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Archiv "Der Bandscheibenvorfall: Wie zeitgemäß ist die sogenannte minimal invasive Therapie?" (05.03.1999)

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Academic year: 2022

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as Spektrum der Möglichkei- ten, einen Bandscheibenvor- fall zu operieren, ist groß (Text- kasten Operationsverfahren). Im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Verfah- ren, aber auch deren Einschätzung und Akzeptanz, sehr geändert. Die Ent- wicklung der Chemonukleolyse, der perkutanen Nukleotomie oder Laser- therapie ist durch ständigen Wech- sel, uneingeschränkten Enthusiasmus, wohlwollende Skepsis oder volle Ab- lehnung gekennzeichnet. Nachdem die Chemonukleolyse in Mode war, wurde die perkutane Discektomie eingeführt, deren Variante der automatischen per- kutanen Discektomie bald aus der Mo- de war, jedoch wurde ihrer vervoll- kommneten Technik ursprünglich ein großer Durchbruch zugeschrieben.

Heute haben wir unsere Anstrengun- gen auf die Laserchirurgie bereits hin- ter uns gelassen.

Neue Verfahren müssen, gemes- sen am goldenen Standard der offenen Operation, oder gerade propagierten Neuschöpfungen gegenüber, Vorteile haben. Wenn nicht hinsichtlich der Er- gebnisse, so doch zumindest in der Technik, der Morbidität oder der Ko- sten-Nutzen-Relation, sollte die Ein- führung neuer Verfahren einen Sinn haben. Die jeweils entwickelten Ver- fahren entfalten aufgrund der schein-

bar – unter hermeneutischen Gesichts- punkten interpretierten – guten Ergeb- nisse eine Sogwirkung auf Operateur und Patienten, ein Ablauf, der nur

mühsam umkehrbar ist. Man ist er- staunt, wie manche Verfahren trotz großer wissenschaftlich begründeter Vorschußlorbeeren in die Unbedeut-

samkeit versinken. In den USA werden jährlich 280 000 Bandscheibenopera- tionen durchgeführt, fast eine Million pro Jahr weltweit. 160 Operationen pro 100 000 Einwohner sind es in den USA (33) – eine erstaunliche Summe, wenn man bedenkt, daß nur 10 bis 15 Prozent aller Bandscheibenvorfälle überhaupt einer Operation bedürfen. Die großen Unterschiede in der Operationsfre- quenz (5) von Land zu Land (in den USA sogar von Distrikt zu Distrikt) sind durch kulturelle, ethnische oder genetische Differenzen kaum zu er- klären. Der Bandscheibenvorfall be- darf der Entkleidung eines Mythos:

Diagnose, natürlicher Verlauf und ope- rative Indikation unterliegen fest um- rissenen objektiven Kriterien.

Die Diagnose einer Diskushernie als Ursache von Beschwerden ist so einfach wie schwierig. Es wäre zu ein- fach, sich auf die Bildgebung alleine zu verlassen. Das Prinzip, daß jeder Bild- gebungsbefund einer klinischen Kor- relation bedarf, wird, aus welchen Gründen auch immer, oft nicht befolgt.

Ein Befund muß nicht notgedrungen nur deswegen, weil er normalerweise bei den meisten Menschen nicht vor- kommt, auch als Ursache irgendwel- cher Beschwerden angesehen werden.

Bei Divergenz beider kann die richtige Diagnosestellung tatsächlich

Der Bandscheibenvorfall

Wie zeitgemäß ist die sogenannte minimal invasive Therapie?

Klaus-Peter Schulitz

1,2

Rainer Abel

1

Kurt Schöppe

2

Josef Assheuer

3

Nach den früher angewandten offenen Operationsverfah- ren wurde in der letzten Zeit eine Reihe von sogenannten minimal invasiven Operationen entwickelt, die in der Lite- ratur ganz unterschiedlich eingeschätzt und anerkannt wer- den. Diesen Verfahren liegen ganz unterschiedliche Kon- zepte zugrunde, so daß sie – unkritisch durchgeführt – über- fordert werden. Randomisierte prospektive Studien fehlen weitgehend, so daß die Operationen jeweils der persönli-

chen Einschätzung überlassen sind.

Durch entsprechende metaanalytische

Untersuchungen läßt sich eindeutig zeigen, daß die offenen Techniken ihre Bedeutung auch heute noch nicht verloren haben.

Schlüsselwörter: Bandscheibenvorfall, Chemonukleolyse, perkutane Discektomie, Laser-Discektomie, Mikro-Disc- ektomie, minimal invasive Chirurgie

ZUSAMMENFASSUNG

Are Open Techniques of Disc Herniation Still Relevant?

Minimal invasive operations for disc herniation have most- ly replaced the formerly used open techniques during the past decades. These new techniques are evaluated and ap- preciated differently, and as they are based on different con- cepts they often cannot fulfill the expectations of the patient or the physician. Randomized controlled studies are still

missing, so these new operations are often left to subjective appreciation. Metaanalysis of the

existing data demonstrate that open techniques have not lost their importance.

Key words: Disc herniation, chemonucleolysis, percutane- ous discectomy, laser discectomy, microdiscectomy, minimal invasive surgery

SUMMARY

D

1 Orthopädische Klinik (Direktor: Prof. Dr.

med. Klaus-Peter Schulitz), Heinrich-Heine- Universität Düsseldorf

2 Orthopädische Praxis am Ev. Waldkranken- haus, Bonn-Bad Godesberg

3 Institut für Kernspintomographie (Leiter: Dr.

med. Josef Assheuer), Köln

Verfahren der minimal invasiven Bandscheibenoperation c Chemonukleolyse (CNL) c perkutane Discektomie

automatisierte perkutane lumbale Discektomie (APLD) (endoskopische) manuelle perkutane Discektomie (EMPD)

c perkutane Laserdiscus-Dekom- pression (PLDD)

c mikrochirurgische offene Discektomie (MCD)

(2)

mit großem Aufwand verbunden sein (24, 25).

Im Hinblick auf therapeutische Überlegungen ist die Frage nach dem natürlichen Verlauf von Beschwerden und Lähmungen sehr wichtig (Textka- sten Klinische Verlaufsformen). Der Schmerz steht eher als der Funktions- ausfall im Mittelpunkt des Interesses, da 90 Prozent aller Bandscheibenvor- fälle nur mit Schmerzen und nicht mit Lähmungen einhergehen. Die Frage ist, wie können wir voraussehen, ob der Schmerz vorübergeht, wechselhaft ist oder ob mit einer Chronifizierung zu rechnen ist? Der Beinschmerz bessert sich normalerweise, er persistiert selten oder nimmt noch seltener zu. Von We- ber (35) stammt die Angabe, daß 70 Prozent aller Patienten innerhalb von vier Wochen funktionell gut zurecht- kommen, Saal und Saal (19) gaben eine 90prozentige Besserungsrate durch konservative Therapie an. Es gibt aber praktisch keine Studie, die von vorn- herein aufgrund bestimmter Kriterien den genauen Verlauf voraussagen kann beziehungsweise eine Prognose zuläßt.

Dasselbe gilt für die Lähmungen. Es gibt auch keine Studie, die die Auffas- sung unterstützen könnte, daß die Ope- ration die neurologische Funktion bes- ser beeinflußt als der natürliche Ver- lauf. Daher muß ein Patient mit ei- nem neurologischen Defizit und ohne funktionsbeherrschenden Schmerz bis auf Ausnahmen (wie Cauda-Läsionen und progrediente Lähmungen, die so- fort eines operativen Eingriffs bedür- fen) (Textkasten Operationsindikation) nicht unbedingt oder auch überhaupt nicht operiert werden (8, 35). Wir sind daher auf Erfahrungswerte angewiesen oder müssen uns mit der Auswahl the- rapeutischer Möglichkeiten nach der jeweiligen Entwicklung richten. Das heißt, es geht unter Umständen wert- volle Zeit verloren, wenn wir uns dann nach allen therapeutischen Raffinessen doch zur Operation entschließen müs- sen. Darüber hinaus muß man jegliche Einflußnahme konservativer Therapie- verfahren auf den vorgezeichneten Verlauf ernsthaft in Frage stellen, da dieser durch den resorptiven Abbau (zellulärer Mechanismus [12, 19, 20]) oder durch die Dehydratation des Bandscheibengewebes – das der neu- en vaskularisierten Umgebung ausge- setzt wird – gekennzeichnet ist. Die

Entscheidung über die konservative Therapie kann unter Umständen über das Kernspintomogramm (perifokale Schwellung?) geführt werden. Es ist je- doch die Frage, wie weit das entzündli- che Potential beim Bandscheibenvor- fall dauerhaft durch Kortisongaben un- terdrückt und beeinflußt werden kann.

Ein gutes Ansprechen auf epidurale Kortison-Injektionen weist auf eine gute Prognose hin.

Man solle jedoch den Termin für eine notwendige Operation nicht zu lange hinauszögern (< 3 Monate). Eine

den Bandscheibenvorfall begleitende Entzündung hat ein hohes Schmerzpo- tential; der damit verbundene chro- nisch aufrechterhaltene Entzündungs- reiz setzt die Reizschwelle der Nozi- zeptoren sehr herab. Es werden zellu- larbiologische Mechanismen in Gang gesetzt, die über die Schmerzgenerato-

ren eine Chronifizierung des Schmer- zes in Höhe der Synapsen im Rücken- mark bedingen (sogenannte neuronale Plastizität). Aufgrund der diffus gestal- teten Erregbarkeit des Nerven und der Nozizeptoren kommt es zu einem Au- tomatismus, der dann rein mechanisch nicht mehr zu unterbrechen ist.

Wenn wir die Indikation zur Ope- ration gestellt haben, gilt es, das richti- ge Verfahren auszuwählen. Vorausset- zung hierfür ist die Differenzierung des Bandscheibenvorfalles (Protrusion, Extrusion, Sequester). Hierfür sind wir auf die Bildgebung angewiesen, wobei das Kernspintomogramm und das Computer-Diskogramm den größten Beitrag liefern können (24, 25). Die minimal invasiven Operationsmetho- den kommen nur für einen schmalen Sektor der Erkrankungen in Frage (Textkasten Klinische Verlaufsformen).

Wir unterscheiden die Techniken mit direkter Dekompression, die durch die Entfernung des Vorfalles druckent- lastend wirkt, wie die mikrochirurgi- sche, endoskopische Bandscheiben- operation, und indirekter Dekompres- sion, die auf der Herabsetzung des int- radiskalen Druckes beruhen, wie die Chemonukleolyse, die perkutane Dis- cektomie und die Laser-Discektomie.

Die Begründung für diesen Mechanis- mus der Schmerzerleichterung ist bis- her nicht eindeutig (Zurückverlage- rung von Nukleusfragmenten in den operativ geschaffenen freien Raum, gegebenenfalls durch Nervenwurzel über eine Abnahme der Bandschei- benhöhe) (31). Der Vorteil der mini- mal invasiven Verfahren wird darin ge- sehen, daß sie bei Umgehung des Wir- belkanals die Morbidität der offenen Bandscheibenoperation reduzieren.

Chemonukleolyse

Unter der Chemonukleolyse ver- steht man die enzymatische Auflösung des Nucleus pulposus, die durch Chy- mopapain (oder Kollagenase und Chondroitinase) vorgenommen wer- den kann. Chymopapain ist eine rela- tiv unspezifische Protease, die nicht nur die Proteoglykane bis zu den Di- sacchariden der interzellulären Matrix abbaut und damit eine Abnahme des Wasserbindungsvermögens und Ver- minderung des intradiskalen Druckes Klinische Verlaufsformen bei

Bandscheibenvorfall

¿ Akute, starke Ischialgie, neu- rologisches Defizit möglich („non-contained disc“, seque- ster, extrusion)

– meist Abklingen des Haupt- schmerzes nach zwei Wochen, danach allmähliche Schmerz- befreiung

– Lähmungsverbesserung nach zwei bis drei Monaten, geringe Residuen

Ausnahme:Rezessusprolapse oder proximale Sequester, Begleitstenosen

À Subakute, deutliche Ischialgie, neurologisches Defizit möglich („contained disc“ oder

extrusion)

– Schmerz und Neurologie über Monate, häufig bis zur Operation

Á Schleichend beginnende, mäßige Ischialgie, kaum neurologisches Defizit

(vorwiegend „contained disc“) Schmerzbefreiung nach drei Monaten

Vorwiegend bei Verlaufsformen von Punkt 2 besteht eine operative Indikation; hier ist nur bei sogenannter „contained disc“ eine minimal invasive Therapie sinnvoll.

(3)

nach sich zieht, sondern auch den An- nulus und die knorpeligen Endplatten in diesen Prozeß mit einbezieht.

Die Geschichte des Chymopa- pains ist von Höhen und Tiefen und von Ablehnung und Zustimmung ge- prägt gewesen. Am 13. Juli 1963 hat L. Smith die erste Chymopapain- injektion bei einem Patienten vorge- nommen und 1969 über die Ergebnis- se von 150 Patienten berichtet (28, 29, 30). Den guten Ergebnissen von 86 Prozent mit einer Reihe schwerwie- gender Komplikationen folgten un- zählige Studien mit wechselnden Re- sultaten. Mit einer nur 72 Prozent gu- ten Ergebnisquote in der Stufe 3 des

FDA-Zulassungsmodus wurde das Chymopapain zur Bandscheibenthe- rapie vom Markt genommen, bis eine durch die Industrie gesteuerte Viel- zahl von Doppelblindstudien die Zu- lassung eines gereinigten Chymopa- pains durch die FDA nach sich zog. Es besteht wegen einer hoch angesehe- nen Komplikationsquote mit anaphy- laktischen Reaktionen (0,14 Prozent), allergischen Früh- und Spätreaktio- nen (1,5 Prozent), Caudaläsionen so- wie transversen Myelitiden und Quer- schnittslähmungen (0,04 Prozent) und sonstigen neurologischen Kompli- kationen (1,0 Prozent) (2) und er- heblichen postinjektionellen Kreuz- schmerzen (3 Prozent) Zurückhal- tung der Chemonukleolyse gegen- über. Dennoch scheint sie im Ver- gleich zur Bandscheibenoperation für manche Indikationsbereiche ein rela- tiv sicheres Verfahren zu sein (2, 15).

Als Indikation gilt die Protrusion und Extrusion jüngerer Patienten (< 30 Jahre) (15).

Perkutane Nukleotomie

Hijikata et al. (9) haben erstmals (1975) die Bandscheibe vom postero- lateralen Zugang aus wegen eines Bandscheibenvorfalls mit Hilfe von Faßzangen ausgeräumt und damit die Bandscheibenchirurgie revolutio- niert. Die Weiterentwickung bestand darin, daß über einen zweiten, der Ar- beitskanüle gegenüberliegenden Zu- gang ein Endoskop eingesetzt wurde

(EMPD), das den Arbeitsvorgang op- tisch kontrollieren konnte (22, 23).

Über abgewinkelte Faßzangen, fle- xible Endoskope und einen extrem flachen Eingangswinkel hat man ver- sucht, die Bandscheibenvorfälle di- rekt zu erreichen, die bei einem gera- den Zugang und mit geraden Instru- menten naturgemäß wegen der dorsa- len Position des Bandscheibenvorfalls nicht faßbar sind. Die Indikation be- schränkt sich auf geschlossene Band- scheibenvorfälle und nicht wesentlich verschobene Extrusionen, die Verbin- dung mit dem Mutterboden haben. Es ist verständlich, daß extra- und intra- foraminale Bandscheibenvorfälle von der Bandscheibe her schlecht zu errei- chen sind und daß diese über einen Zugang direkt angegangen werden müssen (11, 13). Onik (17) hat das automatisierte Unterdruck-Saug-Ver- fahren (automatisierte perkutane lumbale Discektomie) eingeführt, das über eine lange Zeit großen Anklang gefunden hatte, jedoch heute wegen unzureichender Ergebnisse praktisch keine Anwendung findet (4, 18).

Laser-Discektomie

Choy (6) hat 1987 die perkutane Laser-Discektomie inauguriert und sie als weiteren Fortschritt der perkutanen Nukleotomie bezeichnet. Die Nd:

YAG-Laserenergie wird der Band- scheibe perkutan durch eine Nadel zu- geführt. Die Vaporisation zieht eine Herabsetzung des intradiskalen Druckes nach sich. Die Autoren schrei- ben die sofortige Beschwerdefreiheit noch während des Laservorganges der Verlagerung des Bandscheibenmateri- als durch den verminderten Gewebe- druck zu, ein Vorgang, der naturgemäß bei Sequestern und Extrusionen nicht

zum Tragen kommen kann. Die Auto- ren berichten in ihrer letzten größeren Übersichtsarbeit über 74 Prozent gute, die Patienten zufriedenstellende Er- gebnisse. Gleiche Resultate konnten Siebert et al. (27) mit dem Holmium:

YAG 2,1 µ Wellenlänge erreichen. Die Vorteile der Laser-Discektomie wer- den in der sofortigen Dekompression und Beschwerdefreiheit und der gerin- gen Morbidität gesehen.

Trotz aller dieser Vorzüge und mancher euphorischer Berichte ste- hen die Ergebnisse deutlich hinter de- nen der offenen Bandscheibenchirur- gie, so daß die Laser-Discektomie den Zenit der Begeisterung allmählich überschritten hat (31).

Offene

Bandscheibenoperation in mikroskopischer Technik

Der mikroskopischen Band- scheibenoperation (3, 34) wird auf- grund des kleinen operativen Zugan- ges eine geringere Morbidität zuge- Operationsindikation bei

Bandscheibenvorfall Hinsichtlich Lähmung:

– Caudaläsion: sofort

– zunehmende und erhebliche Defizite: sofort

– kein Verbesserungstrend

> 8 Wochen

(in Abhängigkeit des Schwere- grades und nach Bedürfnis des Patienten)

Hinsichtlich Schmerzen:

– Kein Verbesserungstrend oder erhebliche (nicht beeinflußba- re) Beschwerden

Tabelle 1

Streuung der Ergebnisse (Prozent)

Methode gut schlecht

APLD 0,0–92,0 8,0–71,0

Chemonukleolyse 35,6–84,8 7,1–54,2

Laser-Dekompression 50,3–83,3 0,0–35,7

Endoskopische Discektomie 37,5–89,0 3,0–62,5

„offene“ Nukleotomie 51,0–100 0,0–20,0

APLD, automatisierte perkutane lumbale Discektomie

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schrieben. In diesem Fall ist eine gute Ausleuchtung, die Vergrößerung und Dreidimensionalität in der Tiefe der Wunde nur über das Mikroskop zu erreichen (14). McCulloch (14) hat von dem versteckten Nutzen durch den Zwang zum disziplinierten Den- ken und Arbeiten gesprochen. Doch scheint die mikroskopische Technik weder in der Früh- noch in der Spät- phase einen wesentlichen Vorteil vor der normalen, offenen „makroskopi- schen“ Technik zu haben, soweit die- se von einem etwa gleich großen Zu- gang unter zusätzlicher Kaltlicht- quelle mit perfekter Technik ausge- führt wird. Die mikroskopische Ope-

ration ist keine Mikrochirurgie, son- dern stellt eine Möglichkeit dar, klei- nere Objekte aus geringerer Entfer- nung (mit dem Mikroskop) zu be- trachten. Sie wird aus technischer Notwendigkeit mit leicht abgewan- delten, ähnlich großen Instrumenten durchgeführt. Aus diesen Gründen bestehen daher keinerlei Unterschie- de im Ergebnis zwischen der her- kömmlichen, sogenannten „makro- skopischen“ und der mikroskopi- schen Technik (10, 15, 34), und auch Blutverlust, Verletzungsrate, Opera- tionsdauer und Arbeitsunfähigkeit sind identisch. Die Dauer des sta- tionären Aufenthaltes wie die Ko- steneffektivität im allgemeinen ist ei- ne Frage der ärztlichen Einstellung und des Beweiszwanges (1, 16). Bei- de Techniken lassen sich – wenn es unbedingt sein muß – ambulant durchführen.

Es gibt nur wenige gut kontrol- lierte randomisierte Studien, die je- doch keine Unterschiede zwischen

beiden Techniken finden konnten (31). Mikroskopische Operationen, die die Standardergebnisse übertra- fen, haben – ebenso wie die makro- skopischen Operationen mit außerge- wöhnlich guten Ergebnissen – meist Mängel im Studiendesign.

Diskussion

Für den Arzt ist es außerordent- lich schwierig, die zum Teil eupho- risch oder negativ geprägten Litera- turmitteilungen abzuwägen und dem Patienten das sicherste Verfahren zu empfehlen.

Sicherlich lassen sich aus jeder Methode in irgendeiner Weise Vortei- le herleiten, sei es auch nur aus der Technik, der Dauer des Eingriffes oder auch der Kostenintensität. Das Wichtigste ist den Patienten das ope- rative Ergebnis und nicht so sehr das Argument der Kosteneffektivität und sonstiger Nebeneffekte. Das „Ergeb- nis“ wird durch eventuelle Nachope- rationen, Dauer der Arbeitsunfähig-

keit, Notwendigkeit konservativer Therapien, das heißt durch die erziel- te Lebensqualität bestimmt.

Die Literaturergebnisse eines Verfahrens sind außerordentlich wi- dersprüchlich; es fehlen gute rando- misierte Studien in ausreichender Zahl, das arithmetische Mittel gesam- melter Ergebnisse von Studien wird wegen der schlechten wissenschaftli- chen Qualität und des Designs man- cher Veröffentlichungen einem Ver- fahren nicht gerecht. Um die Wertig- keit und Allgemeingültigkeit nicht schlüssiger und widersprechender Aus- sagen verschiedener Studien zu verbes- sern, haben wir uns der Metaanalyse bedient, eines Werkzeugs, das die me- thodischen Mängel und die unter- schiedliche wissenschaftliche Qualität verschiedener Arbeiten mit berück- sichtigt. Mit der Metaanalyse hofften wir Antworten auf unsere Fragen zu bekommen, ob und inwieweit sich die Ergebnisse der indirekten, minimal invasiven Verfahren (Chemonukleo- lyse, perkutane Nukleotomie und La- ser-Nukleotomie) untereinander un- terscheiden, ob die direkten endosko- pischen Nukleotomien bessere Er- gebnisse erzielen und wie die minimal invasiven Verfahren im Vergleich zur offenen mikrochirurgischen Band- scheibenchirurgie abschneiden. Aus 1 800 Treffern einer Med-Line-Re- cherche der Jahre 1983 bis 1996 ka- men nur geeignete Publikationen mit 20 148 Patienten zur Auswertung in Frage.

In der Literatur fällt die breite Streuung der Ergebnisse auf (Tabelle 1). Auffällig war sie besonders bei der automatisch perkutanen Nukleoto- mie (zwischen 0 und 92 Prozent gute Ergebnisse) und endoskopisch perku- Tabelle 3

Durchschnittsergebnisse (Prozent) bei Wichtung der Studienqualität

Methode gut mittel schlecht

APLD 54 19 27

Chemonukleolyse 65 12 23

Laser-Dekompression 63 19 18

Endoskopische Discektomie 70 10 20

„offene“ Nukleotomie 81 12 7

p = 0,001; APLD, automatisierte perkutane lumbale Discektomie Tabelle 2

Durchschnittsergebnisse und Reoperationen (Prozent) vor der Wichtung der Studienqualität

Methode gut mittel schlecht Reoperation

APLD 62 16 22 15

Chemonukleolyse 69 11 20 14

Laser-Dekompression 65 13 22 18

Endoskopische Discektomie 74 11 15 14

„offene“ Nukleotomie 80 11 9 5

p = 0,001; APLD, automatisierte perkutane lumbale Discektomie

(5)

tanen Discektomie (ziwschen 38 und 89 Prozent gute Ergebnisse).

Bei den Durchschnittsergebnissen unter biomathematisch-statistischen Bedingungen schnitten die indirekten Verfahren schlechter ab als die direk- ten, und beide fielen deutlich hinter die offene Bandscheibenoperation zurück (Tabelle 2). Dies zeigt sich auch in der Zahl der Re-Operationen.

Das Ergebnis wurde noch deutli- cher, wenn die Qualität der Arbeit Ein- gang in die Bewertung fand (Tabelle 3).

Diese wurde mit Hilfe einer Werteska- la (quality assessment score) bestimmt.

Arbeiten mit einem euphorischen Er- gebnis lag überdurchschnittlich häufig

ein schlechtes Studiendesign zugrun- de. In diesen gewichteten Ergebnissen offenbaren sich das Gefühl und die Einstellung des Autors zur Operation.

Je sorgfältiger die Arbeit konzipiert war, desto kritischer war das Urteil und desto zurückhaltender war die Emp- fehlung des Arztes für das jeweilige Verfahren (Tabelle 4).

Nach den vorliegenden Ergebnis- sen bleibt festzustellen, daß die auto- matisierte perkutane und Laser-Disc- ektomie wie auch die Chemonukleo- lyse nicht an die Erfolge der offenen Nukleotomie anknüpfen können. Das Ergebnis ist um so deutlicher, wenn man den sogeannten publishing bias mit in die Diskussion einbezieht. Be- kanntermaßen werden eher Studien zur Publikation eingereicht und abge- nommen, bei denen die untersuchte Methode erfolgreich war (7). Dies gilt auch hier, so daß die von den minimal invasiven Verfahren erzielten Werte eher nach unten zu korrigieren sind.

Dies trifft weniger für die offenen Operationen zu, da es sich hier aus- schießlich um Kontrollgruppen han-

delt, für die kein publishing bias zu er- warten ist.

Die Publikationshäufigkeit eines Verfahrens spiegelt die Interessenver- lagerung und Akzeptanz eines Verfah- rens wider. Die Jahre 1983 bis 1986 wa- ren die hohe Zeit der Chemonukleoly- se, in den frühen neunziger Jahren lag das Interesse besonders bei der auto- matisierten perkutanen Nukleotomie, während die Auseinandersetzung mit der Lasernukleotomie noch nicht ab- geschlossen ist. Die Ursache des stän- digen Wechsels ist die geringe Lei- stungsfähigkeit eines Verfahrens, die sich in den unbefriedigenden Resulta- ten widerspiegelt. Nach der ermittelten

Statistik scheint daher der Weg für manche Verfahren vorgezeichnet zu sein. Ein Vorteil der minimal invasiven Verfahren wird in der geringeren Mor- bidität gesehen (Textkasten Vorteile).

Instabilitäten, die nach offenen Stan- dardoperationen aufgedeckt werden, sind jedoch nicht die Folge des chirur- gischen Eingriffes, sondern gehen auf das Konto der bereits präoperativ be- stehenden Bandschreibendegenerati- on (26), die nach dem minimal invasi-

ven Verfahren ebenso besteht und deren Krankheitswert darüber hinaus fraglich ist. Und es hat sich auch die Er- kenntnis durchgesetzt, daß die peridu- rale Fibrose keineswegs mit postope- rativ weiterbestehenden Beschwerden in Zusammenhang gebracht werden kann, so daß das Argument der Umge- hung des Wirbelkanals seine klinische Relevanz weitgehend verloren hat.

Wenn diese Argumente eine Rolle spielen würden, müßten die Ergebnis- se der minimal invasiven Therapie deutlich besser sein. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Zusammenfassend können wir daher sagen, daß die vorliegende Lite- ratur die Wirksamkeit des Therapie- prinzips des ungezielten Entfernens von Bandscheibengewebe aus dem Bandscheibenfach, unabhängig davon, welche technische Methode ange- wandt wird, nicht nachweist. Inwieweit die technisch wesentlich anspruchs- volleren endoskopischen Verfahren ihrem Anspruch gerecht werden, kann heute noch nicht sicher beurteilt wer- den. Insgesamt schneiden aber auch sie schlechter als die offene Nukleotomie ab. Abzulehnen ist unseres Erachtens die Auffassung, daß nach einem Rück- schlag eines minimal invasiven Verfah- rens immer noch die offene Nukleoto- mie bleibt. Das Geheimnis des Erfol- ges liegt nach wie vor in der richtigen Indikation und einer disziplinierten mikroskopischen Operationstechnik.

Voraussetzung für gute Ergebnis- se sind Trainingsprogramme in Opera- tionskursen, die in entsprechend aus- gerüsteten Kliniken mit bevorzugter mikroskopischer Technik angeboten werden und absolviert werden sollten.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-548–552 [Heft 9]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Klaus-Peter Schulitz Direktor der Orthopädischen Klinik Medizinische Einrichtungen der Heinrich-Heine-Universität Moorenstraße 5 · 40225 Düsseldorf Vorteile der minimal invasiven

Bandscheibenoperation c Schonung myoligamentärer

Strukturen

– Gewährleistung der Stabilität

– geringere Degeneration c Schonung des epiduralen

Venensystems

– Vermeidung von Blutungen – Verminderung von

periduraler Fibrose Tabelle 4

Urteile der Autoren über die Anwendbarkeit minimal invasiver Verfahren beim Bandscheiben- vorfall im Zusammenhang mit der Güte der Publikationen

Art des Designs empfehlenswert kaum oder nicht empfehlenswert

(Prozent) (Prozent)

schlecht 95 5

mittel 85 15

gut 46 54

p = 0,005

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