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Archiv "Infektionskrankheiten des Nervensystems: Mögliche Auslöser der multiplen Sklerose" (12.11.1999)

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ie Aufklärung über Borreli- en-Infektionen im neurolo- gischen Bereich führte schon zu wesentlichen Erfolgen. Mit diesen Worten eröffnete Prof. Dr. Anton Haaß das Symposium über „Infekti- onskrankheiten des Nervensystems“

am 29. Mai 1999 in Saarbrücken, das er zusammen mit Priv.-Doz. Johan- nes Treib leitete.

In den letzten neun Jahren wurde in der Neurologischen Universitäts- klinik Homburg kein Fall einer chro- nischen Borreliose des ZNS mit multi- ple-Sklerose-(MS-)ähnlichem Verlauf registriert. Auch Schlaganfälle durch eine Borreliose-Arteriitis sind selten geworden. Eine besondere Heraus- forderung ist die Chlamydien-Hypo- these zur multiplen Sklerose, die aus aktuellem Anlaß einen Schwerpunkt der Tagung bildete.

Roland Mertens, Ministerium für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes, betonte, daß Infektionskrankheiten in den letzten Jahren auch unter gesund- heitspolitischen Aspekten wieder an Bedeutung gewonnen haben. Nach den bahnbrechenden Erfolgen in der Entwicklung hochwirksamer Impf- stoffe und Antibiotika glaubte man insbesondere in den westlichen In- dustriestaaten vorschnell, diese Krankheiten kontrollieren zu kön- nen.

Die zum Teil auf die unkritische Verabreichung von Antibiotika in der Massentierhaltung zurückzu- führende zunehmende Problematik der Resistenzentwicklung von Anti- biotika und die wachsende Bedeu- tung neuer Infektionskrankheiten für den Menschen haben diese Krankheiten wieder stärker in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.

Speziell unter dem Aspekt der gebo- tenen ständigen Aktualisierung von Impfempfehlungen sind für die Ge- sundheitsbehörden Daten zur Epi-

demiologie von Erregern wie zum Beispiel der Frühsommer-Meningo- enzephalitis (FSME) von großer Be- deutung.

Chlamydien-Hypothese bei multipler Sklerose

Wolfgang Stille und Christoph Stephan, Frankfurt/Main, sprachen über die Ätiologie der multiplen Sklerose, die bisher ungeklärt ist. Ei- ne Reihe von Argumenten erlaubt die Interpretation des disseminiert entzündlichen ZNS-Prozesses, der zuletzt als Autoaggressionskrankheit interpretiert wurde, als chronisch- persistierende Infektionskrankheit mit den erst im Jahr 1985 erkannten gramnegativen intrazellulären Erre- gern Chlamydia pneumoniae. Dieses weltweit verbreitete Agens stellt die dritt- bis vierthäufigste Ursache von meist leichteren Pneumonien dar.

Überdies mehrten sich in den letzten zehn Jahren die Hinweise auf eine infektiöse Ursache der Arterio- sklerose, die die Interpretation der Arteriosklerose als eine chronisch vor sich hinschwelende, über Jahr- zehnte verlaufende Gefäßinfektion mit Chlamydia pneumoniae zulas- sen. Die Tatsache, daß es offensicht- lich eine weit verbreitete chronische Gefäßinfektion durch Chlamydia pneumoniae bei Europäern und Nordamerikanern gibt, rückt die Pa- thogenese der MS in ein neues Licht.

Es gibt eine Reihe von Argumenten für die These, daß auch die MS das Resultat einer chronisch persistie- renden Infektion des Zentralnerven- systems mit Chlamydia pneumoniae darstellt:

c Von Kurztke et al. wurden an- hand der Analyse der MS-Epidemie nach 1940 auf den Färöer-Inseln epi- demiologische Kriterien für ein zu forderndes infektiöses Agens in der

Pathogenese der MS erstellt. Der erst Ende der 80er Jahre beschriebe- ne gramnegative, obligat intrazel- luläre Erreger Chlamydia pneumo- niae erfüllt diese perfekt.

c Eine wegweisende Einzelka- suistik von Sriram und Mitarbeitern:

Bei einem jungen Mann mit rapid- progressiver multipler Sklerose wur- de serologisch, mittels PCR, sowie kulturell im Liquor eine Chlamydia- pneumoniae-Infektion nachgewie- sen. Unter Antibiotika-Therapie mit Ofloxacin und Rifampicin verbesser- te sich die Symptomatik.

c Das gleiche Forschungsteam aus Nashville/USA berichtet jetzt über den Nachweis von Chlamydia pneumoniae mittels PCR und Kultur bei MS-Patienten: In Untersuchun- gen bei 17 Patienten mit schubförmi- ger multipler Sklerose wurde bei al- len in der PCR und bei acht Patien- ten kulturell Chlamydia pneumoniae im Liquor nachgewiesen. Bei Patien- ten mit progredienter MS gelang in 19 von 20 Patienten der PCR-Nach- weis, bei 16/20 der kulturelle Nach- weis. Ferner wurden die als oligoklo- nale Banden bekannten autochthon produzierten IgG-Fraktionen im Li- quor von Chlamydia pneumoniae adsorbiert, ein möglicher Hinweis auf die Spezifität dieser Antikörper.

Eine Kontrollgruppe neurologischer Patienten (n=27) ohne MS wies so- wohl in der PCR, als auch in der Kul- tur überwiegend negative Ergebnis- se auf (PCR positiv 4/27, kulturell positiv 3/27).

c Die gängige, für symptoma- tisch gehaltene Therapie mit Interfe- ron-beta hat eine potentielle Chlamy- dien-Wirksamkeit: Experimentell las- sen sich Chlamydien durch Interferon inhibieren.

c Die geographische Epidemio- logie der MS und die der Arterio- sklerose weisen eine bemerkenswer- te, zuvor noch nicht berücksichtigte

Infektionskrankheiten des Nervensystems

Mögliche Auslöser

der multiplen Sklerose

D

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Ähnlichkeit auf. Beide Erkrankun- gen zeigen ein nahezu identisches Nord-Süd-Gefälle und eine ähnliche weltweite Verteilung.

c Säugetierchlamydien können besonders bei Rindern zu einer chro- nischen Enzephalomyelitis führen, die der MS ähnelt. Es gibt also so et- was wie eine natürliche Rinder-MS.

c Migrationsstudien zeigen, daß Migranten das Risiko, eine multiple Sklerose zu entwickeln, von dem Land mitnehmen, in dem sie während ihrer Pubertät gelebt haben. Das Mi- grationsverhalten der MS paßt gut zu der These, daß die primäre Gefäßin- fektion von Chlamydia pneumoniae typischerweise in der älteren Kind- heit, beziehungsweise der Adoles- zenz erfolgt.

Es erscheint notwendig, einen möglichen Zusammenhang zwischen MS und Chlamydien zu untersuchen.

Chlamydien-Serologie, Chlamydien- PCR, Immunhistologie, möglichst sogar Anzucht, sollten bei frisch auf- getretener MS zum diagnostischen Standard gehören. Ebenso ergibt sich die Forderung nach genau kon- trollierten Therapiestudien mit An- tibiotika bei Patienten mit multipler Sklerose, die eine gute Wirkung ge- gen Chlamydia pneumoniae haben und neben den etablierten klassi- schen, aber auch modernen The- rapieverfahren der multiplen Sklero- se gegeben werden können.

Chlamydien-Untersuchungen

Armin Grau, Heidelberg, und Gerlinde Layh-Schmitt, Hygiene-In- stitut der Universität Heidelberg, wiesen darauf hin, daß die Ursachen der MS bislang unbekannt sind. Epi- demiologische und experimentelle Befunde deuten darauf hin, daß In- fektionen als Ursache oder zumin- dest als initialer Trigger-Faktor mög- licherweise eine wichtige Rolle spie- len. Eine kürzlich veröffentlichte Kasuistik hat erstmals die Möglich- keit eines Zusammenhangs zwischen MS und Infektionen mit Chlamydia pneumoniae in die Diskussion ge- bracht. Grau und Layh-Schmitt ga- ben einen Zwischenbericht über eine derzeit durchgeführte Studie, in de- ren Rahmen Patienten mit gesicher- ter MS, Patienten mit wahrscheinli-

cher oder möglicher MS und Kon- trollpatienten ohne Hinweis auf im- munologisch vermittelte Erkrankun- gen des ZNS untersucht werden. Der Liquor wird mittels nested PCR auf Chlamydia pneumoniae hin analy- siert. Bei sechs Patienten unternah- men sie den Versuch einer Anzucht von Chlamydia pneumoniae in hu- manen Lungenepithel-(HL-)Zellen.

Bei den bislang untersuchten Patien- ten mit gesicherter MS (n=21) und bei den Patienten mit möglicher oder wahrscheinlicher MS (n=11) fand

sich jeweils in rund einem Viertel der Fälle eine positive PCR.

Im Gegensatz dazu waren alle Kontrollpatienten (bislang n=47) ne- gativ. Bei drei PCR-positiven Patien- ten ergaben sich Hinweise auf die Erreger in einem indirekten Immun- fluoreszenztest in der Zellkultur, wo- hingegen der Nachweis bei drei PCR-negativen Patienten negativ ausfiel. Eine Vermehrung der Erre- ger gelang jedoch bislang nicht. Die- se präliminaren Ergebnisse eröffnen die Möglichkeit, daß Infektionen mit Chlamydia pneumoniae bei einer Subgruppe von MS-Patienten eine Rolle spielen, wenngleich auf einen kausalen Zusammenhang bislang nicht geschlossen werden kann.

Chlamydien-Liquordiagnostik Gerhard Holzer,Homburg/Saar, berichtete über Testergebnisse zum Nachweis von Antikörpern gegen Chlamydia pneumoniae im Liquor cerebrospinalis von MS-Patienten.

Angeregt durch die spektakulären Ergebnisse aus der Vanderbilt Uni-

versität in Nashville, USA, wurden in einer Pilotuntersuchung Liquores von 22 MS-Patienten mit nachgewie- senem oligoklonalem IgG im Liquor, als Zeichen einer intrathekalen IgG- Synthese, serologisch auf eine mögli- che Infektion durch Chlamydia pneumoniae untersucht. Von acht dieser Patienten wurde parallel dazu Liquor von Matthias Maaß, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Medizinischen Univer- sität Lübeck, mit Hilfe der PCR auf Chlamydien-spezifische Gensequen- zen getestet, wobei zwei Li- quorproben positiv waren.

Acht der 22 Patienten (36 Prozent) wiesen eine intrathe- kale Bildung von Chlamydi- en-spezifischen IgG-Antikör- pern auf. IgM-Antikörper, die auf eine frische Infektion hin- gedeutet hätten, konnten im Liquor nicht nachgewiesen werden. Auch unspezifische Hinweise auf eine akute Ent- zündung des Gehirns, wie eine Zellzahl- und Eiweißer- höhung, wurden weder bei den acht Fällen mit auto- chthoner Chlamydien-spezifi- scher Antikörperproduktion noch bei den zwei in der PCR positiv getesteten Patienten gefunden. Holzer hielt es daher für möglich, daß diese Antikör- per im Liquor als Folge einer unspezi- fischen Reaktion gebildet werden, wie die bei MS-Patienten bekannte in- trathekale Bildung von Antikörpern gegen verschiedene Viren. Therapie- empfehlungen könnten daher aus einem Antikörpernachweis derzeit nicht abgeleitet werden.

Ehrlichiose und Babesiose

Klaus-Peter Hunfeldund Volker Brade, Frankfurt/Main, erklärten, daß die Erreger der humanen granu- lozytären Ehrlichiose (HGE) und der humanen Babesiose durch Zecken vom Ixodes-ricinus-Komplex beim Saugakt übertragen werden können.

Sie sind aber als humanmedizinisch bedeutsame Mikroorganismen bis- lang wenig bekannt. Molekularbiolo- gische und seroepidemiologische Stu- dienergebnisse sowie erste Fallbe- richte aus Europa belegen jedoch ein A-2908

M E D I Z I N KONGRESSBERICHT

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Chlamydia pneumoniae kann nur in der Zellkultur isoliert werden.

Die Immunfluoreszenz zeigt multiple, intrazelluläre Einschlüsse aus replizierenden Chlamydien in menschlichen Wirtszellen.

(Photo: Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Maaß, Medizinische Universität zu Lübeck)

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relevantes Vorkommen auch in eu- ropäischen Regionen. Während die HGE-Erreger (obligat intrazelluläre Bakterien) vor allem Granulozyten befallen, stellen Erythrozyten die be- vorzugten Zielzellen der Babesien (malariaähnliche Protozoen) dar.

Die Ehrlichiose wie auch die Ba- besiose treten vermehrt in den Som- mermonaten auf und zeigen ein brei- tes Spektrum von Symptomen, das von eher grippeähnlichen, fieberhaf- ten Allgemeininfektionen bis hin zu seltenen prognostisch ungünstigen Verläufen mit ZNS- und Nierenbetei- ligung sowie Atemnotsyndrom des Erwachsenen (ARDS) und Gerin- nungsstörungen reicht. Die Differen- tialdiagnose der akuten Erkrankung und die Abgrenzung gegenüber ande- ren Zecken-übertragenden Erregern bereitet unter Umständen erhebliche Schwierigkeiten. Ein stadienhafter Verlauf der Infektion wie bei der FSME oder der Lyme-Borreliose wird nicht beobachtet. In der Akutpha- se gelingt bei einem Teil der Patien- ten der direkte Erregernachweis im Giemsa-gefärbten Blutausstrich.

Weiterhin stehen in Spezialla- bors die PCR und der Antikörper- nachweis mittels Immunfluoreszenz- test für die Sicherung der Diagnose zur Verfügung. Die meisten Infektio- nen bedürfen bei blandem oder sub- klinischem Verlauf keiner weiteren spezifischen Therapie. Für die Be- handlung von schweren Verläufen wird üblicherweise für die HGE- Doxycyclin und für die Babesiose ei- ne Kombinationstherapie mit Chinin und Clindamycin für 14 bis 21 Tage angewendet. Neben der Borreliose und der FSME sollten auch die ge- nannten Erreger in die Differential- diagnose fieberhafter Infektionen nach einem Zeckenstich miteinbezo- gen werden.

Borreliose und FSME bei Kindern

Wolfram Jost, Homburg, erör- terte die Besonderheiten der Borre- liose und FSME im Kindes- und Ju- gendalter, wobei insbesondere auch die für diese Altersgruppe typischen klinischen Verläufe hervorgehoben wurden. So zeigt sich die Borreliose

beim Kind überwiegend in Form des Erythema chronicum migrans, der peripheren Fazialisparese und einer serösen Meningitis, wohingegen Spätstadien mit chronischen Verläu- fen mit Ausnahme der Lyme-Arthri- tis (drei bis zehn Prozent chronischer Arthritiden) in dieser Altersgruppe bei suffizienter Therapie nicht gese- hen werden. Die Neuroborreliose kommt doppelt so häufig vor wie beim Erwachsenen. Diagnostische Probleme bestehen nach wie vor bei der Borreliose, da die serologischen Untersuchungen in Blut und Liquor zu Beginn der Symptomatik oft ne- gativ ausfallen, weil die diagno- stischen Methoden nicht standardi- siert sind und auch die PCR-Dia- gnostik eine geringe Sensitivität auf- weist.

Bei der Neuroborreliose ist ne- ben der neurologischen Symptoma- tik die lymphozytäre Liquorpleozy- tose mit Schrankenstörung obligat, der Nachweis der intrathekalen, er- regerspezifischen Antikörpersyn- these gelingt insbesondere zu Beginn der Symptomatik oft nicht. Somit läßt sich die Diagnose einer Borre- liose meist nur in der Synopsis der anamnestischen, klinischen und la- borchemischen Parameter mit hin- reichender Sicherheit stellen. Eine antibiotische Therapie ist bei allen Formen der Borreliose trotz der ho- hen Spontanheilungsrate erforder- lich.

Bei unklarer laborchemischer Konstellation ist unter klinisch be- gründetem Verdacht eine probato- rische Therapie indiziert. Beim Erythema chronicum migrans ge- nügt eine orale antibiotische Be- handlung mit Amoxycillin (< neun Jahre) beziehungsweise Doxycyclin (> neun Jahre) über zehn Tage. Die Neuroborreliose erfordert eine zwei- wöchige, intravenöse Gabe eines Ce- phalosporins der dritten Generation (zum Beispiel Ceftriaxon), ebenso auch die Lyme-Arthritis und ande- re seltene Organmanifestationen (Herz, Auge). Eine aktive Impfung gegen Borrelien steht zur Zeit in Eu- ropa noch nicht zur Verfügung, pro- phylaktische Maßnahmen, insbeson- dere das frühzeitige, fachgerechte Entfernen der Zecke sind aber hilf- reich. Vor allem beim Kind muß da-

bei auch der behaarte Kopf nach Zecken abgesucht werden.

Die FSME im Kindesalter stellt zur Zeit im Saarland ein untergeord- netes Problem dar, da diese Erkran- kung hier bisher in dieser Alters- gruppe als genuin erworbene Infek- tion noch nicht aufgetreten ist (ledig- lich bei zwei Erwachsenen). Die ak- tive Impfung ist auf Grund des sehr geringen Erkrankungsrisikos in dieser Region im Gegensatz zu den typischen Endemiegebieten in Deutschland nicht indiziert. In der überwiegenden Zahl der Erkran- kungsfälle im Kindes- und Jugendal- ter verläuft die FSME als Meningitis mit sehr guter Prognose. Schwerere, enzephalitische Verläufe sind selten, können dann aber mit neurologi- schen Residualsymptomen einherge- hen, in ein bis fünf Prozent auch le- tal ausgehen. Die Labordiagnostik der Erkrankung mittels Antikörper- bestimmung in Blut und Liquor (ELISA) bereitet im Gegensatz zur Borreliose keine Schwierigkeiten.

Die Therapie ist symptomatisch, die Gabe von FSME-Immunglobulin – auch als Postexpositionsprophylaxe – ist bei Kindern obsolet.

Borreliose und FSME bei Erwachsenen

Johannes Treib, Homburg, be- richtete zunächst über eine schwedi- sche Studie zur Epidemiologie der Borreliose. Demnach beträgt die jährliche Inzidenz dieser Erkran- kung 69 je 100 000 Einwohner. Die häufigste Manifestationsform ist das Erythema migrans mit 79 Prozent, gefolgt von der Neuroborreliose mit 16 Prozent. Gelenkbeschwerden tre- ten in Europa im Vergleich zu den USA mit sieben Prozent relativ sel- ten auf.

Die serologische Diagnostik der Borreliose wird durch die hohe Rate einer klinisch stummen Durchseu- chung erheblich erschwert. In dem eigenen Patientenkollektiv fand sich bei 6 775 Patienten eine Quote von 24 Prozent IgG-positiven Patienten.

Die Ergebnisse einer Schweizer Stu- die ergaben jedoch bei gesunden Blutspendern eine im Vergleich zu neurologisch erkrankten Patienten

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eine praktisch identisch hohe Rate von IgG-positiven Probanden. Der derzeit verläßlichste serologische Marker für eine Neuroborreliose ist der liquordiagnostische Nachweis ei- ner spezifischen intrathekalen Anti- körperproduktion.

Eine in Kooperation mit dem Bundesministerium für Verteidigung durchgeführte prospektive Doppel- blinduntersuchung von mehr als 1 000 Soldaten zum Infektions- und Erkrankungsrisiko von Bundeswehr- soldaten im Saarland ergab, daß sich die Rate der Borreliose-IgG-positi- ven Rekruten im Verlauf des Wehr- dienstes von 5,5 auf 7,7 Prozent er- höhte. Manifeste Borrelioseerkran- kungen traten jedoch nur ganz ver- einzelt auf. Interessanterweise klag- ten die seropositiven Soldaten in ei- ner standardisierten Doppelblindbe- fragung jedoch signifikant häufiger über ein allgemeines Krankheitsge- fühl und häufige Müdigkeit als die seronegativen.

Treib wies bezüglich der FSME darauf hin, daß bei Erwachsenen im Vergleich zu Kindern neben der meningitischen Verlaufsform häufi- ger auch eine enzephalitische und ra- dikulitische Beteiligung vorkommt, die häufiger eine schlechtere Pro- gnose aufweist. Neben dem Auftre- ten von Erkrankungen in den klassi- schen Endemiegebieten in Baden- Württemberg und Bayern seien in den letzten Jahren auch vereinzelt Fälle in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland beobachtet wor- den. Im Saarland sei das FSME-Vi- rus gentechnisch in Zecken nachge- wiesen worden. Abgesehen von ei- ner Region im Odenwald sei die In- zidenz dieser Erkrankung in diesen

„Niedrigrisikogebieten“ jedoch zu gering, um eine generelle Impfemp- fehlung zu rechtfertigen.

Verbreitung der FSME

Gerhard Dobler,Bayerische Ge- sellschaft für Immun-, Tropenme- dizin und Impfwesen, wies darauf hin, daß das Erkrankungsrisiko bei FSME weltweit in den einzelnen Re- gionen sehr unterschiedlich ist, wor- auf auch die einzelnen Impfempfeh- lungen individuell auszurichten sind.

In Skandinavien sind die süd- westlichen Küstenregionen Norwe- gens, die Südostküste Schwedens, insbesondere die Region um Stock- holm mit ihren vorgelagerten In- seln, und ein kleines Gebiet an der Südwestküste Finnlands mit den dort vorgelagerten Aland-Inseln, FSME-Endemiegebiete. Während die norwegischen und finnischen Endemiegebiete als gering aktiv, das heißt mit wenigen Erkrankungsfäl- len einzuschätzen sind, wird dagegen in Schweden in den betroffenen Re- gionen jährlich eine größere Zahl menschlicher Erkrankungen regi- striert, die auf eine erhöhte Virus- aktivität hindeuten. In Norwegen scheint ein dem FSME-Virus ver- wandter Erreger, das sogenannte Louping-ill-Virus vorzukommen, das eine der FSME ähnliche Erkran- kung beim Menschen hervorrufen kann.

Die britischen Inseln gelten ebenfalls als FSME-frei. Allerdings findet man dort das schon erwähnte Louping-ill-Virus. Bei den westli- chen Nachbarn Deutschlands finden sich zwei kleine, gering aktive Her- de. Einer dieser Herde liegt im Elsaß und ein weiterer befindet sich west- lich des Saarlandes. Die westlich da- von gelegenen Regionen Frank- reichs sind FSME-frei. Die Benelux- Länder sind ebenfalls FSME-frei.

Das gleiche gilt für die Iberische Halbinsel. Dort wurde allerdings ebenfalls das Louping-ill-Virus iso- liert. Menschliche Erkrankungsfälle wurden bisher allerdings nicht be- kannt.

Südlich Deutschlands finden sich Herde in der Schweiz, in Italien und Österreich. In der Schweiz sind vor allem Endemieherde um den Bo- densee und entlang des Rheins zu finden. Weitere kleinere Herde fin- den sich vor allem in den nördlichen Kantonen in Regionen unterhalb 1 000 Höhenmetern. In Italien sind zwei kleinere Herde mit geringer Aktivität bekannt. Seit vielen Jahren treten in der Toskana vereinzelt Erkrankungsfälle auf. Vor wenigen Jahren wurde ein weiterer FSME- Herd im Trentino entdeckt. Alle weiteren Regionen Italiens, vor al- lem die beliebten Urlaubsgebiete an den Meeresküsten sind FSME-frei.

Große Teile Österreichs zählen zu FSME-Gebieten. Vor allem entlang der Donau, um Wien und in großen Teilen der Steiermark und Kärntens finden sich hochaktive Herde. In den letzten Jahren zeigt sich zunehmend, daß die FSME in vielen Regionen Österreichs unterhalb 1 000 Höhen- metern mit entsprechender Vegetati- on vorkommen kann.

Die eigentlichen Endemiegebie- te der FSME liegen im Südosten und Osten Europas und ziehen sich wei- ter in die Taigaregionen Rußlands und der angrenzenden Regionen. In der Slowakei sind vor allem die nördlich der Donau angrenzenden Regionen, insbesondere um Brati- slava Hochendemiegebiete. In der Tschechischen Republik zählen vor allem die Flußniederungen in der Umgebung von Prag zu den haupt- sächlichen Verbreitungsgebieten. In Polen liegen die Hauptendemie- herde im Nordosten in den Distrik- ten Bialystok, Suwalki und Olsztyn.

Auch südlich von Krakau werden immer wieder Erkrankungsfälle be- obachtet. Vereinzelte Erkrankungs- fälle treten auch verstreut in Polen auf. Die drei baltischen Länder zählen nach wie vor zu den Regionen mit den höchsten Erkrankungszah- len in Europa. Sie gelten als hochen- demische Regionen.

Im Südosten Europas setzen sich die FSME-Regionen Öster- reichs und der Slowakei in das soge- nannte Pannonische Verbreitungs- gebiet fort. In Ungarn sind vor allem die Regionen nördlich und westlich der Donau einschließlich des Plat- tensees betroffen. In den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien liegen endemische Herde vor allem im Nor- den zwischen Soave und Drau bezie- hungsweise Donau.

An der Adria waren früher ver- einzelte Herde von FSME auf den Adria-Inseln bekannt. Ihre Aktivität ist unbekannt, da in den letzten Jah- ren keine Erkrankungsfälle bekannt wurden. In Albanien werden aus al- len Landesteilen vereinzelte Erkran- kungsfälle gemeldet. Von Bulgarien und Rumänien existieren keine ver- läßlichen Daten über die Verbreitung und Erkrankungszahlen. In Griechen- land wurden vereinzelte Erkran- kungsfälle in einem Herd in der Nähe A-2912

M E D I Z I N

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von Thessaloniki bekannt. Die Akti- vität dürfte allerdings äußerst gering sein.

Die höchste Anzahl von Erkran- kungen wird jährlich aus den Taiga- regionen Rußlands gemeldet. Die gesamte Taigaregion ist als hoch- endemisch für die östliche Variante des FSME-Virus (Russische Früh- jahrs-Sommer-Enzephalitis) anzuse- hen. Die Herde setzen sich bis in den fernen Osten an die Pazifik- küste fort. In den letzten Jahren wur- den aus den angrenzenden nördli- chen Regionen Chinas FSME-Er- krankungsfälle bekannt und eben- falls aus Hokkaido, der nördlichen japanischen Insel. Alle übrigen Re- gionen der Erde (Afrika, Austra- lien und Amerika) gelten als FSME- frei.

MS-Multicenterstudie geplant

Aufgrund des möglichen Zu- sammenhangs zwischen einer Infek- tion mit Chlamydia pneumoniae und der multiplen Sklerose sowie der sich hieraus ergebenden möglichen therapeutischen Optionen, initiierte die Neurologische Universitätsklinik Homburg/Saar unter Leitung von Anton Haaß und Johannes Treib ei- ne plazebokontrollierte Multicenter- Pilotstudie. In dieser voraussichtlich Ende diesen Jahres beginnenden Untersuchung soll die klinische Wirksamkeit einer Antibiotikathe- rapie mit Roxithromycin (Rulid) un- tersucht werden. Die Studie soll in Kooperation mit dem Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Medizinischen Univer- sität Lübeck sowie der Abteilung für Infektiologie der Universitätsklini- ken Frankfurt/Main mit Unterstüt- zung der Firma Hoechst Marion Roussel, Bad Soden, durchgeführt werden.

Priv.-Doz. Dr. med.

Johannes Treib

Prof. Dr. med. Anton Haaß Neurologische Klinik Universitätskliniken des Saarlandes Kirrbergerstraße 66421 Homburg/Saar

Ein Kaiserschnitt senkt signifi- kant das Risiko der Übertragung von HIV-1 auf das Neugeborene. Dies ist das Ergebnis einer europäischen Studie, bei der 370 Kinder infizier- ter Mütter im Alter von 18 Monaten auf HIV-1 untersucht wurden. Bei ei- ner Hälfte der Mütter war in der 38. Schwangerschaftswoche eine Schnittentbindung geplant, die an- deren sollten am Termin vaginal ent- binden. Aufgrund verschiedener ge- burtshilflicher Einflußfaktoren ka- men schließlich 203 Babys per Kai- serschnitt und 167 durch vaginale Entbindung zur Welt. Alle Babys

wurden nicht gestillt. In der Gruppe der Schnittentbindungen waren im Alter von 18 Monaten sieben Kinder HIV-positiv (3,4 Prozent); bei den vaginalen Geburten waren es dage- gen 15 (10,2 Prozent). Die postparta- len Komplikationsraten aller Frauen

waren gering. silk

The European Mode of Delivery Collab- oration: Elective caesarenan-section versus vaginal delivery in prevention of vertical HIV-1 transmission: a randomi- zed clinical trial. Lancet 1999; 353:

1035–1039.

Dr. F. Parazzini, Chief Analytical Epide- miology Unit, Istituto Mario Negri, via Eritrea, 62-20157 Milano, Italy.

Kaiserschnitt bei HIV-1-Infektion

In einer englischen Studie an 187 Patienten mit chronischen Rücken- schmerzen konnte gezeigt werden, daß regelmäßige Physiotherapie zu ei- ner anhaltenden Beschwerdebesse- rung führt. Übungen zur Kräftigung, Dehnung und Entspannung, begleitet von theoretischem Unterricht über Techniken zur besonderen Rücken- schonung, führten vor allem mittel- und langfristig zu einem gebesserten

Schmerz-Score, zu weniger berufli- chen Fehltagen sowie zu einer gerin- geren Inanspruchnahme von ärztli-

chen Diensten. acc

Klaber Moffett J et al.: Randomized con- trolled trial exercise for low back pain:

clinical outcomes, costs, and preferences.

Br Med J 1999; 319: 279–283.

J Klaber Moffett, Institute of Rehabilita- tion, University of Hull, Hull HU3 2PG, England.

Krankengymnastik hilft bei chronischen Rückenschmerzen

Symptomatischer gastroösopha- gealer Reflux ist ein Risikofaktor für die Entstehung eines Adenokarzi- noms der Speiseröhre. Eine schwe- dische bevölkerungsbezogene Fall- Kontroll-Studie stellte hier einen starken und vermutlich auch kausa- len Zusammenhang her. Bei Men- schen mit chronischen Refluxer- krankungen traten auch Adenokar- zinome der Kardia häufiger auf; die- ser Zusammenhang stellte sich aller- dings schwächer dar. Auf die Entste- hung eines Plattenepithelkarzinoms der Speiseröhre hat jedoch der Rückfluß von säurehaltigem Speise- brei offenbar keinen Einfluß. Unter- sucht wurden 189 Patienten mit Adenokarzinomen der Speiseröhre;

262 mit Adenokarzinomen der Car- dia, die in Interviews über Dauer

und Ausmaß einer möglicherweise vorhandenen Reflux-Symptomatik Auskunft gaben. Als Kontrollgruppe dienten 820 Personen aus einer Be- völkerungsstichprobe sowie 167 Pa- tienten mit Plattenepithelkarzino- men der Speiseröhre. Die Reflux- krankheit ließ sich als starker, unab- hängiger Risikofaktor identifizieren.

Je häufiger, langanhaltender oder schwerer die Symptome beschrieben wurden, desto höher wurde auch das Risiko für ein Adenokarzinom der

Speiseröhre. silk

Lagergren J, Bergström R et al.: Sympto- matic gastroesophageal reflux as risk fac- tor for esophageal adenocarcinoma. N Engl J Med 1999; 340: 825–831.

Dr. Lagergren, Department of Medical Epidemiology, Karolinska Institute, Box 281, S-17177 Stockholm, Schweden.

Reflux erhöht Adenokarzinom-Risiko

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