Sozialgericht München:
Vorwürfe gegen Sewering völlig unbegründet
Das Ansinnen des Landesverban- des der Ortskrankenkassen (LdO) in Bayern, Professor Dr. med.
Hans Joachim Sewering die Kas- senzulassung zu entziehen, ist am 19. April vom Sozialgericht Mün- chen klar zurückgewiesen wor- den. Die 32. Kammer des Gerichts bestätigte damit die Entscheidun- gen des Zulassungsausschusses vom 21. März 1977 und des Beru- fungsausschusses für Ärzte vom 13. Juli 1977, die der LdO mit sei- ner Klage angefochten hatte. Nach Feststellung des Sozialgerichts haben diese beiden Instanzen der Selbstverwaltung ermessensfeh- lerfrei gehandelt.
Ebenfalls am 19. Apri I trat der Be- schwerdeausschuß bei der Kas- senärztlichen Vereinigung Bay- erns erneut zusammen, um über eine Kassen-Honorar-Rückforde- rung gegen die Gemeinschafts- praxis von Sewering und dessen damaliger Praxispartnerin, Dr.
Friederike Stattelmann, zu bera- ten. Einen "Regreßbescheid" hat- te der Vorsitzende des Beschwer- deausschusses wegen sachlicher und rechtlicher Bedenken nicht ausfertigen wollen. Das Sozialge- richt München hatte dann auf Be- treiben der Kassenseite den Be- schwerdeausschuß dazu veru r- teilt, in der Angelegenheit ab- schließend tätig zu werden- ohne sich in dem Urteil zur Sache selbst und zur Art, wie dieses Organ der Selbstverwaltung die Sache abzu- schließen hätte, zu äußern. Dar- aufhin hatte der Vorsitzende den Beschwerdeausschuß erneut für den 19. April einberufen. Zu einer Verhandlung in der Sache kam es freilich nicht, weil die Kassenvertre- ter darauf bestanden, im Ausschuß lediglich den "Regreßbescheid"
auszufertigen, ohne zuvor die strit- tigen Fragen zu behandeln.
~ Die 32. Kammer des Sozialge- richts München beschäftigte sich mit dem vom klagenden LdO Bay-
ern vorgebrachten Vorwürfen ge- gen Sewering und dessen Da- chauer Gemeinschaftspraxis bis in kleinste Details. Der Gerichtsvor- sitzende, Anton Herrmann (neben diesem hauptamtlichen Sozial- richter bestand die Kammer aus einem Kassenarzt und einem AOK- Geschäftsführer), griff in einer mi- nuziösen Sachverhaltsschilderung sämtliche AOK-Vorwürfe auf. Die Klage wurde schließlich in der Ur- teilsbegründung nach über drei Stunden der Beratung und detail- lierter Formulierung der mündli- chen Begründung Punkt für Punkt zurückgewiesen.
Detaillierte Zurückweisung der LdO-Kiage
Das betrifft vor allem folgende Hauptanwürfe der Ortskranken- kassen (die auch in der Presse mehrfach ihren Niederschlag ge- funden hatten) hinsichtlich
C> der Bereitstellung eines Mam-
magraphen in der Gemeinschafts- praxis Sewering für mehrere Da- chauer Frauenärzte,
C> der persönlichen Erbringung
ärztlicher Leistungen durch Sewe- ring und dessen frühere Praxis- partnerin,
C> der Beschäftigung von 14 Hilfs- kräften in der Dachauer Gemein- schaftspraxis sowie ganz allge- mein der Art, in der die Praxis ge- führt wird.
~ Nach Feststellung des Gerich- tes hat Sewering in keinem der genannten Fälle gegen irgendwel- che berufs- oder kassenarztrecht- lichen Vorschriften verstoßen. Denn (um nur die zwei spektaku- lärsten Vorwürfe aufzugreifen):
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Die Bereitstellung des Mam- momaten verstößt gegen keine Rechtsvorschriften. Selbst wenn hier etwas Vorwertbares läge, dann wären in erster Linie die Da- chauer Frauenärzte getroffen, die den Mammomaten in Sewerings Praxis nutzten. Doch auch für sie liegt nichts Vorwertbares vor. Se- weri ng selbst hat nachgewiese- nermaßen ohnehin keine Mamma-Die Information:
Bericht und Meinung NACHRICHTEN
graphien gemacht. Seine Gemein- schaftspraxishat sich lediglich die Kosten für das Bereitstellen und die anteilige Personalnutzung er- statten lassen. Das ist erlaubt; und das Verfahren, nämlich die An- wendung eines zwischen der Deutschen Krankenhausgesell- schaft und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ausgehandel- ten Tarifes ist sachgerecht und rechtlich unbedenklich.
f) Ein "Ambulatorium", wie vom LdO im Verlauf des seit 1977 wäh- renden Verfahrens behauptet, liegt nach dem Gerichtsurteil ein- deutig nicht vor. Die Leistungen in der Gemeinschaftspraxis wurden im Rechtssinne persönlich er- bracht. Aus dem Umstand, daß 14 Hilfskräfte beschäftigt werden, und aus dem Volumen der fast ausschließlich auf Überweisung tätigen Praxis kann für sich nicht geschlossen werden, daß die Ge- meinschaftspraxis nicht freiberuf- lich im Sinne des Kassenarzt- rechts geführt würde. Das Gericht würdigte, was die persönliche Er- bringung angeht, nicht nur, daß Sewering an zwei Tagen während der Sprechstunden in der Gemein- schaftspraxis ist, sondern zusätz- lich die Betundung an Abenden und Wochenenden vornimmt.
~ Das Urteil bedeutet Sewerings völlige Rehabilitation - auch hin- sichtlich einer Vielzahl weiterer Vorwürfe, die in den letzten Jahren gegen ihn und seine Praxis erho- ben wurden und die hier aufzuzäh- len zu weit gehen würde. All das kann in aller Ausführlichkeit dem- nächst in der schriftlichen Urteils- begründung nachgelesen werden.
Vom "Fall Sewering"
zum "Fall LdO Bayern"
Eine gesonderte Kommentierung verdient die Art von Öffentlich- keitsarbeit, die der LdO Bayern in den von ihm geführten und unter- stützten Verfahren getrieben hat (und vermutlich weiter betreiben wird, denn er hat gegen das Urteil prompt Berufung eingelegt) und die den angeblichen "Fall Sewe-
DEUTSCHES ARZTEBLATT
Heft 18 vom 4. Mai 1978 1049Die Information:
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ring" letztlich zu einem „Fall LdO Bayern" machen. Der LdO in Bay- ern und dessen Geschäftsführer haben es mit ihren verfahrensbe- gleitenden PR-Maßnahmen treff- lich verstanden — indem mal die
„Regreßangelegenheit" und mal die „Zulassungsentziehung" hoch- gespielt oder beides gemixt wurde
— die Öffentlichkeit so zu desinfor- mieren, daß ein unbefangener Be- obachter nicht mehr unterschei- den konnte, worum es im Grunde genommen ging. Lediglich der va- ge Verdacht blieb hängen, mit Se- wering „könne doch etwas nicht in Ordnung sein".
Ein Musterbeispiel verfälschender Öffentlichkeitsarbeit hatte der LdO noch bei dem vorletzten Sozialge- richtsurteil geleistet, als der Be- schwerdeausschuß verurteilt wur- de, in der Regreßfrage tätig zu werden. Der LdO hatte damals mit Erfolg den Eindruck zu erwecken versucht, das Gericht habe Sewe- ring zu einer Zahlung verurteilt.
Das war und ist objektiv falsch.
Was sollte das alles bezwecken?
Bei dem Gerichtstermin am 19.
April hat Sewerings Rechtsvertre- ter, Dr. Jürgen Bösche (Köln), wohl zu Recht die Meinung geäu- ßert, dem klagenden LdO gehe es im Grunde nicht um die Zulas- sungsentziehung, sondern darum, das Verfahren betreiben zu kön- nen. Er habe — und das sei zu bele- gen — vor dem Sozialgericht einen
„Schauprozeß" inszenieren wol- len. Und wie - das Verfahren auch ausgehe, in einem habe der Kläger schon heute gewonnen: Sewe- rings Ruf sei geschädigt.
Getroffen ist nicht allein der Kas- senarzt Sewering, sondern auch der Repräsentant der Ärzteschaft.
Dem hielt der LdO bislang und jetzt auch wieder vor Gericht ent- gegen, er betreibe nur ein Verfah- ren gegen einen Kassenarzt. Doch das ist nach allem, was der LdO inszeniert hat, nicht mehr als eine verbale Beteuerung. So agierte der AOK-Verband aus München auch jetzt wieder rein politisch, als die LdO-Vertreter die politische
Argumentation in den Vorder- grund rückten, Sewering betriebe ein „MTZ" — wohl wissend, daß hierauf alle Kassenärzte allergisch reagieren. Das Gericht, das sich mit diesem Vorwurf des längeren auseinandersetzte, vermochte den MTZ-Begriff rechtlich nicht zu fas- sen. Den LdO kann das nicht über- rascht haben. Er behauptete ein- fach, ohne zu beweisen — in der Erwartung, öffentlich bleibe poli- tisch etwas hängen. Die Erwartung erfüllte sich: die solcherart geziel- te Argumentation trug Früchte; die Kommentatoren sowohl der Süd- deutschen Zeitung wie der FAZ kommentierten den Prozeß, ohne Rücksicht auf den pro Sewering lautenden Urteilsspruch ganz im LdO-Sinne. NJ
Mehr als
16 000 Abtreibungen in einem Quartal
Im vierten Quartal 1977 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 16 168 Schwangerschaftsabbrü- che amtlich gemeldet. Dies ent- spricht einem statistischen Durch- schnittswert von 1143 Abbrüchen auf 10 000 Lebend- und Totgebo- rene.
Die tatsächliche Zahl der durchge- führten Schwangerschaftsabbrü- che dürfte jedoch noch höher lie- gen, da von einigen großen Klini- ken noch keine Meldungen vorlie- gen. Dies teilte kürzlich das Stati- stische Bundesamt (Wiesbaden) mit.
In 26 Prozent der Fälle war eine allgemeine medizinische und in sechs Prozent eine psychiatrische Indikation angegeben worden. 63 Prozent der Aborte wurden auf- grund einer sonstigen schweren Notlage („Soziale Indikation") vor- genommen. Bei vier Prozent der Fälle lag eine eugenische und bei 0,1 Prozent eine ethische Indika- tion vor.
82 Prozent der Abbrüche wurden in Krankenhäusern und 18 Prozent
ambulant durchgeführt. Bei statio- närem Aufenthalt belief sich die durchschnittliche Verweildauer
auf 5,6 Tage. EB
Weltkongreß
für Rehabilitation Anfang Juli in Basel
Die interdisziplinäre International Rehabilitation Medicine Associa- tion (IRMA) veranstaltet vom 2. bis 8. Juli 1978 in Basel einen Welt- kongreß. Der internationalen Ver- einigung gehören mehr als 2000 Ärzte aus 70 Ländern als Mitglie- der an.
Schwerpunkte des Baseler Kon- gresses bilden Themen über Re- habilitation von Hirngeschädigten, der Rheuma- und Krebskranken, der Depressiven und Schizophre- nen sowie neuartige Methoden der Schmerzbekämpfung. Während des Kongresses soll das Pro- gramm zum Weltjahr der Behin- derten (1981) vorbereitet werden, insbesondere unter dem Aspekt der Möglichkeiten und Grenzen der Vorbeugung und Rehabilita- tion. EB
Ersatzkassen gegen den Finanzausgleich
Die Ersatzkassen haben den Ge- setzgeber aufgefordert, den Fi- nanzausgleich in der Krankenver- sicherung der Rentner mit dem 21.
Rentenanpassungsgesetz aufzu- heben. Dieser Ausgleich, mit dem die unterschiedlich starke Bela- stung der Krankenkassen je nach der Zahl der versicherten Rentner teilweise aufgewogen wird, sei
„systemwidrig" und „der Schlüs- sel zur Einheitsversicherung". Der Verband der Angestellten-Kran- kenkassen (VdAK), Siegburg, plä- dierte dafür, die Individualisierung des Rentnerbeitrags nicht erst im Jahr 1982 vorzunehmen, sondern bereits im kommenden Jahr einzu- führen. EB
1050 Heft 18 vom 4. Mai 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT