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Archiv "Zusammenhang zwischen Reserpin-Einnahme und Brustkrebs?" (05.06.1975)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin KOMPENDIUM

Grundgedanke

einer Fall-Kontroll-Studie

Bei einer „Fall-Kontroll-Studie"

geht man so vor, daß zu einer Gruppe von „Fällen", die die Er- krankung oder Schädigung aufwei- sen, eine „Kontrollgruppe" erho- ben wird mit dem Ziel, die beiden Gruppen hinsichtlich bestimmter vermuteter Ursachenfaktoren der Schädigung zu vergleichen. Kritik an einem derartigen Erhebungs- plan ist aus drei Gründen möglich:

O Fall- und Kontrollgruppe sind hinsichtlich wichtiger anderer be- kannter oder zu vermutender Ursa- chenfaktoren unterschiedlich zu- sammengesetzt (Verletzung der Forderung der Strukturgleichheit, Koller).

e Fall- und Kontrollgruppe sind in bezug auf die Datenerhebung, ins- besondere hinsichtlich der Ursa-

chenfaktoren, mit unterschiedli- chen Techniken, unter verschiede- nen Aspekten oder nicht gleich ge- nau untersucht (Verletzung der Forderung der Beobachtungs- gleichheit, Koller).

e

Die Fall-Gruppe ist nicht reprä- sentativ für die Gesamtpopulation der Fälle. In diesem Falle würde trotz Struktur- und Beobach- tungsgleichheit die Vergleichbar- keit beeinträchtigt sein können, wenn zum Beispiel vorzugsweise solche Fälle in die Stichprobe ge- langten, die die vermutete Schädi- gung aufwiesen (Hartmann).

Repräsentativität der Stichprobe für die Gesamtbevölkerung wird hingegen nicht gefordert. Das er- klärt sich daraus, daß von der Sachfrage her oft nur für eine Teil- population der Zusammenhang zwischen Schädigung und Erkran- kung zu bestehen braucht — was

auch bei dem vorliegenden Pro- blem zutrifft — und eine repräsen- tative Erhebung in der Gesamtbe- völkerung, die durch eine Fall-Kon- troll-Studie i. a. nicht erreicht wird, einen nutzlosen Aufwand durch Untersuchung von Bevölkerungs- teilen bedeuten würde, die zur Be- antwortung der Zusammenhangs- frage keinen Beitrag liefern kön- nen. Die einzige Rechtfertigung, eine die Gesamtbevölkerung reprä- sentierende Stichprobe zu fordern, könnte darin erblickt werden, daß über mögliche andere Ursachen der Schädigung keine .Vorstellun- gen bestehen und damit die Struk- turgleichheit nicht überprüfbar ist.

Anwendung

auf die vorgelegten Ergebnisse Die Methode der „matched pairs", die in den in Boston und Helsinki durchgeführten Untersuchungen verwendet wurde, führt zu Struktur- gleichheit in den Kriterien, nach denen Paare gebildet werden, ins- besondere auch zu gleicher Alters- struktur. Es ist nicht sinnvoll, glei- che Alterszusammensetzung der Patientinnen mit und ohne Reser- pineinnahme zu fordern, denn es werden nicht die relativen Häufig- keiten für das Auftreten von Brust- krebs miteinander verglichen, son- dern die relativen Häufigkeiten für die Reserpineinnahme in der Gruppe der Brustkrebspatientinnen und der Kontrollgruppe. Die gleich- artige Alterszusammensetzung der letztgenannten Gruppen garantiert aber gerade der Matched-pairs- Plan.

Repräsentativität für die Gesamtbe- völkerung braucht, wie oben aus- geführt wurde, nicht zu bestehen.

Für die Fallgruppe ist die notwen- dige Repräsentativität für die Ge- samtheit der Brustkrebsfälle gege- ben (Punkt 3), da die Ersterkran- kungen an Brustkrebs in den unter- suchten Regionen praktisch einer Vollerfassung unterliegen dürften.

Die Selektion der Kontrollgruppe, die durch das Herausnehmen der aufgrund der Erstdiagnose be- zeichneten Kreislauf- und Krebs- kranken entsteht, ist besonders

Zusammenhang

zwischen Reserpin-Einnahme und Brustkrebs?

Eine ungelöste Frage

Hans J. Jesdinsky

Aus dem Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Universität Freiburg (Direktor: Prof. Dr. E. Walter)

Über den Zusammenhang zwischen Reserpineinnahme und Brust- krebs wurden drei Studien in den USA, England und Finnland ver- öffentlicht, die unterschiedlich beurteilt wurden. Einige Stellungnah- men erwecken den Eindruck, daß wegen statistischer Schlußfehler in den erwähnten Studien ein solcher Zusammenhang nicht mehr diskutiert zu werden brauche. Bei näherer Betrachtung läßt sich die- se Auffassung nicht aufrechterhalten, man kann im Gegenteil den in den Studien geäußerten Verdacht mit statistischen Überlegungen allein ohne Vorlage neuer gründlich analysierter empirischer Be- funde nicht entkräften. Dies sollen die folgenden Ausführungen zeigen.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 23 vom 5.Juni 1975 1771

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Reserpin und Brustkrebs

hinsichtlich der so eliminierten Hochdruckkranken bedenklich.

Legt man eine Zahl von 200 in der Boston-Studie ausgeschlossenen Kontrollfällen mit vermuteter Re- serpineinnahme zugrunde, so kommt man nur auf anteilig 36 aus- geschlossene (von ca. 3500 wurden nur 600 für die Paarbildung ver- wendet). Diese kann man aber an- dererseits nicht alle in die Kontroll- gruppe hineinnehmen, denn inter- nistisches Krankengut ist vermehrt mit behandelten Hypertoniefällen belastet, ganz abgesehen davon, daß unter den weiteren Diagnosen, die nicht für einen Ausschluß von Patienten herangezogen wurden, ebenfalls schon Hypertonie vor- kommen kann. Für eine im ganzen hinsichtlich der Hypertoniehäufig- keit vergleichbare internistische Kontrollgruppe spricht auch, daß die Reserpineinnahmefrequenz in der chirurgischen Kontrollgruppe gleich derjenigen in der internisti- schen ist. Der Selektionseffekt in der chirurgischen, ja ebenfalls al- tersmäßig gleichartig zusammen- gesetzten Kontrollgruppe aber dürfte nicht groß sein, jedenfalls wären Verzerrungen in die eine wie in die andere Richtung denkbar.

Selbst bei günstigen Annahmen wird man so mit dem Material der Boston-Studie kaum zu einem rela- tiven Brustkrebsrisiko der mit Re- serpin Behandelten unter 2,0 ge-

langen.

Trotz dieser ersten Ergebnisse war es notwendig, weitere Erhebungen vorzunehmen, denn die Ergebnisse in Boston waren zunächst im Rah- men des routinemäßig betriebenen Überwachungsprogramms aufge- fallen und alle weiteren,. an dem- selben Krankengut angestellten Untersuchungen könnten trotz der nachfolgend vorgenommenen Kor- rekturen an der Kontrollgruppe durch eine zufällig bezüglich der Reserpineinnahme extrem ausge- fallene Gruppe von Brustkrebsträ- gerinnen belastet sein. Beide ande- ren Studien jedoch bestätigen den Zusammenhang. In der englischen Studie ist das Alter der Kontroll- gruppe durchschnittlich höher, was die Reserpineinnahmefrequenz in

der Kontrollgruppe erhöhen dürfte.

Hierauf — oder auch darauf, daß auch eine Assoziation von Reser- pineinnahme und anderen Krebslo- kalisationen besteht — könnte der nur schwache und statistisch nicht signifikante Zusammenhang in der Untersuchung beruhen. Weitere vorgebrachte Zweifel an der Ver- gleichbarkeit der englischen Kon- trollgruppe führen auf die Frage, ob man bei Brustkrebspatientinnen häufiger mit einem Bluthochdruck rechnen muß. Würde man dies be- jahen müssen, so fände der Zu- sammenhang zwischen Reserpin- einnahme und Brustkrebs eine ein- fache Erklärung.

Bei der Bewertung der Helsinki-Stu- die ist zu berücksichtigen, daß die Medikamentenanamnese bei den Kontrollfällen im Mittel besser er- faßt werden konnte, da durch- schnittlich mehr frühere stationäre Behandlungen und damit eine bes- sere Dokumentation als bei den Brustkrebsfällen vorlagen. Man kann darin ein Gegengewicht ge- gen eine mögliche Selektion infol- ge Nichtberücksichtigung von Herz-, Gefäß- und Nierenoperatio- nen erblicken.

Folgerungen

Verglichen mit anderen, rein stati- stisch aufgefundenen Zusammen- hängen, etwa Rauchen und Herzin- farkt oder Rauchen und Lungen- krebs mit einem relativen Risiko von fünf und höher, ist das relative Risiko für Brustkrebs von zwei, eventuell auch drei der Reserpin- gruppe nicht besonders hoch.

Wenn damit auf der einen Seite kein Anlaß besteht, den Zusam- menhang jetzt schon für erwiesen zu halten, wie verschiedene Zeitun- gen, zum Beispiel „Die Zeit", be- richteten, so sollten aber ange- sichts des nunmehr bestehenden Verdachts die Verantwortlichen, nämlich die Gesundheitsbehörden, die Ärzte und die Herstellerfirmen, weitere Untersuchungen fordern.

Aussicht auf Klärung bieten neue retrospektive Studien. In die Pla-

nung solcher Fall-Kontroll-Studien sollten alle Überlegungen einge- hen, zu denen die Mängel der vor- gelegten drei Studien und die Dis- kussionen darüber Anlaß geben.

Ein anderes Vorgehen dürfte aus folgenden Gründen nicht zum Ziel führen.

0 Das Material der Boston-Studie, das von der Dokumentation her am leichtesten zugänglich sein dürfte, neu zu analysieren, zum Beispiel die unterlassene Berücksichtigung der weiteren fünf Diagnosen nach- zuholen und eine Schichtung nach Patientinnen mit und ohne Hoch- druck und, je nach den Indikatio- nen, unter denen Reserpin verab- reicht wurde, Schichtungen nach noch weiteren Diagnosen durchzu- führen, wird den dann immer noch möglichen Einwand nicht entkräf- ten können, man könne Hypothe- sen, die aufgrund einer Stichprobe aufgestellt worden sind, nicht an derselben Stichprobe testen.

43 Eine prospektive Studie an Hochdruckkranken, die zufällig Re- serpin beziehungsweise einer an- deren Behandlung zugeteilt wer- den, ist ärztlich schwerlich zu rechtfertigen und würde überdies zu lange Zeit in Anspruch nehmen.

0 Eine sogenannte „prospektive Studie mit zurückverlegtem Aus- gangspunkt", in der nachgehend das Schicksal Hochdruckkranker aufgerollt und die Medikamenten- anamnese und die Brustkrebsinzi- denz ermittelt wird, dürfte an der Fluktuation in dieser Patienten- gruppe scheitern.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Hans Jesdinsky Institut für medizinische Statistik und Dokumentation der Universität 78 Freiburg im Breisgau

Stefan-Meier-Straße 26

1774 Heft 23 vom 5. Juni 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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