POLITIK LEITARTIKEL
GOÄ-Novelle:
Ein zu kurzer Schritt
Mit der Verabschiedung der 4.
Novelle zur Amtlichen Gebührenord- nung für Ärzte (GOÄ) durch den Bundesrat am 3. November 1995 ist der erste Novellierungsschritt nach jahrelangen Vorarbeiten der Bundes- ärztekammer, der ärztlichen Berufs- verbände und wissenschaftlich-medi- zinischen Fachgesellschaften sowie nach Abstimmungen mit dem Ver- band der Privaten Krankenversiche- rung und den Ländern getan. Ein Teil des Leistungsverzeichnisses wird da- mit an den Stand der medizinischen Wissenschaft und technischen Ent- wicklung angepaßt, und die zuwen- dungsintensiven persönlichen Lei- stungen des Arztes werden aufgewer- tet. Außerdem soll das ambulante Operieren gefördert werden.
Die längst überfälligen Aktuali- sierungen und strukturellen Verbes- serungen werden verknüpft mit einer nach sieben Jahren allerdings allzu bescheidenen Punktwertanhebung von 11 auf 11,4 Pfennig. Die Anhe- bung um 3,6 Prozent entspricht gera- de einmal der Kostenentwicklung in der Arztpraxis in einem Jahr; sie ist je- doch als Ausgleich für sieben Jahre gedacht. Der Ärzteschaft werden fer- ner erhebliche Opfer abverlangt durch Restriktionen bei der Delegati- on, insbesondere wahlärztlicher Lei- stungen — ohne Rücksicht auf die er- heblichen Abgabenverpflichtungen des Chefarztes — durch Bewertungs- absenkungen ärztlicher Sachleistun- gen, durch eine weitere Einschrän- kung der ärztlichen Vertragsfreiheit durch Verbot der abweichenden Ho- norarvereinbarung (§ 2 GOÄ) für Leistungen der Abschnitte A, E, M, 0 sowie durch den völlig unzureichen- den Inflationsausgleich.
Eine Zurückweisung dieser GOÄ durch die Ärzteschaft hätte je- doch erhebliche Risiken für die weite- re Entwicklung gebracht. Fehlent- wicklungen und Verwerfungen auf- grund der geltenden GOÄ hätten sich weiterhin gravierend auswirken kön- nen, so daß ein erheblicher politischer
Druck entstanden wäre, die GOÄ- Strukturen grundsätzlich zu verän- dern — wie es zum Beispiel vom Land Nordrhein-Westfalen schon beabsich- tigt war (vgl. DÄ Heft 8/1994). Durch zahlreiche intensive Verhandlungen und Eingaben ist es gelungen, system- verändernde Vorschläge zu verhin- dern. So konnte eine generelle Ab- senkung des Gebührenrahmens für ärztliche Sachleistungen ebenso ver- mieden werden wie noch weiterge- hende Einschränkungen der Dele- gierbarkeit im stationären Bereich und die Verankerung eines „Stan- dardtarifs" in der GOÄ. Auch die be- absichtigte Absenkung der Punkt- wertanhebung wurde zurückgenom- men. Allerdings ging durch die ein- jährige Blockade der GOÄ-Novelle durch den Bundesrat der Ärzteschaft allein dadurch ein mehrstelliger Mil- lionenbetrag verloren.
Mühsam
ausgehandelter Kompromiß
Die jetzt beschlossene Novellie- rung ist ein mühsam zustande gekom- mener Kompromiß zwischen den ver- schiedenen widerstreitenden Interes- sen; die berechtigten Anliegen der Ärzteschaft sind dabei nur zum Teil berücksichtigt worden. Diesem ersten Schritt muß unverzüglich der zweite Novellierungsschritt folgen, um ins- besondere die operativen Leistungen sowie die noch ausstehenden Ab- schnitte der GOÄ zu aktualisieren.
Dies hat das Bundesministerium für Gesundheit der Bundesärztekammer zugesichert. Einigkeit besteht auch darüber, daß beim zweiten Novellie- rungsteilschritt keine weitere Ände- rung im Paragraphenteil mit den All- gemeinen Bestimmungen erfolgen darf, da für die weitere Bearbeitung gleiche Rahmenbedingungen unab- dingbar sind.
Das berechtigte Anliegen der Vertragsärzteschaft, das Inkrafttreten
der GOÄ-Novelle zum 1. Januar 1996 zu verschieben, um eine Entkopplung vom neuen Einheitlichen Bewer- tungsmaßstab (EBM) und dem ICD- 10-Schlüssel zu erreichen, hätte die Verabschiedung der GOÄ-Novelle insgesamt gefährdet. Der hierfür er- forderliche Antrag eines Bundeslan- des im Bundesrat hätte zunächst zum Aufschub des Beratungstermins des GOÄ-Entwurfs am 3. November 1995 geführt. Dadurch wären aber auch er- hebliche Irritationen bei den Ländern entstanden. Die dadurch verursachte Verschiebung wäre zudem von einigen Ländern genutzt worden, um zusätzli- che Änderungsanträge mit weiteren
„Verböserungen" für die Ärzteschaft einzubringen. Wegen der unkalkulier- baren politischen Risiken — bis hin zum Scheitern der GOÄ-Novelle — mußte darauf verzichtet werden, den Termin zu verschieben.
Als Fazit bleibt festzuhalten:
Außer der überfälligen Aktualisie- rung und der Umstrukturierung sowie der geringen Punktwertanhebung be- steht der „Erfolg" für die Ärzteschaft bei dieser • GOÄ-Novelle darin,
„Schlimmeres", insbesondere im All- gemeinen Teil, verhindert zu haben.
Die finanziellen Rahmenbedingun- gen sind eng, die politischen Zwänge groß und von Interessengegensätzen zwischen Ärzteschaft und Kostenträ- gern, insbesondere den Finanzmini- sterien der Länder mit ihrer einseiti- gen fiskalpolitischen Ausrichtung, ge- prägt. Die wirtschaftliche Entwick- lung und die Sparpolitik im Gesund- heitswesen haben auch hier deutliche Spuren hinterlassen.
Über die Neuerungen der GOÄ wird im Teil „Bekanntgaben" in die- sem Heft berichtet. Für die Verträge der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung mit einigen Kostenträgern gel- ten die vertraglichen Vereinbarungen auf der Basis der alten GOÄ weiter.
Es besteht die Absicht, diese Verträge an die neue GOÄ anzupassen.
Renate Hess,
Bundesärztekammer, Köln Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 49, 8. Dezember 1995 (17) A-3445