Krankheitszustände, bei denen Freie Radikale eine Rolle spielen
Entzündliche, Immun- schädigungen Krebs Arzneimittel-induzierte Reaktionen (Leber, Niere)
Freie Radikale
Kataraktgenese Alterungsprozesse Redurchblutung nach Ischämien
Arteriosklerose Senile Demenz
Arbeitskreis Ernährungs- und Vitamin-Information, Ffm.
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
W
as seit langem ver- mutet wird, scheint nun tatsächlich spruchreif zu sein: Durch ei- ne „gesunde" — an antioxida- tiven Vitaminen und Beta- Carotin reiche — Ernährung läßt sich das Risiko, an be- stimmten Karzinomen zu er- kranken, reduzieren. Es liegt heute eine große Fülle von Studien vor, die unterm Strich eine antikanzerogene Potenz von Beta-Carotin sehr wahr- scheinlich machen, und auch für die Vitamine C und E gibt es entsprechende Hinweise.Eine vor allem an Beta- Carotin reiche Ernährung sei auf dem Boden der in den letzten Jahren kumulierten Studienergebnisse unbedingt zu empfehlen — darüber herrschte Einigkeit bei den zahlreichen renommierten Experten, die Anfang Okto- ber in London zu der interna- tionalen Konferenz „Antioxi- dant Vitamins and Beta-Ca- rotene in Disease Preven- tion" zusammentrafen. Das hochkarätige Symposium stand unter der Schirmherr- schaft nationaler und interna- tionaler Organisationen — so auch der Weltgesundheits- Organisation WHO — und wurde von Hoffmann-La Ro- che gesponsert.
Prof. George Comstock, Johns Hopkins University, Hagerstown (USA), präsen- tierte in London brandneue Ergebnisse einer großange- legten Untersuchung, in der bei rund 26 000 Personen zu- nächst die Blutwerte von Be- ta-Carotin bestimmt wurden, und dann wurden in diesem großen Kollektiv über fünf- zehn Jahre hinweg neu auf- tretende Krebserkrankungen registriert. Die jetzt ausge- werteten Daten lassen laut Comstock eine klare Korrela- tion zwischen niedrigen Beta- Carotin-Spiegeln und einem erhöhten Risiko bezüglich Lungenkarzinom und Mela- nom erkennen. Korrelationen der Beta-Carotin-Spiegel mit anderen Krebserkrankungen waren weniger eindeutig bzw.
gar nicht nachweisbar.
Dieses Ergebnis steht im Einklang mit epidemiologi-
schen Studien, die nahelegen, daß eine hohe Zufuhr von Beta-Carotin speziell bezüg- lich des Lungenkarzinoms ei- nen präventiven Effekt be- sitzt. Zu diskutieren ist auf- grund der vorliegenden Stu- dien auch eine Schutzwirkung von Beta-Carotin gegenüber Magen-, Ösophagus- und Zervixkarzinom, die Ergeb- nisse sind hier allerding weit weniger eindeutig.
Große Beachtung fand beim Londoner Symposium eine Pilotstudie, in der sich durch mehrmonatige Gabe
von 30 mg Beta-Carotin täg- lich orale Präkanzerosen bei Risikopatienten zu siebzig Prozent komplett oder par- tiell zur Regression bringen ließen. Und im Unterschied zu synthetischen Retinoiden traten unter der Beta-Caro- tin-Behandlung keinerlei to- xische Nebenwirkungen auf, berichtete Prof. Harinder Ga- rewal, University of Arizona, Tucson (USA). Das Ergebnis dieser Pilotstudie wird durch eine ebenfalls in London vor- getragene größer angelegte Studie an indischen Tabak- kauern grundsätzlich bestä- tigt.
Wie Dr. Regina Ziegler, National Cancer Institute, Rockville (USA), erläuterte, scheint die antikanzerogene
Wirkung von Beta-Carotin nicht an die Konversion die- ses Provitamins in Vitamin A gebunden zu sein. Die Schutzwirkung dürfte viel- mehr auf der physiologischen Funktion von Beta-Carotin als Antioxidans beruhen: Be- ta-Carotin macht chemisch aggressive freie Radikale un- schädlich.
Freie Radikale, denen der Organismus infolge der wach- senden Umweltbelastung heute verstärkt ausgesetzt ist, greifen DNS, Proteine und ungesättigte Fettsäuren der
Zellmembranen an und set- zen dabei zerstörerische Ket- tenreaktionen in Gang.
Durch freie Radikale indu- zierte Schäden dürften bei der kanzerösen Entartung, aber auch bei einigen weite- ren Erkrankungen — zum Bei- spiel KHK und M. Parkinson
— eine Rolle spielen und wer- den schließlich auch als ein dem Alterungsprozeß zu- grundeliegendes Phänomen diskutiert.
Abzuklären bleibt, in wel- cher Dosis Beta-Carotin zu- geführt werden sollte, um den optimalen präventiven Effekt zu erzielen. Die derzeit emp- fohlenen Richtwerte dürften diesbezüglich zu niedrig an- gesetzt sein; möglicherweise können die optimalen Dosen
von Beta-Carotin — und auch der antioxidativen Vitamine C und E — allein über die Nahrung nicht bereitgestellt werden, erklärten die Exper- ten beim Londoner Sympo- sium.
Es laufen derzeit diverse zum Teil großangelegte Stu- dien, in denen Beta-Carotin- Präparate in Tagesdosen von 15 bis 25 mg auf ihren präven- tiven Effekt hin untersucht werden; mit den Ergebnissen dieser Langzeit-Studien ist in den frühen neunziger Jahren zu rechnen. Auf keinen Fall — so betonte Prof. William Pry- or, LouiSiana State University
— stellen Vitamin-Präparate einen Ersatz für eine ausge- wogene Ernährung dar. Um eine ausreichende Zufuhr an Beta-Carotin sicherzustellen, sollte die Nahrung reich an gelb-grünen Gemüsen und Früchten sein.
Pryor hob bei der Presse- konferenz anläßlich des Lon- doner Symposiums weiter hervor, daß eine Ernährung reich an Gemüsen und Früch- ten, arm an tierischen Fetten, nicht nur im Hinblick auf Krebserkrankungen, sondern auch auf kardiovaskuläre Er- krankungen propagiert wer- den sollte. Prof. Hermann Esterbauer, Universität Graz, berichtete in London über ei- gene Untersuchungen, denen zufolge das LDL-Cholesterin
— als diejenige Lipidfraktion mit der nachweislich stärk- sten atherogenen Wirkung — erst durch Oxidation zu dem eigentlichen schädlichen Agens wird. Vitamin E und auch andere Antioxidantien, so fand Esterburger weiter heraus, schützen das LDL- Cholesterin vor der Oxida- tion.
Diese Befunde liefern ei- ne Erklärung für eine epide- miologische Studie, über die Prof. Karl Friedrich Gey, Hoffmann-La Roche, Basel, in London referierte. In die- ser Untersuchung wurde eine klare inverse Korrelation zwi- schen den Plasmaspiegeln von Vitamin E und der Mor- talität infolge koronarer Herzkrankheit festgestellt.
Ulrike Viegener
Internationaler Vitamin-Kongreß
Schutz vor Lungenkrebs durch Beta-Carotin
A-3890 (66) Dt. Ärztebl. 86, Heft 50, 14. Dezember 1989