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Eine objektive Auseinandersetzung mit ihren Texten wurde bisher nicht geleistet, so dass sich die Verf

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Academic year: 2022

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Leiter des Lehrstuhls für Germanistik und Judaistik Gutachten zur Dissertation

Die verlorene Heimat Böhmen. Zum Heimatbild im Prosawerk Gertrud Fusseneggers Vorgelegt von Frau Mgr. Viktorie Hanišová

Frau Hanišová stellt den theoretischen und methodologischen Grundlegungen ihrer Arbeit einen Bericht über die Rezeptionsgeschichte Fusseneggers voran, der zugleich die Motivation ihrer

Dissertation enthält. Bisher standen die Texte Fusseneggers kaum für sich im Interesse der Forschung und Literaturkritik, sondern sie dienten als Belegstellen für die politische Haltung der Autorin und ihrer Biographie. Die Rezipienten teilten sich dabei in zwei gegenüberstehende Lager. „Auf der einen Seite gibt es Autoren, die Fusseneggers literarische Tätigkeit fast ausschließlich in Bezug auf ihre Rolle in Nazi-Deutschland (miss)interpretieren und denunzieren“ (S. 22), auf der anderen Seite wird sie als „Grande Dame der österreichischen Literatur glorifiziert“ (S. 23). Eine objektive

Auseinandersetzung mit ihren Texten wurde bisher nicht geleistet, so dass sich die Verf. zum Ziel setzt „unter Verzicht auf eine biographische Interpretation (…), die literarischen Texte einer kritischen Betrachtung zu unterziehen“ (S. 24).Dazu gliedert die Verf. ihre Arbeit in einen theoretischen und einen analytischen Teil, eine Unterteilung, die sich auch im Schlusswort wiederholt, das die Ergebnisse in einer Verbindung beider Teile zusammenfasst.

Um der bisherigen polarisierenden Interpretation Fusseneggers zu entgehen, greift die Verf. auf theoretische Konzepte der postkolonialen Literatur- und Kulturwissenschaft zurück, vor allem auf Homi Bhabhas Konzept der hybriden Kulturen. Böhmen wird dabei als „heterogene, intern

differenzierte, dynamische böhmische Kultur“ verstanden, bei der sich „deutsche und tschechische Kultur immer mehr miteinander vermischten“ (S. 29). Allerdings bleibt die Verf. einen schlüssigen Beweis für diese These hier und im Verlauf der Arbeit schuldig. In den jeweiligen Textanalysen wird zwar die deutsch-tschechische Kontaktaufnahme beschrieben und auch auf Mischehen mit

nachfolgenden Kindern mit doppelter nationaler Identität eingegangen, aber es zeichnet sich doch in den Texten selbst eher ein nationales gegeneinander als eine tatsächliche Vermischung im Sinne eines Aufgehens beider Kulturen in einer neuen ab. Hier werden die Grundbedingungen des kulturellen Austauschs nicht genügend reflektiert, die einen doppelten Vorteil des deutschen Bevölkerungsteils enthät. Einerseits gab es aufgrund der Vernachlässigung der tschechischen Kultur seit dem 30jährigen Krieg einen tatsächlichen Nachholbedarf tschechischerseits, der ab dem Ende des 18. Jahrhunderts zu raschen Angleichungen führte, aber doch immer auch die kontroverse Diskussion eines kulturellen Übergewichts der Deutschen enthielt (vgl. die Metaphorik junge/alte Kultur in einigen literarischen Texten der Prager deutschen Literatur, sowie die politischen

Auseinandersetzungen um Schauer, Novak …). Andererseits hatten die Deutschen die Möglichkeit, sich an die kulturellen Entwicklungen in Deutschland oder ab 1919 auch in Österreich anzuschließen, während die tschechische Kultur sich unter der Bedrängung eines sie umgebenden Kulturraums ausprägen musste. Daraus folgte die Forderung nach klarer Positionierung in beiden Lagern, die Prozesse der Utraquisierung (vgl. Robert Luft) misstrauisch beäugte.

Die Verfasserin zeigt in ihren Analysen deutlich, dass Fussenegger in der Zeichnung mehrerer Figuren versucht, diese „binäre Struktur in Frage zu stellen“ (S. 199). Ebenfalls wird sehr plausibel gemacht,

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dass alle Romane Fusseneggers mit einer Kontrastierung von Oberflächen- und Tiefenstruktur arbeiten, um unterschiedliche und komplexe Interpretationsebenen zu eröffnen. Ob dies allerdings schon ausreicht, um „dritte Räume und hybride Identitäten zu konstituieren“ (S. 199), scheint fraglich. Wenn der Begriff eine wissenschaftliche Trennschärfe behalten soll, ist seine Identifizierung mit der realen Grenze oder historisch überlappenden Kulturräumen (wie etwa bei der Beschreibung Prags) zu vereinfachend. Zudem belastet die These von dritten Räume oder Hybridisierungsprozessen in Böhmen die Analysen der Texte, da gefunden werden muss, was propagiert wird. Ein Beispiel mag dafür genügen. Aus der lediglich komplementären Gegenüberstellung einer deutschen und einer slawischen Schule in Haus der dunklen Krüge wird abschließend die implizite „Notwendigkeit eines deutsch-tschechischen dritten Raumes“ konstatiert (S. 90), während weiterführende Überlegungen zum ungleichen Paar deutsch-slawisch unterbleiben. Dies gilt allerdings jeweils nur punktuell und für die untersuchten Texte in unterschiedlichem Maße.

Die Verf. konzentriert sich im Wesentlichen auf die drei Romane Die Brüder von Lasawa (1948) Das Haus der dunklen Krüge (1951) und Das verschüttete Antlitz (1957). Beigeordnet sind Bearbeitungen einiger kleinerer Erzähltexte, sowie des späten Romans Jirschi (1995), wodurch versucht wird das literarische Schaffen Fusseneggers in seiner Breite darzustellen. Die Analysen zu diesen Texten sind jedoch recht kurz geraten, weswegen der Eindruck erweckt wirkt, dass sie nicht in ihrer

Eigenständigkeit, sondern nur als Belege für die Ergebnisse in den Hauptkapiteln herangezogen wurden. Da sie zudem manchmal die Argumentationslinie der Verf. unterlaufen, wirken sie für die Stringenz der Arbeit eher störend.

Den jeweiligen Textanalysen werden Zusammenfassungen des Inhalts vorangestellt, was ebenso schematisch wirkt wie die Unterteilung jedes Kapitels in räumliche, persönliche und zeitliche Ebene.

Allerdings werden diese Ebenen gut an den jeweiligen Text angepasst und in vielfacher Weise miteinander verschränkt („Personen und Räume formen einander“, S. 70), so dass diese Schematisierung durchaus zielführend ist. Sie ermöglicht zudem eine Art zweite Lektüre der Dissertation innerhalb der einzelnen Kategorien Raum, Zeit und Figuren. Sicherlich eine Stärke der Arbeit, die eine flüssigere Darbietungsweise verschmerzen lässt.

Die themen- bzw. strukturbezogene Vorgehensweise führt zu eindeutigen Befunden und neuen Einblicken in die Texte Fusseneggers. Zunächst einmal wird die thematische Kohärenz in

Fusseneggers Schaffen nachgewiesen. Die drei Romane, die im Zentrum der Analyse stehen, belegen die kontinuierliche Auseinandersetzung der Autorin mit der deutsch-tschechischen

Konfliktgemeinschaft in der Nachkriegszeit. Sie verfolgt dabei das Ziel, Bedingungen und

Möglichkeiten einer „idealen böhmischen Gesellschaft“ (S. 78) aufzuzeigen. In den Analysen weist die Verf. schlüssig nach, dass Fussenegger „darauf verzichtet, die Darstellung der Deutschen und der Tschechen auf ein simples Gegensatzpaar gut-schlecht zu reduzieren“ (S. 71). Deswegen zeichnet sie in allen drei Texten die tschechischen Figuren positiver als die deutschen. Dadurch erweckt sie ein Verständnis für die tschechische Kultur und die tschechischen Motivationen im alltäglichen und politischen Zusammenleben zwischen den beiden Ethnien. Dies änderst jedoch nichts daran, dass Fussenegger eine hegemoniale Stellung des deutschen Elements in den böhmischen Ländern für historisch gegeben und auch für ein weiteres Zusammenleben für unausweichlich hält. „Nur wenn die Deutschen an der Macht sind, gewinnt Böhmen die Funktion einer schutzbietenden Heimat sowohl für die Tschechen als auch für die Deutschen“ (S. 77). Diese Machtposition darf aber nach Fussenegger nicht ausgenutzt werden, um eine „Zerklüftung“ zu vermeiden. Obwohl die Verf. die humanistische Grundtendenz der Romane akzeptiert, wird die Propagierung einer Dominanz des deutschen Elements mehrfach als ideologisch bezeichnet. Hier hätte die Entstehungszeit der Texte

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mehr Berücksichtigung finden müssen. Die ausgleichenden Elemente finden sich ja bereits im Roman Die Brüder von Lasawa, der 1948 noch unter dem direkten Schock der Vertreibung und seiner Folgen im Nachkriegsdeutschland verfasst wurde. Aus der deutschböhmischen und deutschmährischen Literatur sind wesentlich unversöhnlichere Zeugnisse bekannt (am heftigsten wohl Erwin Ott: Die Gefesselten. Schweinfurt 1949), so dass die besondere Leistung Fusseneggers innerhalb der

„sudetendeutschen“ Literatur dieser Epoche noch stärker hätte herausgearbeitet werden können.

Zudem war jedem zeitgenössischen Leser klar, dass Fussenegger eben das Verhalten der Deutschen im Protektorat als Ausnutzen der hegemonialen Stellung beurteilte, das zur Zerklüftung führte, auch wenn dies in den Romanen selbst nicht explizit so gesagt wird.

Im Roman Das verschüttete Antlitz erweitert Fussenegger die auktoriale Erzählhaltung um zusätzliche Stimmen. Hier ist dem Urteil der Verf. zuzustimmen, dass die Chance, dadurch ein noch

differenzierteres Bild der deutsch-tschechischen Gesellschaft zu zeigen, vergeben wurde. Sicherlich dient die Relativierung der deutschen Kriegsverbrechen und die Beschreibung des tschechischen Verhaltens im Protektorat zur Unterstützung einer nachträglichen „Holocaustisierung“ (Eva Hahn) der Vertreibung. Allerdings sind nicht alle angeführten Textstellen nur in dieser Hinsicht zu deuten, entsprechen sie doch den Darstellungen neuerer historischer Studien, deren Ergebnisse sogar schon Eingang in die tschechische Öffentlichkeit gefunden haben (u.a. in mehreren Filmen)

Aufgrund dieser inhaltlichen Ergebnisse und der Aufdeckung der komplexen Verbindung zwischen räumlicher und figuraler Ebene in den Romanen Fusseneggers stellt diese Dissertation einen Gewinn gegenüber der 2009 erschienenen Monographie zum erzählerischen Werk Fusseneggers von Rainer Hackel dar. Das eingangs formulierte Ziel einer objektiven Beurteilung der Leistungen der Autorin aus konkreten Textbeschreibungen heraus wurde erreicht.

Auf S. 41 stellt sich die Verf. jedoch noch eine wesentlich weiterreichende Aufgabe: „Die

Rekonstruierung des literarischen Bildes in den analysierten Werken soll dann ermöglichen, Gertrud Fussenegger im Rahmen einer deutsch-böhmischen Literatur zu positionieren“. Dieses Ziel verfehlt die Verf. aus folgenden drei Gründen:

1. Ein Vergleich der Leistungen Fusseneggers mit anderen Autoren oder den traditionellen literaturgeschichtlichen Ordnungskriterien erfolgt nur spärlich. Einerseits werden die zahlreichen intertextuellen Verweise Fusseneggers auf die österreichische (nicht die deutsche) Literatur übergangen, die im Fall von Das Haus der dunklen Krüge sogar zum Strukturprinzip des Romans werden. Andererseits wird mit einigen Begriffen sehr vereinfachend umgegangen. So werden z.B. die nationale Literatur und die Grenzlandliteratur (somit auch Rilkes Zwei Prager Geschichten) per se als ästhetisch minderwertig abqualifiziert, um die Texte Fusseneegers von diesen „Machwerken“

abzuheben. Hier wären differenziertere Aussagen möglich und nötig gewesen.

2. In allen Teilen der Arbeit sind Schwächen im Umgang mit der historischen Zuordnung der Texte zu erkennen. Innerhalb der Textebene zeigt sich das u.a. in der Zuschreibung von Nationalismus im 30jährigen Krieg, der Darstellung der soziologischen Bedingungen Prags, der Zusammensetzung des

„nationalen Bücherschranks“ (S. 162) oder einer vereinfachenden Verwendung des Begriffs

„Sudetendeutsche“. Letzteres verhindert maßgeblich eine differenziertere Einordnung des Romans Das verschüttete Antlitz. Schließlich wurde ein großer Teil der Deutschen in Böhmen und Mähren auch nach Österreich vertrieben, wo sie sich spätestens seit dem Staatsvertrag 1955 wie die österreichische Stammbevölkerung als erstes Opfer Hitlers fühlen durften. Eine derartige psychologisch wirksame „Anerkennung“ blieb den Sudetendeutschen in der Bundesrepublik

verwehrt. Gerade die politischen Relativierung in Das verschüttete Antlitz, denen die Verf. teilweise revanchistische Tendenzen unterstellt, scheinen bei der so sehr an einer Propagierung des

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supranationalen Charakters der Habsburgmonarchie orientierten Autorin durch diese Ungleichbehandlung motiviert.

3. Um die Autorin im böhmisch-mährischen Kontext zu positionieren wäre eine breitere Aufarbeitung der zur böhmisch-mährischen und Prager deutschen Literatur erschienenen Forschungsliteratur notwendig gewesen.

Es wird jedoch anerkannt, dass die ambitionierte Zielvorgabe im Rahmen eines

Dissertationsprojektes kaum zu erreichen ist. Die Arbeit ist sprachlich und stilistisch ordentlich und entspricht dem Niveau, das man für eine Dissertation erwartet. Auch die wissenschaftliche

Vorgehensweise (Fußnotenapparat, Zitate usw.) ist einwandfrei. Besonders zu loben ist, dass die schwierige Beschaffung unpublizierter Forschungsliteratur im Bereich der regionalen Literatur namhaft gemacht wurde (Anmerkung S. 26). Bei einer späteren Publikation wäre lediglich die für den Leser mühsame Unterteilung der Bibliographie zu überdenken (Kategorisierung in „Aufsätze“,

„Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen“ und „Internetbeiträge“).

Die Dissertation von Frau Hanišová kann von mir ohne Einschränkung zur Verteidigung empfohlen werden.

Doc. Joerg Krappmann Ph.D.

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