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Archiv "Michael Moores „Sicko“ Das kubanische Vorbild" (12.10.2007)

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A2768 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 41⏐⏐12. Oktober 2007

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er satirische Dokumentar- film „SiCKO“ des Oscar- Preisträgers Michael Moore zeich- net ein düsteres Bild des US-ame- rikanischen Gesundheitssystems.

Darin werden Menschen vorge- stellt, denen teilweise lebensnot- wendige Behandlungen von ihren Krankenversicherungen verweigert wurden. Das vielleicht noch drän- gendere Problem einer großen Zahl von Nichtversicherten im Gesund- heitssystem der USA wird ebenfalls gestreift, als gezeigt wird, wie ob- dachlose Patienten in Los Angeles nach einer Notfall-Erstbehandlung in privaten Krankenhäusern vor der Tür eines staatlichen Hospitals aus- gesetzt werden. Belegt wird dies durch wacklige Bilder einer Über- wachungskamera im Eingangsbe- reich des staatlichen Krankenhau- ses, was den Eindruck der Authenti- zität der dargestellten Einzelfälle noch steigert.

Michael Moore ist auch durch seine bisherigen Filme wie „Bowl- ing for Columbine“ nicht dafür be- kannt, ein ausgewogenes Bild einer Situation zeichnen zu wollen, viel- mehr spielt er durch schnelle Schnitte und einen satirischen Un- terton der Kommentierung mit den Emotionen der Zuschauer. Der Film spricht europäische Zuschauer vor allem dadurch an, dass Moore im- mer wieder den Vergleich zum briti- schen und französischen Gesund-

heitssystem zieht. Seinen Höhe- punkt erfährt der Film aber ohne Zweifel, als Moore zusammen mit etwa einem Dutzend nicht versi- cherter Patienten zum Gefangenen- lager Guantanamo reist – offenbar dem einzigen Ort in den USA, an dem volle staatliche Gesundheits- versorgung versprochen wird. Dort wird erwartungsgemäß der Zugang verwehrt, daraufhin Kuba angesteu- ert, wo dem berühmten Filmema- cher und seiner Patientengruppe die gesamte Palette der Diagnose- und Therapieeinrichtungen zur Verfü- gung steht, die der sozialistische In- selstaat zu bieten hat. Für das US- amerikanische Publikum mögen viele dieser Szenen Einblicke in die Welt außerhalb der USA geben.

Aber welche Bedeutung hat der Streifen aus europäischer Sicht?

Zunächst einmal bedarf das im Film gezeichnete Bild der USA der Relativierung. Richtig ist, dass der Gesundheitsmarkt in den USA von einer der – im Vergleich zu allen an- deren Industriestaaten – geringsten Versicherungsdichte gekennzeich- net ist: Etwa 16 Prozent der Bevöl- kerung haben gar keine Kranken- versicherung, und ein Großteil ist nach europäischen Maßstäben stark unterversichert. So schließt die Ver- sicherung für einkommensschwa- che Amerikaner (Medicaid) in der Regel Medikamente nicht mit ein, und andere Leistungen, insbesonde-

re im Zahnbereich, sind entweder ausgeschlossen oder weisen hohe Zuzahlungen auf. Andererseits muss man zur Ehrenrettung des US-ame- rikanischen Gesundheitssystems sa- gen, dass es ein vergleichsweise ho- hes Innovationspotenzial aufweist.

Zudem gehen weltweit alle größe- ren Neuerungen im Bereich der Or- ganisation oder der Honorierung von Gesundheitsleistungen letztlich auf Entwicklungen aus den USA zurück. Beispiele sind die Disease- Management-Programme (DMP), die vor drei Jahren Eingang in die deutsche Gesetzgebung gefunden haben, oder das Fallpauschalensys- tem im stationären Leistungsbe- reich (Diagnosis Related Groups, DRGs), das im Jahr 2009 vollstän- dig und für alle Krankenhäuser in Deutschland umgesetzt sein soll.

Auch die Idee einer sektorüber- greifenden integrierten Versorgung (Managed Care) mit einer aktiveren Rolle der Krankenversicherung geht auf Entwicklungen in den USA zurück.

USA als Beispiel für ein wettbewerbliches System Die Vielschichtigkeit des US-ame- rikanischen Gesundheitssystems macht es somit zwar einerseits sehr wettbewerbsintensiv, andererseits aber auch intransparent. In Moores Film wird dies beispielsweise an der Schilderung des Falls einer jungen Mutter deutlich. Als das Baby hohes Fieber bekommt, lässt sie es in ein Krankenhaus bringen, das für ihre Krankenversicherung nicht zugelas- sen ist. Während der Verhandlun- gen, wer nun die Krankenhausrech- nung zu bezahlen habe, und der anschließenden Verlegung in ein Krankenhaus des Krankenversiche- rers, stirbt das Kind. Auch in den USA dürften solche Fälle nicht vor- kommen, denn dort ist im Notfall je- des Krankenhaus verpflichtet, le- bensnotwendige Hilfe zu leisten.

Das Beispiel zeigt aber deutlich, dass in wettbewerblichen Systemen nicht mehr jeder Leistungsanbieter mit jedem Krankenversicherer zu- sammenarbeitet, wie man es aus den meisten Ländern Europas gewohnt ist. In Deutschland ist grundsätzlich jedes Krankenhaus, das dem Kran- MICHAEL MOORES „SICKO“

Das kubanische Vorbild

Die Bedeutung des Films über das US-amerikanische Gesundheitssystem aus europäischer Sicht

Michael Moores Film „SiCKO“, der am 11. Okober in den deutschen Kinos an- gelaufen ist, gewährt auch Einblicke in das kubanische Gesund- heitssystem.

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kenhausplan eines Landes angehört, zur Abrechnung mit jeder Kranken- kasse berechtigt. Aber auch hier gibt es Bestrebungen, dass die Kassen spätestens ab 2009 Einzelverträge mit bestimmten Krankenhäusern abschließen können sollen, um so die Vorhaltung überflüssiger Kran- kenhausbetten und die Subventio- nierung sonst nicht wettbewerbs- fähiger Marktteilnehmer zu ver- meiden. Notfallbehandlungen und Krankenhäuser in dünn besiedelten Gebieten, die letztlich eine lokale Monopolstellung einnehmen, wer- den von solchen Entwicklungen we-

nig betroffen sein, wohl aber Klini- ken in Groß- und Mittelstädten, die schon jetzt im scharfen Wettbewerb miteinander stehen.

Ein weiterer Punkt, der künftig die Gesundheitssysteme beeinflus- sen wird, ist die stärkere Basierung von Erstattungsentscheidungen auf wissenschaftliche Studienlagen. Im Film wird dies deutlich, als einzel- nen Patienten bestimmte Behand- lungen verweigert werden, weil der wissenschaftliche Nachweis für ihre Wirksamkeit noch nicht erbracht sei. In der Routineversorgung fin- den derartige Überlegungen auch in europäischen Ländern seit Jahren

ihren Widerhall, zum Beispiel bei der Entscheidung, ob ein neues Me- dikament von den jeweiligen Ge- sundheitssystemen erstattet werden soll oder nicht. In Deutschland hat das Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) die Aufgabe, entsprechen- de Entscheidungen aus wissen- schaftlicher Sicht für den Gemein- samen Bundesausschuss (G-BA) vorzubereiten. Als Folge dieses Ver- fahrens werden in Deutschland bei- spielsweise neuartige Insuline für Diabetiker nur noch dann von den Krankenkassen bezahlt, wenn sie nicht teurer sind als konventionelle Insuline, was kurzzeitig zu Protes- ten aufseiten der Hersteller und Pa- tientenvertreter geführt hat. In der letzten Phase des Lebens, wenn alle Therapien nicht mehr anschlagen, kommen aber auch weiterhin Thera- pien zum Einsatz, die ihren Wirk- samkeitsnachweis wissenschaftlich noch nicht vollständig erbracht ha- ben. Die Erstattung derartiger Maß- nahmen ist mehrfach vor den So- zialgerichten erfolgreich eingeklagt worden. Diese unterschiedliche Handhabung der Erstattungsent- scheidung macht deutlich, dass je- des Gesundheitssystem für sich de- finieren muss, was der angemessene Bedarf eines Patienten im konkreten Einzelfall ist.

In Moores Film kommt dazu ein britischer Krankenhausarzt zu Wort, der angibt, seine klinischen Ent- scheidungen ausschließlich nach der Frage des „Bedarfs“ auszurich- ten und nicht danach, wie viel Geld zur Verfügung steht. Das britische System hatte allerdings jahrelang genau mit diesen Fragen zu kämp- fen, da es seitens des Staates chro- nisch unterfinanziert war und vor al- lem Investitionen in Geräte und Ge- bäude unterblieben. Mittlerweile er- freut sich der angelsächsische Na- tional Health Service (NHS) einer stärkeren finanziellen Förderung:

Wartelisten sind kürzer geworden, die Gebäude moderner und die Ho- norierung der Ärzte besser. Es be- durfte allerdings eines hohen gesell- schaftlichen Konsenses, die Steuer- mittel in Richtung des Gesundheits- wesens umzuverteilen, wobei Groß- britannien in den letzten Jahren

größere wirtschaftliche Schwäche- perioden mit geringeren Steuerein- nahmen erspart blieben.

Welche Bedeutung hat also letzt- lich Moores Film für den europä- ischen Zuschauer? Es besteht die Gefahr, dass sich für die meisten der Genuss des Films vor allem darin erschöpfen wird, einen wohligen, leichten Grusel zu verspüren über dieses merkwürdige Gesundheits- system, das so weit weg ist von den eigenen Wertvorstellungen und Er- fahrungen. Wie bei einem typischen Hollywood-Film sieht man interes- siert zu, ist aber letztlich froh, nicht Teil des Geschehens zu sein. Doch der Zuschauer sollte es sich im Ki- nosessel nicht allzu bequem ma- chen: Die wettbewerbliche Umge- staltung des Gesundheitssystems ist aufgrund der sonst steigenden Kos- ten, vor allem infolge der demo- grafischen Entwicklung, aber auch wegen eines tendenziell teurer wer- denden medizinischen Fortschritts unumgänglich. Die Vision Moores am Ende des Films, alle Beteiligten sollten nett zueinander sein und sich helfen, statt nur auf Profite aus zu sein, greift zu kurz, denn das Aus- nutzen verfehlter Anreize im Sys- tem ist sowohl in staatlichen, büro- kratisch gelenkten Institutionen wie auch bei privaten Leistungsanbie- tern sehr verbreitet.

Da gleichzeitig die Notwendig- keit eines umfassenden Kranken- versicherungsschutzes für alle Bür- ger in Europa unumstritten ist, be- darf es recht diffiziler Regulierun- gen, um einen Wettbewerb trotzdem zu ermöglichen. Der Zielkonflikt zwischen einem umfassenden (auch für untere soziale Schichten bezahl- baren) Versicherungsschutz und der Ausnutzung der Effizienzvorteile eines Wettbewerbs der Anbieter ist deshalb nicht so leicht zu lösen, wie in Moores Film beschrieben. Vor diesem Hintergrund können letzt- lich weder das US-amerikanische noch das kubanische Gesundheits- system für andere Länder ein Vor-

bild sein. I

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Gesund- heitsökonomie und Gesundheitsmanagement (AG5), Universität Bielefeld, Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld

Fotos:SENATOR AG

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