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Archiv "Arzneimittelforschung" (23.04.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 16

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23. April 2010 277

M E D I Z I N

EDITORIAL

Arzneimittelforschung: Marketing vor Evidenz, Umsatz vor Sicherheit

David Klemperer

Editorial zum Beitrag: „Finanzie-

rung von Arznei- mittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen und die Folgen – Teil 1: Qualitative

systematische Literaturübersicht

zum Einfluss auf Studienergebnisse, -protokoll und -qualität“ auf den folgenden Seiten von Gisela Schott

et al.

wahren Wirkungen ihrer Produkte im Unklaren. Die Wissensgrundlage, auf der wir Ärzte Behandlungsent- scheidungen mit unseren Patienten treffen, ist häufig verfälscht. Dadurch gefährden wir unsere Patienten un- wissentlich. So hat Rofecoxib nach Berechnungen von Topol (5) 160 000 zusätzliche Herzinfarkte und Schlag- anfälle pro 10 Millionen exponierter Patienten ausge- löst. Durch manipulative Auswertung und selektive Weitergabe von Daten an die Zulassungsbehörden hat der Hersteller das Wissen um die Schadwirkungen der Öffentlichkeit vorenthalten (6). Ein kürzlich erschiene- ner Untersuchungsbericht des amerikanischen Senats über GlaxoSmithKline und das Diabetes-Medikament mit dem Wirkstoff Rosiglitazon kommt zum Ergebnis, dass man im Unternehmen frühzeitig von der Erhöhung des Herzinfarktrisikos durch Rosiglitazon wusste, die- ses Wissen jedoch nicht weitergab sondern es zu ver- schleiern versuchte (7, 8).

Die Arzneimittelforschung befindet sich in einer Schieflage. Die Mehrzahl der Studien wird von der In- dustrie finanziert. Große pharmazeutische Firmen ha- ben in zahlreichen, durch interne Dokumente und Un- terlagen gut dokumentierten Fällen die Evidenz verbo- gen, bis sie für das Marketing tauglich war (9).

Transparenz als Mittel gegen Manipulation Was können wir Ärzte zur Lösung beitragen? Als erstes muss man die Zustände als nicht hinnehmbar benen- nen. Es gilt, den Zweck der Arzneimittelforschung wie- der in den Mittelpunkt zu rücken, nämlich Krankheiten mit Substanzen zu behandeln, die über eine möglichst günstige Relation von Nutzenwahrscheinlichkeiten und Schadensrisiken verfügen. Daraus ergeben sich einige Schritte wie von selbst.

Da sich Akteure zumeist anreizgerecht verhalten, gilt es, die Anreize zu verändern. Werden beispielsweise Arzneimittel nur bei erwiesenem Zusatznutzen für pa- tientenrelevante Endpunkte im Indikationsgebiet zuge- lassen, wie bereits 1990 vom Deutschen Ärztetag ge- fordert (http://davidklemperer.de/1990aet.pdf), wird die Industrie die Endpunkte ihrer Studien entsprechend definieren. Die Eckpunkte zur Umsetzung des Koaliti- onsvertrags für die Arzneimittelversorgung stellen ei- nen Schritt in diese Richtung dar, wenn die Anforde- rungen an die Informationspflichten der Hersteller klar, stringent und verbindlich sind. Gegen Manipulation von Studien ist Transparenz das probate Mittel. Aus

W

as würden Sie sagen, wenn der Ausgang eines Fußballspiels von einem der Vereine mit 5 : 0 und vom gegnerischen Verein mit 3 : 1 gemeldet wür- de, und zwar jeweils für die eigene Mannschaft? Genau dies ist das Ergebnis einer (1) der 57 Studien, die Schott et al. für ihre systematische Übersichtsarbeit (2) auf den folgenden Seiten zur Frage des Zusammenhangs von Finanzierung und Ergebnissen von Arzneimittel- studien ausgewertet haben: In fünf Studien hat die Fir- ma Lilly ihre Substanz Olanzapin mit Risperidon ver- glichen (Ergebnis 5 : 0 für Olanzapin) und in vier Stu- dien die Firma Janssen ihr Risperidon mit Olanzapin (Ergebnis 3 : 1 für Risperidon).

Dieses Beispiel ist genauso irritierend wie kenn- zeichnend. Schott et al. weisen im ersten Teil ihrer in dieser und der nächsten Ausgabe des Deutschen Ärzte- blatts erscheinenden Arbeit nach, dass Studien, die von der Industrie finanziert werden, für die untersuchte Substanz häufiger positive Ergebnisse erbringen als an- derweitig finanzierte Studien. Die Autoren knüpfen methodisch und chronologisch an die systematische Übersichtsarbeit von Bekelman et al. (3) an und gelan- gen zu vergleichbaren, konsistenten Ergebnissen, die sich somit auf den Zeitraum von 1980 bis Ende 2009 beziehen. Überdeutlich erscheinen jetzt die systemati- schen Verzerrungen (Bias) beim Generieren von Arz- neimittelwissen, die sich auf ein breites Spektrum von Substanzen beziehen, unter Beteiligung aller großen forschenden pharmazeutischen Firmen.

Manipulationstechniken

Wie die erwünschten Ergebnisse erzeugt werden, ist kein Geheimnis. Einer Studie einen Drall in die ge- wünschte Richtung zu geben, ist in jeder Phase des For- schungsprozesses möglich. Die Resultate können un- terschiedlich ausfallen, je nachdem, was gefragt und was nicht gefragt wird, welche der möglichen End- punkte einbezogen werden, welche Patienten ein- und ausgeschlossen werden, womit verglichen und welche Studiendauer gewählt wird. Bei der Auswertung ist die stillschweigende Veränderung primärer und sekundärer Endpunkte gang und gäbe (4). Das Verschweigen von Ergebnissen, die der Vermarktung einer Substanz hin- derlich sein könnten, sowie die Uminterpretation nega- tiver und nicht eindeutiger Ergebnisse in positive sind weitere Mittel der Manipulation. Pharmazeutische Fir- men lassen somit Ärzte und Patienten häufig über die

Fakultät Sozialwesen, Hochschule Regens- burg: Prof. Dr. med.

Klemperer

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wissenschaftlicher Sicht spricht alles dafür und nichts dagegen, Studienprotokolle schon vor der Rekrutierung der Patienten einer breiten Fachöffentlichkeit vorzule- gen, um eventuell Schwachstellen zu erkennen, bevor es zu spät ist. Für Cochrane-Reviews ist das eine schon lange geübte und bewährte Praxis. Auch die Rohdaten sollten kein Betriebsgeheimnis sein. Die Gewinnung und Auswertung der Daten sollte genauso nachvoll- ziehbar sein wie ihre Interpretation. Studienregister stellen einen wichtigen Fortschritt dar, insbesondere zur Bekämpfung des Publikationsbias. Die von der WHO und anderen Organisationen für Register klini- scher Studien geforderten Angaben (10) reichen für die notwendige Transparenz jedoch nicht aus.

Wenn wir es ernst meinen mit dem Patientenwohl, können die Dinge nicht so bleiben wie sie sind. Lösun- gen zu finden, dürfte weniger schwer sein als sie durch- zusetzen. Der Gesetzgeber wird die Probleme allein und aus eigenem Antrieb nicht lösen. Die genannten Eckpunkte des Gesundheitsministeriums mögen in die richtige Richtung weisen. Die konkrete Umsetzung führt aber nur zum Ziel, wenn die Erkenntnisse der Stu- die von Schott et al. und das Wissen um die Manipulati- onstechniken angemessen gewürdigt werden. Dazu sollte man die Politik fachlich und politisch durch ein breites Bündnis unterstützen, zu dem die Ärzteschaft, andere Gesundheitsberufe und Verbraucherverbände zählen könnten. Die Bundesärztekammer hat mit der Finanzierung der Schott-Studie ein Zeichen gesetzt.

Jetzt sollte sie die Lehren aus der Studie ziehen und konkrete Forderungen an die Politik richten, damit zum Schutze unserer Patienten die Evidenz über das Marke- ting siegt und Sicherheit vor Umsatz geht. „Nicht scha- den“ muss auch für die pharmazeutische Industrie oberstes Gebot werden.

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

LITERATUR

1. Heres S, Davis J, et al.: Why olanzapine beats risperidone, risperi- done beats quetiapine, and quetiapine beats olanzapine: an explo- ratory analysis of head-to-head comparison studies of second-ge- neration antipsychotics. Am J Psychiatry 2006; 163(2): 185–94.

2. Schott G, Pachl H, Limbach U, Gundert-Remy U, Ludwig W-D, Lieb K: The financing of drug trials by pharmaceutical companies and its consequences: part 1. a qualitative, systematic review of the literature on possible influences on the findings, protocols, and quality of drug trials [Finanzierung von Arzneimittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen und die Folgen – Teil 1: Qualitative systematische Literaturübersicht zum Einfluss auf Studienergebnis- se, -protokoll und -qualität[. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(16):

279–85.

3. Bekelman J E, Li Y, et al.: Scope and impact of financial conflicts of interest in biomedical research: a systematic review. JAMA 2003;

289(4): 454–65.

4. Ewart R, Lausen H, et al.: Undisclosed changes in outcomes in ran- domized controlled trials: an observational study. Ann Fam Med 2009; 7(6): 542–6.

5. Topol EJ: Failing the public health – Rofecoxib, Merck, and the FDA.

N Engl J Med 2004; 351(17): 1707–9.

6. Psaty BM, Kronmal RA: Reporting mortality findings in trials of rofe- coxib for alzheimer disease or cognitive impairment: a case study based on documents from rofecoxib litigation. JAMA 2008;

299(15): 1813–7.

7. Staff Report on GlaxoSmithKline and the Diabetes Drug Avandia.

Prepared by the staff of the Committee on Finance, United States Senate, Max Baucus, Chairman, Chuck Grassley, Ranking Member.

http://finance.senate.gov/press/Gpress/2010/prg022010a.pdf. Ac- cessed March 3, 2010.

8. Nissen SE: Setting the RECORD straight. JAMA 2010; 303(12):

1194–5.

9. Spielmans G, Parry P: From evidence-based medicine to marke- ting-based medicine: evidence from internal industry documents.

Journal of Bioethical Inquiry 2010; 7: 13–29.

10. Dreier G, Hasselblatt H, Antes G, Schumacher M: Das Deutsche Register Klinischer Studien: Begründung, technische und inhaltliche Aspekte, internationale Einbindung. Bundesgesundheitsblatt – Ge- sundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2009; 52(4): 463–8.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. David Klemperer Fakultät Sozialwissenschaften Hochschule Regensburg Seybothstraße 2 93053 Regensburg

E-Mail: david.klemperer@hs-regensburg.de

Drug Research: Marketing Before Evidence, Sales Before Safety

Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(16): 277–8 DOI: 10.3238/arztebl.2010.0277

@

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

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