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Archiv "Betreuung von älteren Pflegebedürftigen: Sterbehilfedebatte in der Schweiz" (17.10.2003)

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ie Zahl älterer Menschen sei we- sentlich rascher gewachsen als diejenige der übrigen Bevölke- rung: Mitte des Jahrhunderts würden in der Schweiz zehn Prozent der Bevölke- rung älter als 80 Jahre sein. Mit dieser

„demographischen Entwicklung“ be- gründete die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) jetzt vorgelegte medizinisch- ethische Richtlinien und Empfehlun- gen. Die heiklen Passagen in diesen Richtlinien beziehungsweise Empfeh- lungen mit dem Titel „Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürfti- gen Menschen“ sind diejenigen, die den

„Suizid unter Beihilfe eines Dritten“ re- geln wollen.

Demographische Entwicklung

In den nächsten Jahren werde die An- zahl älterer, „vor allem hochbetagter Personen“ deutlich ansteigen, heißt es in der Präambel der Richtlinien. Dies geschehe in einer Zeit „des Wandels traditioneller Familienstrukturen, in ei- ner Zeit, in der sich die Wertvorstellun- gen stark verändern und der individuel- len Autonomie eine immer größere Be- deutung zukommt, in einer Zeit auch mit steigenden Gesundheitskosten“.

Kostenanreizsysteme wie Fallpauscha- len könnten dazu führen, dass ältere Menschen „frühzeitig aus einem Spital in eine Institution der Langzeitpflege oder nach Hause entlassen werden, oh- ne dass die notwendigen medizinischen und rehabilitativen Maßnahmen abge- schlossen worden sind“.

Die Richtlinien richten sich an Ärzte, Pflegende und Therapeuten. Die sich daran anschließenden Empfehlungen gelten dann auch für Leitungen von In- stitutionen der Langzeitpflege sowie für Krankenhäuser und den ambulanten

Bereich. Die Richtlinien wollen „der Autonomie der älteren Person einen zentralen Stellenwert einräumen“. Es seien Rahmenbedingungen zu schaffen, die es dem älteren pflegebedürftigen Menschen erlauben, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen.

Eine medizinische Maßnahme darf nur mit der freiwilligen Einwilligung

nach Aufklärung der urteilsfähigen äl- teren Person vorgenommen werden.

Bei Urteilsunfähigkeit der älteren Per- son hat der Arzt oder das Pflegeperso- nal abzuklären, ob sie eine Patienten- verfügung verfasst hat, ob sie eine Ver- trauensperson bevollmächtigt hat be- ziehungsweise ein gesetzlicher Vertre- ter bezeichnet ist. Freiheitsbeschrän- kende Maßnahmen sollten grundsätz- lich die Ausnahme bleiben. Sie dürfen nur unter ganz bestimmten Bedingun- gen angewandt werden, wenn zum Bei-

spiel das Verhalten der Person in erheb- lichem Maße ihre eigene Sicherheit oder Gesundheit gefährdet. Grundsätz- lich darf eine solche Maßnahme nur mit Zustimmung der Betroffenen bezie- hungsweise bei deren Urteilsunfähig- keit mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters oder ihrer Vertrauensperson ergriffen werden.

„Der Zugang zu palliativer Medizin, Pflege und Betreuung ist allen älteren pflegebedürftigen Menschen mit chro- nisch unheilbaren Krankheiten zu ga- rantieren“, heißt es weiter. Doch im Be- reich der Palliativmedizin scheinen of- fenbar auch in der Schweiz Defizite zu bestehen. Jedenfalls wird dem Thema Beihilfe zum Suizid in den Empfehlun- gen, die sich an die Richtlinien an- schließen, breiter Raum eingeräumt.

Wenn ältere Menschen Beihilfe zum Sui- zid wünschen, soll ein „externer, in die- sen Fragen speziell kompetenter Arzt“

hinzugezogen werden, empfiehlt die SAMW. Dieser soll sicherstellen, dass

„der Entscheid zum Suizid nicht auf Druck Dritter, auf eine mangelhafte dia- gnostische Abklärung, auf eine psychi- sche Erkrankung oder auf eine nicht adäquate Behandlung oder Betreuung zurückzuführen ist“. Der Arzt soll die In- stitution vor allem auch auf ihre Praxis der palliativen Betreuung überprüfen.

Die Beihilfe zum Suizid soll vor al- lem von externem Personal geleistet werden. Das Personal der Institution soll unter anderem aus „Rücksichtnah- me auf die übrigen Bewohner nicht an der Vorbereitung oder Durchführung eines Suizids mitwirken“. Pflegeheime oder Krankenhäuser sollten dafür sor- gen, „dass nach Durchführung eines Suizids eine angemessene Begleitung und Betreuung der zurückbleibenden Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, der Angehörigen sowie des Personals gewährleistet ist“. Der „außergewöhn- P O L I T I K

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A2704 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4217. Oktober 2003

Betreuung von älteren Pflegebedürftigen

Sterbehilfedebatte in der Schweiz

In der Eidgenossenschaft soll künftig „Suizid unter Beihilfe eines Dritten“ für Ärzte und Pflegepersonal geregelt werden.

Der Zugang zu palliativer Medizin sollte allen älteren Menschen garantiert werden.

Foto:Jens Schlueter/ddp

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P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4217. Oktober 2003 AA2705

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urde noch vor etwa 15 Jah- ren für die bundesdeutschen Krankenhäuser der „Pflege- notstand“ ausgerufen und mit nur palliativ wirkenden Maßnahmen not- dürftig überwunden, so gibt es seit ge- raumer Zeit in den Krankenhäusern wieder einen Personalzusatzbedarf – nicht zuletzt infolge der Leistungs- verdichtung und der inzwischen auf 17 Millionen Patienten je Jahr gestie- genen Zahl der Krankenhauspatien- ten. Auch wegen des geänderten Arbeitszeitgesetzes resultiert nach

Schätzungen in den Krankenhäusern ein Zusatzpflegepersonalbedarf von rund 10 000 Fachkräften.

Noch mehr zeichnet sich auch im Bereich der Heim- und Altenpflege ein akuter Personalnotstand ab.Allein in den Altenheimen fehlen derzeit rund 20 000 Pflegefachkräfte. Eine gute Pflege nach den gesetzlich ver- schärften Qualitätsvorschriften in den rund 9 200 Altenheimen ist nicht gesi- chert. Der Missstand hat dazu geführt, dass oftmals die Personaldecke ge- streckt werden muss und nur noch der Mangel verwaltet wird. Die Pflege- fachkräfte erbringen Jahr für Jahr neun Millionen Überstunden. Allein in den Altenheimen sind nach Ermitt- lungen des Deutschen Instituts für an- gewandte Pflegeforschung, Köln, rund 3 600 Planstellen im Bereich Pflege nicht besetzt.Wegen der Neugründun- gen von vertragsverpflichteten Alten- heimen und Pflegeeinrichtungen er- gibt sich ein Zusatzpersonalbedarf von 400 Stellen. Hinzu kommt: Der Stress am Krankenbett und in der Pflege wächst schier ins Unendliche.

Die Folge: Ein Drittel der Pflegekräf- te war im vergangenen Jahr längerfri- stig krank, wesentlich häufiger und mehr als noch ein Jahr davor. Dass

hier etwas passieren muss und die Po- litiker aktiv werden müssten, darauf deuten auch die aktuellen Zahlen hin:

Heute gibt es rund 2,1 Millionen Pfle- gebedürftige. Davon werden rund 605 000 Pflegebedürftige in Heimen versorgt. Die Zahl der Senioren und multimorbiden Patienten, damit auch der Pflegebedürftigen, wächst in den kommenden Jahren sprunghaft. Die geburtenstarken Jahrgänge treten zu- nehmend in das Senioren- und Pflege- alter. Im Alter zwischen 60 und 65 Jahren beträgt die Pflegequote 1,6

Prozent. Bei Senioren über 80 Jahre hingegen hat der Anteil die Rate von 20 Prozent bereits überschritten. Ab dem 90. Lebensjahr sind mehr als 60 Prozent der Hochbetagten pflegebe- dürftig. Bevölkerungsstatistiker und Gerontologen gehen davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2040 um 50 Prozent steigen wird – bei der unrealistischen Annah- me eines unveränderten Gesundheits- und Pflegezustandes. Die Politik muss das zur Kenntnis nehmen. Schließlich hat der 3.Altersbericht der Kommissi- on des Deutschen Bundestages ein- dringlich darauf hingewiesen. Selbst wenn künftig die Bundesbürger gesünder würden, würden immer noch 2,6 bis 2,7 Millionen Pflegebe- dürftige auf qualifizierte Pflege ange- wiesen sein, so das Zentrum für Al- tersfragen, Berlin.

Immer mehr zeichnen sich Defizite in der Pflegeversicherung ab – 2003 voraussichtlich bereits rund 760 Mil- lionen Euro (Schätzungen der Tech- niker Krankenkasse). Die bisher noch vorhandenen Rücklagen schmelzen bald dahin. Die Pflegeversicherung wackelt, der bisher konstante Beitrags- satz von 1,7 Prozent kommt ins Rut- schen (nach oben).Dr. rer. pol. Harald Clade

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KO OM MM ME EN NT TA AR R

Pflege

Personalmangel

liche Todesfall“ ist an die zuständige kantonale Behörde zu melden.

In Deutschland sind aktive Sterbehil- fe und Tötung auf Verlangen unzulässig.

Und dies soll jedenfalls nach Auffassung der Delegierten des Deutschen Ärzteta- ges auch so bleiben. Im Mai hatten sie in Köln in einem einstimmig verabschiede- ten Beschluss aktive Sterbehilfe und die Hilfe zur Selbsttötung abgelehnt. Die Schweizer Ärzteschaft begründet ihren Schritt mit der „Realität in der Schweiz“.

So sei nach § 115 Strafgesetzbuch die Beihilfe zum Suizid erlaubt, wenn sie nicht aus selbstsüchtigen Beweggrün- den erfolge, sagte die Generalsekretärin der SAMW, Dr. Margrit Leuthold. An- gesichts der veränderten Rechtslage würden Ärzte und Pflegepersonal in Al- ters- und Pflegeheimen „unvermittelt mit dem Suizidwunsch eines älteren Menschen konfrontiert werden“. Im Jahr 2001 hatte der eidgenössische Bun- desrat die Neuregelung gebilligt, wo- nach Bewohner und Patienten von städ- tischen Alten- und Krankenheimen in Zürich Suizid mithilfe einer Sterbehilfe- organisation begehen können.

Gefahr eines ethischen Dammbruchs

Die Empfehlungen sollen Leuthold zu- folge eine Hilfestellung bieten, wie mit dieser Situation umgegangen werden soll. Unumstritten ist die geplante Neu- regelung auch in der Schweiz nicht. So befürchten viele Ärzte und die Kirchen einen ethischen Dammbruch. In ihren – zurzeit noch geltenden – Richtlinien

„Ärztliche Betreuung sterbender und zerebral schwerstgeschädigter Lang- zeitpatienten“ aus dem Jahr 1996 hatte die SAMW noch festgehalten, dass die Beihilfe zum Suizid kein Teil der ärztli- chen Tätigkeit sei. Diese Richtlinien würden zurzeit revidiert und voraus- sichtlich im Spätherbst zur so genann- ten Vernehmlassung publiziert. Stellung- nahmen, auch kritische, würden durch- aus ernst genommen und berücksich- tigt, sagte Leuthold gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Gisela Klinkhammer

Die Richtlinien und Empfehlungen „Behandlung und Be- treuung von älteren pflegebedürftigen Menschen“ im In- ternet: www.aerzteblatt.de/plus4203

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