A K T U E L L
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 20⏐⏐19. Mai 2006 AA1333
Gesundheitsreform
Patienten droht Mehrbelastung
Die DGVP mahnt stärkere Einbeziehung von Patien- tenrechten an.
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or einer Abkehr von der solidarischen Finanzie- rung des Gesundheitswesens warnt die Deutsche Gesell- schaft für Versicherte und Pa- tienten (DGVP). Nach allem, was bisher aus Koalitionskrei- sen zu hören sei, laufe die geplante Gesundheitsreform auf eine stärkere Belastung der Patienten bei gleichzeiti- gem Abbau von Leistungen hinaus, beklagte Wolfram-Ar- nim Candidus, Vorstandsmit- glied der DGVP in Berlin.Insbesondere das jüngst ins Gespräch gebrachte Fonds- Modell, das eine verstärkte Steuerfinanzierung des Ge- sundheitswesens vorsieht, kritisierte Candidus scharf.
Neben einer überbordenden Bürokratie sei eine Gesund- heitspolitik nach Haushalts- lage zu befürchten. Außer-
dem würden die Versicherten gleich mehrfach belastet. So belaufe sich der Steuerzu- schlag, den jeder Bürger für das Gesundheitswesen ent- richten müsste, auf etwa 30 Euro im Monat. Durch das Einfrieren der Arbeitgeber- beiträge kämen für die Ar- beitnehmer höhere Beitrags- sätze für die Gesetzliche Krankenversicherung von rund 2,3 Prozent hinzu. SR
Stalking
Eigenständige Strafnorm
Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Stalking
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er Bundesrat hat einen Ge- setzentwurf zur Bekämp- fung von Stalking vorgelegt.Das geltende Straf- und das Strafverfahrensrecht bietet ge- gen das Phänomen der fortge- setzten Verfolgung,Belästigung und Bedrohung einer anderen Person nur eingeschränkten Schutz, so die Begründung. Es
existiere keine eigenständige Strafnorm, die solches Verhal- ten als schweres, strafwürdiges Unrecht kennzeichnet. Auch fehle es an Handhaben, um die erfahrungsgemäß sich ver- schlimmernde „Bedrohungs- spirale“ zu beenden. Die Poli- zei und die Strafverfolgungs- behörden müssten im Extrem- fall warten, bis es zur Eskalati- on kommt.
Im Entwurf eines „Stal- king-Bekämpfungsgesetzes“
wird deshalb vorgeschlagen, einen eigenen Paragraphen (§ 238) „Schwere Belästi- gung“ in das Strafgesetzbuch einzuführen. Wer „in einer Weise, die geeignet ist, einen
Menschen in seiner Lebens- gestaltung erheblich zu bein- trächtigen, diesen nachhaltig belästigt, (. . .) ihm körperlich nachstellt oder unter Verwen- dung von Kommunikations- mitteln verfolgt, (. . .) oder ihn mit einem empfindlichen Übel bedroht“, kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden. Wird das Stalking-Opfer oder ein Angehöriger gesundheitlich geschädigt, ist die Strafe ent- sprechend höher. Darüber hinaus soll eine Deeskalati- onshaft für gefährliche Stal- king-Täter angeordnet wer- den können (§ 112a Strafpro-
zessordnung). PB
Stalking-Opfer sind derzeit gesetzlich nur unzureichend geschützt.
Foto:KEYSTONE
Östrogen und Brustkrebs
Es geht hin und her
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rst vor wenigen Wochen hatte eine Auswertung der Women’s Health Initiative (WHI) ergeben, dass die Gabe von Östrogenen bei postmeno- pausalen Frauen das Brustkrebsrisiko nicht erhöht (DÄ, Heft 18/2006). Jetzt kommen US-Epidemiologen auf der Basis der Nurses’ Health Study in den Archives of Internal Medicine (2006;166: 1027–32) zu einer entgegenge- setzten Einschätzung. Danach steigert die Östrogentherapie langfristig das Brustkrebsrisiko. Die Nurses’ Health Study ist anders als die WHI keine ran- domisierte kontrollierte Studie, son- dern eine Beobachtungsstudie. Die Be- weiskraft ist deshalb geringer. In der Vergangenheit wurden häufig Ergeb-
nisse von Beobachtungsstudien durch randomisierte kontrollierte Studien wi- derlegt. Dies gilt jedoch nicht zwangsläu- fig. Als Beobachtungsstudien hatte die Nurses’ Health Study einen wichtigen Vorteil gegenüber der WHI. Während die WHI nach sieben Jahren abge- brochen wurde, beobachtet die Nurses’
Health Study die Teilnehmerinnen nun- mehr seit mehreren Jahrzehnten.
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abei kam heraus, dass das Brust- krebsrisiko in den ersten Jahren der Östrogentherapie nicht erhöht ist. Die multivariaten relativen Risiken (RR), welche die Gruppe um Wendy Chen vom Brigham and Women’s Hospital in Boston mitteilt, lassen sogar eine leich- te Reduktion – wie in der WHI – als möglich erscheinen. Später kommt es jedoch zu einem Anstieg des Brust- krebsrisikos. Frauen, die länger als 20 Jahre Östrogene einnahmen, erkrank-ten zu 42 Prozent häufiger an Brust- krebs (RR 1,42; 95-Prozent-Konfidenz- intervall 1,13–1,77). Für die Untergrup- pe der Rezeptor-positiven Tumoren (ER+/PR+) war bereits nach 15 Jahren ein erhöhtes Brustkrebsrisiko erkenn- bar (RR 1,48; 1,05–2,07). So lange dürf- te heute keine postmenopausale Frau mehr mit Östrogenen behandelt wer- den. Die Leitlinien raten übereinstim- mend zu einem möglichst kurzfristigen Einsatz zur Behandlung klimakteri- scher Beschwerden.