt)

>Totalfälschung, bei der Präparat und Verpackung gefälscht sind

Gefälschte Präparate enthalten

>einen reduzierten Wirkstoffgehalt

>einen falschen Wirkstoff

>keinen Wirkstoff oder

>gesundheitsschädliche Substanzen.

Fall Dillingen: Beschlagnahmte Ware im Wert von einer Million Euro

Foto:MSD

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fen die Bezirksregierungen die Her- steller, Vertriebsunternehmer und den Großhandel. Für die Kontrolle der Apo- theken sind die Landkreise und Städte verantwortlich. Außerdem verpflichtet die „Apothekenbetriebsordnung“ die Apotheker zu stichprobenweisen Prüfun- gen von Fertigarzneimitteln.

Risiko Internet

Medikamente, die in Deutschland über die legale Verteilerkette vertrieben wer- den, hält Prof. Dr. rer. nat.Volker Dinnen- dahl, Vorsitzender der Arzneimittelkom- mission der Deutschen Apotheker, des- halb für sicher. „In Deutschland ist es relativ schwierig, Arzneimit- telfälschungen in den legalen Markt zu bringen“, betont Din- nendahl. An ein erhöhtes Risiko durch Re- und Parallelimporte glaubt er nicht. Nach Ansicht des Apothekers werden die offiziel- len, seriösen Händler schon aus Eigeninteresse alles daransetzen, dass keine Fälschungen nach Deutschland gelangen. Für Din- nendahl liegt das größte Risiko im Internethandel – eine Einschät- zung, die auch Schweim teilt. Der hält es für einen Fehler, dass der Gesetzgeber mit der Gesund- heitsreform 2004 den Versand- handel von Medikamenten und damit auch den Vertrieb über das Inter- net erlaubt hat. Man müsse neu überden- ken, ob die Freigabe des Warenhandels ein höheres Gut darstelle als die Gesund- heit und Sicherheit der Bevölkerung.

„Das Internet ist praktisch nicht kontrol- lierbar“, kritisiert Schweim.

Zumindest um Kontrolle bemüht, be- obachtet neben den zuständigen Landes- behörden auch der Zoll den Internethan- del. Die Landeskriminalämter und das BKA führen ebenfalls Recherchen in den Datennetzen durch, sowohl in konkreten Verdachtsfällen als auch anlassunabhän- gig. Seit einem Beschluss der Innenmini- sterkonferenz von 1998 sucht die „Zen- tralstelle für anlassunabhängige Recher- chen in Datennetzen“ des BKA im Inter- net nach strafrechtlich relevanten Inhal- ten. Im Mittelpunkt steht dabei allerdings der Bereich Kinderpornographie.Arznei- mittelfälschungen spielen (noch) eine un-

tergeordnete Rolle. Dass es Überlegun- gen gibt, die Beobachtung des Arzneimit- telhandels im Internet zu zentralisieren, bestätigte Dr. Undine Soltau gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Die endgülti- ge Entscheidung darüber stehe jedoch noch aus, räumte die Direktorin der

„Zentralstelle der Länder für Gesund- heitsschutz bei Arzneimitteln und Medi- zinprodukten“ ein.

Rückschlüsse auf die Lukrativität des illegalen Arzneimittelmarktes im Inter- net lässt die Zahl der so genannten Spam- Mails zu. Mit einem Anteil von 41,4 Pro- zent sind Arzneimittel Spitzenreiter im Geschäft mit dem Werbe-Müll.Das ergab eine Auswertung des Software-Anbieters

Sophos von August dieses Jahres. Diesen Trend bestätigt auch der Verbraucherzen- trale Bundesverband (vzbv), der eine ei- gene Beschwerdestelle für Werbemüll- Empfänger eingerichtet hat. „Unter den 7 000 bis 8 000 Beschwerden, die täglich bei uns eingehen, ist der Anteil, der die Medizin betrifft, besonders hoch“, sagt Carola Elbrecht vom vzbv. Da die mei- sten Medikamenten-Mails jedoch von ausländischen „Spammern“ stammten, sei die Rechtsverfolgung schwierig. „Wir konzentrieren uns zurzeit auf mutmaß- lich deutsche Absender.“

„Grundsätzlich gilt: Hände weg von weltweit operierenden Internethänd- lern“, sagt vzbv-Abteilungsleiter Thomas Isenberg.Vorsicht sei geboten,wenn keine Adresse identifizierbar und kein telefoni-

scher Kontakt zum Anbieter möglich sei.

Auch die zuständige Aufsichtsbehörde und die Allgemeinen Geschäftsbedingun- gen sollten ersichtlich sein.Für bedenklich hält Isenberg Anbieter, die sich nicht an die Rezeptpflicht halten. Der Verbrau- cherschützer fordert Maßnahmen, die es den Kunden erleichtern, seriöse Angebo- te zu identifizieren.Transparenz könne et- wa durch die Vergabe eines Siegels ge- schaffen werden, möglichst nach einheitli- chen europäischen Gütekriterien.

Versandapotheken haben in Deutsch- land bislang die Möglichkeit, das Siegel des Bundesverbandes Deutscher Ver- sandapotheken zu erwerben. Die Voraus- setzungen dafür sind identisch mit denen, die der Gesetzgeber für die Zulassung ei- ner Versandapotheke vorsieht.Allerdings wolle man das Siegel weiterentwickeln und in den Anforderungen noch über die gesetzlichen Auflagen hinausgehen, be- tont Verbandsvorsitzender Johannes Mönter. Rund 15 Versandapotheken ha- ben bislang das Siegel erworben. Da in Deutschland der Versandhandel per In- ternet nur von Betreibern einer Offizin- apotheke angeboten werden darf, dürfte es sich hier allerdings in der Regel ohnehin um vertrauenswürdige Anbieter handeln.

Doch auch die Industrie ist gefordert, Originalpräparate besser zu kennzeich- nen. Die meisten Arzneimittel sind bis- lang lediglich mit einem Strichkode, der Chargennummer und dem Verfallsdatum markiert. Neu ist die Kennzeichnung mit Hologrammen, die Biokodierung durch DNA-haltige Etiketten oder das Aufbrin- gen von Transpondern. Dabei handelt es sich um elektronische Chips,die nach dem Prinzip der Radiofrequenzidentifikation (RFID) arbeiten. Sie sollen es künftig er- möglichen, den Weg eines Arzneimittels vom Hersteller bis zum Patienten zu ver- folgen. Befürworter der RFID-Technik ist unter anderem die FDA. Geradezu ba- nal erscheint im Vergleich der Vorschlag der „EU Patient Safety Packaging Initia- tive“, Arzneimittelverpackungen künftig zu verkleben. Nach dem Öffnen reißen die Verpackungen ein, bei erneutem Ver- kleben tritt eine Farbreaktion auf.So kön- nen Medikamente nicht, wie bisher, belie- big umgepackt werden. Bleibt schließlich der Rat des Bundesverbandes der Phar- mazeutischen Industrie: „Der sichere Weg geht über die Apotheke!“

Dr. med. Birgit Hibbeler, Heike Korzilius P O L I T I K

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China: Viagra-Imitat zwischen Kondomen und Tütensuppe

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