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icht zuletzt das geklonte Schaf„Dolly“ hat eine neue Ethik- diskussion ausgelöst, in der gefragt wird: Darf der Mensch durch Klonierung Leben schaffen, und darf er aktiv Leben be- enden? Darf gemacht werden, was gemacht werden kann? Dürfen ethi- sche Entscheidungen von Nützlich- keitserwägungen geleitet werden?
„Nein“ ist die eindeutige Antwort des Vizepräsidenten der Bundesärz- tekammer (BÄK), Prof. Dr. med.
Jörg-Dietrich Hoppe. Ärztliche Ethik sei überwiegend Gesinnungs- beziehungsweise Verantwortungs- ethik. Eine Nützlichkeitsethik könne zumindest nicht vorrangig als ärztli- che Norm akzeptiert werden, stellte Hoppe vor Journalisten in Köln fest.
Wenn man dem australischen Bio- ethiker Peter Singer folge, sei menschliches Leben nicht immer schützenswert, „ja sogar sind von menschlichen Eltern abstammende Geschöpfe nicht einmal immer als Menschen anzusehen“, so Hoppe. In der Gesellschaft sei ebenfalls zuneh- mend ein Bewußtseinswandel festzu- stellen. So würde beispielweise das kostenintensive Immer-älter-Werden mit Ausdrücken wie „Überalterung“,
„Altersberg“ oder „Rentnerschwem- me“ belegt. „Ethische Prämisse sollte dagegen immer die Würde des Men- schen sein“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med. Kar- sten Vilmar.
1 Regeln, die bei Wahrung der Würde des Menschen die Anwen- dung von Medizin und Biologie erlau-
ben, sollte der 1990 aus dem „Comité ad hoc des experts sur la bioéthique“
hervorgegangene Lenkungsausschuß
„Comité Directeur pour la Bio- éthique“ erarbeiten. Dieses vom Mi- nisterrat des Europarats eingesetzte Komitee hat im Juni 1996 gegen die Stimme der Bundesrepublik die
„Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Hu- man Being with Regard to the Appli- cation of Biology and Medicine“ ver- abschiedet.
Prinzip des
„informed consent“
Anfang April soll der vom Mini- sterrat gebilligte Text dieser soge- nannten Bioethik-Konvention in ei- ner feierlichen Zeremonie im spani- schen Oviedo zur Zeichnung offenge- legt werden. „Bei dieser Gelegenheit wird der Vertreter der Bundesrepu- blik Deutschland zwar anwesend sein, jedoch die Konvention nicht zeich- nen, da die Bundesregierung über ei- nen eventuellen Beitritt noch nicht entschieden hat“, sagte Prof. Dr. med.
Elmar Doppelfeld, Mitglied der deut- schen Delegation im Lenkungsaus- schuß. Auf Kritik waren in Deutsch- land (vor allem bei der ursprüngli- chen Fassung von 1994) die geplan- ten Regelungen zur Embryonenfor- schung und zur Forschung an Nicht- einwilligungsfähigen gestoßen.
Doppelfeld, der die wichtigsten Artikel der Konvention vorstellte, be- tonte, daß in Kapitel 1 ausdrücklich
festgelegt sei, daß die Würde und Identität des „human being“ zu wah- ren und ohne Ausnahme seine Inte- grität, sonstige Rechte und besonders die fundamentalen Freiheiten zu re- spektieren seien. Der Vorrang des In- dividuums vor den Interessen der Wissenschaft werde bekräftigt, die Beachtung sogenannter Professional Standards bei der Forschung gefor- dert. Forschung am Menschen sei nur dann erlaubt, wenn keine Alternative zu Forschung von vergleichbarer Wirksamkeit und ein angemessenes Verhältnis von Nutzen und Risiko be- stünden. Es gelte grundsätzlich der informed consent, also die Zustim- mung nach angemessener Auf- klärung, die ausdrücklich für das spe- zielle Projekt einzuholen sei und nur für dieses gelte und dokumentiert werden müsse. Für die Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen gelten außerdem, so Doppelfeld, besondere Schutzbestimmungen.
1Als Präzisierung dieser Schutz- bestimmungen für nichteinwilligungs- fähige Personen ist die von der Zen- tralen Kommission zur Wahrung ethi- scher Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten bei der Bundes- ärztekammer jetzt vorgelegte Stel- lungnahme „Zum Schutz nichteinwil- ligungsfähiger Personen in der medi- zinischen Forschung“ gedacht. Sie entspreche „im groben“ den Regelun- gen in der sogenannten Bioethikkon- vention, stellte der Kommissionsvor- sitzende, Prof. Dr. med. Dr. med.
dent. Heinz Pichlmaier, fest. Danach ist „Forschung mit nichteinwilligungs- fähigen Personen (. . .) nur dann zu rechtfertigen, wenn
– das Forschungsprojekt nicht auch an einwilligungsfähigen Perso- nen durchgeführt werden kann,
– das Forschungsprojekt wesent- liche Aufschlüsse zur Erkennung, Aufklärung, Vermeidung oder Be- handlung einer Krankheit erwarten läßt,
– das Forschungsprojekt im Ver- hältnis zum erwarteten Nutzen ver- tretbare Risiken erwarten läßt,
– der gesetzliche Vertreter eine wirksame Einwilligung in die Maß- nahme erteilt hat, wobei vorausge- setzt ist, daß er aus der Kenntnis der vertretenen Person ausreichende An- haltspunkte hat, um auf ihre Bereit- A-814 (26) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 13, 28. März 1997
T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE
Anfang und Ende menschlichen Lebens
Die Würde des
Menschen wahren
Mit ethischen Problemen der modernen Medizin und Biotechnologie beschäftigte sich Mitte März in Köln ein Presseseminar der Bundesärztekammer mit dem Titel „Anfang und Ende menschlichen Lebens“. In dessen Mittelpunkt standen die biomedizinische Forschung am Menschen, die Präimplantationsdiagnostik und das Klonen von Säuge- tieren, die Transplantationsgesetzgebung sowie die ärztliche Sterbebegleitung. Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer stellte eine Stellungnahme
„Zum Schutz nichteinwilligungsfähiger Personen in der medizinischen Forschung“ vor.
schaft zur Teilnahme an der Untersu- chung schließen zu können,
– ein ablehnendes Verhalten des Betroffenen selbst nicht vorliegt,
– die zuständige Ethikkommissi- on das Forschungsvorhaben zustim- mend beurteilt hat.“
Ein besonderes ethisches Dilem- ma trete bei Forschungen auf, durch die voraussichtlich nicht der Betroffe- ne selbst, immerhin aber andere Per- sonen, die sich in der gleichen Alters- gruppe befinden oder von der glei- chen Krankheit oder Störung betrof- fen sind, von den gewonnenen Er- kenntnissen Nutzen haben. „In dieser Fallgruppe ist erforderlich, daß das Forschungsprojekt allen-
falls minimale Risiken oder Belästigungen erwarten läßt. Ethisch nicht zu recht- fertigen ist die ,ausschließ- lich‘ fremdnützige For- schung bei nichteinwilli- gungsfähigen Personen“, heißt es in der Stellung- nahme.
1 Verboten seien in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz die Verwendung einer toti- potenten embryonalen Zel- le zur Präimplantationsdia- gnostik und auch das Klo- nen. Doch Prof. Dr. med.
Helga Rehder, Leiterin der Abteilung für klinische Genetik am medizini- schen Zentrum für Humangenetik der Universität Marburg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer, ist überzeugt davon, daß „es gemacht wird, wenn die Argumente ausgehen“. So könnte zum Beispiel langfristig das Klonen von Menschen erwogen werden, weil durch den Trend einer Zunahme der Unfruchtbarkeit und vor allem der männlichen Sterilität „unsere Gesell- schaft irgendwann einmal vom Aus- sterben bedroht ist“. Doch abgesehen von der „Gefahr einer gezielten Se- lektion“ weist die Humangenetikerin auf die medizinischen Risiken einer solchen Denkweise hin. Mit dem Klo- nen unter Verwendung einer Körper- zelle eines erwachsenen Individuums werden auch die erworbenen umwelt- und altersbedingten Genmutationen übertragen. Das hätte zur Folge, daß das geklonte Individuum eine einge-
schränkte Lebenserwartung durch er- höhtes Erkrankungsrisiko und vorzei- tige Alterung hätte.
Daß nicht alles gemacht werden sollte, was gemacht werden kann, zeigt sich auch bei der Präimplantati- onsdiagnostik. Die Befürworter der Präimplantationsdiagnostik übersä- hen häufig, so die Humangenetikerin, daß auch der übertragene gesunde Embryo nur eine geringe Chance hat, bis zur Geburt zu überleben. Rehder hält eine Präimplantationsdiagnostik nur dann für gerechtfertigt, „wenn das zu diagnostizierende Krankheits- bild schwer, das Risiko für ein betrof- fenes Kind extrem hoch und ein wei-
terer Schwangerschaftsabbruch eines betroffenen Fetus nach Pränataldia- gnose in der achten bis 20. Schwan- gerschaftswoche für die Mutter nicht mehr zumutbar ist“.
1Daß eine Organentnahme bei einem Sterbenden mit dem ärztlichen Ethos nicht vereinbar ist, stellte Prof.
Dr. med. Heinz Angstwurm, Oberarzt der Neurologischen Klinik der Lud- wig-Maximilians-Universität Mün- chen, unmißverständlich fest. Das Le- ben auch des sterbenden Menschen sei unantastbar und unverfügbar.
Deshalb müsse ein künftiges Trans- plantationsgesetz den Todesnachweis als Voraussetzung der Organentnah- me festlegen. Naturwissenschaftlich- medizinisch bestehe keinerlei Zweifel an der Bedeutung des Hirntods als si- cherem Todeszeichen. „Denn mit dem Tod des Gehirns ist die körper- lich-geistige Einheit zerstört, die der lebende Mensch war“, sagte Angst- wurm.
Absage an
aktive Euthanasie
Angstwurm befürwortete ebenso wie Prof. Dr. jur. Dr. h. c. Hans-Lud- wig Schreiber, Präsident der Georg- August-Universität Göttingen, die
„erweiterte Zustimmungslösung“, wo- nach bei fehlender schriftlicher Er- klärung des Verstorbenen die näch- sten Angehörigen des Verstorbenen über eine Organentnahme entschei- den können. Dazu Schreiber: „Die Angehörigen haben auch nach gelten- dem Recht nach dem Tod des Betrof- fenen wesentliche Entscheidungen zu treffen, so etwa über die Frage der Zulässigkeit einer Sektion oder über die Art der Be- stattung. Die Menschen- würde wird durch die er- weiterte Zustimmungslö- sung nicht verletzt.“ Schrei- ber, Vorsitzender der Stän- digen Kommission Organ- transplantation der Bundes- ärztekammer, wies außer- dem darauf hin, daß durch das Hirntodkonzept bei- spielsweise Apalliker vor ungerechtfertigten Eingrif- fen geschützt würden.
1 Um den Schutz die- ser Wachkoma-Patienten geht es auch in der geplan- ten Neufassung der zuletzt 1993 aktua- lisierten Richtlinien für die ärztliche Sterbebegleitung durch den Ausschuß für medizinisch-juristische Grundsatz- fragen der Bundesärztekammer, die von ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr.
med. Eggert Beleites, vorgestellt wur- de. Der Präsident der Landesärzte- kammer Thüringen betonte, daß auf keinen Fall an ein Verhungern- oder Verdurstenlassen bei apallischen Pati- enten gedacht sei. Die Basisbetreuung in Form von Zuwendung, Pflege, Schmerzbekämpfung, Freihalten der Atemwege und Ernährung müsse auch bei Schwerstkranken aufrecht- erhalten bleiben. Eine aktive Eu- thanasie nach niederländischem Vor- bild werde es in Deutschland ebenfalls nicht geben. In der neuen Sterbe- hilferichtlinie werde lediglich über die Einstellung parenteraler Ernährung und eine stärkere Gewichtung von Pa- tientenverfügungen diskutiert, beton- te Beleites. Gisela Klinkhammer A-815 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 13, 28. März 1997 (27)
T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE
Die Reproduktionsmedizin wirft eine Reihe von ethischen Problemen auf.
Foto: Deutsche Klinik für Fortpflanzungsmedizin GmbH, Bad Münder