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Archiv "Wirtschaftlicher Nutzen von Vorsorgemaßnahmen" (24.04.1980)

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Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

Wirtschaftlicher Nutzen von Vorsorgemaßnahmen

Eine Modell-Analyse

Definition

der Kosten-Nutzen-Analyse Die Kosten-Nutzen-Analyse ist ein analytisches Instrumentarium zur Entscheidungsfindung im Bereich der öffentlichen Ausgaben'). Sie hat zur Aufgabe, den Gegenwartswert der Kosten dem der Nutzen einer geplanten Maßnahme gegenüberzu- stellen, wobei auch diejenigen Ko- sten und Nutzen zu berücksichtigen sind, die anderen als den durch die- se Maßnahme Betroffenen erwach- sen 2). Betrachten wir dazu das Bei- spiel der Grippeschutzimpfung. Es gilt hier nicht, die Kosten und Nut- zen einer einzelnen Person zu ermit- teln, die sich impfen läßt oder nicht.

Es gilt auch nicht, die Kosten und Nutzen etwa der Gesetzlichen Kran- kenversicherungen zu bestimmen.

Es ist vielmehr erforderlich, alle Ko- sten und Nutzen gegenüberzustel- len, die durch diese Maßnahme aus-

gelöst werden, unabhängig davon, bei wem und wann sie anfallen.

Die theoretischen Grundlagen wur- den von dem Franzosen Dupuit ent- wickelt und 1844 erstmals veröffent- licht. Zur praktischen Anwendung kam sie jedoch erst im Rahmen was- serwirtschaftlicher Erschließungs- projekte in den USA zu Beginn unse- res Jahrhunderts3). Diese Ansätze gehen ausschließlich auf die dorti- gen Regierungsstellen zurück, vor- nehmlich auf das „Army Corps of Engineers" und das „Department of Agriculture" und führten 1936 zum

„Flood Control Act", in dem erst- mals die Pflicht zur Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen festge- legt wurde4).

In der Bundesrepublik Deutschland sind im Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsät-

zegesetz — HGrG) vom 19. August 19695) im Paragraphen 6, Absatz 2 (Für geeignete Maßnahmen von er- heblicher finanzieller Bedeutung sind Nutzen-Kosten-Untersuchun- gen anzustellen.) und in der Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19. August 19696 ) im Paragra- phen 7, Absatz 2 (gleicher Wortlaut) die gesetzlichen Grundlagen für Ko- sten-Nutzen-Analysen niedergelegt.

Im Jahre 1972 wurde dann zum er- sten Mal im Auftrag des Bundesmi- nisteriums für Jugend, Familie und Gesundheit eine solche Analyse im Bereich des Gesundheitswesens durchgeführt. Es handelte sich da- bei um die Untersuchung der Aus- wirkungen der Schluckimpfung ge- gen Poliomyelitis, die vom Battelle- Institut e. V. in Frankfurt am Main erstellt wurde'). Dieses Institut erar- beitete 1973 eine weitere derartige Analyse für die Grippeschutzimp- fung, die dem hier verwendeten Mo- dell zugrunde liege).

H. Brüngger: Was ist eine Kosten-Nutzen- Analyse, in: G. Kocher (Hrsg.): Kosten-Nut- zen-Analysen im Gesundheitswesen, Phar- ma-Information, Basel 1976, S. 14.

2) J. Wolfslast: Cost-Benefit-Analyse im Ge- sundheitswesen, Hamburg, 1968, S. 21.

3) U. Alter/M. Klausing: Effizienzmessungen im Gesundheitswesen, in: DEUTSCHES ÄRZ- TEBLATT, 45 (1974), S. 3262.

4) W. B. Stoiber: Nutzen-Kosten-Analysen in der Staatswirtschaft, Göttingen 1968, S. 23.

5) BGBl. I S. 1273 vom 23. 8. 1969.

6) BGBl. 1 S. 1284 vom 23.8. 1969.

U. Alter/M. Klausing: Effizienzmessungen im Gesundheitswesen, in: DEUTSCHES ÄRZ- TEBLATT, 45 (1974), S. 3263.

8) U. Alter/M. Klausing: Kosten und Nutzen von Arzneimitteln, Bundesverband der Pharma- zeutischen Industrie (Hrsg.): Pharma-Dia- log, 29 (1974).

Joachim W. Neipp

Dieser Beitrag untersucht die ökonomischen Auswirkungen medizini- scher Vorsorgemaßnahmen. Insbesondere wird erörtert, wie der wirt- schaftliche Nutzen derartiger Maßnahmen gemessen werden kann.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Kosten-Nutzen-Analyse.

Nach einer Darstellung dieses Instrumentariums und seiner histori- schen Entwicklung werden seine konstitutiven Elemente, die volks- wirtschaftlichen Kosten von Krankheiten und, darauf aufbauend. der wirtschaftliche Nutzen medizinischer Vorsorgemaßnahmen unter- sucht. Dabei wird auf Probleme der monetären Bewertung der einzel- nen Kosten- und Nutzenbestandteile und die daraus resultierende Einschränkung der Aussagen der Kosten-Nutzen-Analyse bei medizi- nischen Fragestellungen eingegangen. Die theoretischen Überlegun- gen werden am Modell der Grippeschutzimpfung verdeutlicht. Ein zahlenmäßiges Ergebnis zugunsten oder zuungunsten dieser Impfung wird nicht vorgelegt. Vielmehr werden beispielhaft die bei einer sol- chen Analyse auftretenden Probleme umrissen und Lösungsmöglich- keiten skizziert.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 17 vom 24. April 1980 1129

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Begriff der

volkswirtschaftlichen Kosten von Krankheiten

Der Begriff der volkswirtschaftlichen Kosten von Krankheiten soll darauf hinweisen, daß es im Verlauf einer Erkrankung zu Kosten kommen kann, die nicht von dem einzelnen Erkrankten allein, sondern von der gesamten Gesellschaft getragen werden. Üblicherweise werden sie in direkte und indirekte Kosten unter- schieden, die dann ihrerSeits in ma- terielle und immaterielle (tangible und intangible) getrennt werden können. Die direkten Kosten umfas- sen die Aufwendungen für Gesund- heitsvorsorge und Krankheitshilfe, unabhängig davon, von wem sie im einzelnen getragen werden. Zu den indirekten zählen die volkswirt- schaftlichen Kosten durch Arbeits- unfähigkeit und vorzeitigen Tod 9).

Tangible Kosten sind z. B. die Auf- wendungen für ambulante Behand- lung, intangible z. B. das Erleiden von Schmerzen.

Die immateriellen Faktoren üben auf die zu treffenden Entscheidungen

.oft einen wesentlichen Einfluß aus.

Aus grundsätzlichen Überlegungen sollen sie jedoch hier nicht monetär bewertet werden. Die Kosten der vorzeitigen Todesfälle sind beson- ders problematisch und sollen spä- ter ausführlicher behandelt werden.

Volkswirtschaftliche Kosten der Grippe

Es soll hier ein Konzept entwickelt werden, das sich an den Gegeben- heiten der Bundesrepublik Deutsch- land orientiert. Die einzelnen Be- standteile der volkswirtschaftlichen Kosten werden dazu nach den ver- schiedenen Stationen bestimmt, die im Verlauf einer Erkrankung durch- schritten werden können:

> ambulante Behandlung

> Verordnung von Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln

• stationäre Behandlung

• stationäre Heilbehandlung

> vorzeitige Berentung wegen Be- rufs- und Erwerbsunfähigkeit

> sonstige Maßnahmen I> Arbeitsunfähigkeit.

Die einzelnen Elemente dieser Glie- derung, die nicht den Anspruch der Vollständigkeit erhebt (so fehlen beispielsweise die Kosten für die Ausbildung und den öffentlichen Gesundheitsdienst), werden bei ver- schiedenen Krankheiten von unter- schiedlicher Bedeutung sein. So ist bei der Grippe zu erwarten, daß die ersten drei Punkte besonders rele- vant sind. Die sonstigen Maßnah- men, zu denen hauptsächlich Re- habilitationsmaßnahmen wie etwa Umschulungen zu zählen sind, dürf- ten dagegen kaum ins Gewicht fal- len und sollen hier auch nicht weiter betrachtet werden.

Auch die vorzeitige Berentung we- gen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit und die stationären Heilbehandlun- gen der Gesetzlichen Rentenver- sicherung sind nach den uns vor- liegenden statistischen Unterlagen bei der Grippe relativ bedeutungs- losm).

Bei den Kosten für die ambulante Behandlung und die Verordnung von Medikamenten, Heil- und Hilfs- mitteln ist eine Aufteilung nach ein- zelnen Krankheiten bisher nahezu ausgeschlossen. Dies ist um so be- dauerlicher, als die empirische Rele- vanz dieser Fragestellung offen- sichtlich ist. So mußten allein die Gesetzlichen Krankenversicherun- gen im Jahr 1977 rund 12,5 Milliar- den DM für die Behandlung durch Ärzte und rund 13,1 Milliarden DM für Arzneien, Heil- und Hilfsmittel aufwenden").

Obwohl die stationären Behandlun- gen wegen Grippe nur einen relativ geringen Anteil an den stationären Behandlungen insgesamt ausma- chen, sind die äbsoluten Aufwen- dungen dafür doch nicht zu ver- nachlässigen. So bewegte sich der Anteil der Krankenhaustage wegen

Grippe an den Krankenhaustagen insgesamt bei den Ortskrankenkas- sen 1977 zwischen 0,34 Prozent bei den männlichen Pflichtmitgliedern und 0,10 Prozent bei den weiblichen freiwilligen Mitgliedern 12). Überträgt man diese Werte auf die gesamten gesetzlichen Krankenversicherun- gen, so verursachte die Grippe 1977 rund 200 000 der insgesamt rund 100,6 Millionen Krankenhaustage in diesem Bereich 13). Nimmt man ei- nen durchschnittlichen Kranken- haustagessatz von rund 200 DM an, so belaufen sich die volkswirtschaft- lichen Kosten durch stationäre Be- handlungen auf rund 40 Millionen DM. Obwohl diese Schätzung nur sehr grob und ihr Ergebnis sicher mit einigen Fehlern behaftet ist, ver- mag sie doch die Größenordnung dieser Kostenart sichtbar zu ma- chen.

Als volkswirtschaftliche Kosten der Arbeitsunfähigkeit werden im allge- meinen die Minderung der mögli- chen Produktion von Gütern gegen- über einer Referenzsituation ohne diese Arbeitsunfähigkeit betrach- tet 14). Dies führt jedoch zu vielfälti- gen • Problemen, insbesondere bei Vorliegen von Arbeitslosigkeit. Zu- dem impliziert diese Bewertungsart, daß die ohne die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit mögliche Pro- duktion auch realisiert worden wäre und daß sich dabei die Preise nicht geändert hätten. Dies kann jedoch

9) J. Wolfslast: Cost-Benefit-Analyse im Ge- sundheitswesen, Hamburg 1968, S. 23, B. S.

Cooper/D. P. Rice: Die volkswirtschaftlichen Kosten von Krankheiten, in: Die Ortskran- kenkasse, 23-24 (1978), S. 850.

10) Verband Deutscher Rentenversicherungs- träger (Hrsg.): Statistik der deutschen ge- setzlichen Rentenversicherung, Bd. 52 (1978), Frankfurt 1979, S. 17 ff. und Bd. 53 (1978), Frankfurt 1979, S. 22 ff.

Bundesministerium für Arbeit und Sozial- ordnung (Hrsg.): Arbeits- und Sozialstati- stik, 5/6 (1978), S. 182,

12) Bundesverband der Ortskrankenkassen (Hrsg.): Statistik der Ortskrankenkassen:

Krankheitsarten-, Krankheitsursachen- und Sterblichkeitsstatistik 1977, Bonn 1979, S.

107, 120, 132, 145, 159, 172.

13) Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statisti- sches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1979, Stuttgart a. a. 0., 1979, S. 387.

14) B. S. Cooper/D. P. Rice: Die volkswirt- schaftlichen Kosten von Krankheiten, in: Die Ortskrankenkasse, 23-24 (1978), S. 851 f.

1130 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aufsätze • Notizen

Wirtschaftlicher Nutzen von Vorsorgemaßnahmen

nicht a priori angenommen werden.

Wir sind daher zu einem anderen Modell übergegangen, das zu einer einfacheren und damit auch metho- disch unbedenklicheren Aussage führt.

Die direkte ökonomische Auswir- kung der Arbeitsunfähigkeit besteht darin, daß entweder der Arbeitgeber nach den Regelungen des Lohnfort- zahlungsgesetzes und der Tarifver- träge sowie sonstiger möglicher Vereinbarungen Lohn weiterbezah- len muß oder die Krankenversiche- rung Krankengeld bezahlen muß.

Bei den Mitgliedern der Ortskran- kenkassen betrug 1977 die durch- schnittliche AU-Dauer wegen Grippe pro Fall zwischen 9,69 Tagen bei den männlichen Pflichtversicherten und 12,47 Tagen bei den weiblichen freiwilligen Mitgliedern. Nimmt man an, daß diese Angaben auch für die übrigen Krankenversicherungen in etwa zutreffen, so bedeutet dies, daß die Zahlung von Krankengeld durch die Krankenversicherung bei der Grippe nahezu bedeutungslos ist, da sie in der Regel erst später einsetzt.

Für die Arbeitgeber besteht die öko- nomische Wirkung darin, daß sie auf Grund der genannten Verpflichtun- gen Lohn bezahlen müssen, ohne eine Arbeitsleistung als Gegenwert zu erhalten.

Dies hat zur Folge, daß ihre Gesamt- kosten höher sind als in einer Refe- renzsituation ohne diese Arbeitsun- fähigkeit. Zu welchen Auswirkungen dies im weiteren führt, etwa zu höhe- ren Preisen, ist von vielen Faktoren abhängig, etwa der Marktmacht ei- ner Unternehmung oder der Wettbe- werbsintensität auf einem Markt, und soll wegen der Komplexität der Problematik auch nicht weiter unter- sucht werden. Als volkswirtschaftli- che Kosten der Arbeitsunfähigkeit seien daher die Lohnkosten verstan- den, denen keine Arbeitsleistung ge- genübersteht.

Wir haben die Kosten durch die Ar- beitsunfähigkeit wegen Grippe ab- zuschätzen versucht. Nach diesen

Berechnungen ergeben sich allein für den Personenkreis der Gesetzli- chen Krankenversicherung Kosten in Höhe von rund 1,4 Milliarden DM.

Wirtschaftlicher Nutzen medizinischer

Vorsorgemaßnahmen

Als wirtschaftlicher Nutzen medizini- scher Vorsorgemaßnahmen sei die Vermeidung volkswirtschaftlicher Kosten definiert. Man vergleicht da- zu im allgemeinen die Kosten, die nach Durchführung der geplanten Maßnahme zu erwarten sind, mit de- nen, die ohne diese Maßnahme zu erwarten sind 15). Betrachten wir da- zu wiederum das Beispiel der Grip- peschutzimpfung.

Als Hauptursachen geringerer Ko- sten nach dieser Vorsorgemaßnah- me können angenommen werden:

> die Senkung der lnzidenz der be- trachteten Krankheit,

> ein kostengünstigerer Verlauf der Krankheit bei Personen, die trotz der Impfung erkranken,

> positive Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Teilnehmer allgemein,

> durch Verminderung der Grip- peerkrankungen bei Geimpften sinkt die Ansteckungsgefahr auch für die Nichtgeimpften, so daß auch dort ei- ne geringere Inzidenz zu erwarten ist.

Die Wirkung der Schutzimpfung wird hauptsächlich bestimmt durch den Krankheitsschutz des einzelnen und die Teilnahmerate. Der Krank- heitsschutz des einzelnen kann ge- messen werden, indem man Zahl und Verlauf der Erkrankungen bei Geimpften und Nichtgeimpften mit- einander vergleicht. Bei der Teilnah- merate ist zudem von wesentlicher Bedeutung, wer sich impfen läßt.

Lassen sich z. B. relativ viele Er- werbstätige impfen, so ist die Aus- wirkung auf die Kosten der Arbeits- unfähigkeit relativ groß. Lassen sich dagegen überwiegend Nichter-

werbstätige impfen, ist dieser Effekt relativ gering. Dies kann einen sehr starken Einfluß auf das Gesamter- gebnis ausüben.

Für den Vergleich der Kollektive der Geimpften und Nichtgeimpften ist zweifelsohne der Doppelblindver- such das geeignetste Verfahren. Ne- ben der Problematik des Placebo- Effektes medizinischer Maßnahmen ist vor allem die Auswahl des Perso- nenkreises von besonderer Wichtig- keit. Das heißt z. B., daß bei einer Aktion auf freiwilliger Basis eine

„Probeimpfung" angeboten werden muß und unter den Teilnehmern die- ser Probeimpfung die Personen für den Doppelblindversuch auszuwäh- len sind. Würde man hier die Perso- nen für die Stichprobe ohne Berück- sichtigung der Frage auswählen, ob diese auch an der eigentlichen Imp- fung teilnehmen würden, so kann ein systematischer Fehler dadurch entstehen, daß sich bei dem Versuch Personen beteiligen, deren Gesund- heitsverhalten sich von dem des zu erwartenden Teilnehmerkreises deutlich unterscheidet. Dadurch kann es vor allem zu einer Über- schätzung des wirtschaftlichen Nut- zens kommen.

Die reine Beobachtung von Geimpf- ten und Nichtgeimpften, wie sie et- wa von Alter und Klausing durchge- führt wurde 16), kann nur rechneri- sche Zusammenhänge erfassen, aus denen nicht auf medizinische Zu- sammenhänge, in diesem Fall auf die Wirksamkeit der Impfung, ge- schlossen werden darf. Dies ist das grundlegende Argument gegen ein solches Verfahren. Daß daneben noch andere Fehler, vor allem ein Selektionseffekt, auftreten kön- nen"), unterstützt diese Argumenta- tion noch, ist aber nicht entschei- dend.

15) U. Alter/M. Klausing: Effizienzmessungen im Gesundheitswesen, in: DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, 45 (1974), S. 3263

16) U. Alter/M. Klausing: Kosten und Nutzen von Arzneimitteln, Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, (Hrsg.): Phar- ma-Dialog, 29 (1974), S. 13 ff.

17) H. Arnold: Effizienzmessungen im Gesund- heitswesen, in: DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, 33 (1975), S. 2319.

1132 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Ein Einfluß der Impfung auf die An- steckungsgefahr der Nichtgeimpf- ten ist zwar grundsätzlich gegeben, seine Berechnung dürfte jedoch so hohe Schwierigkeiten aufwerfen, daß darauf verzichtet werden sollte.

Ähnliches läßt sich auch in bezug auf die Mortalität sagen. Die Kosten- Nutzen-Analyse sollte sich auf die bedeutendsten Kostenarten be- schränken. Der notwendige Auf- wand für die Untersuchung der we- niger wichtigen Kostenfaktoren und die hohe Gefahr zusätzlicher Fehler lassen dies dringend angezeigt er- scheinen.

Kosten der Impfaktion

Als Kosten der Impfaktion gegen Grippe können hauptsächlich ange- setzt werden :

I> die Personalkosten für die Ärzte und das Hilfspersonal,

I> die Kosten für die Organisation und Verwaltung,

I> die Kosten für den Impfstoff und die Geräte,

I> die Kosten für die Geimpften (z. B. Fahrkosten),

> die Kosten durch den Arbeitsaus- fall während der Impfung,

I> die Kosten für die Behandlung von Komplikationen und Nebenwir- kungen.

Die Kosten für die Geimpften und die Kosten für den Arbeitsausfall während der Impfung können durch eine geeignete Organisation auf ver- nachlässigbare Werte gesenkt wer- den, etwa durch Impfung in Betrie- ben, Schulen und Behörden. Über die Kosten der Behandlung von Komplikationen und Nebenwirkun- gen scheint eine allgemeine Aussa- ge nicht möglich.

Es ist denkbar, daß bei Analysen über Impfungen gegen verschiede- ne Viren dieses Problem jedesmal neu betrachtet werden muß, da es

bei den einzelnen Impfungen zu ver- schiedenartigen Nebenwirkungen und Komplikationen kommen kann.

Die ersten drei Kostenarten dürften die wesentlichen sein. Dabei ist es durchaus denkbar, daß ein Teil von ihnen nicht ausgabenwirksam wird.

Dies ist dann möglich, wenn die Imp- fung auf bereits vorhandene Kapazi- täten zurückgreift, etwa auf Be- triebsärzte und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst. Es muß daher geprüft werden, ob diese die zusätz- liche Maßnahme im Rahmen der Dienstzeit durchführen können oder ob dafür zusätzliche Kapazitäten, et- wa in Form von Überstunden, erfor- derlich sind. Es scheint angezeigt, nur die ausgabenwirksamen Kosten zu erfassen, da der Einfluß einer sol- chen Aktion auf die bestehenden Kapazitäten vernachlässigbar sein dürfte.

Alter und Klausing beziffern die Ko- sten mit 7,50 DM pro Impfung 18 ).

Nehmen wir an, dies sei realistisch.

Setzt man die Preissteigerung seit 1969 mit jährlich 5 Prozent an, so ergibt sich für 1979 ein Betrag von etwa 12,80 DM pro Impfung. Sollte ein Sechstel unserer Bevölkerung von etwa 60 Millionen an dieser Ak- tion teilnehmen, also etwa 10 Millio- nen, so würde sie etwa 130 Millionen DM kosten. Dies verdeutlicht die Hö- he des Aufwandes einer solchen Maßnahme.

Bezogen auf die geschätzten Kosten der Arbeitsunfähigkeit in Höhe von rund 1,4 Milliarden DM bedeutet dies: Gelingt es durch diese Imp- fung, allein die Arbeitsunfähigkeit wegen Grippe um rund 10 Prozent zu senken, so halten sich Kosten und Nutzen die Waage.

Vorzeitige Todesfälle

Die Berechnung volkswirtschaftli- cher Kosten vorzeitiger Todesfälle ist besonders umstritten. Es ist ge- fühlsmäßig einleuchtend, auch von einem volkswirtschaftlichen Verlust zu sprechen, wenn etwa ein junger

Arzt am Tage der Approbation stirbt.

Für seine Ausbildung wurden erheb- liche Mittel aufgewendet, ohne daß diese Ausbildung nun genutzt wer- den kann. Aber wie verhält es sich, wenn dieser Arzt erst im Alter von 75 Jahren stirbt, zehn Jahre nachdem er sich aus dem Berufsleben zurück- gezogen hat?

Bei der Ermittlung dieser Kosten werden verschiedene Verfahren an- gewendet. So beziffert Oppenhei- mer einen Todesfall pauschal mit Kosten in Höhe von 100 000 DM 19).

Jahn und Schaefer legen ihrer Be- rechnung den Beitrag, den die Ver- storbenen noch zum Bruttosozial- produkt hätten leisten können, zu- grunde. Sie sind in der Beurteilung ihrer Berechnung aus grundsätzli- chen Überlegungen heraus jedoch zurückhaltend und berücksichtigen sie nicht bei der Ermittlung der Ge- samtkosten der Krankheiten 20).

Cooper und Rice verwenden den Gegenwartswert der zukünftigen entgangenen Einkommen als Grundlage21 ).

Die unterschiedlichen Bewertungen haben natürlich auch empirisches Gewicht. Grundsätzlich ist daher zu fordern, daß die Bewertung der vor- zeitigen Todesfälle konsistent zur Bewertung der übrigen Kostenarten erfolgt. Aus grundsätzlichen Überle- gungen heraus verzichten wir auf ei- ne Berechnung volkswirtschaftli- cher Kosten durch vorzeitige Todes- fälle. Dennoch ist es natürlich wich- tig, den Einfluß einer Krankheit auf die Mortalität abzuschätzen.

Ein Verfahren zur Darstellung dieses Einflusses bietet Geißler an. Er be- rechnet den Verlust an Lebensjah-

18) U. Alter/M. Klausing: Effizienzmessungen im Gesundheitswesen, in: DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, 45 (1974), S. 3267.

19) W. L. Oppenheimer: Monetärer Aufwand und Nutzen von Früherkennung und Be- handlung, in: Die Ortskrankenkasse, 3 (1976), S. 96.

20) H. Jahn/H. Schäfer: Die volkswirtschaftliche Belastung durch das Phänomen "Krank- heit" im weitesten Sinne, in: Mensch und Medizin, 6 (1965).

21) B. S. Cooper/D. P. Rice: Die volkswirt- schaftlichen Kosten von Krankheiten, in:

Die Ortskrankenkasse, 23-24 (1978), S. 850,

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 17 vom 24. April 1980 1133

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Aufsätze • Notizen

Wirtschaftlicher Nutzen von Vorsorgemaßnahmen

ren auf Grund der Lebenserwartung, die der oder die Gestorbene zum Zeitpunkt des Todesfalles noch ge- habt hat22). Auch dieses Verfahren birgt verschiedene Probleme, unter anderem weil die durchschnittlichen Lebenserwartungen, von denen er ausgeht, eben diese Todesfälle be- reits enthalten. Dennoch scheint dies ein möglicher Ansatzpunkt für die Beurteilung der Bedeutung einer Erkrankung zu sein.

In der Bundesrepublik Deutschland starben 1977 insgesamt 675 Men- schen an Grippe, davon 250 Männer und 425 Frauen. Von ihnen waren 571 oder 84,6 Prozent 65 Jahre oder älter23). Aus diesen Angaben geht jedoch nur hervor, bei wievielen To- desfällen die Grippe die Ursache war, nicht, bei wievielen sie nur der Anlaß war. Dies ist durch die alleini- ge Erfassung der zum Tode führen- den Grundleiden bedingt. Der tat- sächliche Einfluß der Grippe auf die Mortalität insgesamt kann also dar- aus nicht abgeleitet werden.

Zusammenfassung

Die Kosten-Nutzen-Analyse ist ein analytisches Instrumentarium zur Erarbeitung objektiver Kriterien für Entscheidungen auch im Gesund- heitswesen. Wegen großer methodi- scher Probleme kann sie jedoch letzten Endes nur den wirtschaftli- chen Nutzen medizinischer Maßnah- men hinreichend zuverlässig ermit- teln. Dagegen muß sie bei der Einbe- ziehung intangibler Faktoren wie Schmerzen, seelischen Belastungen und letzten Endes auch Todesfällen versagen. Sie kann daher nie als al- leiniges Mittel der Entscheidungs- findung eingesetzt werden, sondern es müssen stets normative Entschei- dungen zusätzlich getroffen werden.

Sie kann jedoch, und allein dies ist ein großes Verdienst, die zu erwar-

22) U. Geißler: Der Verlust an Lebensjahren durch vorzeitigen Tod, in: Die Ortskranken- kasse. 20 (1979), S. 765 ff.

.) Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Fachserie 12 (Gesundheitswesen), Reihe 4 (Todes- ursachen) 1977, Stuttgart a. a. 0. 1979, S. 32 f.

tenden ökonomischen Auswirkun- gen einer Maßnahme sichtbar ma- chen.

Als volkswirtschaftliche Kosten ei- ner Krankheit werden die Aufwen- dungen definiert, die durch diese Krankheit ausgelöst werden und nicht von den Erkrankten allein, son- dern von der Gesellschaft insgesamt getragen werden. Bei dem Beispiel Grippe waren dies hauptsächlich die Kosten für ambulante und stationäre Behandlungen, für Medikamente, Heil- und Hilfsmittel sowie die der Arbeitsunfähigkeit. Auf die Bewer- tung vorzeitiger Todesfälle wurde aus grundsätzlichen Überlegungen heraus verzichtet.

Die ökonomischen Auswirkungen der Schutzimpfung können nur mit- tels einer gezielten Studie in Form eines Doppelblindversuchs abge- schätzt werden. Die reine Beobach- tung erfaßt nur rechnerische, nicht aber medizinische Zusammenhän- ge, so daß sie als für derartige Fra- gestellungen nicht geeignet angese- hen werden muß. Aussagen über Ko- sten-Nutzen-Relationen sind im Au- genblick kaum möglich. Wegen der hohen volkswirtschaftlichen Kosten dieser Krankheit, allein die Kosten der Arbeitsunfähigkeit liegen bei rund 1,4 Milliarden DM, scheint eine derartige Untersuchung dringend angezeigt.

(Nach einem Vortrag, gehalten auf dem 16. Stuttgarter Fortbildungs- kongreß für praktische Medizin der Bezirksärztekammer Nordwürttem- berg, 8. bis 11. November 1979,Kon- greßgebäude Killesberg)

Literatur

Alter, U./Klausing, M.: Effizienzmessungen im Gesundheitswesen, in: DEUTSCHES ÄRZTE- BLATT, 45 (1974), S. 3262 f. — Alter, U./Klau- sing, M.: Kosten und Nutzen von Arzneimitteln, Bundesverband der Pharmazeutischen Indu- strie (Hrsg.): Pharma-Dialog, 29 (1974) — Ar- nold, H.: Effizienzmessungen im Gesundheits- wesen, in: DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, 33 (1975),S. 2319 f. — Brüngger, H.: Was ist eine Kosten-Nutzen-Analyse, in: G. Kocher (Hrsg.):

Kosten-Nutzen-Analysen im Gesundheitswe- sen, Pharma-Information, Basel 1976, S. 14 f. — Cooper, B. S./Rice, D. P.: Die volkswirtschaftli- chen Kosten von Krankheiten, in: Die Ortskran- kenkasse, 23-24 (1978), S. 849 f. — Geissler, U.:

Der Verlust an Lebensjahren durch vorzeitigen

Tod, in: Die Ortskrankenkasse, 20 (1979), S.

765 f. — Jahn, H./Schaefer, H.: Die volkswirt- schaftliche Belastung durch das Phänomen

„Krankheit" im weitesten Sinne, in: Mensch und Medizin, 6 (1965) — Oppenheimer, W. L.:

Monetärer Aufwand und Nutzen von Früh- erkennung und Behandlung, in: Die Ortskran- kenkasse, 3 (1976), S. 84 f. — Wolfslast, J.: Cost Benefit Analyse im Gesundheitswesen, Ham- burg 1968 — Stolber, W. B.: Nutzen-Kosten- Analysen in der Staatswirtschaft, Göttingen 1968.

Anschrift des Verfassers:

Diplom-Volkswirt Joachim W. Neipp c/o Lehrstuhl

für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Heidelberg Abteilung für

Sozialmedizinische Epidemiologie und Arbeitsphysiologie

Im Neuenheimer Feld 368 6900 Heidelberg

ECHO

Zu: „Betriebsärztliche Dienste Vehikel für das ,integrierte Ge- sundheitswesen"' in Heft 1/1980, Seite 1 ff.

Unabhängigkeit der Ärzte betont

„Kritik an einer Umwandlung der betriebsärztlichen Versor- gung durch die Gewerkschaf- ten ,in ihrem Sinne' hat die deutsche Ärzteschaft geübt. In einem Leitartikel in der jüng- sten Ausgabe für das in Köln erscheinende DEUTSCHE ÄRZTEBLATT wenden sich die Ärzteorganisationen ge- gen das Ziel des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), ,die betriebsärztliche Dienste zu einer weiteren Säule des Gesundheitswesens' für ein

‚integriertes Gesundheitswe- sen' auszubauen. Nach Auf- fassung der Ärzte soll der Be- triebsarzt aber ‚selbstver- ständlich unabhängig sein'.

Eine Forderung des DGB sei jedoch, die Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften über den arbeitsmedizinischen Be- reich hinaus auszudehnen."

(ddp in Bonner Generalan- zeiger)

1134 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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