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Archiv "Arzneimittelforschung an Schwangeren: Besonderer Schutz – aber kein Ausschluss aus der Forschung" (11.04.2003)

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A970 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1511. April 2003

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ie medizinischen Kenntnisse über die Behandlung von Krankheiten während der Schwangerschaft sind in der Regel begrenzt. Zwar sind zahlreiche physiologische Veränderun- gen des schwangeren Metabolismus be- kannt. Viele Arzneimittel sind jedoch nicht ausreichend in ihrer Wirkung auf den schwangeren Organismus er- forscht. Andere werden wegen ihres te- ratogenen Potenzials nicht eingesetzt.

Angesichts des relativ gerin- gen Anteils Schwangerer und der Haftungsrisiken hat sich die Pharmaindustrie in den letzten Jahren zurückgehal- ten. Entsprechend häufig fin- det sich auf Beipackzetteln der lapidare Hinweis, dass das betreffende Medikament in Schwangerschaft und Stillzeit vorsichtshalber nicht einge- nommen werden sollte, da nur unzureichende Erfahrun- gen vorlägen. In vielen Fällen wird sogar vor der Einnah- me während der Schwanger- schaft gewarnt. Für die Praxis bedeutet dies: Schwangere

werden zumeist mit großer Vorsicht aus einem Standardrepertoire an Medika- menten therapiert.

Der Rückzug auf bewährte Medika- mente und die Zurückhaltung in der Erprobung neuer Therapieoptionen an Schwangeren sind durchaus verständ- lich. Einerseits hat der Thalidomid- (Contergan-)Skandal der 60er-Jahre Ärzte, Forscher und auch einen Teil der Schwangeren langfristig sensibilisiert.

Andererseits sind klinische Studien an Schwangeren grundsätzlich ein kom- plexes medizinethisches Problem: Sind schwangere Frauen nicht zur Gruppe vulnerabler Personen zu zählen, denen

eine Teilnahme an wissenschaftlichen Studien nicht zugemutet werden kann?

Ist nicht auch der Embryo beziehungs- weise Fetus Proband, der sein Einver- ständnis nicht geben kann? Häufig wird wegen dieser besonderen Umstände angenommen, Forschung an dieser Per-

sonengruppe sei grundsätzlich ausge- schlossen.

Doch die zurzeit unzureichende me- dizinische Wissensbasis ist in ethischer Hinsicht ebenfalls problematisch. So ha- ben in einer französischen Studie 99 Prozent des untersuchten Kollektivs von 1 000 Frauen mindestens ein Rezept während der Schwangerschaft erhalten;

im Durchschnitt wurden knapp 14 Me- dikamente pro Schwangerschaft ver- schrieben. In 80 Prozent dieser Medika- mente standen keine durch Vorstudien an Tieren oder menschlichen Versuchs- personen gewonnenen Informationen zur Sicherheit der Einnahme in der

Schwangerschaft zur Verfügung (1). Auf der anderen Seite kann die unsichere Datenlage hinsichtlich der Teratoge- nität bewirken, dass Schwangere auch auf notwendige therapeutische Maß- nahmen lieber verzichten. Möglicher- weise lassen sie aus Angst, einem Em- bryo in der Frühschwangerschaft durch Medikamenteneinnahme geschadet zu haben, Abtreibungen vornehmen (2).

Eine restriktive Verschreibungspraxis kann außerdem zu unkon- trollierter Selbstmedikation führen. Zudem stößt das etablierte Behandlungsreper- toire rasch an seine Grenzen, etwa bei seltenen oder neu auftretenden Erkrankungen.

In den letzten Jahren ist daher das Argument in die Debatte eingebracht worden, dass Arzneimittelforschung an Schwangeren unter be- stimmten Voraussetzungen nicht nur in Erwägung zu zie- hen, sondern sogar geboten sei. Es sei nicht nur eine Fra- ge der Gerechtigkeit, auch Schwangeren bestmögliche diagnostische und therapeutische Stan- dards zukommen zu lassen; auch der Autonomie der Schwangeren, selbst über die Teilnahme an Forschungspro- jekten zu entscheiden, müsse Rechnung getragen werden. Sowohl in den USA als auch in Europa sind in den letzten Jahren Richtlinien entwickelt worden mit der Absicht, Rahmenbedingungen für klinische Studien an Schwangeren zu definieren, die der Schutzwürdigkeit des besonderen Zustands der Schwan- gerschaft Rechnung tragen.

Im Anschluss an die gesellschaftspoli- tische Forderung, geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzneimittelfor-

Arzneimittelforschung an Schwangeren

Besonderer Schutz – aber kein Ausschluss aus der Forschung

Eine differenzierte Diskussion über die Einbeziehung schwangerer Frauen in klinische Studien ist in Deutschland noch nicht im Gange.

Nikola Biller-Andorno Verina Wild

Schwangere sollten nach angemessener Aufklärung selbst über die Teilnahme an Studien entscheiden können.

Foto:Markus Dlouhy/Das Fotoarchiv

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schung zu beachten, wurde in den USA seit Anfang der 90er-Jahre auf die Be- rücksichtigung von schwangerschafts- spezifischen Aspekten in der Arzneimit- telforschung hingewiesen (3). So forder- te das 1992 vom Institute of Medicine der National Academy of Sciences ein- berufene „Committee on the Ethical and Legal Issues Relating to the Inclu- sion of Women in Clinical Studies“, For- schung an Schwangeren zuzulassen (4).

Seit den 70er-Jahren waren Schwangere als vulnerable und daher besonders schutzwürdige Gruppe von klinischen Studien in den meisten Fällen ausge- schlossen worden. Prinzipiell kamen Frauen im gebärfähigen Alter nicht für Studien der Phase I und II und nur unter bestimmten Voraussetzungen für Studi- en der Phase III in Betracht (5). Der Be- richt des Komitees verwies aktuell auf die unzureichend erforschten Wirkun- gen von Pharmaka im schwangeren Or- ganismus und die daraus resultierenden suboptimalen therapeutischen Möglich- keiten und argumentierte, Schwangere sollten nach angemessener Aufklärung selbst über die Teilnahme an Studien entscheiden können.

Kurze Zeit später überarbeitete die Food and Drug Administration (FDA) ihre zunächst sehr restriktiven Richtli- nien und ließ nicht nur den Einschluss von Frauen im gebärfähigen Alter in klinische Studien zu, sondern ermög- lichte auch die Teilnahme schwangerer Frauen im Fall lebensbedrohlicher Er- krankungen und schwangerschaftsspe- zifischer Krankheiten (6). Diese Be- schränkungen wurden vom American College of Obstetricians and Gynecolo- gists (ACOG) infrage gestellt, das in seiner „ACOG Committee opinion“

von 1998 fordert, Schwangere auch in Studien zu nichtschwangerschaftsspezi- fischen Erkrankungen einzubeziehen (7). Dabei soll jedoch das Wohlergehen der schwangeren Frau und ihres Fetus stets Vorrang vor wissenschaftlichen In- teressen haben.

Mittlerweile ist die Teilnahme von Schwangeren an klinischen Studien un- ter bestimmten Voraussetzungen zuläs- sig. Im § 46.204 des US-amerikanischen Code of Federal Regulations, der 2001 überarbeitet worden ist, werden die Be- dingungen für Forschung an Schwange- ren juristisch festgelegt. Dazu zählen:

ausreichende Vorversuche an Tieren und Nichtschwangeren, die eine Einschät- zung des Risikos für die schwangere Frau und den Fetus erlauben; ein erwar- teter direkter therapeutischer Nutzen für die Schwangere oder den Fetus be- ziehungsweise ein minimales Risiko für den Fetus, falls kein therapeutischer Nutzen für die Schwangere zu erwar- ten ist; die informierte Zustimmung der Schwangeren und der Verzicht auf fi- nanzielle oder andere Anreize für die Beendigung einer Schwangerschaft (8).

Im September 2001 haben FDA und das US-Department of Health and Hu- man Services den Beginn einer Serie von klinischen Arzneimittelstudien an- gekündigt, die sich zunächst auf Me- dikamente konzentrieren, die bereits häufig in der Schwangerschaft einge- nommen werden.

Informierte Zustimmung

Auch in Europa haben einige Länder sich der Debatte angenommen. In Nor- wegen hat das National Committee for Medical Research Ethics in Norway im Auftrag des Gesundheitsministeriums einen Bericht zum Thema Frauenge- sundheit verfasst. Die 2001 auf dieser Basis erarbeiteten Richtlinien fordern nicht nur die Einbeziehung beider Ge- schlechter in klinische Studien und die Analyse der Ergebnisse im Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterschiede, sondern betonen darüber hinaus die Notwendigkeit, Frauen im gebärfähi- gen Alter und Schwangere einzu- schließen – Letztere, soweit es sich um Studien handelt, die für die Situation schwangerer Frauen wichtig sind (9).

Im Sommer 2001 veröffentlichte das Steering Committee on Bioethics des Europarats den Entwurf eines Zusatz- protokolls zur Konvention zu Men- schenrechten und Biomedizin, der sich mit biomedizinischer Forschung befasst (10). Auch darin wird vorgeschlagen, Forschung an schwangeren und stillen- den Frauen unter bestimmten Voraus- setzungen zuzulassen. Die wichtigsten Auflagen lauten: informierte Zustim- mung; potenzieller Nutzen für die schwangere Frau oder den Fetus oder zumindest für andere schwangere Frau- en beziehungsweise Feten; die Unmög-

lichkeit, die Studie an nichtschwangeren Frauen durchzuführen; ein angemes- senes Nutzen-Risiko-Verhältnis bezie- hungsweise ein minimales Risiko bei nichttherapeutischer Forschung. Dieses Zusatzprotokoll wird gegenwärtig den Mitgliedstaaten und Nichtregierungsor- ganisationen vorgestellt. Nach erneuter Diskussion im Steering Committee soll es der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und schließlich dem Mi- nisterrat vorgestellt werden.

In Deutschland ist bisher nur die For- derung nach verstärkter Einbeziehung von Frauen als Probandinnen in klini- sche Studien in einer breiteren wissen- schaftlichen Öffentlichkeit diskutiert worden. Dabei wird zumeist die Frage der Kontrazeption als Voraussetzung für eine Studienteilnahme erörtert (11).

Einige Konferenzen in den letzten Jahren betonten geschlechtsspezifische Unterschiede und deren Bedeutung für Krankheitsbilder, Diagnostik und The- rapie (12, 13). Die noch unzureichend umgesetzte Forderung, Frauen in die Arzneimittelforschung mit einzubezie- hen, hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt durch einen Appell an Arzneimittelhersteller im März 2002 bekräftigt (14). Die Frage der klini- schen Forschung an Schwangeren hin- gegen ist in Deutschland bislang in rela- tiv geringem Maße diskutiert worden.

Zu Recht werden schwangere Frau- en besonders geschützt. In der Vergan- genheit sind sie für moralisch höchst zweifelhafte Forschungsprojekte ver- wendet worden (15). Dennoch ist zu fragen, ob der besondere Status der Schwangeren und der Schutz des Unge- borenen einen kategorischen Aus- schluss aus der Forschung bedeuten muss und ob eine zu große Vorsicht in eine Stagnation der Behandlungsper- spektiven Schwangerer mündet. Denn eine Übertragung von Studienergebnis- sen an Versuchstieren, von gesunden Probanden oder nichtschwangeren Frauen auf Schwangere kann nur sehr eingeschränkt erfolgen.

Auch Arzneimittelinformationssy- steme und Beratungszentren für Re- produktionstoxikologie können kon- trollierte Studien nicht ersetzen, ob- gleich sie zweifellos wichtige ergänzen- de Elemente darstellen. So besteht zum Beispiel an der Medizinischen Hoch- T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1511. April 2003 AA971

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inem DRG-System liegt die Idee zu- grunde, mit objektivierbaren medizi- nischen Kriterien (Diagnosen, Ope- rationen und anderen Prozeduren) und anderen Merkmalen Fallgruppen be- schreiben und von einander abgrenzen zu können, in denen die personellen und Sachaufwendungen – die Kosten für Diagnostik, Therapie und Pflege – ver- gleichbar sind. Diese Merkmale müssen also prädiktiv für die durchschnittlichen Kosten in der jeweiligen Fallgruppe sein.

Das ist desto eher gewährleistet, je ähnli- cher sich die Patienten in der jeweiligen Fallgruppe (DRG) sind. Dennoch wer- den die Kosten aber immer um einen mittleren Wert streuen (Kostenvarianz).

Treibender Parameter für die Zu- sammenfassung bestimmter Fallkon- stellationen in einer DRG sind also die Kosten. Grundsätzlich ließen sich die

unterschiedlichsten medizinischen Pro- blemkonstellationen in einer DRG zu- sammenfassen, sofern die jeweiligen Ko- sten vergleichbar wären. Treibender Pa- rameter ist nicht primär die medizinische Logik. Jedoch ermöglichen medizinisch nicht plausible Gruppenbildungen keine Transparenz der Leistungen und beein- trächtigen die Akzeptanz. Andererseits würde ein DRG-System, das allein me- dizinischen Kriterien Rechnung tragen will, einen Differenzierungsgrad (Anzahl von DRGs) erreichen, der die Handhab- barkeit beeinträchtigt. Ein DRG-System stellt also einen Kompromiss zwischen medizinischer Plausibilität, Kostenho- mogenität und Praktikabilität dar.

Die Ist-Kosten einer möglichst um- fassenden und großen Stichprobe von Patienten aus einer möglichst großen, repräsentativen Stichprobe von Kran- kenhäusern bilden die Grundlage für die Ermittlung des Entgelts, das für den Behandlungsfall zu beanspruchen ist.

Dabei werden die mittleren Kosten nicht mit dem Entgelt gleichgesetzt.

Vielmehr wird das Verhältnis der mitt- leren Kosten zueinander – bezogen auf eine möglichst wenig variierende Be- schule Hannover seit 1994 ein Arznei-

mittelinformationssystem, das Rück- meldungen über Erfahrungen mit Me- dikamenten entgegennimmt und Fra- gen bezüglich der Teratogenität oder Embryotoxizität von Medikamenten, nach Therapiemöglichkeiten und nach Dosierungsangaben beantwortet (16).

Auf europäischer Ebene existiert dar- über hinaus das „European Network of Teratology Information Services“ (17).

Eine Diskussion zur Einbeziehung schwangerer Frauen in klinische Studi- en, wie sie in Deutschland noch aus- steht, würde sich daher einzelnen Studi- entypen und der Frage nach angemes- senen Rahmenbedingungen zuwenden.

Voraussetzungen für die Teilnahme schwangerer Frauen an klinischen Stu- dien müssten ebenso spezifiziert wer- den wie die Haftungsregelungen für fe- tale Schäden. Bedarf bestünde schließ- lich insbesondere an medizinethischer Begleitforschung, wobei unter anderem die Bedeutung der besonderen Bezie- hung zwischen Schwangerer und Fetus für eine Studienteilnahme oder die Be- dingungen für eine freie und informier- te Zustimmung in der Schwangerschaft genauer zu untersuchen wären (18). Die verstärkte Berücksichtigung schwange- rer Frauen in klinischen Studien wird das grundsätzliche Dilemma nicht lö- sen, in dem sich der behandelnde Arzt befindet: Beim Einsatz von Arzneimit- teln in der Schangerschaft handelt es sich in den meisten Fällen um eine Gü- terabwägung zwischen einer unterlasse- nen Behandlung und deren Risiko für Mutter und Kind und einer potenziel- len Gefährdung des Kindes durch das Arzneimittel. Doch aktuelle und verläss- liche Daten, die im Rahmen guter Stu- dien gewonnen werden, können dazu beitragen, die Basis für diese verant- wortungsvollen Entscheidungen zu ver- bessern.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 970–972 [Heft 15]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1503 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Dr. phil. Nikola Biller-Andorno Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin

Universität Göttingen

Humboldtallee 36, 37073 Göttingen

Krankenhäuser

Kostenvarianz im

Pauschalentgeltsystem

Grafik

Varianz am Beispiel der Zuordnung einer Stichprobe von Patienten zu den beiden Fallpauschalen für Appendektomie (ohne und mit schweren oder schwersten Komplikationen und Komorbiditäten [„CC“]): Häufigkeitsverteilung der logarith- mierten Verweildauern

Die Kostenvarianz ist plausibel und simpel, aber folgenschwer.

Jürgen Fritze

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zugsleistung oder auf den gewichteten Mittelwert aller Leistungen – ermittelt.

Dieses Verhältnis wird Bewertungsrela- tion oder Relativgewicht genannt. Das Entgelt ergibt sich dann als Produkt aus dem Preis der Bezugsgröße und dem Relativgewicht. Aus den Streuungen der Ist-Kosten in der Stichprobe erge- ben sich zwangsläufig Streuungen der Relativgewichte. Je höher diese Streu- ung ist, desto höhere ökonomische Risi- ken ergeben sich daraus, dass das Ent- gelt nicht den tatsächlichen Kosten des einzelnen Behandlungsfalls entspricht.

Übersteigen die Behandlungskosten das Entgelt, so erleidet das Kranken- haus durch diesen Behandlungsfall ei- nen Verlust. Im umgekehrten Fall er- zielt das Krankenhaus einen Gewinn, die Versicherung (oder der Versicherte) zahlt aber ein „überhöhtes“ Entgelt.

In Deutschland sind Krankenhäuser und Kostenträger dem Gemeinwohl verpflichtet. Deshalb ist dieser Gesund- heitsmarkt reguliert. Die Möglichkei- ten der Krankenhäuser, im Preiswett- bewerb Profite zu erzielen, sind ein- geschränkt (zum Beispiel Mehrerlös- ausgleiche). Analog werden Verluste teilweise ausgeglichen (Mindererlös- ausgleiche). Im DRG-System geht der Gesetzgeber davon aus, dass sich die Ri- siken aus der Streuung der Kosten die Waage halten. Dies kann aber nur funk- tionieren, wenn die Fallzahlen hinrei- chend groß sind. Je geringer die Fall- zahl, desto höher wird das Risiko von Verlusten. Deshalb hat der Gesetzgeber für die Einführungsphase des DRG-Sy- stems die Budgetneutralität mit kran- kenhaus-individuellem Wert der Be- zugsgröße (Base Rate) sowie in der so genannten Konvergenzphase eine nur schrittweise Überführung in eine lan- deseinheitliche Base Rate vorgesehen.

Über analoge Schutzmechanismen verfügen die Versicherungen (GKV;

PKV) nicht. Immerhin sieht die Verord- nung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser (KFPV) tagesbezoge- ne, DRG-spezifische Abschläge von der Fallpauschale (DRG) bei Unterschrei- ten der DRG-spezifischen unteren Grenzverweildauer vor. Andererseits hat der Versicherte/Versicherer DRG- spezifische Tagesentgelte bei Über- schreiten der DRG-spezifischen oberen Grenzverweildauer zu entrichten.

Eines der Ziele der Einführung des DRG-Systems ist die Steigerung der Ef- fizienz. Dazu gehört auch die Speziali- sierung, das heißt auf Leistungen, die ohnehin nur selten erbracht werden, ganz zu verzichten. Hierzu geben die ökonomischen Risiken aus geringer Fallzahl einen Anreiz. Jedoch besteht ebenso ein Anreiz, aus dem Spektrum der Krankheitsfälle einer DRG nur jene mit geringen Kosten zu selektieren.

Außerdem besteht der Anreiz, aufwen- digere Krankheitsfälle frühzeitig zu ver- legen oder zu entlassen oder Leistungs- komponenten vorzuenthalten, also Qua- litätsdefizite in Kauf zu nehmen.

Reduktion der Varianzen

Die Verfeinerungen der international gebräuchlichen DRG-Systeme in den 25 Jahren seit Implementierung der Yale-DRGs galten der Reduktion der Varianzen, also der Erhöhung der Ko- stenhomogenität [1]. Die Variationsko- effizienten sollten unter 50 Prozent lie- gen. Dieses Ziel wird selten erreicht [2].

Zu den Quellen der Varianz gehören un- ter anderem Unschärfen der Klassifikati- on von Diagnosen und Prozeduren, davon unabhängige Unterschiede im Pflegebedarf selbst medizinisch sehr ähn- licher Behandlungsfälle, Unterschiede der Behandlungsstrategien und -organi- sation, Ungenauigkeiten der Kostener- fassung und auch echte Unterschiede der Kosten zwischen den Krankenhäusern.

Für das erste deutsche – von den Krankenhäusern optional anzuwen- dende – DRG-System hat das Bundes- ministerium für Gesundheit die Bewer- tungsrelationen veröffentlicht, nicht aber die dahinter stehenden Varianzen.

Die Falldefinitionen wurden vom au- stralischen System auf die deutschen Klassifikationssysteme übertragen, das heißt, sie wurden nicht im Sinne opti- mierter Kostenhomogenität modifi- ziert. Zur Varianzreduktion dient unter anderem das Einführen neuer DRG- Splits. Hierfür werden in Australien derzeit folgende Kriterien gefordert:

Reduktion der Streuung (5 Prozent) der Verweildauer und der Kosten, bezo- gen auf die ursprüngliche DRG und die neu gebildete DRG, mittlere Differenz bei Gesamtkosten und Verweildauer

zur teureren DRG mindestens 20 Pro- zent, wobei die Verweildauern um min- destens zwei Tage differieren müssen, Variationskoeffizient (CV) der Ge- samtkosten und/oder der Verweildau- ern in der neu geformten Fallgruppe muss kleiner als ein Drittel des CV der Originalgruppe sein, die neue DRG enthält 500 Fälle und 10 Prozent der Fälle der ursprünglichen DRG. Weite- res Instrument zur Varianzverringerung ist die Ausgliederung von Leistungen (zum Beispiel Intensivmedizin, Rehabi- litation). Die Selbstverwaltung ringt derzeit darum, sich für das deutsche DRG-System auf ein vergleichbares Regelwerk zu verständigen.

Die Grafik vermittelt einen Ein- druck über die Streuung der Ver- weildauern (und damit auch der Ko- sten) anhand einer klar definierbaren Intervention, der Appendektomie. Die Häufigkeiten der Verweildauern und Kosten jedes Falles sind nicht normal verteilt, und die Streuungen sind hoch.

Würde man hier die Mittelwerte bilden, wären diese wenig repräsentativ. Des- halb werden zur Ermittlung der Stan- dardgrößen mittlere Verweildauer (und deren Standardabweichung) und Rela- tivgewicht die Verweildauern und Ko- sten logarithmiert und die Mittelwerte der Logarithmen gebildet. Die Stan- dardgrößen ergeben sich aus den wie- der entlogarithmierten Werten.

Die Logarithmierung liefert nähe- rungsweise Normalverteilungen und verringert die Varianz. Die Fallpauscha- lenverordnung schreibt grundsätzlich für die obere Grenzverweildauer den Mittelwert plus zwei Standardabwei- chungen vor; nur fünf bis sechs Prozent der Fälle sollen die Grenzverweildauer überschreiten.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 972–974 [Heft 15]

Literatur

1. Averill R, Muldoon J, Vertrees J, Goldfield N, Mullin R, Fineran E, Zhang M, Steinbeck B, Grant T: The Evolu- tion of Casemix Measurement Using Diagnosis Relat- ed Groups (DRGs). HIS Research Report 5 (1998) 1–40.

2. Fischer W: Diagnosis related groups (DRGs) und verwandte Patientenklassifikationssysteme. Kurzbe- schreibung und Beurteilung. Wolfertswil 2000.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Jürgen Fritze

Verband der privaten Krankenversicherung e.V.

Bayenthalgürtel 26, 50968 Köln T H E M E N D E R Z E I T

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A974 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1511. April 2003

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