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Archiv "Als Unfallchirurg in Nepal: Eine Alternative zum Vorruhestand" (08.08.2005)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 31–32⏐⏐8. August 2005 AA2195

S T A T U S

N

ach mehr als 20-jähriger Tätigkeit als leitender Unfallchirurg in einem deutschen Krankenhaus ging ich auf eigenen Wunsch mit 59 Jahren in den vorzeitigen Ruhe- stand.Zum Nichtstun aber fühl- te ich mich zu jung. Durch zahl- reiche Trekkingtouren im Hi- malayagebiet war mir dieser Teil der Erde besonders ans Herz gewachsen.

Ein nepalischer plastischer Chirurg lud mich ein, ihn auf ein Camp zur Behandlung von Lippenspalten nach Amppipal zu begleiten. Ich hatte von diesem Ort im süd- westlichen Gorkha-Distrikt noch nie gehört. Nepal ist ei- nes der ärmsten Länder der Welt. In den ländlichen Ge- bieten herrscht ein absoluter Ärztemangel. Die Verdienst- möglichkeiten sind schlechter als in den großen Städten und im Katmandu-Tal; außerdem sind die Lebensbedingungen sehr einfach.

Im Amppipal Hospital ange- kommen, traf ich auf einen älte- ren Mann mit pertrochantärem Oberschenkelbruch. Seit zwei Wochen wurde er mittels „skin traction“ behandelt. Ich be- schloss, ihn am nächsten Tag zu operieren. Als Implantate fand ich lediglich einige Dreilamel-

lennägel mit zugehörigen La- schen vor. Röntgenbilder gab es nicht. Zum Bohren wurde mir ein Handbohrer angereicht.

Umso überraschter war ich von den exzellenten Fähigkeiten des OP-Personals; jede deut- sche Klinik wäre froh, solch qualifizierte Mitarbeiter zu ha- ben. Die OP verlief glatt, der Patient läuft wieder und ist zu- frieden. Hier war der Platz, an dem ich wirklich gebraucht wurde. So beschloss ich, mein Wissen und Können dem Amp- pipal Community Hospital zur Verfügung zu stellen.

Das Krankenhaus wurde vor circa 35 Jahren von United Mis- sion to Nepal gebaut. Der ame- rikanische Chirurg Thomas Hale lebte und arbeitete hier viele Jahre. Das Haus liegt in ei- ner „remote area“ in 1 100 Me- ter Höhe. Zurzeit existiert noch immer keine Straße, die das Hospital mit anderen Orten verbindet. Der Aufstieg dauert drei bis fünf Stunden. Alle Wa- ren und Güter für das Kranken- haus müssen zu Fuß durch Menschen heraufgetragen wer- den. Im Einzugsgebiet leben rund 200 000 Einwohner.

Die Anmarschwege der Pati- enten betragen in der Regel ein bis vier Stunden für den einfa- chen Weg, im Extremfall drei

oder vier Tage. Nicht gehfähige Patienten müssen diesen Weg mittels Ein- beziehungsweise Zweimann-Ambulanzen getra- gen werden. Eine Einmann- Ambulanz nimmt den Patien- ten huckepack, die Zweimann- Ambulanz trägt ihn wie in einer Hängematte.

Die gesamte Region ist auch für nepalische Verhältnisse äußerst arm. Viele Patienten können die vergleichsweise ge- ringen Behandlungskosten nur zum Teil oder gar nicht aufbrin- gen. Für die Ärmsten existiert ein Fonds, der aus deutschen Spenden finanziert wird.

Im Herbst 2001 verließ Unit- ed Mission „Hals über Kopf“

das Krankenhaus. Aus welchen Gründen ist noch immer nicht geklärt. Nur dem Einsatz ehe- maliger Mitarbeiter, die das Krankenhaus in Betrieb hielten und lange Zeit keinen Lohn be- kamen, ist es zu verdanken, dass das Hospital überlebte.

Zurzeit hat das Kranken- haus 46 Betten, davon sechs für Tuberkulose-Patienten. Es ist dem Ministry of Health unter- stellt im Rang eines Distrikt- hospitals. Seit kurzem wird es von einem lokalen „board“

verwaltet, das weitgehende Be- fugnisse hat. Zwei nepalische Ärzte sind offiziell im Kran-

kenhaus von der Regierung an- gestellt. Aus verschiedenen Gründen sind diese aber oft- mals abwesend. 35 weitere Mit- arbeiter sind im Amppipal Hospital tätig. In die OPD (outpatient department), ei- ner deutschen Ambulanz ver- gleichbar, kommen täglich zwi- schen 40 und 60 Patienten,gele- gentlich bis zu 120. Vorherr- schend sind internistische Pro- bleme wie zum Beispiel COPD, Tuberkulose, Diabetes, Hyper- tonie, psychosomatische Er- krankungen und gastrointesti- nale Infekte. Bei den neurolo- gisch-psychiatrischen Fällen überwiegen Depressionen und Epilepsie, aber auch Schizo- phrenie. Pädiatrisch stellt die Neugeborenensepsis, oft nach Hausgeburten, ein besonderes Problem dar.

Neben gynäkologischen, der- matologischen und urologi- schen Erkrankungen gibt es viele unfallchirurgische Patien- ten. Frakturen, Luxationen und Bandverletzungen sind häufig.

Bei dem zahnärztlichen Patien- tengut bleibt oftmals nur die Extraktion von Zahnruinen oder Wurzelresten.Für die Dia- gnostik stehen ein Einkanal- EKG, ein Sonographiegerät (leider nur mit Sektorscanner) und ein Röntgengerät zur Ver- fügung. Das Labor ist ver- gleichsweise bescheiden in sei- nem Untersuchungsangebot (Blutbild, HIV, Zucker, Kreati- nin, Urin, Stuhl, Punktate, Spu- tum). Histologische Untersu- chungen werden nach Katman- du geschickt. Es dauert in der Regel zwei Monate, bis das Er- gebnis vorliegt.

Wir werden mit dem gesam- ten Spektrum der Medizin kon- frontiert und müssen mit relativ bescheidenen diagnostischen Mitteln und einer begrenzten Medikamentenauswahl aus- kommen. Wenn man Augen, Ohren, Nase und Hände ge- braucht, ist eine exakte Diagno- se auch ohne viele moderne Geräte erstaunlich oft möglich.

Da meine ärztlichen Kolle- gen oft abwesend sind, war ich vielfach der einzige Arzt im Krankenhaus. Im ambulanten Bereich obliegt es normaler- weise dem Paramedic, auch CMA (Community Medical

Als Unfallchirurg in Nepal

Eine Alternative zum Vorruhestand

Das gesamte Spektrum der operativen Medizin:

Kaiserschnitt im Amppipal Hospital

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A

A2196 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 31–32⏐⏐8. August 2005

Assistant) genannt, die Patien- ten zu untersuchen und auch Medikamente zu verordnen.

Nur besondere Fälle werden dem Arzt vorgestellt. Von Deutschland her war ich es ge- wohnt, immer die entsprechen- den Fachkollegen hinzuzuzie- hen. Hier musste und muss ich mich mit einem großen Krank- heitsspektrum auseinander set- zen und vieles hinzulernen.

Glücklicherweise existiert eine Bibliothek, in der es viele circa 20 Jahre alte Fach-

bücher gibt. Auch im operativen Be- reich heißt es umzu- denken, da vieles einfacher und auf- grund der allgemei- nen hygienischen Verhältnisse anders als gewohnt zu handhaben ist. Im OP-Bereich haben wir einen Raum für größere, in der Re- gel aseptische Ein- griffe und zwei klei- nere Räume für kleinere septische OPs und Verbände.

Eine Schleuse gibt es nicht. Das Instru- mentarium ist alt, abgenutzt und zum Teil kaum noch funktionsfähig. Ein- malhandschuhe wer- den gewaschen, ge- pudert, resterilisiert und wieder verwen- det.Trotzdem ist un- sere postoperative Infektionsrate er- staunlich niedrig, bei aseptischen Eingrif- fen durchaus mit deutschen Verhält- nissen vergleichbar.

Die durchschnitt- lichen Liegezeiten sind extrem kurz:

nach unkomplizier-

ter Geburt maximal 24 Stun- den; nach Sectio caesarea oder Cholezystektomie gehen die Patienten spätestens am fünften postoperativen Tag nach Hause. Unser hervorra- gender Anästhesist-CMA hat leider das Krankenhaus ver- lassen.So heißt es jetzt oft, die Anästhesie selbst durchzu- führen, ehe die Operation be-

ginnt. Der Operateur ist auch für die Überwachung und Steuerung der Narkose zu- ständig.Zur Anwendung kom- men Spinal- und infraklavi- kuläre Plexusanästhesie, Ket- amin-Kurznarkosen und Intu- bationsnarkosen, die wir mitt- lerweile ebenfalls mit Ket- amin unter manueller Beat- mung durchführen.

Viele Patienten kommen erst in weit fortgeschrittenem Krankheitsstadium zur Auf-

nahme. Oft werden Patienten, insbesondere Alte und Säuglin- ge,gegen ärztlichen Rat von Fa- milienangehörigen nach Hau- se mitgenommen. Hier denken die Nepalis zum Teil recht prag- matisch: Warum für eine Be- handlung viel Geld ausgeben, wenn der Patient doch nicht mehr arbeiten und zum Famili- enunterhalt beitragen kann?

Nicht nur beruflich, son- dern auch persönlich heißt es sich umzustellen. Ich bewoh- ne ein Haus auf dem Kran- kenhausgelände. Es gibt mei- stens fließend kaltes Wasser.

Eine „Didi“ (ältere Schwe- ster) putzt, wäscht und kocht für mich. Auf dem Speiseplan steht immer Daal Bhaat (Reis mit Linsensoße und Gemüse), selten auch Fleisch.

Während der feuchten Jah- reszeit (Juni bis Oktober)

lauern überall zahllose hung- rige Blutegel. Auf der Sperr- holzdecke über mir tummeln sich nachts die Ratten. Je zweimal hatte ich im Haus Besuch von Skorpionen und Schlangen. Licht gibt es abends nur bis circa 21 Uhr, dazu muss der Generator be- trieben werden. Anderenfalls muss eine Kerze genügen.

Dafür kann ich, sofern die Sicht klar ist, von meinem Fenster auf die Schneeberge der Annapurna-Range sehen und auf dem Weg zur Klinik hinunter auf Manaslu, Himal- chhuli und Boudha Himal. In meinem Garten wachsen Maulbeeren, Litschi, Mangos und Birnen.

Über den deutschen Hilfs- verein „Nepalmed“, der durch Spendengelder die medizini- sche Versorgung besonders armer Patienten ermöglicht, kommen mittlerweile regel- mäßig Famulanten nach Amp- pipal. Die Studenten werden auch für den Transport von Sachspenden aus Deutschland genutzt.

Für die Zukunft ist der Bau einer Verbindungsstraße ge- plant. Daneben steht die Neu- organisation der Kranken- hausapotheke einschließlich der Schaffung eines Medika- mentengrundstocks an.

Für das Überleben des Krankenhauses und somit der einzigen medizinischen Behandlungsmöglichkeit im größeren Umkreis wäre es wichtig, dass ein erfahrener deutscher unfallchirurgischer oder chirurgischer Kollege meine Nachfolge im Amppi- pal Community Hospital an- treten könnte.

Wenn ich auch durch mei- nen vorzeitigen Ruhestand ei- nen nicht unbeträchtlichen fi- nanziellen Verlust in Kauf nehmen musste, so habe ich doch viel gewonnen – an me- dizinischer und vor allem auch an menschlicher Erfahrung.

Meinen Entschluss habe ich zu keiner Zeit bereut. Der Verzicht auf manche An- nehmlichkeiten ist durch die Dankbarkeit der Mitarbeiter und der Bevölkerung, durch neue Freundschaften, die ge- wonnenen Erfahrungen und die Besinnung auf das We- sentliche des menschlichen Daseins mehr als belohnt worden.

Informationen im Internet unter: www.nepalmed.de und www.amppipal.de. Spenden- konto: Sparkasse Muldental, Konto-Nr. 1 010 052 086, BLZ 860 502 00.

Dr. med. Wolfhard Starke S T A T U S

Oben: „Zweimann-Ambulanz“ statt Krankenwagen

Links: Bei zahnärztlichen Patienten bleibt oft nur die Extraktion.

Unten links: OP ohne Schleuse. Trotz- dem ist die postoperative Infektions- rate gering.

Unten rechts: „Aufbereitung“ der Ein- malhandschuhe

Fotos:Wolfhard Starke

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