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Archiv "Gastrointestinale Allergien – Licht am Ende des Tunnels?" (22.03.2002)

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elche Rolle spielen allergische Reaktionen im Gastrointe- stinaltrakt? „Keine“, würden wahrscheinlich die meisten Gastro- enterologen sagen. „Weiß ich nicht“, wäre die Antwort einiger vorsichtiger Kollegen. Aber nur wenige hätten wohl den Mut zu spekulieren, dass solche Krankheiten auch im Darm bedeutsam sein könnten. Dieser Ein- schätzung vonseiten der Experten steht die Überzeugung der Bevölkerung ge- genüber, von der etwa ein Drittel glaubt, dass ihre Beschwerden auf Nahrungsmittelallergien zurückzufüh- ren sind (4, 5).

Unsicherheit aufgrund unklarer Terminologie

Ein Grund für diese Diskrepanz sind die Unschärfen in der Terminologie, was immer wieder zu Missverständnis- sen bei Ärzten wie Patienten führt.

Gastrointestinale Allergien werden meistens, aber nicht ausschließlich durch Nahrungsmittel verursacht, und Nahrungsmittelallergien machen sich oft (in circa 30 Prozent der Fälle) aber nicht immer in Form von Darm- beschwerden bemerkbar. Schließlich sind Nahrungsmittelallergien von Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu trennen. Letztere sind ein Oberbegriff oder Sammelbegriff für nahrungsab- hängige Beschwerden unterschiedli- cher Genese, während Nahrungsmit- telallergien nur solche Reaktionen ge- nannt werden sollten, die auf einer ab- normalen Reaktion des spezifischen Immunsystems beruhen (4, 5). Gastro- intestinale Allergien wären demnach

individuell auftretende, nichttoxische, immunologisch vermittelte Hypersen- sitivitätsreaktionen des Gastrointesti- naltrakts auf Nahrungsmittel und an- dere luminale Antigene.

Ein Grund für die verbreitete Unsi- cherheit bei diesem Krankheitsbild ist, dass die potenziellen Spezialisten, All- ergologen und Gastroenterologen, sich vergleichsweise wenig um allergi- sche Reaktionen des Gastrointestinal- trakts bemüht haben. Dementspre- chend weiß man kaum etwas über die zugrundeliegenden Mechanismen, die man meistens mittels Analogieschlüs- sen und Extrapolieren von Daten, die außerhalb des Darmes gewonnen wur- den, zu erklären versucht (4, 6, 7).

Diese Defizite sind ein wesentlicher Grund für die Tatsache, dass bis heute keine Diagnostik etabliert wurde, die eine eindeutige und objektive Identifi- zierung betroffener Patienten erlaubt (2, 8). Dadurch bleibt Unsicherheit und Zweifel bei den Ärzten, aber auch Raum für Mutmaßungen vonseiten der Laienpresse und der Patienten.

Jüngstes Beispiel ist die Angst vor neuen Wellen von Nahrungsmittelall- ergien durch gentechnologisch modifi- zierte Lebensmittel, wozu allerdings keinerlei gesicherte Daten vorliegen.

Dieser Circulus vitiosus kann allein durch eine fundierte und kritische wis- senschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema durchbrochen wer- den. Wenn ein Drittel der erwachse- nen Bevölkerung glaubt, an einer sol- chen Erkrankung zu leiden, haben wir

Ärzte eine Verpflichtung, uns auf se- riöse Weise damit auseinanderzuset- zen.

Neue diagnostische Ansätze

In den letzten Jahren wurden einige Arbeiten publiziert, die neue Er- kenntnisse zur Pathophysiologie und Diagnostik gastrointestinaler Allergi- en anbieten. Ein Teil dieser Arbeiten kommt von der Erlanger Arbeitsgrup- pe um M. Raithel, E. G. Hahn und H.

W. Baenkler, die in dieser Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts eine Übersicht präsentieren zur „Klinik und Diagno- stik von Nahrungsmittelallergien“, die gastrointestinal vermittelt sind. Die Autoren haben eine Reihe viel ver- sprechender Informationen und neuer diagnostischer Ansätze für den inter- essierten Arzt zusammengetragen, insbesondere solche, die in der eige- nen Arbeitsgruppe entwickelt wur- den. Weiterhin haben sie sich bemüht, zu wichtigen Fragen wie Terminologie und Klassifizierung von Nahrungsmit- telallergien des Gastrointestinaltrakts Stellung zu nehmen. Während die Terminologie von Fachgesellschaften festgelegt wurde (4, 5, 7), konnte bis- lang keine klinisch oder pathophysio- logisch begründete Klassifikation von intestinalen Allergien entwickelt wer- den.

Zentrale Punkte bei der Diagnose- stellung sind eine gründliche Anamne- se, eine umfassende Ausschlussdia- gnostik und in Zweifelsfällen ein Pro- vokationstest, der bevorzugt mit ver- blindeten Testsubstanzen durchge- führt werden sollte. Klassische aller- M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 12½½½½22. März 2002 AA777

Gastrointestinale Allergien – Licht am Ende des Tunnels?

Stephan C. Bischoff, Michael P. Manns Editorial

Abteilung Gastroenterologie, Hepatologie und Endokri- nologie (Direktor: Prof. Dr. med. Michael P. Manns), Me- dizinische Hochschule Hannover

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gologische Testverfahren wie der Hauttest und auch die Messung von spezifischem IgE im Serum (früher RAST-Test genannt) haben aufgrund des hohen Anteils falschnegativer und falschpositiver Resultate nur begrenz- te Bedeutung für die Diagnostik von Nahrungsmittelallergien (2, 8).

Es leuchtet ein, wenn die sonst oft als „goldener Standard“ in der Dia- gnostik von Nahrungsmittelallergien propagierte orale Provokation mit ei- nem gewissen Vorbehalt präsentiert wird. Sie ist nicht nur zeitaufwendig, risikoträchtig und für gastroenterolo- gische Patienten nicht etabliert, son- dern auch in solchen Fällen, in denen die Basisdiagnostik schlüssige Ergeb- nisse geliefert hat, von eher akademi- schem Wert. Zudem weist die orale Provokation nicht eine Nahrungsmit- telallergie nach, sondern allenfalls die Reproduzierbarkeit von Nahrungsmit- telunverträglichkeiten jeglicher Gene- se (2).

Noch nicht geeignet für Routineeinsatz

Die speziellen diagnostischen Verfah- ren, die in Erlangen entwickelt wur- den (immunhistochemische Analyse von Darmbiopsien, Messung von IgE in Darmlavageflüssigkeit, Austestung von Darmbiopsien bei Mukosaoxyge- nation) bieten wissenschaftlich span- nende Ansätze, sind aber noch nicht generell zu empfehlende diagnosti- sche Maßnahmen. Sie ergänzen zwei- felsohne zukünftige diagnostische Möglichkeiten, können aber derzeit nicht als ausreichend gesichert für den Routineeinsatz außerhalb von wissen- schaftlichen Zentren angesehen wer- den.

Trotz dieser Unsicherheiten ist die Vorstellung neuartiger, sich in Ent- wicklung befindlicher Verfahren durchaus wünschenswert, wenn diese als solche gekennzeichnet sind und entsprechend kritisch diskutiert wer- den. Besonders hervorzuheben sind dabei die Möglichkeiten der lokalen Provokationstests im Gastrointestin- altrakt mittels Gastroskopie, Kolo- skopie oder spezieller Sondentechni- ken (1, 3, 4). Diese Methoden haben

den Vorteil, dass sie in vivo am Schockorgan durchgeführt werden, welches nicht nur aus Schleimhaut und immunkompetenten Zellen besteht, sondern vielmehr einer komplexen humoralen und neuronalen Regulati- on unterliegt, die mit keinem In-vitro- Test erfasst werden kann.

Weiterhin erlauben die lokalen Ver- fahren am Darm, dem größten Immun- organ unseres Körpers, im Gegen- satz zu der oralen Provokation den Nachweis einer allergischen, das heißt immunologisch vermittelten Re- aktion als Ursache der Nahrungsmit- telunverträglichkeit. Allerdings be- dürfen all diese neuen Testverfahren einer gründlichen methodischen und klinischen Validierung, bevor ihre In- dikation festgelegt und ihr Einsatz in der Routinediagnostik außerhalb von auf diesem Gebiet erfahrenen Zen- tren empfohlen werden kann.

Der Umstand, dass viele Fragen zur gastrointestinalen Allergie derzeit noch nicht endgültig beantwortet wer- den können und dass stattdessen viel- fach mehrere Antworten möglich sind, macht eine kritische Bestandsaufnah- me unabdingbar. Wichtig ist, dass in- teressante, aber spekulative Ansätze abgegrenzt werden von gesicherten Verfahren und Konzepten, die sich in kontrollierten Studien und in der kli- nischen Praxis bewährt haben. Dabei ist positiv hervorzuheben, dass derzeit zahlreiche wissenschaftliche und klini- sche Projekte durchgeführt werden, die belegen, dass sich eine zunehmen- de Zahl von Medizinern mit der The- matik auseinandersetzt und dass es neue, überprüfenswerte Konzepte gibt.

Ausblick

Dieses Potenzial sollte genutzt werden für die Entwicklung einer besseren Diagnostik und Therapie gastrointesti- naler Allergien, deren Bedeutung wahrscheinlich bislang unterschätzt wurde. Auf diese Weise sollte es in ab- sehbarer Zeit möglich sein, auf fun- dierter Grundlage unter den vielen Menschen, die eine Nahrungsmittelall- ergie bei sich vermuten, solche her- auszufinden, die wirklich daran leiden

und die dann einer entsprechenden Therapie zugeführt werden können.

Ziel ist es, die Betroffenen möglichst effektiv zu behandeln, was bei gesi- cherter Diagnose einer Nahrungsmit- tel- beziehungsweise Darmallergie kau- sal mittels individueller Eliminations- diät und bei Bedarf mittels zusätzlicher medikamentöser Behandlung möglich ist. Hervorzuheben sind die erst kürz- lich beschriebenen neuen Möglichkei- ten, durch frühen Einsatz von Probio- tika (beispielsweise Lactobacillus GG) Allergien auch präventiv behandeln zu können. Im Zeitalter der evidenzba- sierten Medizin sollten die modernen methodischen Möglichkeiten genutzt werden, um dem wichtigen klinischen Gebiet der Nahrungsmittelallergien eine wissenschaftliche Basis zu geben.

Manuskript eingereicht: 31. 1. 2002, angenommen: 5. 2.

2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 777–778 [Heft 12]

Literatur

1. Bengtsson U, Knutson TW, Knutson L, Dannaeus A, Hallgren R, Ahlstedt S: Eosinophil cationic protein and histamine after intestinal challenge in patients with cow's milk intolerance. J Allergy Clin Immunol 1997; 100: 216–121.

2. Bischoff SC, Manns MP: Nahrungsmittelallergien. In- ternist 2001; 42:1108–1117.

3. Bischoff SC, Mayer J, Wedemeyer J, Meier PN, Zeck- Kapp G, Wedi B, Kapp A, Cetin Y, Gebel M, Manns MP: Colonoscopic allergen provocation (COLAP): a new diagnostic approach for gastrointestinal food allergy. Gut 1997; 40: 745–753.

4. Bischoff SC, Mayer JH, Manns MP: Allergy and the gut. Int Arch Allergy Immunol 2000; 121: 270–283.

5. Bruijnzeel-Koomen C, Ortolani C, Aas K, Bindslev- Jensen C, Björkstén B, Moneret-Vautrin D, Wüthrich B: Adverse reactions to food. Allergy 1995; 50:

623–635.

6. Crowe SE, Perdue MH: Gastrointestinal food hyper- sensitivity: basic mechanisms of pathophysiology.

Gastroenterology 1992; 103: 1075–1095.

7. Sampson HA. Food allergy. Part 1: Immunopathoge- nesis and clinical disorders. J Allergy Clin Immunol 1999; 103: 717–-728.

8. Sampson HA: Food allergy. Part 2: Diagnosis and management. J Allergy Clin Immunol 1999; 103:

981– 989.

Anschrift der Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Stephan C. Bischoff Prof. Dr. med. Michael P. Manns Abteilung Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie Medizinische Hochschule Hannover 30623 Hannover

E-Mail: bischoff.stephan@mh-hannover.de E-Mail: manns.michael@mh-hannover.de M E D I Z I N

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A778 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 12½½½½22. März 2002

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