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das die Phospholipase Cß3 .kodiert, eine zuverlässige Diagnose der Gen- trägerschaft ermöglicht, ist noch nicht bekannt.
Durch systematisches Familien- screening, das ab dem 15. Lebensjahr etwa alle drei Jahre erfolgen sollte, können die betroffenen Familienmit- glieder frühzeitig erkannt werden.
Für die Hypophysenadenome, die in etwa 20 Prozent, und für die Neben- schilddrüsenadenome, die in 90 Pro- zent der MEN-1-Patienten manifest werden, stehen zuverlässige diagno- stische Verfahren sowie gute Thera- piemodalitäten zur Verfügung.
Neuroendokrine Pankreastumoren bei MEN-1
In den letzten Jahren erfuhren die malignen neuroendokrinen Tu- moren der Bronchien, des Thymus und insbesondere des Pankreas be- sondere Beachtung; sie stellen die Haupttodesursachen bei MEN-1-Pa- tienten dar. Während neuroendokri- ne Tumoren (Synonym: Karzinoide)
KONGRESSBERICHT / FÜR SIE REFERIERT
des Thymus oder der Bronchien bei 10 bis 20 Prozent der Patienten auftre- ten, entwickeln 30 bis 75 Prozent der MEN-1-Patienten neuroendokrine Tumoren des Pankreas. Die Pan- kreasbeteiligung ist die häufigste Erstmanifestation bei vorher nicht bekannten Trägern des MEN-1-Gen- defektes. Bei jedem Patienten mit ei- nem neuroendokrinen Pankreastu- mor muß deshalb nach einer MEN-I gesucht werden (Familienanamnese, Serum-Kalzium, Prolaktin). Bei etwa 15 bis 25 Prozent dieser Patienten dürfte dadurch eine MEN-1 entdeckt werden.
Eine Früherkennung der funk- tionellen, das heißt mit einem Hyper- sekretionssyndrom einhergehenden, neuroendokrinen Pankreastumoren war bisher vor allem biochemisch durch die Bestimmung diverser Hor- monparameter möglich. Mit der En- dosonographie steht nun in den Hän- den des erfahrenen Untersuchers ein hervorragendes bildgebendes Verfah- ren zur Früherkennung sogar non- funktioneller, neuroendokriner Tu- moren des Pankreas zur Verfügung.
Prospektive Studien zeigen, daß Früh-
erkennung und frühe Intervention zu einer Verringerung der Morbidität so- wie der Malignitätsrate führen. In welchem Ausmaß durch die frühzeiti- ge Diagnose und durch die frühzeitige chirurgische Resektion neuroendo- kriner Pankreastumoren die Lebens- erwartung von MEN-1-Patienten ver- bessert werden kann, ist zur Zeit noch nicht systematisch und prospektiv un- tersucht. Die erforderlichen Pankre- asoperationen sollten aber ausschließ- lich von spezialisierten Chirurgen an wenigen Zentren durchgeführt wer- den. Seit kurzem sind die Bestim- mung des MEN-2-Gens und ein gene- tisches Screening bei MEN-1-Patien- ten auch in Deutschland möglich.
Prof. Dr. med. Friedhelm Raue Medizinische Universitätsklinik Bergheimer Straße 58
69115 Heidelberg Dr. med. Hans Scherübl Medizinische Klinik Gastroenterologie FU Berlin
Hindenburgdamm 30 12200 Berlin
„Wandernde Patienten"
Die größte zusammenhängende Gesundheitsorganisation in den USA ist die „Veterans Administration", al- so die staatliche Kriegsopferversor- gung mit einem dichten Netz von Krankenhäusern, Pflegeheimen und Ambulatorien. Seit einiger Zeit ver- fügt diese Organisation über zentrale Dokumentationen, natürlich compu- terisiert. Mit ihrer Hilfe haben Wis- senschaftler, die für die Veterans Af- fairs Administration arbeiten, die Da- ten von Patienten herausgefischt, die in den Jahren von 1988 bis 1992 vier Mal pro Jahr oder öfter in einem der 159 Veteranen-Krankenhäuser in den USA, auf Puerto Rico oder auf den Philippinen aufgenommen wurden.
Im Jahre 1988 waren es 1013 solcher
„wandering patients", die Zahl sinkt allmählich auf 729 im Jahr 1992. Über alle fünf Jahre hinweg konnten 35
„habituelle Wanderer" ermittelt wer- den — sie tauchten immer wieder und
in jedem Jahr in den Krankenhäusern auf. Die zentral gesammelten Unter- lagen sind sehr weitgehend: Die elek- tronische Patientenkarte in Austin/
Texas enthält jeweils 67 Angaben.
Deshalb konnten einige Charakteri- stika ermittelt werden. Weit über dem Durchschnitt liegt die Zahl der irre- gulären Entlassungen — das heißt: Die Patienten verließen das Krankenhaus in rund 30 Prozent der Fälle außer- halb eines ordentlichen Entlassungs- verfahrens. Ihr Durchschnittsaufent- halt war zwei Tage kürzer als der der üblichen Patienten. Die „Wanderer"
ließen sich etwa acht Mal im Jahr in ein Krankenhaus aufnehmen, die „ha- bituellen Wanderer" sogar 13 Mal.
Die häufigsten Diagnosen waren psychiatrischer Art, an der Spitze Al- koholabusus, aber auch depressive oder schizophrene Diagnosen wurden genannt. Die Autoren lassen aller- dings durchblicken, daß bei dieser Pa-
tientengruppe „diagnostische Konfu- sion" unvermeidlich ist. Für die 810
„Wanderer", die 1991 gezählt wurden, mußten rund 25 Millionen Dollar auf- gewendet werden; die 35 „habituellen Wanderer" kosteten die Veterans Ad- ministration in den fünf Jahren 6,5 Millionen Dollar. Allerdings sind es recht wenige „Wanderer": 1988 waren es 1013 gegenüber rund 626 000 Pati- enten insgesamt. Im Jahre 1992 waren es 729 gegenüber 543 000. Leider, so die Verfasser, sei es technisch nicht möglich, die „Wanderer" so zu „erfas- sen", daß ihnen ein mehr persönliches Versorgungsangebot gemacht werden könne. bt
Pancratz, L, Jackson, J: Habitually Wan- dering Patients. NEJM 1994, 331:
1752-1755.
Dr. Lorenz Pankratz, Psychology Service (116B), Veterans Affairs Medical Center, POB 1034, Portland, OR 97207.
A-774 (60) Deutsches Ärzteblatt 9, Heft 11, 17. März 1995